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Schiller

Schiller

[78] Schiller (Friedr., eigentlich Johann Christoph Friedr. von), einer der berühmtesten und der am allgemeinsten geliebte Dichter des deutschen Volkes, wurde am 10. Nov. 1759 zu Marbach am Neckar im Würtembergischen geboren.

Sein Vater, ein biederer und frommer, aber keineswegs hochgebildeter Mann, war früher Wundarzt bei einem bair. Husarenregimente gewesen, wurde aber dann Fähnrich und Adjutant bei dem würtemberg. Regimente Prinz Louis und endlich Hauptmann und Inspector der Baumschule auf dem herzogl. Schlosse Solitude; seine Mutter, eine anspruchslose, gemüthvolle, ihren Sohn auf das zärtlichste liebende Frau, war die Tochter eines Bäckers aus Kodweis. Der Pfarrer Moser in Lorch, einem würtemberg. Grenzdorfe, ertheilte dem jungen S., dessen Ältern sich drei Jahre daselbst aufhielten, den ersten Unterricht. Ein Sohn dieses Geistlichen war S.'s erster Jugendfreund. Nachdem seine Ältern 1768 nach Ludwigsburg zurückgezogen waren, bekam Jener zum ersten Mal ein Theater zu sehen, welches einen mächtigen Eindruck auf ihn machte und bestimmend auf seine Entwickelung eingewirkt haben mag. In der Schule zu Ludwigsburg zeichnete er sich durch Fleiß, Lebhaftigkeit und Sittlichkeit aus, welches bewirkte, daß ihn der regierende Herzog zur Aufnahme in die von ihm errichtete militairische Pflanzschule auf dem Lustschlosse Solitude, die nachmalige Karlsschule zu Stuttgart, auswählte. Frühzeitig hatte sich bei S. der Wunsch ausgebildet, sich dem geistlichen Stande zu widmen, und sein Vater war ihm hierin nicht entgegen. Derselbe dankte also dem Herzog für die seinem Sohne zugedachte Gnade, bat jedoch, ihm zu vergönnen, daß er sich zum geistlichen Stande vorbereite, wozu sich in der herzogl. Anstalt keine Gelegenheit fände. Aber dem bestimmten Willen des Herzogs zufolge mußte S. seine frühern Pläne aufgeben und wurde, nachdem er sich für das Studium der Rechtswissenschaften erklärt, 1773 in das Institut aufgenommen. Nachdem eine Lehranstalt für künftige Ärzte mit dem Institute verbunden worden war, gab S. 1775 den Plan, Jurist zu werden, auf und entschied sich zum ärztlichen Fache. Einer der frühesten poetischen Versuche S.'s war ein episches Gedicht, »Moses«, welches er 1773 schrieb, und bald darauf dichtete er ein Trauerspiel, »Cosmus von Medici«. Seine erste poetische Bildung verdankte er namentlich der Bekanntschaft mit Göthe's [78] »Götz von Berlichingen«, Leisewitz's »Julius von Tarent«, sowie mit den Werken Klopstock's, Lessing's, Shakspeare's und Herder's. Das eifrige Lesen der Luther'schen Bibelübersetzung bildete ihn sprachlich. Nachdem er sich besonders zwei Jahre lang ausschließlich nur mit dem Studium der medicinischen Wissenschaften beschäftigt hatte, beendigte er dasselbe 1780 mit der Vertheidigung einer Abhandlung: »Über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.« Er wurde bald nachher als Regiments-Medicus bei dem Regiment Augé angestellt. Aufs Neue kehrte er nun aber zu der Poesie zurück und dichtete 1780–81 namentlich »Die Räuber«. Da dieses Trauerspiel kein Verleger drucken lassen wollte, so gab es S. auf eigne Kosten heraus. Aufgefodert von dem Director des manheimer Theaters, dem Freiherrn von Dalberg, änderte er dasselbe zur Aufführung auf der Bühne mannichfach ab, und 1782 wurde es zu Manheim aufgeführt. S. war bei den zwei ersten Aufführungen zugegen, hatte aber zur Reise nach Manheim keinen Urlaub genommen und mußte dieses Dienstvergehen mit vierzehntägigem Arreste büßen. Hierzu kam noch, daß eine Stelle in den »Räubern« als eine Beleidigung für die Graubündtner angesehen wurde; diese führten Beschwerden und die Folge war, daß der Herzog S. verbieten ließ, irgend eine andere Schrift als medicinische Werke drucken zu lassen. Der Herzog war jedoch nicht sowol der Poesie überhaupt entgegen, sondern nahm nur Anstoß an der gegen alle bestehenden Regeln des Geschmacks verstoßenden Weise, in welcher S. dichtete. Er nahm selbst großen Antheil an dem jungen Dichter, ließ ihn zu sich kommen, um ihn zu warnen und zu ermahnen, und verlangte endlich, daß er ihm nur alle seine poetischen Productionen vor der Veröffentlichung mittheilen sollte, worauf dieser aber nicht eingehen mochte. Auch in der Folge scheint dennoch der Herzog S. seine Gewogenheit nicht ganz entzogen zu haben, denn als sich dieser später durch einen Gewaltschritt dem Einflusse des Herzogs entzogen hatte, wurden dennoch keine strengern Maßregeln gegen ihn ergriffen, und auch sein Vater hatte nicht die Ungnade des Herzogs zu fühlen. S. selbst durfte wagen, 1793 noch bei Lebzeiten des Herzogs sein Vaterland zu besuchen, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. »Die Räuber« waren mit solchem Erfolg gegeben worden, und hatten S. so zur Verfolgung der eingeschlagenen Bahn begeistert, daß er sich aus dem Dienstzwange, in welchem er schmachtete, heraussehnte. Versuche, die Erlaubniß des Herzogs zu erlangen, schlugen fehl und so ergriff er im Oct. 1782 die Flucht. Er lebte nun fast ein Jahr unter fremdem Namen zu Bauerbach bei Meiningen, welches der Frau von Wollzogen gehörte, deren Söhne er von Stuttgart aus kannte. Hier dichtete er »Die Verschwörung des Fiesco«, »Cabale und Liebe« und beschäftigte sich mit dem Plane zum »Don Carlos«. Im Sept. 1783 ging er endlich nach Manheim, wo er darauf als Theaterdichter angestellt wurde. Auch unternahm er 1784 eine periodische Schrift unter dem Titel: »Rheinische Thalia«. Der Herzog von Sachsen-Weimar hörte einige in der Thalia mitgetheilte Scenen aus »Don Carlos« am hessen-darmstädtischen Hofe vorlesen und ertheilte darauf dem Dichter den Titel eines Raths. In den drei erwähnten ersten dramatischen Werken S.'s zeigen sich die Vorzüge, aber auch die Mängel seiner Poesie auf die großartigste Weise. Sie wurden mit außerordentlicher Begeisterung, namentlich von dem jüngern Theile des Publicums, aufgenommen. Ein ungeheures, riesiges Ringen nach Freiheit drückt sich in ihnen aus, welches in der damaligen Zeit nothwendig den größten Einklang bei den meisten Zeitgenossen finden mußte, denn schon regte sich auf unmittelbare Weise der von der Welt zu bestehende Freiheitskampf in den Geistern. Die Gefühle und Leidenschaften, welche eine gegen die gewöhnliche Ordnung der Dinge anstrebende Brust aufregen, fanden durch S. einen Ausdruck, wie man ihn in dieser Gewalt, diesem Glanz, diesem Feuer kaum noch geahnet hatte. Was aber S. mangelt und was noch lange der ganzen ihn lesenden und verehrenden Welt mangelte, das ist das klare Bewußtsein, welches das eigentliche Gebiet wirklicher Vernünftigkeit sei, und da allein auf diesem Gebiet das wahrhaft Schöne er wächst, so fehlt den ersten Productionen seiner Poesie auch die wahre künstlerische Schönheit. Erst allmälig verklärten sich seine Dichtungen immer mehr zu wahrer Schönheit. Diejenigen haben nicht Unrecht gehabt, welche z.B. »Die Räuber« ein Ungeheuer von Geschmacklosigkeit genannt haben, aber sie haben oft übersehen, daß auch in einer einseitigen Richtung nur ein großer Dichter ein solches Werk hervorbringen kann, und daß in den »Räubern« ein unmittelbares Ergriffensein von der innerlichsten Grundstimmung des deutschen Volks sich ausdrückte, welches ihnen den Beifall verschaffte, welchen sie fanden und dessen nur das Genie fähig ist. Freunde, die ihm seine Poesie erworben, bestimmten S. 1785 nach Leipzig sich zu begeben. Er verlebte einige heitere Monate in dem nahe bei Leipzig gelegenen Dorfe Gohlis, wo er auch das »Lied an die Freude« dichtete. Gegen den Herbst ging er nach Dresden und blieb daselbst bis Juli 1787. Einen großen Theil dieser Zeit brachte er zu Loschwitz bei Dresden zu, wo sein Freund, der Appellationsrath Körner, eine Besitzung hatte. Hier wurde der »Don Carlos« beendet. Zugleich dachte S. daran, durch eine nicht gradezu poetische Beschäftigung seine Existenz sicher zu stellen, um ohne alle Rücksichten auf Erwerb der Poesie leben zu können. Er schwankte zwischen Medicin und Geschichte, und entschied sich für die letztere. Durch die historischen Vorarbeiten zu »Don Carlos« hatte er Interesse an dem nachher von ihm beschriebenen »Abfall der Niederlande unter Philipp II.« gefaßt. Während Göthe's Abwesenheit in Italien kam S. 1787 nach Weimar und wurde von Herder und Wieland sehr zuvorkommend aufgenommen, und namentlich von Wieland zu einer fortgesetzten Theilnahme an der Zeitschrift »Der deutsche Mercur« aufgefodert. Auf einer Reise nach Meiningen zu Frau von Wollzogen lernte S. seine nachmalige Gattin, ein Fräulein von Lengefeld, kennen. Den Sommer 1788 brachte S. in und bei Rudolstadt zu. Hier traf er auch zum ersten Mal mit Göthe zusammen, aber sie berührten einander damals nicht wohlthuend, weil Göthe klar, heiter, befriedigt als Dichter und Mensch aus Italien heimkehrte, während S. rastlos strebte und vor Sehnsucht nach dem Höchsten zu keiner Befriedigung kommen konnte. Dennoch war Göthe bemüht, sich S. dienstlich zu bezeigen und bewirkte, daß dieser nach Jena als Professor der Geschichte berufen wurde, welches Amt er 1789 antrat. Mit Begeisterung warf er sich nun auf die Geschichte, ohne deswegen die Poesie aufzugeben, sowie er sich auch viel mit den Dichtern der Alten [79] beschäftigte und mehre Werke derselben ganz oder theilweise übersetzte. Seine äußern Verhältnisse hatten sich glücklich gestaltet. Sein Amt befreite ihn von Lebenssorgen, ohne seine Thätigkeit auf eine hemmende Weise in Anspruch zu nehmen, und seine 1790 erfolgte Vermählung mit dem erwähnten Fräulein Charlotte von Lengefeld, die er über Alles liebte und die seiner Liebe würdig war, ließ ihn zum ersten Mal das Glück geistiger Befriedigung kennen lernen. Dazu kam endlich noch, daß man sich von allen Seiten bemühte, ihm die Anerkennung auszudrücken, zu welcher man sich hingerissen fühlte. Er erhielt von der franz. Republik das Bürgerrecht, ward vom Herzog von Meiningen zum Hofrath ernannt und später 1802 vom deutschen Kaiser in den Reichsadelstand erhoben. Die schönste Blüte seines Glücks war indeß nicht von langer Dauer gewesen. Die großen geistigen Anstrengungen, denen er seinen schwächlichen Körper oft durch künstliche Reizmittel nachzukommen nöthigte, zogen ihm 1791 eine gefährliche Brustkrankheit zu, von welcher er sich nur langsam zu erholen vermochte, aber ohne seine frühere Gesundheit jemals völlig wieder zu erlangen. Damit sich S. schonen könne, wurde ihm von dem Erbprinzen, nachmaligem Herzoge von Holstein-Augustenburg und von dem Grafen Schimmelmann auf drei Jahre ein Jahrgehalt von 1000 Thlrn. auf die zarteste Weise angeboten. Der genaue Umgang, den S. mit Reinhold, Professor der Philosophie in Jena, pflegte, gab ihm Veranlassung, sich näher mit der Kant'schen Philosophie bekannt zu machen und selbst mehre reflectirende Aufsätze zu schreiben. Theils Kränklichkeit, theils die verschiedenen wissenschaftlichen Beschäftigungen, denen sich S. hingab, waren Ursache, daß er 1790–94 kein einziges Original-Dichtwerk vollendete, obschon ihn Pläne zu poetischen Arbeiten vielfach beschäftigten. Seit 1791 arbeitete er an der Geschichte des dreißigjährigen Krieges und fand dabei vielfachen Stoff zu poetischer Thätigkeit. Während er den Gedanken, Gustav Adolf zum Haupthelden eines poetischen Werkes zu machen, fallen ließ, kam die Tragödie »Wallenstein« später zur Ausführung. Im J. 1793 machte S. eine Reise nach Schwaben und hielt sich theils zu Heilbronn, theils zu Ludwigsburg im Kreise seiner Blutsverwandten und Jugendfreunde auf. Er schrieb von Heilbronn aus an den Herzog von Würtemberg, gegen welchen er sich durch seine Entweichung einst vergangen hatte, und erhielt zwar keine Antwort, aber doch die Nachricht, daß derselbe öffentlich geäußert habe, wenn S. nach Stuttgart komme, werde er von ihm ignorirt (nicht zur Rechenschaft gezogen) werden. Als S. nach Jena zurückkehrte, verfolgte er den schon früher gehegten Plan, in Verbindung mit den berühmtesten Schriftstellern eine möglichst ausgezeichnete Zeitschrift herauszugeben. Die Thalia war 1793 geschlossen worden und die neue Zeitschrift erhielt den Titel der »Horen«. S. trat mit Wilhelm von Humboldt und bald darauf auch mit Göthe in freundschaftliche Verbindung. Ein Gespräch über Kunst wurde die erste Veranlassung, daß sich diese beiden großen Geister näherten und bald auf das innigste sich aneinander anschlossen. Ein neues Leben kam mit dem I. 1795 in S.'s poetisches Wirken. »Das Reich der Schatten«, »Die Elegie« und »Die Ideale« wurden in diesem Jahre geschaffen. Fortwährend beschäftigte sich der Dichter mit »Wallenstein«, ohne ihn so bald als er und das Publicum gewünscht hätte, zu Stande bringen zu können. Im Vereine mit Göthe und im Vollgefühl der Kraft einer solchen Vereinigung wurden 1796 die »Xenien« geschaffen, welche mit keckem Übermuthe alle lahmen, schwächlichen und halben Persönlichkeiten, welche damals in der Literatur eine Rolle spielen wollten, geißelten. Im Wetteifer mit Göthe entstanden 1797 S.'s erste Balladen, welche so großen Beifall gefunden haben. Als dramatischem Dichter mußte es S. wünschenswerth sein, an einem Orte zu leben, an welchem ein Theater wäre, und darum begab er sich erst nur für den Winter, dann für immer nach Weimar, bei welcher Gelegenheit ihm der Großherzog von Weimar große Beweise seines Wohlwollens gab, wie auch schon früher geschehen war. Nachdem 1799 »Wallenstein«, das größte seiner dramatischen Werke, herrlich in der Ausführung, in der Charakterzeichnung und in der Durcharbeitung der Sprache, endlich vollendet war, erschienen schnell hintereinander bis 1804: »Maria Stuart«, »Die Jungfrau von Orleans«, »Die Braut von Messina«, und »Wilhelm Tell«. Er war mit einem neuen dramatischen Gedichte beschäftigt, welches die Geschichte des falschen Demetrius in Rußland zum Gegenstande hatte, als ihm ein heftiger Rückfall seiner gewöhnlichen Brustkrankheit am 9. Mai 1805 das Leben raubte. Er hinterließ eine Witwe, zwei Söhne und zwei Töchter. Sein Leichnam wurde auf dem Johanniskirchhofe zu Weimar beerdigt und 1826 wurden seine Gebeine auf dem neuen Kirchhofe neben der großherzoglichen Gruft beigesetzt, sein Schädel aber am 16. Sept. auf der Bibliothek zu Weimar in dem Postament seiner kolossalen Marmorbüste von dem berühmten Dannecker niedergelegt. Das schönste und wahrste Denkmal setzte dem vorangegangenen Freunde Göthe in folgenden Versen:


Es glühte seine Wange roth und röther

Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,

Von jenem Muth, der früher oder später

Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,

Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter

Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,

Damit das Gute wirke, wachse, fromme,

Damit der Tag dem Edlen endlich komme.


Und manche Geister, die mit ihm gerungen,

Sein groß Verdienst unwillig anerkannt,

Sie fühlen sich von seiner Kraft durchdrungen,

In seinem Kreise willig festgebannt:

Zum Höchsten hat er sich emporgeschwungen,

Mit Allem, was wir schätzen, eng verwandt.

So feiert ihn! denn was dem Mann das Leben

Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben.


Die begeisterte Liebe, mit welcher das deutsche Volk an diesem seinen Dichter hing, ist nicht erkaltet und den schönsten Beweis von derselben hat die allgemeine Theilnahme gegeben, mit welcher man in neuester Zeit den Vorschlag aufnahm, S. ein Nationaldenkmal zu Stuttgart zu errichten. Thorwaldsen hat das kolossale Standbild des Dichters hergestellt und zu München ist es gegossen worden. Am 8. Mai 1839 ward es zu Stuttgart öffentlich errichtet. Adel und Reinheit der Seele, Begeisterung für das Ewige, Ehrfurcht vor dem Heiligen sind die Grundzüge von S.'s Charakter und sprechen sich in allen seinen Werken aus. Seine poetischen Kunstwerke sind nicht sowol Darstellungen aus der Natur und Geschichte, in denen der eigne geistige Inhalt bis zur Verklärung aller Äußerlichkeiten hervorgehoben erscheint, sondern mehr solche, in denen Natur und Geschichte [80] zur Höhe des Dichters in dessen Geisteswelt emporgehoben erscheinen. Mag dies auch allerdings mehr ein Mangel als ein Vorzug in künstlerischer Beziehung sein, so ist doch die Geisteswelt dieses Dichters, zu welcher er den Leser und Hörer mit sich emporträgt, eine so herrliche und reine, daß sie eine beseligende und den edelsten Stolz des Geistes hervorrufende Kraft stets ausübt und daß sie zur begeisterten Liebe für ihren Schöpfer jedes empfängliche Gemüth hinreißt. Am größten ist S. unstreitig als dramatischer Dichter, obschon grade hier die Mängel seines künstlerischen Standpunktes am meisten hervortreten; die Höhe der Leidenschaft, welche in seinen Tragödien herrscht, rechtfertigt den emphatischen Ton, in welchem sie geschrieben sind, während in den Liedern, welche die Gefühle in menschlichen Zuständen ausdrücken, wie sie alltäglich vorkommen, die Sprache fast schwülstig erscheint. S. hat sehr viele Nachahmer gefunden, denen es zwar gelungen ist, einigermaßen die Form der Schiller'schen Poesie, aber nicht deren Gehalt nachzubilden, und bei diesen herrscht daher ein hohler Schwung der Rede, welcher sich bis ins Fratzenhafte steigert. Als Geschichtschreiber hat S. Bedeutung nur in stylistischer Beziehung, indem seine Phantasie allzu lebhaft und schöpferisch war, als daß sie sich bei einer bloßen Auffassung des eben in den Quellenschriftstellern Gegebenen hätte begnügen können. In seinen reflectirenden Aufsätzen kommen tiefe, geistreiche Blicke vor und nicht genug von den Theoretikern zu beherzigende Winke aus der Praxis eines großen Dichters. Im persönlichen Umgange war S. ungemein liebenswürdig, obschon seine äußerliche Erscheinung für den ersten Anblick nicht anziehend war. Er hatte eine lange Statur, ein hageres, bleiches, mit Sommersprossen besprengtes Gesicht und röthliche Haare, aber geistvolle blaue Augen, eine freie gewölbte Stirn, und wenn er den Mund zum Sprechen öffnete, breitete sich eine unbeschreibliche Anmuth über sein Antlitz aus. Er war weit entfernt von aller Eitelkeit und kam Jedermann mit dem herzlichsten Wohlwollen entgegen. S.'s Werke sind wiederholt in verschiedenen Ausgaben mit und ohne Abbildungen herausgegeben worden. Erläuternde Schriften zu seinen Werken besitzen wir von Hinrichs und von Hoffmeister, Biographien von Döring und »S.'s Leben, aus den Erinnerungen der Familie, seinen eignen Briefen und den Nachrichten seines Freundes Körner« (2 Bde., Stuttg. 1830). Interessant für das Studium von S.'s geistiger Entwickelung sind: »Briefwechsel zwischen S. und Göthe« (6 Thle., Stuttg. 1828–29); »Briefwechsel zwischen S. und Wilh. von Humboldt, mit einer Vorerinnerung des Letztern über S. und den Gang seiner Geistesentwickelung« (Stuttg. 1830). Von Döring erschien eine »Nachlese zu S.'s sämmtlichen Werken« (1834) und eine Sammlung »Auserlesener Briefe S.'s aus den Jahren 1781–1805« (3 Bdchn; 2 Aufl. 1835). Die meisten von S. s Werken sind wiederholt in die Sprachen aller gebildeten Nationen übersetzt worden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 78-81.
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