[415] Thier (das) unterscheidet sich von den übrigen organischen Geschöpfen, den Pflanzen, sogleich auf den ersten Anblick durch eine größere Freiheit der Bewegung. Während die Pflanze an den Boden gebunden ist und alle ihre Bewegung in einer regelmäßigen, einzig auf die Erzeugung der Frucht gerichteten Thätigkeit besteht, die nur durch Einflüsse von außen erhöht oder gefördert wird, zeigt das Thier in seinen Bewegungen Willkür, sodaß es zwar zu denselben auch von den natürlichen Bedürfnissen bestimmt wird, aber doch die Art und Weise, wie es diese Bedürfnisse befriedigt, von seiner Selbstbestimmung abhängt. Die Pflanze nimmt die Nahrung in sich auf, wenn und wie sie sich ihr darbietet. Das Thier geht seiner Nahrung nach und zeigt besonders in dieser Beziehung seine Willkür. Näher lernt man den großen Unterschied zwischen der Thier- und Pflanzenwelt noch kennen, wenn man den innern und äußern Bau der Thiere mit dem der Pflanzen näher vergleicht; der des Thiers ist in jeder Beziehung mannichfaltiger und zusammengesetzter. Den innern Bau lernt man durch Thierzergliederung, Zootomie, kennen, welche, insofern der innere Bau der Thiere mit dem sehr genau bekannten des Menschen verglichen wird, vergleichende Anatomie heißt. Diese Vergleichung rechtfertigt sich auch dadurch, daß der Mensch, der seiner blos natürlichen Beschaffenheit nach auch zu den Thieren gehört (s. Mensch), unter allen Thieren das am vollkommensten organisirte ist. In den verschiedenen Thieren kann man von den niedrigsten Arten zu den höhern, vollkommener organisirten, bei der Betrachtung fortschreitend, einen allmäligen Übergang zum Menschen erkennen, welcher sich darin kundgibt, daß die innere Organisation der menschlichen immer ähnlicher wird. Die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen, welche dem Thiere eigenthühmlich sind, hat man mit dem gemeinsamen Namen der thierischen Verrichtungen bezeichnet. Zu denselben gehören die höhern Functionen der Irritabilität (s. Reizbarkeit) und der Nerventhätigkeit, die willkürliche Muskelbewegung, die Sinnesempfindung, die mannichfachen Functionen des Gefäßsystems und des Kreislaufs. Auch die Stoffe, aus denen die thierischen Körper bestehen, unterscheiden sich in ihrer äußern und innern (chemischen) Beschaffenheit wesentlich von allen andern irdischen Stoffen. Man bezeichnet sie im Allgemeinen als thierische Materie. In derselben hat man bis jetzt folgende Stoffe als chemische Bestandtheile entdeckt: Eisen, Kalkerde, Kieselerde, Wasser, Luft, Natrum, Ammonium, Schwefel, Phosphor, Salzsäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kohlensäure, Flußspathsäure, Hornsäure, Blausäure, Milchzuckersäure, Ameisensäure, Raupensäure. Durch chemische Zerlegung läßt sich die thierische Materie auf folgende einfache Stoffe reduciren: Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Bei der Pflanze sind die Werkzeuge, welche die Fortpflanzung vermitteln, verhältnißmäßig am vollkommensten ausgebildet, bei den Thieren nehmen sie eine gegen die übrigen Organe niedrige Stufe ein. Bei den niedrigsten Thierclassen sind eigentliche Geschlechtstheile gar nicht zu bemerken, die Vermehrung geschieht durch sprossen- oder knospenartige Auswüchse. Schon höher stehen die Thiere (Schnecken, Muscheln), bei welchen beide Geschlechter an Einem Individuum erscheinen; bei den vollkommenern Thieren treten aber die Geschlechter an verschiedenen Individuen auf. Im weiblichen Thiere entwickelt sich nach der Befruchtung durch das männliche die Frucht, das Ei, aus welchem nach erlangter Reise das junge Thier hervorgeht. Die Eier der niedern Thierclassen sind kleine Schleimbläschen, die Vögel legen Eier, welche mit einer harten Schale umgeben sind; die Säugthiere und ausnahmsweise einige andere bringen lebendige Junge zur Welt, indem das Ei bei der Geburt noch im Innern der Mutter platzt. Die höhern Thiergattungen haben abgesonderte Harnwerkzeuge, die Nieren und die Harnblase, welche mit den Geschlechtstheilen in[415] Verbindung stehen. Die weiblichen Säugthiere haben Zitzen oder Brüste, in denen sich Milch bildet, welche zur ersten Ernährung der Jungen dient. Die männlichen und weiblichen Thiere derselben Gattung unterscheiden sich nicht blos durch die Geschlechtstheile, sondern auch durch den ganzen Bau des Körpers, welche Verschiedenheit bei einigen Thiergattungen soweit geht, daß fast keine Ähnlichkeit mehr existirt. Im Allgemeinen sind die weiblichen Thiere schwächer als die männlichen, doch findet auch, z.B. bei den Raubvögeln, das umgekehrte Verhältniß statt. Bei vielen Vögeln haben die Männchen ein weit schöneres Gefieder als die Weibchen. Besonders ausgebildet erscheinen die innern Theile der höhern Thierclassen. Diese Theile sind theils zur Einführung, Verdauung und theilweisen Ausführung der Speisen bestimmt, theils zur Bereitung und Circulation des Bluts oder des die Stelle desselben vertretenden Saftes, theils zum Athmen. Die Thiere bestehen endlich noch aus Knochen, Muskeln und Nerven, doch treten diese Bestandtheile nur bei den vollkommener organisirten Thieren vollständig auf. Die Bedeckung der Thiere ist im Allgemeinen häutig, übrigens aber sehr verschieden, indem die Haut mit Haaren, Horn, Federn u.s.w. bedeckt oder nackend ist. Die Art der Bewegung, welche durch die äußern Gliedmaßen vermittelt wird, ist sehr verschieden: Laufen, Fliegen, Schwimmen, Hüpfen, Springen, Kriechen u.s.w. Allen Thieren ist mehr oder weniger der Schlaf Bedürfniß, ein Zustand der äußern Ruhe, bei welchem nur die innern Organe ihre unmittelbare Thätigkeit fortsetzen, und der dazu dient, die verlorenen Kräfte wieder zu ersetzen. Viele Thiere schlafen in den kalten Gegenden der Erde. während der ganzen Winterzeit und ebenso bringen viele Amphibien in den heißen Klimaten die heißeste Jahreszeit in einem Zustande der Betäubung zu. Viele Vögel verlassen während des Winters die kältern Gegenden, um in wärmere zu ziehen. Der Mensch zeichnet sich vor allen Thieren durch seinen vernünftigen Geist aus. Die Thiere besitzen nur eine Seele, d.h. diejenigen geistigen Fähigkeiten, welche zunächst mit dem sinnlichen Dasein in Verbindung stehen, an dieses geknüpft zu sein scheinen. Diese Seelenkräfte sind sehr ungleich ausgebildet bei den Thieren verschiedener Gattung und sind im Allgemeinen um so mehr entwickelt, je vollkommener die Organisation ist. Bei einigen Thieren, wie namentlich bei den Hausthieren, beim Elefanten, Affen u.a., scheint in der That, wenigstens in gewissen Fällen, eine Art Ueberlegung, also ein Handeln nach Verstand stattzufinden; im Allgemeinen ermangeln die Thiere aber des reflectirenden Denkens gänzlich. Bewundernswürdig ist aber die Macht des unmittelbaren Seelenlebens bei den Thieren; bei Allem, was auf Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse sich bezieht, zeigen die Thiere eine große Geschicklichkeit, gleichsam einen unfehlbar sichern Takt. Man hat den Trieb, welcher sie so unmittelbar bestimmt, als Naturtrieb oder Instinct bezeichnet. Er steigert sich bei einigen Thieren, namentlich bei der Anlegung ihrer Wohnungen, bis zum Kunsttriebe, z.B. bei Bibern, Vögeln, Bienen, Spinnen und Raupen. Beim Menschen tritt der Instinct durch die höhern geistigen Thätigkeiten in den Hintergrund, um so mehr, da er nur in der Bewußtlosigkeit existirt.
Man hat die Thiere nach Classen, Ordnungen oder Familien, Geschlechtern und Gattungen eingetheilt und so je nachdem man diese Eintheilungen nach diesen oder andern Rücksichten vornahm, verschiedene Systeme aufgestellt. Die Gesammtheit aller Thiere nennt man die Thierwelt oder. besonders im Gegensatz gegen die Mineralien und Pflanzen, das Thierreich; die Naturgeschichte der Thiere oder noch allgemeiner die Lehre von den Thieren, bezeichnet man als Zoologie, von dem griech. Worte Zoon, welche ein lebendes Wesen bezeichnet. Das von Linné (s.d.) aufgestellte System, welches auf Bau, Lebensweise und Lebensäußerungen der Thiere Rücksicht nimmt, ist noch immer das gebräuchlichste und bekannteste. Das ganze Thierreich wird nach demselben in sechs Classen unterschieden: 1) Säugthiere, d.h. Thiere mit rothem warmen Blute, welche lebendige Junge zur Welt bringen und dieselben einige Zeit nach der Geburt mit Milch säugen; 2) Vögel, d.h. Thiere mit warmem rothem Blute, welche Eier legen, aus denen die Jungen ausgebrütet werden; 3) Amphibien, d.h. Thiere mit rothem kalten Blute, welche durch Lungen athmen; 4) Fische, d.h. Thiere mit rothem kalten Blute, welche nicht durch Lungen, sondern durch Kiemen athmen; 5) Insekten, d.h. Thiere mit weißem kalten Blute, welche Fühlhörner am Kopfe und eingelenkte Bewegungswerkzeuge haben; 6) Würmer, d.h. Thiere mit weißem kalten Blute, die meist Fühlfäden und keine eingelenkten Bewegungswerkzeuge haben. Bei der Unterabtheilung der Säugthiere nahm Linné auf Zahl, Beschaffenheit und Stellung der Zähne Rücksicht, wobei aber übrigens offenbar nahverwandte Thiere im System weit auseinander kamen; auch die Eintheilung der übrigen Thierclassen hat ihre Mängel, und die Haupteintheilung des ganzen Thierreichs zeigte sich unzureichend, als man namentlich die untern Thierclassen näher kennen lernte. In neuerer Zeit studirte man besonders fleißig die vergleichende Anatomie und gewann dadurch eine Anschauung des Thierreichs, welche nicht nur auf die äußern Formen und Einzelnheiten Rücksicht nimmt, sondern das Ganze des Organismus genau ins Auge faßt. Das Linné'sche System ist daher als veraltet und dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft der Zoologie nicht mehr angemessen zu betrachten und an seine Stelle dasjenige zu setzen, welches durch den größten Zoologen neuerer Zeit, Cuvier (s.d.), aufgestellt und von seinen Schülern und Anhängern weiter ausgebildet worden ist. Cuvier nimmt vier verschiedene Typen des thierischen Organismus an, gleichsam Hauptpläne, nach welchen die Natur bei der Zeugung der Thiere verfährt. Der erste Typus ist der der Wirbelthiere, welche rothes Blut, ein Muskelherz, einen Mund mit zwei übereinanderliegenden Kinnladen, deutlich unterschiedene Sinnesorgane in den Höhlungen des Gesichts, nicht mehr als vier Gliedmaßen (Extremitäten), getrennte Geschlechter und eine ziemlich sich bei allen gleichbleibende Vertheilung der Markmassen und der Hauptzweige des Nervensystems haben. Dies Nervensystem besteht vorzüglich im Gehirn und im Rückenmark, jenes im Schädel, dieses in der Wirbelsäule. Von der letztern gehen die Rippen und die Extremitäten aus, und alle diese Knochen bilden zusammen das Skelet, welches dem ganzen thierischen Körper zur Grundlage dient. Die Knochen sind mit Muskeln bedeckt und Kopf und Rumpf umfassen die Eingeweide. Zu dieser ersten Abtheilung gehören: die Säugthiere, die Vögel, die Reptilien oder Amphibien und die Fische, deren Hauptunterschiede[416] oben angegeben worden sind. – Die zweite Abtheilung umfaßt die Mollusken oder Weichthiere, welche kein Skelett haben. Die Muskeln sind an die Haut geheftet, welche weich, elastisch und zum Theil mit knochenartigen Platten, Muscheln oder Schneckenschalen versehen ist. Nervensystem und Eingeweide befinden sich in dieser Umhüllung, die Sinnesorgane sind unvollständig ausgebildet. Die meisten haben nur Geschmacks- und Gesichtsorgane und einige auch diese nicht. Sie haben eigne Athmungswerkzeuge, Lungen oder Kiemen und ein vollständiges Circulationssystem (Kreislauf der Säfte). Die Mollusken zerfallen in eine Menge verschiedener Unterabtheilungen, indem nackte und beschalte Thiere vorkommen. Der dritte Typus ist der der gegliederten Thiere, deren Nervensystem aus zwei langen Strängen besteht, welche längs der Bauchseite liegen und in regelmäßigen Entfernungen zu Knoten oder Ganglien angeschwollen sind. Die Umhüllung des Rumpfs besteht aus einer Anzahl von Ringen, welche bald hart bald weich und inwendig an die Muskeln angeheftet sind. Die Circulation ist im Übergange zur Ernährung durch Einsaugung und die Athmungswerkzeuge gehen über in durch den ganzen Körper verbreitete Luftgefäße. Die Sinnesorgane sind unvollständig, am deutlichsten sind die Geschmacks-und Gesichtsorgane. Vier Classen von Thieren gehören hieher. Die rothblütigen Würmer oder Anneliden haben einen langgestreckten Körper, der in Ringe getheilt ist; sie sind meist Zwitter. Die Krustenthiere, Kerbthiere, haben einen bepanzerten Körper mit vielen Gliedmaßen. Die Arachniden tragen die meisten Eingeweide in einem hinten angehefteten Bauch, Kopf und Bruststück sind in Eins gebildet mit seitwärts angebrachten zahlreichen Füßen. Die Insekten, die zahlreichste Classe des ganzen Thierreichs, haben einen deutlich unterschiedenen Kopf mit den Freßwerkzeugen und deutlich ausgebildeten Sinneswerkzeugen; am Bruststück sitzen die sechs Füße und Flügel, am Hinterleibe die Geschlechtstheile. Sie athmen durch Luftröhren, welche sich seitwärts öffnen, haben kein Herz und scheinen auch eine eigenthümliche Ernährungsweise zu haben. Die vierte Grundform ist die der Zoophyten oder Strahlthiere. Während man bei allen Thieren der höhern Ordnungen eine Vorderseite und eine Hinterseite, ein Rechts und Links deutlich unterscheiden kann, ist dieses bei den Strahlthieren nicht der Fall; vielmehr ist das Thier von einem Mittelpunkte aus strahlig nach dem Umkreise zu organisirt. Das Nervensystem und die Sinnesorgane werden immer unvollkommener bis zum völligen Verschwinden, von Circulation kann man nur einige seltene Spuren entdecken; die Athmungsorgane liegen bei den meisten an der Oberfläche des Körpers und bei vielen hieher gehörigen Thieren vertritt ein blinder Sack die Stelle der Eingeweide. Man theilt diese Abtheilung in die fünf Classen der Echinodermen, der Eingeweidewürmer, der Akalephen oder Seenesseln, der Polypen, der Infusorien oder Aufgußthierchen. Neuere Entdeckungen haben gezeigt, daß auch die Organisation dieser Thiere mannichfaltiger ist, als man früher glaubte, namentlich ist bei näherer mikroskopischer Betrachtung der Infusorien eine neue Welt höchst eigenthümlich construirter Wesen vor den Blicken des Naturforschers aufgegangen.
Die Anzahl der Thiergattungen ist außerordentlich groß, beiweitem größer als die Arten der Pflanzen und Mineralien. Ein äußerer Grund zu dieser Mannichfaltigkeit ist die Ausbreitung der Thierwelt durch fast alle Elemente. Während die Pflanze mehr oder weniger stets an den Boden gefesselt erscheint, wimmelt es auch im Wasser und in der Luft von sich frei bewegenden Thieren, und unsern Augen würde der Reichthum der Thierwelt noch weit mehr in die Augen fallen, wenn nicht die beiweitem größte Anzahl der Thiere durch ihre Kleinheit sich unsern Blicken entzöge. Alljährlich werden in der Thierwelt, namentlich in den untern Abtheilungen, neue Entdeckungen gemacht. Es ist die Frage, ob nicht die Natur in der Erzeugung der niedern Thiere eine größere Willkür ausübt, als in den höhern Thierclassen der Fall ist, sodaß sie innerhalb gewisser Grenzen und nach gewissen Normaltypen Thiere hervorbringt, welche als neue Arten in ihrer Gattung erscheinen. Schon vor mehren Jahren rechnete man die Zahl der verschiedenen Gattungen der Säugthiere auf 800, der Vögel auf 6000, der Amphibien auf 1000, der Fische auf 5–6000, der Conchylien auf 15–20,000, der Insekten auf 80,000, darunter 12,000 Käfer, der Eingeweidewürmer auf 1500–2000, der Zoophyten auf 6000, worunter 600 Infusorien.
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