[go: up one dir, main page]

Servitūt

[902] Servitūt (vom Lat. Servitus), Dienstbarkeit, ein Recht an einer fremden Sache auf Benutzung derselben zu Gunsten eines individuell bestimmten andern Subjectes. S. bedeutet daher einerseits die Beschränkung des Eigenthums an einer Sache zu Gunsten eines Andern, andererseits auch die aus dieser Beschränkung für jenen Andern entspringende Gerechtigkeit. Je nachdem das berechtigte andere Subject eine Person od. ein Sachindividuum ist, theilen sich die S-en in persönliche (S. personae, Personalservituten) u. dingliche (S. rerum s. praediorum, Prädialservituten, Grundstücksdienstbarkeit). Die Hauptgrundsätze über diese eigenthümliche Art der dinglichen Rechte ergeben sich theils schon aus ihrer Eigenschaft als Jura in re aliena, theils aus dem eben aufgestellten eigenthümlichen Begriff. In erster Hinsicht ergibt sich insbesondere der allgemeine Satz, daß die Befugniß des Berechtigten bei einer S. nie darin bestehen kann, daß der Eigenthümer der dienenden Sache etwas thue, sondern nur darin, daß er entweder in Bezug auf den Gebrauch derselben Etwas unterlasse od. dem Andern Etwas zu thun gestatte; ferner daß eine S. nur an der Sache eines Andern, nicht an der eigenen bestehen kann, u. daß daher die S. von. selbst erlöscht, sobald der bisher Berechtigte das Eigenthum der dienstbaren Sache erwirbt. In zweiter Hinsicht folgt daraus, daß jede S. nur für eine bestimmte Sache od. Person besteht, sowohl die Unübertragbarkeit derselben auf ein anderes Subject, als auch deren Unzertrennlichkeit, vermöge deren sie auch nicht theilweise erworben od. verloren werden kann, u. daß auch nicht an einer bereits bestehenden S. wieder einem Andern eine S. eingeräumt werden kann. Die Grenzen der S. sind, da die Vermuthung für die Unbeschränktheit des Eigenthums spricht, streng inne zu halten, u. deshalb auch jede S. auf eine so wenig wie möglich für den Eigenthümer lästige Weise (civiliter) auszuüben. Bezüglich der verschiedenen Arten der S-en sind die Realservituten sehr mannigfaltig u. nicht auf eine bestimmte Zahl beschränkt, da der Nutzen eines Grundstücks für das andere in sehr verschiedener Art hervortreten kann; die Zahl der Personalservituten dagegen ist, wenigstens nach Römischem Recht, bestimmt, weil das persönliche Bedürfniß des Berechtigten regelmäßig den ganzen Gebrauch der Sache umfaßt u. nur in einzelnen Beziehungen Abweichungen gestattet. A) Als Personalservituten kommen vor: a) der Usus (s.d.), das umfassende Recht der Naturalbenutzung ohne den Verbrauch der Sache; b) der Usus fructus (s.d.), die Benutzung einer fruchtbringenden Sache, verbunden mit dem ausschließlichen Recht auf alle Erzeugnisse derselben in den Schranken, welche die Gewissenhaftigkeit eines sorgsamen Hausvaters vorschreibt, u. ohne Verletzung der Substanz. Doch ist selbst dies letztere Erforderniß bei verbrauchbaren Gegenständen (Res consumtibiles) in der Ausdehnung des Quasi-usus-fructus durch die Vorschrift beseitigt, daß der Nutznießer bei dergleichen Gegenständen nur verpflichtet ist, nach Beendigung des Nießbrauches die gleiche Quantität od. die Ästimation zu restituiren; c) die Habitatio, als der Usus eines zum Bewohnen geeigneten Grundstücks; d) die Operae animalium s. servorum, das Recht der Benutzung von Sklavendiensten od. Hausthieren zum persönlichen Bedürfniß, mit dem besonderen Rechte sie auch zu vermiethen u. sie ausnahmsweise selbst auf die Erben zu übertragen. B) Die Realservituten theilen sich zuvörderst nach der Verschiedenheit des herrschenden Grundstücks (Praedium dominans), welche auch eine Verschiedenheit der Bedürfnisse in sich schließt, in Servitutes praediorum urbanorum, S-en für Gebäude, u. Servitutes praediorum rusticorum, S-en für Feldgrundstücke. Beide Arten der Prädialservituten erscheinen für das herrschende Grundstück wie Eigenschaften desselben. Der Inhalt der S. muß dem herrschenden Grundstück einen Vortheil gewähren, dieser Vortheil kann aber auch nie über das Bedürfniß des herrschenden Grundstücks hinaus gehen. Der Vortheil muß von dem dienenden Grundstück (Praedium serviens), u. zwar ebenfalls durch eine ihm innewohnende Eigenschaft[902] (Causa perpetua) gewährt werden. Eben deshalb müssen auch beide Grundstücke sich so in einem örtlichen Verhältniß zu einander befinden, daß dadurch die Gewährung des Vortheils von dem einen an das andere möglich ist. Je nachdem die Ausübung der Realservituten entweder in einem ununterbrochen dauernden Zustand od. in einzelnen, dem Berechtigten zuständigen Handlungen besteht, unterscheidet man dieselben noch in Servitutes continuae u. S. discontinuae; je nachdem der Inhalt der Berechtigung entweder darin besteht, daß dem Eigenthümer des herrschenden Grundstücks freisteht gewisse Handlungen ungehindert vorzunehmen, od. nur darin, daß der Eigenthümer des dienenden Grundstücks Etwas unterlassen muß, was er sonst vorzunehmen berechtigt sein würde, in positive u. negative S-en. Alle in den Prädialservituten enthaltenen Befugnisse können übrigens auch der Art begründet werden, daß sie nur bestimmten Personen zustehen, dann werden sie Personalservituten (sogenannte Servitutes personae irregulares) u. als solche ganz nach den Grundsätzen dieser, namentlich des Usus, beurtheilt. a) Als Arten der Gebäudeservituten werden in den Quellen des Gemeinen Rechts bes. erwähnt: aa) verschiedene S-en, welche den Zweck haben, dem herrschenden Gebäude an dem dienenden einen Stützpunkt zu gewähren. Dahin gehört die S. tigni immittendi, das Recht Balken in die fremde Nachbarmauer einzulassen, u. die S. onĕris ferendi, das Recht einen Theil des herrschenden Gebäudes auf der Mauer od. Säule des dienenden ruhen zu lassen. Im letzteren Falle ist der Eigenthümer des dienenden Grundstücks gehalten dem herrschenden stets eine taugliche Mauer zu stellen, also, wenn die Mauer untauglich geworden sein sollte, die Mauer zu repariren, welche Verpflichtung man wohl öfters als eine Ausnahme von der Regel betrachtet hat. bb) Die S. einen Überbau als Fortsetzung des herrschenden Gebäudes in dem Luftraum des Nachbars haben zu dürfen, S. projiciendi, insofern das Recht nur auf das Dach beschränkt ist, S. protegendi genannt; cc) S. stillicidii avertendi s. immittendi, das Recht das Regenwasser im Tropfenfall auf das benachbarte Grundstück laufen zu lassen; dd) S. flumĭnis recipiendi, das Recht das Regenwasser, in einem Strom gesammelt, mittelst einer Dachtraufe in des Nachbarn Grundstück hinüberzuführen; ee) S. cloācae, das Recht den Unrath durch das dienende Grundstück abzuleiten, od. die Senkgrube so nahe an des Nachbarn Grundstück anzulegen, daß der Letztere sich über die davon in dasselbe eindringende Feuchtigkeit nicht beschweren darf; ff) die verschiedenen Lichtgerechtigkeiten, als die S. ne luminĭbus s. prospectui officiatur, das Recht, daß der Nachbar alle Veränderungen entfernt hatten muß, welche eine Minderung des Lichts u. der Aussicht zur Folge haben würden; die S. altius non tollendi, daß der Nachbar nicht über eine gewisse Höhe hinaus bauen darf; u. die S. lumĭnum, über deren Bedeutung noch eine sichere Aufklärung fehlt, wahrscheinlich das Recht, in einer gemeinschaftlichen od. fremden Wand Fenster anzulegen; gg) S. fumi immittendi, das Recht den Rauch aus meinem Gebäude durch den Rauchfang des Nachbars zu leiten. Auch werden hh) Gebäudeservituten erwähnt, deren Inhalt die Befreiung von einer der voraufgeführten Beschränkungen ist, wie z.B. die S. stillicidii s. fluminis non recipiendi, S. altius tollendi, S. luminibus officiendi. Die Bedeutung dieser Art von S-en ist sehr bestritten. Nach der einen Ansicht umfassen dieselben solche Fälle, in denen die Aufhebung einer gewissen S., vielleicht auch nur die Beschränkung derselben, wieder als S. constituirt wurde; die andere Ansicht geht davon aus, daß die Römischen Baugesetze wahrscheinlich Jedem im Zweifel gewisse Rechte gaben, worin für den Nachbar Beschränkungen der natürlichen Freiheit lagen, u. daß von denselben der dadurch Gebundene dann durch die nämlichen Gründe Befreiung erlangte, wodurch man sonst Servitutenrechte erwarb; die Befreiungen wären dann z.B. als S. altius tollendi etc. bezeichnet worden. Für das heutige Recht sind diese Arten von S-en unpraktisch geworden. b) Als ländliche Grundstücksdienstbarkeiten kommen vor: aa) Wegeservituten. Das Römische Recht unterscheidet dabei zwischen Iter, dessen wesentliche Bestimmung das Recht ist über das dienende Grundstück zu gehen; Actus, einem Weg, welcher bestimmt ist auch zur Überführung des Zug- u. Lastviehes zu dienen; u. Via, einer wirklichen Straße, auf welcher der Berechtigte auch mit einem Wagen fahren u. schwere Lasten schleifen darf. In Ermangelung besonderer Bestimmung konnte für die Via eine Breite von 8 Fuß gerade aus u. von dem Doppelten bei Biegungen verlangt werden. bb) Wasserservituten. Dahin gehören die S. aquaeductus, d.h. das Recht Quellwasser aus dem dienenden Grundstück od. durch dasselbe zu leiten; die S. aquam educendi s. in fundum immittendi, das Recht das Wasser von dem herrschenden Grundstück über od. auf das dienende abzuleiten; die S. aquaehaustus, die Befugniß aus dem lebendigen Wasser des dienenden Grundstücks zum Bedarf des herrschenden zu schöpfen, zu welchem Zwecke auch die Gestattung eines Weges nach der Wasserschöpfstelle sich von selbst versteht; u. die S. pecŏris ad aquam appulsus, die Befugniß Vieh an das Wasser auf dem dienenden Grundstück zu treiben. cc) Andern landwirthschaftlichen Zwecken dienen die S. pascendi, das Weiderecht, die S. cretae eximendae, arēnae fodiendae, lapĭdis eximendi, calcis coquendae, welche sich schon durch den Namen erklären, u. das Jus silvae caeduae, das Recht Holz aus dem dienenden Grundstück, z.B. Weinpfähle, zum Bedürfniß des Praedium dominans zu fällen. Das Deutsche Recht hat die Zahl dieser S-en noch sehr erweitert.

Die Entstehung der S-en erfolgt entweder durch Bestellung von Seiten der berechtigten Person, od. durch Ersitzung; unmittelbar durch Gesetz entsteht nur in einzelnen Fällen der Ususfructus (s.d.). Die Bestellung kann durch eine Privatverfügung (Vertrag zwischen dem Eigenthümer des Praedium serviens u. dem Berechtigten, od. letztwillige Disposition), in gewissen Fällen auch mittelst Adjudication durch den Richter, z.B. bei Theilung mehrer Grundstücke zwischen mehren Miteigenthümern od. im Falle der Restitution einer S. geschehen. Hinsichtlich der Bestellung durch Vertrag bildet es eine der größten Streitfragen, ob der Vertrag unmittelbar das dingliche Recht erzeugt, od. ob dazu es noch eines Übergabeactes nach Art der Tradition beim Eigenthumsübergange bedürfe. Die Mehrzahl der Juristen entscheidet für die verneinende Ansicht, erkennt indessen an, daß der Nachweis einer Tradition dem Servitutinhaber den Schutz seiner Befugniß durch Verleihung einer Actio Publiciana (s.u. Actio) wesentlich erleichtert. Mittelst Ersitzung wird eine S.[903] erworben, wenn sie 10 Jahre unter Anwesenden od. 20 unter Abwesenden ohne Gewalt, offen u. nicht bittweise (nec vi, nec clam, nec precario) ausgeübt worden ist. Gründe für Erlöschung eines bestehenden Servitutenrechts sind: der Erwerb des Eigenthums am dienenden Gegenstand von Seiten des zur S. Berechtigten, auch bei Prädialservituten, umgekehrt der Erwerb des Eigenthums am herrschenden Grundstück Seitens des Eigenthümers des dienenden, od. gleichzeitiger Erwerb beider Grundstücke von Seiten eines Dritten (Confusio, beim Nießbrauch Consolidatio genannt); der natürliche od. (durch Herausnahme aus der Reihe der Privatrechtsobjecte) rechtliche Untergang der dienenden od. herrschenden Sache, bei Personalservituten der Tod des Berechtigten, freiwillige Aufgabe von Seiten des Letzteren u. erlöschende Verjährung. Diese tritt ein, wenn der Nichtgebrauch der S. sich 10 Jahre, bei Abwesenden 20 Jahre hindurch fortgesetzt hat. Bei Gebäudeservituten muß aber überdies eine Usucapio libertatis hinzutreten, d.h. Besitz der dienenden Sache als einer freien während dieser Zeit hinzukommen. Zum Schutze des Servitutberechtigten dient die Confessoria in rem actio (Vindicatio servitutis); der Kläger kann damit Beseitigung der Verletzung u. Ersatz alles dadurch verursachten Nachtheils, die Untersagung künftiger Störung u., wenn eine Wiederholung der Störung bereits vorgekommen ist, auch Realcaution wegen Unterlassung von dergleichen Wiederholungen verlangen. Zur Begründung dieser Klage hat der Kläger die Existenz des Rechtes, bei Realservituten auch noch sein Eigenthum an dem herrschenden Grundstück zu erweisen. Außerdem sind zum Schutze der Quasi-possessio mehrer, d.h. der schon länger in der Meinung zuständigen Rechtes fortgesetzten factischen Ausübung derselben, besondere Interdicte gegeben, welche im Allgemeinen darauf fußen, daß, wenn Jemand mehre Ausübungshandlungen in dem letzten Jahre, zum Theil auch in kürzerer Zeitfrist, nachweisen kann, er verlangen darf, vorläufig bei dieser Ausübung geschützt zu werden (z.B. Interdictum de rivis, de fonte, de aqua, de itinere). Für den Besitz persönlicher S-en gilt das Interdictum uti possidetis u. utrubi, sowie das Interdictum de vi; s.u. Interdict. Gegen unbegründete Anmaßung eines Servitutrechts von einem Unberechtigten hat der Eigenthümer die Actio negatoria, vermöge deren er, gestützt auf die natürliche Präsumtion der Freiheit des Eigenthums, beanspruchen kann, daß seine Sache so lange von Ansprüchen des Dritten freibleibe, als dieser nicht den Erwerb eines Servitutrechts durch eine gehörige Erwerbsart nachgewiesen hat. Vgl. Luden, Die Lehre von den S-en, Gotha 1837; E. Hoffmann, Die Lehre von den S-en, Darmst. 1838 u. 1843, 2 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 902-904.
Lizenz:
Faksimiles:
902 | 903 | 904
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon