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Thier

[461] Thier, dasjenige organische Individuum, welches sich besonders durch seine selbständige Bewegungsfähigkeit von Ort zu Ort von der Pflanze unterscheidet. Parallel diesem objectiven Kennzeichen des T.es geht als nothwendiges Postulat einer selbständigen Bewegungsfähigkeit das subjective Attribut der Empfindung. »Was empfindet u. in Folge dieser Empfindung sich bewegt, ist ein T. im allerstrengsten Sinn.« Okens Unterscheidungsmerkmale, mehr von theoretischer Bedeutung als von praktischem Nutzen, sind noch folgende: 1) das T. [461] hat zur Verarbeitung seiner Nahrung eigene Körperhöhlen, die nach außen münden, Mund und Darmkanal, die Pflanze nicht; 2) die Substanz, aus welcher das T. besteht, ist weich, leicht verschiebbar, die Pflanzensubstanz dagegen fester, härter; 3) die Pflanze besteht überwiegend aus C, H u. O (Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff), das T. nimmt in seine chemische Constitution noch als wesentlichen Bestandtheil N (Stickstoff) auf; 4) das T. zeigt weniger einen symmetrischen Bau, dem zufolge die beiden seitlichen Hälften gleichwerthig sind, die Pflanze hat weder eine seitliche noch eine vordere u. hintere Seite, sondern bloß ein oberes u. unteres Ende; 5) die Pflanze besteht anatomisch aus Zellen, Fasern, die ihrer Form nach sich wenig von einander unterscheiden, welche physiologische Function ihnen auch zugetheilt ist, das T. durchlauft die complicirtesten u. verschiedenartigsten anatomischen Systeme: Muskeln, Knochen, Gefäße, Nerven. Obgleich Aristoteles in seinen Schriften die T.e nach vergleichend anatomischen Principien unterschieden hat, so hat derselbe doch kein eigentliches System des T. reichs aufgestellt. Das erste allgemein adoptirte System – ein künstliches – ist das 1735 u. 1766 (wo die letzte Ausgabe erschien) von Carl v. Linné aufgestellte. Er theilte sämmtliche Thiere in folgende 6 Klassen: 1) Vierfüßler, 2) Vögel, 3) Amphibien, 4) Fische, 5) Insekten, 6) Würmer. Nachdem durch Brisson, Botsch, Blumenbach, Fabricius, De Geer, Laurenti, Lacepède, Latham, Scopoli, Storr, Poli u. Andere mancherlei Verbesserungen u. Erweiterungen mit diesem System vorgenommen waren, hat Cuvier das noch heute die allgemeinste Verbreitung genießende System in seiner Règne animal niedergelegt. Diesem zu Folge zerfällt das T. reich in folgende Abtheilungen: I. Wirbel-Te: 1) Säuge-T.e, 2) Vögel, 3) Amphibien, 4) Fische; II. Weich-T.e: 5) Kephalopoden, 6) Pteropoden, 7) Gasteropoden, 8) Akephalen, 9) Brachiopoden, 10) Kirrhopoden; III. Glieder-T.e: 11) Anneliden, 12) Krustaceen, 13) Arachniden, 14) Insekten; IV Strahl-T.e: 15) Echinodermen, 16) Eingeweidwürmer, 17) Quallen, 18) Polypen, 19) Infusorien. Das auf physiologische Principien gegründete System von Oken hat nie allgemeine Geltung erhalten. Es sind allerdings namentlich in der Abtheilung der wirbellosen T.e: Eingeweidwürmer, Infusorien, mancherlei Entdeckungen gemacht worden, die ein Zusammenwerfen dieser T.e je nach dem Ort ihrer Entstehung oder dem gewöhnlichen Aufenthalte derselben keineswegs rechtfertigen, allein noch sind die Akten hierüber lange nicht geschlossen und hat sich deßwegen eine andere naturgemäßere Eintheilung nicht allgemeine Geltung verschaffen können. – Hinsichtlich der T.species gibt Oken die Zahl 48870 an: Fleisch- (Wirbel-) T.e 10114, Ringel- (Glieder-) T.e 32986. Schal-T.e (Schnecken u. Muscheln) 3590, Gallert-T.e (Mollusken) 1222. Er schätzt dieselben aber mit Einschluß der in Sammlungen befindlichen u. noch nicht beschriebenen Species auf 88000. Die geographische Verbreitung der T.species ist noch wenig erforscht, das Hauptresultat liegt lediglich darin, daß jeder Continent eine eigenthümliche Fauna hat. Wie nach Erdtheilen, so läßt sich auch eine noch auffälligere Verschiedenheit nach Zonen erkennen. In der heißen Zone leben nicht nur die meisten T.e, sondern auch die größten, kräftigsten, an Farbenpracht reichsten. Hier leben ausschließlich die Affen, Elephanten, Nashörner, Giraffen, Löwen, Panther, Tiger, Hyänen, Zibeth-, Faul-, Gürtel-Te, Ameisenbären, Schuppen-T.e, Manati und Duyong, die obstfressenden Fledermäuse, die meisten Beutel-T.e und Gemsen oder Antilopen; von den Vögeln die Papagayen, Pfefferfresser, der Strauß, Kasuar, Geier, dann die Krocodile, Riesenschlangen, Wasserschlangen, die meisten Giftschlangen, die Drachen, Iguane, Geckone, Chamäleone, die meisten Knorpelfische; von den Insekten leben dort die schönsten Käfer, Heuschrecken, Schmetterlinge, ebenso die schönsten und größten Muscheln, Quallen und Korallen. In der gemäßigten Zone des Nordens, wozu Europa auch gehört, scheinen sich mehr die Nage-T.en. Wiederkäuer, die [462] Singvögel u. Hühner, in der amerikanischen gemäßigten Zone hauptsächlich die Eichhörnchen, Murmel-T.e, Füchse und Katzen, Bären und Wiesel, in Asien viele Mäuse, wieselartige T.e, Kameele, Hirsche, Rinder, Bisam-T.e, Springmäuse, ebenso die Schildkröten, Sumpf- und Schwimmvögel angesiedelt zu haben. Die beiden kalten Zonen sind in allen Welttheilen ziemlich gleich. Dort ist die Heimath des Rennthiers, des Elenn, Vielfraßes, der Robben, der Walrosse, der nordischen Hunde u. Füchse, Bären, Walfische. Vögel, Amphibien, Insekten, Muscheln, Korallen hat die kalte Zone sehr wenig. Dagegen gibt es viele Fische, aber nicht sowohl viele Species als viele Individuen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 461-463.
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