[314] Gewehr, 1) Angriffswaffe, im Gegensatz der Vertheidigungswaffe; daher G. u. Wappen, Letzteres der volle Harnisch mit Helm u. Schild, Ersteres aber Speer od. Lanze, Schwert, Dolch u. Keule od. Streithammer. Seit der Einführung des Schießpulvers zum Kriegsgebrauch unterscheidet man Ober- u. Unter- (Seiten-) gewehr; Kurzgewehre nannte man die Partisanen, Hellebarden, Spontons, überhaupt die Piken von geringer Länge. 2) Die Gesammtheit aller kleinen (Hand-) Feuerwaffen, im Gegensatz zu den Geschützen. Jedes G. zerfällt in die Haupttheile: Lauf, Schaft, Schloß u. Ladestock (s.d. a.); hierzu kommt noch bei dem Infanteriegewehr das Bayonnet (s.d.). Als Nebentheile gehören zum G. die Garnitur (s.d.) u. die kleinen Equipagenstücke (s.d.). Das Gewehrzubehör machen alle die Gegenstände aus, welche nicht beständig mit dem G. verbunden, doch zu seiner Reinigung, zum Auseinandernehmen u. Zusammensetzen, sowie zum Schutze gegen Feuchtigkeit nothwendig sind.
Die ersten Handfeuerwaffen treten im 14. Jahrh. auf, unter den verschiedenen Namen Handläufe (Canons à main), Spingarden od. Espingarden, Hauptbüchsen od. Arkebusen, Hakenbüchsen. Diese G-e waren ohne Schaft, dazu sehr schwer (4060 Pfund), u. zum Gebrauche war ein Gestell nöthig; das Zündloch befand sich oben auf dem Lauf, die Zündung wurde mit einer Lunte bewerkstelligt, welche der Arquebusirer stets brennend in der Hand trug. So konnte das G. nur eine beschränkte Anwendung finden, bes. nur beim Angriff fester Plätze u. bei deren Vertheidigung. Um die Mitte des 16. Jahrh. legte man zunächst das Zündloch an die Seite, brachte eine Pfanne an u. um das auf derselben befindliche Pulver (Mehlpulver) vor Nässe zu schützen, versah man die Pfanne mit einem beweglichen Deckel; gleichzeitig fertigte man auch das Rohr etwas kürzer u. von kleinerem Kaliber, so daß es von einem einzigen Manne getragen werden konnte. Gegen Ende des 15. Jahrh. machte man die Rohre noch leichter u. versah sie mit einem Schaft; ein gewisser Moketta aus Veletri soll um dieselbe Zeit der Erfinder des Luntenschlosses gewesen sein u. den hölzernen Ladestock zuerst angewendet haben, u. von ihm soll der Name Mosquetto od. Muskete herrühren. Um sicherer schießen zu können, brachte man im Kolben eine eiserne Stange an, welche, an einem Knopfe herausgezogen, zum Auflegen auf die Schulter diente. Im Jahre 1517 erfand ein Deutscher in Nürnberg das Radschloß, welches die Zündung, anstatt mit der bei Regenwetter leicht verlöschenden Lunte, mittelst eines Stückes Schwefelkies bewirkte. Diese wesentliche Verbesserung fand schnellen Eingang u. kam auch bei den um die Mitte des 16. Jahrh. zu Pistoja erfundenen Pistolen u. den um dieselbe Zeit zuerst angewendeten Karabinern zur Anwendung. Eine ebenso wichtige Erfindung machten die Nürnberger Büchsenschmiede Danner u. Kutter, indem sie ihre G-e mit Zügen versahen, zuerst geradelaufend, bald aber spiralförmig, u. außerdem Korn, Visir u. Stechschloß einrichteten. Im Übrigen waren auch diese G-e noch zu schwer, als daß sie im Kriege hätten ausgedehnte Anwendung finden können. Erst Gustav Adolf ließ das Kaliber so weit verringern (bis auf 2 Loth Blei) u. die G-e so viel leichter machen, daß ein Mann aus freier Hand zu schießen vermochte; zudem brachte er auch das bis dahin nur theilweise angenommene Radschloß u. die Patronenladung allgemein in Anwendung. Noch mehr als hierdurch wurde durch die folgenden Verbesserungen am G. dessen allgemeine Anwendung als Kriegswaffe befördert. Das 1640 erfundene Bayonnet machte das G. zu einer geeigneten Waffe für den Nahekampf, man konnte nun die Pike entbehren; das zu derselben Zeit auftretende Steinschloß bot mehr Einfachheit u. Sicherheit als das Radschloß; die Erfindung des konischen Zündloches von Gottfried Henksch in Nürnberg beförderte das schnelle Schießen; die erlangte Kenntniß vom Körnen des Pulvers (zu Ende des 17. Jahrh.) erhöhte die Wirkung der G-e. Die G-e mit Steinschloß nannte man nun Flinten (Facils), seit Anfang des 18. Jahrh. die einzige Feuerwaffe der Infanterie. Die Änderungen an der Flinte im 18. Jahrh. waren im Vergleich zu den vorerwähnten nur unbedeutend. Man lernte dem Bayonnet eine bessere Form u. Befestigung geben, beförderte die Ladefähigkeit der G-e, verband Schaft u. Rohr durch Messingringe, verbesserte die Schäftung, nahm anstatt der eisernen[314] eine messingene Pfanne an u. setzte den eisernen Ladestock wieder an Stelle des hölzernen, Anfangs in konischer, seit 1773 in cylindrischer Gestalt.
Auf dem Stande des 18. Jahrh. hielt sich im Wesentlichen das G. bis nach den Napoleonischen Kriegen. Darauf nahm die Technik einen neuen Aufschwung, dessen Folge für die G-e zunächst hauptsächlich die 1820 erfundene (nach Andern schon 1786 in Frankreich versuchte) Percussionszündung war, welche seit 1840 allmälig in allen Armeen eingeführt wurde. Eine ganz neue Bahn wurde aber gebrochen mit dem Gedanken, die Vorzüge des glatten u. des gezogenen G-s, das schnelle Laden u. die Genauigkeit des Schusses in einem G. zu vereinigen. Den ersten Anlaß gab 1828 der französische Capitän Delvigne, der, um das Laden des gezogenen G-s zu erleichtern, dem Geschoß etwas Spielraum gab u. durch Anbringung einer verengten Pulverkammer, welche in der Rohrseele einen vorstehenden Rand bildete, das Beseitigen des Spielraums dicht vor der Pulverladung bewirkte. Zugleich wollte er dadurch die Ladung vor dem Zerstoßen schützen u. so eine größere Kraftäußerung des Pulvers erreichen. Außerdem verringerte er auch den Drall der Züge, um eine stärkere Ladung zur Anwendung bringen zu können. Doch erreichte er seinen Zweck nur unvollständig hiermit, da beim Laden die Kugel auf ihrer Oberfläche abgeplattet wurde, mit der unteren Fläche dagegen in die Kammer eindrang, u. sowohl durch diese Deformation als auch dadurch, daß das Geschoß mit dem in die Kammer eindringenden Theile häufig das Pulver zerdrückte, Nachtheile herbeigeführt wurden, welche die Trefffähigkeit bedeutend beeinträchtigten. Um die obere Abplattung der Kugel zu vermeiden, gab Delvigne nun dem Ladestockkopfe eine halbkugelförmige Aushohlung, u. um das Eindringen des Geschosses in die Kammer zu verhüten, wendete Oberst Pontchara einen mit einem Kugellager versehenen Holzspiegel an, der mit einem gefetteten Pflaster umgeben war, um den Pulverschleim besser zu beseitigen. Doch dieses Verfahren entsprach dem Zwecke eben so wenig, indem der Spiegel häufig beim Aufsetzen zerbrach oder im Rohr stecken blieb. Delvigne u. mit ihm Oberst Thierry suchten nun durch veränderte Geschoßformen den Übelständen zu begegnen. Der Erstere wandte ein cylindro-konisches (einen Kegel auf einem Cylinder), der Letztere ein cylindro-sphärisches (eine Halbkugel auf einem Cylinder) Geschoß an; Beide brachten im cylindrischen Theile eine Höhlung an. Doch ergaben diese Geschosse wegen des zu weit rückwärts liegenden Schwerpunkts keine günstigeren Resultate. Man kehrte daher zum System Delvigne-Pontchara zurück u. führte dessen Waffe, unter dem Ramen Kammerbüchse bekannt, zunächst 1840 bei den Chasseurs d'Orleans in Frankreich ein. Auch in Belgien u. Sardinien wurde das System angenommen u. in Österreich durch Feldzeugmeister Augustin dahin modificirt, daß der Pontchara'sche Spiegel wegfiel, hingegen der oberste Theil der Kammer ein Kugellager erhielt. Inzwischen hatte man sich auch in Deutschland bestrebt, die Infanteriewaffen zu verbessern. 1832 versuchte der Major Berner in Braunschweig die Vorzüge der Büchse u. der Muskete dadurch zu vereinigen, daß er dem G. zwei breite Züge gab, deren Drall 3/4 betrug u. deren Breite vom Pulversack bis in die Nähe der Mündung sich um fast die Hälfte verringerte. Auf den letzten 5'' verliefen sich die Züge in ein flaches Oval, weshalb das G. den Namen Braunschweigisches Ovalgewehr erhielt. Das Geschoß, zuerst ebenfalls oval, machte Berner doch bald kugelförmig u. ließ es mit einem Pflaster laden. Die Ladeweise war hierbei zeitraubend. Damit aber das G. sich als Muskete verwenden ließe, wurde noch eine Rollkugelpatrone angenommen, die ein leichtes Laden gestattete. Dieses G. übertraf zwar an Trefffähigkeit das Delvignesche, hatte aber geringere Ladefähigkeit. Die Rollkugel übertraf auch das glatte G. an Trefffähigkeit, aber der Soldat hatte nun eine doppelte Munition mit sich zu führen. Mit einigen Veränderungen nahm Oldenburg dieses G. für seine gesammte Infanterie an, England bewaffnete 1837 seine leichte Brigade damit u. das G. erhielt daselbst den Namen Zweizügige Büchse u. war nur durch größeres Kaliber von dem Braunschweigischen Modell unterschieden. Der Kugel goß man, um das Laden zu erleichtern, einen in die Züge passenden Gürtel an, welcher später auf zwei in die Züge passende Angüsse verändert wurde.
In Preußen erfand Dreyse in Sömmerda, nachdem er schon 1835 ein von oben zu ladendes Zündnadelgewehr construirt hatte, das von hinten zu ladende Zündnadelgewehr, welches zunächst den Namen Preußisches Percussionsgewehr u. erst später den des Zündnadelgewehrs (s.d. erhielt). Das dabei vertretene Princip, von hinten u. somit schneller zu laden, war nicht nen, da es schon bei der Amusette des Marschalls von Sachsen, bei den Montalembertschen, bei den Robertschen (1831) u. Lefaucheuxschen (1832) G-en, sowie bei den französischen Wallbüchsen (Fusil de rempart) auf mehr od. minder ähnliche Weise zur Anwendung gekommen war. Die mit diesem G., außer der erhöhten Treff- u. Ladefähigkeit, erreichten Vortheile bestehen in der Einfachheit des Mechanismus, in der sicheren u. unschweren Reinigung, in dem Wegfall des Ladestocks u. in der durch vollständiges Verbrennen des Pulvers ermöglichten geringeren Ladung. Um das Jahr 1840 war nach demselben Princip der Ladung das Norwegische Kammerladungsgewehr erfunden worden, welches mittelst eines Zündhütchens abgefeuert wurde u. welches in dem, 1851 bei der schwedischen Marine zur Einführung gelangten, vom Lieutenant von Frjlitzen erfundenen Schwedischen Kammerladungsgewehr besonders durch Anwendung des an der Spitze abgerundeten cylindro-konischen Geschosses noch verbessert wurde. Von 1841 an machte der Schweizer Wild (gleichen Ansichten wie Delvigne folgend) den Versuch, die Hauptübelstände der alten Büchsen dadurch zu beseitigen, daß er unter Festhaltung der mit einem Pflaster versehenen Kugel, beim Laden etwas Wasser in den Lauf spritzte, wodurch der Pulverschleim aufgelöst wurde, u. daß er zur Verhütung des Zerdrückens der Pulverladung am Ladestocke eine Stellscheibe anbrachte, welche seine Einwirkung zweckmäßig begrenzte. Dadurch erreichte er zwar größere Treffweite u. eine so geringe Verschleimung des G-s, daß man selbst nach 100 Schüssen noch bequem laden konnte; doch blieben die Anwendung des Pflasters u. des Wasserspritzens zeitraubende Verrichtungen. Das Wildsche System fand daher auch nur in der [315] Schweiz, in Baden, Württemberg u. Hessen-Darmstadt theilweisen Eingang.
Wichtiger für den Kriegsgebrauch wurde nun die Erfindung des französischen Oberst Thouvenin. Delvigne war von 1840 an unausgesetzt bemüht gewesen, unter Beibehaltung des cylindro-konischen, innen ausgehöhlten Geschosses sein System noch mehr zu vervollkommnen, hatte den Spielraum des Geschosses auf ein Minimum verringert u. die Berührungsfläche desselben mit den Seitenwänden dadurch vermindert, daß er an dem cylindrischen Theile eine Austiefung anbrachte, in welche, um der Verschleimung des Rohrs zu begegnen, ein gefetteter Faden gelegt wurde. Capitän Minié nun modificirte Delvignes Geschoß dahin, daß er, um den Schwerpunkt desselben der Spitze näher zu legen, den konischen Theil ogival, d.h. mit gewölbten Seitenflächen, formte u. den Cylinder nach unten verjüngte. Der Capitän Tamisier, welcher mit diesem Geschosse Versuche machte, fand, daß die günstigen Resultate mit demselben wohl zumeist der auf die Flugbahn vortheilhaft einwirkenden Nuthe des cylindrischen Theiles zuzuschreiben sei, u. brachte, um diesen Vortheil noch zu erheben, mehrere Nuthen an, welche nicht nur zur Schwächung der Wände des cylindrischen Theils, sondern auch zur Erhaltung der Tangentiallage des Geschosses zur Flugbahn in stärkerem Maße beitragen sollten. Versuche bestätigten die Annahme, u. das Geschoß fand durch die inzwischen eingetretene Erfindung des Oberst Thouvenin bald Verwendung. Die Überlegenheit des Spitzgeschosses über die Kugel hatte sich nunmehr erwiesen. Thouvenin änderte unter Beibehaltung des Delvigneschen Princips die Construction der Waffe dahin, daß er statt der ausgekammerten Schwanzschraube eine gewöhnliche anbrachte, in deren Boden er einen stählernen Dorn so einschraubte, daß derselbe genau in der Seelenachse des Rohrs stand. Indem er nun die Kugel auf diesen Dorn trieb, um den Spielraum zu beseitigen, fand er, daß die dadurch entstehende Deformation zu große Fehler erzeuge, u. nahm das Tamisiersche Spitzgeschoß, jedoch ohne Aushöhlung hinten, an. So entstand 1844 das Thouveninsche System (Carabine à tige, Dorngewehr), welches zunächst in Frankreich adoptirt, bald darauf auch in Belgien, Sardinien, Preußen u. fast allen Staaten des Deutschen Bundes, auch in Rußland, Dänemark u. Spanien, mit theilweise unbedeutenden Veränderungen zur Einführung kam, während Österreich seine Kammerbüchsen zwar beibehielt, aber das Spitzgeschoß dazu nahm. Die mit diesem G. erreichten Vortheile bestanden besonders in dem leichteren u. somit schnelleren Laden desselben, in dem vollständigen Schutze der Ladung gegen eine Quetschung durch das Geschoß u. endlich in einer sehr erhöhten Trefffähigkeit u. Tragweite, welche zum Theil dem unversehrten Erhalten der Pulverladung, zum Theil der Form des Spitzgeschosses zuzuschreiben war, zum Theil auch darin ihren Grund hatte, daß die im Geschoß liegende Fähigkeit zur Erhaltung seiner Tangentiallage zur Flugbahn gestattete dem Rohr einen geringeren Drall zu geben u. doch die Drehung des Geschosses um seine Längenachse gesichert zu erhalten. Wegen des Dorns war aber das Reinigen des G-s erschwert, u. die Waffe eignete sich daher nicht zu einer allgemeinen Einführung bei der Infanterie. Minié stellte sich nun die Aufgabe, unter Beseitigung sowohl der Delvigneschen Kammer, als des Thouveninschen Dorns, jedoch mit Beibehalt des Spitzgeschosses, ein G. herzustellen, welches sich aus jedem glatten G. leicht herstellen ließ, dessen Ladefähigkeit besäße u. dabei die Trefffähigkeit u. Tragweite der Dorngewehre wenigstens erreiche. Er construirte zu dem Ende ein G. mit vier Progressivzügen (d.h. die Züge sind am Pulversack am tiefsten u. werden nach der Mündung zu nach u. nach flacher) u. gab den Zügen eine muldenförmige Gestalt u. nicht ganz 1/2 Drall. Als Geschoß nahm er in der äußeren Gestalt das von Tamisier construirte an, versah jedoch den cylindrischen Theil desselben mit einer konischen nach oben sich verjüngenden Aushöhlung, die er durch ein Eisenblechhütchen (Culot) verschloß. Das Geschoß erhielt so viel Spielraum, um mittelst des Ladestockes leicht bis auf das Pulver hinabgedrückt werden zu können. Die theoretische Annahme beruht darauf, daß das durch die Entzündung des Pulvers entwickelte Gas das Blechhütchen in die Aushöhlung des Geschosses treibt, wodurch die Wände des Geschosses ausgedehnt u. in die Züge hineingedrängt werden. Da aber das Ausfüllen der Züge von Anfang an nicht immer vollständig erfolgen wird, so waren Progressivzüge angewendet. Hierdurch mußte nun ein genaues Schließen des Bleies an den Wandungen des Rohrs stattfinden u. das Geschoß die nothwendige Rotation um seine Längenachse erhalten. Außerdem wirkt die Pulverkraft bei diesem G., welches in Frankreich wegen seiner vorzüglichen Leistungsfähigkeit Fusil de précision genannt wurde, concentrisch, also am günstigsten auf den Schwerpunkt des Geschosses. Als Vortheile des Systems sind ferner hervorzuheben, daß das. Geschoß, da es nur hinabgedrückt, nicht aufgesetzt wird, seine ursprüngliche Gestalt beibehält u. daß das Geschoß durch die Aushöhlung, im Verein mit der ogivalen Spitze, eine der Pfeilbewegung günstige Lage des Schwerpunkts besitzt. Somit war durch das Miniésystem das Problem einer für die gesammte Infanterie geeigneten Feuerwaffe als gelöst zu betrachten, denn die. Übelstände, daß die Progressivzüge des G-s schwieriger herzustellen sind, als Züge von constanter Tiefe, u. daß die nicht selten ungleiche Wirkung des Eisenblechhütchens die Treffwirkung beeinträchtigte waren gegenüber den erreichten Vortheilen nur von untergeordneter Bedeutung. Schnell verschaffte sich daher auch das System in vielen europäischen Armeen Eingang, meist mit Modificationen, die im Allgemeinen darauf hinausgingen, das Geschoß wo möglich leichter zu machen u. das Blechhütchen desselben zu beseitigen. England nahm das Miniégewehr 1851 an, Belgien gleichzeitig, sodann Spanien, Baden, Nassau, Kurhessen, Waldeck, 1854 Hessen-Darmstadt, 1855 vorübergehend Preußen u. dann auch Rußland.
Von den Abänderungen, welche man in den einzelnen Staaten gemacht hat, sind bes. die englischen, belgischen u. preußischen bemerkenswerth. In England construirte Pritchett zu dem in der Fabrik zu Enfield erbauten G. ein cylindro-sphärisches Geschoß, mit glockenförmig gestalteter Aushöhlung, ohne Nuthen u. ohne Culot. Man brachte dies G. nun zur Einführung u. nannte es Enfield-Pritchett. Das G. hat drei Züge u. wiegt noch nicht[316] 9 Pfd. In Belgien gab Oberst Timmerhans der Aushöhlung des cylindro-ogivalen Geschosses ebenfalls eine glockenförmige Gestalt, ließ aber in der Mitte derselben einen Zapfen stehen, der bis nahe an die Basis des Geschosses reichte u. den Wegfall des Culot ermöglichte. In Preußen construirte Hauptmann von Neindorff ein Geschoß, in welchem die Aushöhlung, anstatt mit einem Blechhütchen, mit einem Culot von gepreßtem Papier verschlossen ist, um dem Geschoß die für den Transport nöthige Widerstandsfähigkeit der Wände zu geben. Die Wände selbst sind so schwach, daß sie auch ohne Culot sich zur vollständigen Beseitigung des Spielraums genügend ausdehnen. Neben dieser Vervollkommnung des Miniésystems, welche im Wegfall des Culot erreicht worden ist, hat sich auch herausgestellt, daß die Progressivzüge nicht unumgänglich nothwendig sind, da seichte u. abgerundete Züge dasselbe Resultat, nämlich ein schnelles u. sicheres Verschließen derselben durch das Geschoß, ergeben. In der Schweiz war, nach vorher angestellten Versuchen mit fast allen Arten von G-en, das neue amerikanische System mit einigen Modificationen angenommen worden. Das Amerikanische System verfolgt das Princip der steigenden Spirale der Züge, d.h. die Windung der Züge, anfänglich ganz gering, nimmt nach der Mündung hin mehr u. mehr zu. Hierdurch soll bezweckt werden, daß das Geschoß bei der ersten Einwirkung der Pulvergase nicht sofort in eine starke, von den Zügen vorgeschriebene Drehung übergehe, welche häufig die Ursache ist, daß das Geschoß diese überspringt, sondern daß es allmälig eine vermehrte Windung annehme, die in seiner Flugbahn die Rotation um die Längenachse sicher stelle. Nach diesem System nun nahm man 1850 in der Schweiz ein G. an, welches den Namen neuer eidgenössischer Stutz erhielt u. dessen Eigenthümlichkeiten darin bestehen, daß das Kaliber sehr klein ist, die halbrunden Züge beinahe eine ganze Windung u. die Schwanzschraube eine Auskammerung haben. Das Geschoß, nur, 1/28 Pfund schwer u. von cylindro-ogivaler Gestalt, hat in seinem cylindrischen Theile eine wenig tiefe, sich nach oben verflachende Nuthe, in welcher das Pflaster mit etwas starkem Bindfaden befestiget wird, u. kann vermittelst des Ladestockes, an welchem, wie beim Wildschen System, eine Stellscheibe angebracht ist, im Lauf nur so weit niedergeschoben werden, daß zwischen Kammer u. Geschoß noch ein kleiner Zwischenraum bleibt. Ende 1853 wurde in der Schweiz noch eine neue Waffe unter dem Namen Jägergewehr angenommen, welche dem Stutzen ähnlich ist, nur daß die Kammer der Schwanzschraube wegfällt u. das Pflaster des Geschosses durch die gefettete Patronenhülse ersetzt wird. Die Vortheile dieser Schweizergewehre bestehen in der jedem anderen System gleichkommenden Leichtigkeit des Ladens, in dem geringen Gewicht von. Geschoß u. Ladung u. in einer nicht übertroffenen Trefffähigkeit, Tragweite u. Percussionskraft. Eine im Jahre 1855 von Prelaz aus Vevay gemachte Erfindung zur Verbesserung der Schweizer Stutzen, deren Eigenthümlichkeiten noch nicht bekannt geworden sind, wurde nach den damit angestellten Versuchen zu Vincennes als Alles bisher Bekannte übertreffend bezeichnet. Wie das Schweizersystem, so ist das in neuester Zeit von Lancaster aufgestellte System eine Übertragung des Amerikanischen mit Anwendung eines Expansionsgeschoffes, nur daß das Lancastersche System, welches in England für die Kanonen angenommen worden ist, weder eine runde Bohrung, noch Züge besitzt. Die glatten Seelenwände bilden eine Ellipse, welche in steigender Spirale sich von dem Pulversack nach der Mündung zu windet, während die Achsen der Ellipse zugleich um ein Geringes abnehmen. Das cylindro-spärische Geschoß muß seine untere cylindrische Gestalt, da es durch die Einwirkung der Pulvergase auf den die Aushöhlung verschließenden, konischen Pfropf ausgedehnt wird, wegen der zunehmenden Windung der Ellipse ununterbrochen verändern u. so den Spielraum vollständig beseitigen. Endlich hat sich seit 1854 auch noch das Wilkinsonsche System, welches gleichzeitig von dem österreichischen Lieutenant Lorenz erfunden wurde, geltend gemacht u. ist, da die Schießresultate mit den G-en dieser Art sowohl an Trefffähigkeit als Percussionskraft, namentlich auf große Entfernungen, die Resultate mit allen übrigen G-en weit hinter sich lassen sollen, zunächst in der österreichischen Armee zur Anwendung gekommen. Der Charakter dieses Lorenz-Wilkinson-Systems beruht in der Hauptsache, wie bei dem von Minié aufgestellten, auf der Einwirkung der Pulvergase auf das Geschoß u. dessen eigenthümlicher Construction. Das Geschoß ist cylindro-ogival u. massiv geformt, der cylindrische u. konische Theil sind durch eine tiefeingreifende Nuthe getrennt, der konische Theil ist bedeutend schwerer als der hintere cylindrische. Bei der Entzündung des Pulvers nun wird vermöge des größeren Beharrungsvermögens des schwereren Theiles, der leichtere hintere Theil an den vorderen herangeschoben u. durch Zusammendrückung in der Richtung der Seelenachse erfolgt dabei die Beseitigung des Spielraumes. Wilkinson gab überdies dem Rohre eine progressive Bohrung, welche jedoch, wenn die Züge flach u. abgerundet sind, kein unbedingtes Erforderniß ist. Neben der Möglichkeit, für jedes gezogene G. anwendbar zu sein, soll dieses System bei gleicher Lade-, noch höhere Leistungsfähigkeit als das Miniésche besitzen. Vgl. Schön, Das gezogene Infanteriegewehr, 2. A. Dresd. 1856; Derselbe, Geschichte der Handfeuerwaffen, ebd. 1858; C. Rüstow, Die Kriegshandfeuerwaffen, 1857; Schmölzl, Ergänzungswaffenlehre, 1857; Steinle, Die Spitzgeschosse, 1857; Mangeot, Des armes rayées, 1857; Aide-Memoire à l'usage des offic. d'artillerie, 1856; Jervis, The rifle-musket, a practical treatise on the Enfield-Pritchett rifle, 1854. 3) G. der Bergleute, eine Barthe, ein Häkchen u. ein Couteau (Säbel); 4) (Jagdw.), die Hauzähne des wilden Schweines, s.d.; 5) (Her.), so v.w. Bewehrung; 6) (Bergb.), so v.w. Gewähr 1).
Adelung-1793: Gewehr-Fabrik, die · Gewehr-Gallerie, die · Gewehr-Pyramide, die · Gewehr · Gewehr (1), das · Gewehr (2), das
Brockhaus-1911: Henry-Martini-Gewehr · Martini-Henry-Gewehr · Gewehr · Gewehr [2]
Meyers-1905: Snider-Gewehr · Peabody-Gewehr · Nagant-Gewehr · Spencer-Gewehr · Werndl-Gewehr · Werder-Gewehr · Vetterli-Gewehr · Mauser-Gewehr · Bornmüller-Gewehr · Berdan-Gewehr · Beaumont-Gewehr · Enfield-Gewehr · Martini-Henry-Gewehr · Gewehr [2] · Gewehr [1]
Pierer-1857: Wilkinsonsches Gewehr · Wildsches Gewehr · Thouveninsches Gewehr
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