KUNSTGEWERBESCHULE UND STIL
VON PRIVATDOZENT DR. E. LÜTHGEN
DIE nächstliegendste Aufgabe der Kunstgewerbe-
schulen muß offenbar die sein, den werdenden
Kunstgewerben die handwerklichen Fähigkeiten
und Grundlagen des kunstgewerblichen Schaffens zu über-
mitteln. Denn »der Kunstgewerbler war durch Jahrhunderte
hindurch Handwerker, d. h. ein Mensch, der in einem be-
stimmten Fache reiche, fachliche Kenntnisse und Fähig-
keiten besaß. Aus der fortgesetzten Beschäftigung mit
seinem Stoffe, aus der unbedingten Hingabe an gewisse
Handfertigkeiten erwuchs ihm die innere Übereinstimmung
mit den Möglichkeiten der Formgestaltung, der Oberflächen-
behandlung, des inneren Aufbaues, der Gliederung und
der Zweckbestimmtheit der handwerklich zu bearbeitenden
Stoffe«*).
Es versteht sich von selbst, daß die Gewinnung hand-
werklicher Fähigkeiten nur erzielt werden kann im engsten
Anschluß an die Kunstform selbst. Ebensowenig wie in
der Malerei oder der Plastik ist im Kunstgewerbe eine
Trennung zwischen Technik und Kunstform möglich. Jeder
Wunsch nach Formgestaltung muß auf künstlerischem
Gebiete einem eigentlichen Kunstwollen entspringen. Jeder
Form, der in irgendeinem Zusammenhang einmal ein
künstlerischer Ausdruckswert zukommen soll, muß ein nur
ihr eigentümlicher, wirkungsvoller Ausdruck eignen.
Hier liegt der Kern der schwer lösbaren Frage nach
der kunstgewerblichen Erziehung. Um nämlich irgend-
welche Handgriffe der kunstgewerblichen Gestaltung, um
grundlegende handwerkliche Fähigkeiten übermitteln zu
können, müssen entweder Vorbilder künstlerischer Formen
vorhanden sein oder es müssen neue Kunstformen ge-
schaffen werden.
Die frühere Auffassung, die Hand wie das Kunst-
wollen an den vorbildlichen Werken der Vergangenheit
zu schulen, ist heute überwunden. Nur selten wird man
noch auf die alte Erziehungsweise stoßen, die in ausge-
sprochener Kopistentätigkeit die Formen der italienischen
Renaissance, des französischen Barock und Rokoko einfach
nachahmen ließ. Vielmehr hat die Anschauung allent-
halben mehr und mehr an Boden gewonnen, daß schon
während der schulmäßigen Ausbildung der junge Kunst-
gewerbler neue Kunstformen, die dem Sinne unserer Zeit
entsprechen, schaffen solle. Damit wird die Frage nach
der Erziehung zu einer Frage nach geeigneten Lehrkräften.
Denn nur wenn der Lehrer, der den Schüler unterweist,
selbst die Fähigkeit besitzt, Kunstwerke zu schaffen, ver-
mag er durch das Beispiel echtes Kunstwollen zu über-
mitteln. Der Lehrer muß zuerst Künstler sein, soll er
seine Aufgabe lösen.
Der Schwierigkeit, eine genügend große Zahl künst-
lerischer Kräfte für den kunstgewerblichen Unterricht zu
gewinnen, mag das häufig nur geringe Ergebnis des
kunstgewerblichen Unterrichts zuzuschreiben sein. Die
Hemmnisse, die der kunstgewerblichen Erziehung aus dem
Mangel an Künstlern als Lehrkräften erwachsen, steigern
sich noch, wenn man das wichtigste Erfordernis eines
förderlichen Unterrichts beachtet, das in der bewußten Be-
tonung einer einheitlichen Stilanschauung und künstle-
rischen Gesinnung besteht. Bei der großen Verschieden-
artigkeit der herrschenden künstlerischen Anschauungen ist
1) Lüthgen: Die Erziehung zum Kunstgewerbler. Innen-
dekoration 1914, S. 118 ff. Darmstadt, Koch.
es geradezu unmöglich, an einer Schule mehrere Künstler
zu vereinen, die wenigstens in grundlegenden Fragen des
Stiles und der künstlerischen Formgestaltung einer Mei-
nung sind.
Hier macht sich der Mangel eines ausgesprochenen
Zeitstiles besonders geltend. Daß das neuere Kunst-
gewerbe in keiner Weise einen einheitlichen Stil besitzt,
bedarf wohl kaum des Beweises. Das neuere Kunst-
gewerbe kennt eben keinen Stil, der mit der ziel- und
richtunggebenden Bedeutung eines Zeitstiles eine grund-
legende Gesetzmäßigkeit der Formanschauung besäße. Es
sind vielmehr Richtungen und Strömungen aller Art, die
sich willkürlich und launenhaft durchkreuzen und die durch
ihre Willkürlichkeit ein Hindernis bilden, daß bestimmte
Ausdruckswerte und Darstellungsmittel von stilbildender
Kraft ausreifen können.
Man könnte dem entgegenhalten, daß, namentlich ver-
anlaßt durch die Werkbundbewegung, die Aufstellung be-
stimmter Gestaltungsgrundsätze erfolgt sei, die heute so
gut wie allgemein anerkannt wären. Die Grundsätze näm-
lich, die darauf ausgehen, die künstlerischen Formen aus
dem Charakter des Stoffes, der gestaltet werden soll, aus
den Möglichkeiten der Herstellungsweisen, und aus der
Einstellung auf den Gebrauchszweck des Gegenstandes
gewinnen zu lassen.
Die Forderungen nach Zweckgemäßheit, Stoffechtheit
und Werkgerechtigkeit sind aber letzten Endes keine künst-
lerischen Gestaltungsgrundsätze. Denn über die Kunst-
form an sich sagen sie nichts aus. Es sind vielmehr For-
derungen der handwerklichen Gestaltung, die, geschichtlich
betrachtet, nichts anderes als eine glückliche Rückwirkung
sind gegen die völlig unkünstlerische Gesinnung der Rück-
blickzeit Es sind Anweisungen, die die technischen Grund-
lagen der Herstellung eines kunstgewerblichen Erzeugnisses
betreffen. Das Vernünftige und Zweckmäßige technischer
Herstellungsweisen zur Norm des künstlerischen Schaffens
zu erheben, geht nicht an. Und wenn es dennoch ge-
schieht, bleibt der schöpferischen Tätigkeit der Phantasie
immer noch ein solches Maß der Freiheit, das auch auf
dieser Grundlage eine einheitliche Stilanschauung nicht ge-
wonnen werden kann.
Man beachte nur einmal die verwirrende Verschieden-
artigkeit kunstgewerblicher Darstellungsmittel. Neben geo-
metrisch-flächenhaften, streng stilisierten Bildungen stehen
unvermittelt linear-plastische Formen oder malerisch-räum-
liche und farbig-flächige Darstellungsweisen. Wieviele Ver-
knüpfungen solcher Ausdruckswerte möglich sind, soviele
Stilvermischungen werden versucht. Ob sich die Darstel-
lungsmittel widersprechen, ist gleichgültig. Um des per-
sönlichen Ausdrucks willen muß sich Widerspruchsvollstes
zur Einheit binden. Denn es besteht kein gemeinsames
Ziel einer allgemeingültigen Stilanschauung. Selbst wenn
einmal der Kern der Formgesinnung gleich ist, ist in jedem
einzelnen Künstler doch die Mischung dessen, was aus
vergangenen oder gleichzeitigen, anders gearteten Stil-
anschauungen aufgenommen wurde, so verschieden, daß
das Gesamtbild den Eindruck einer verwirrend reichen
Vielgestaltigkeit macht.
Und diese verwirrende und verwickelte Lage des
neueren Kunstgewerbes findet in den Kunstgewerbeschulen
häufig noch eine Stütze. Denn um überhaupt einen Künstler
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VON PRIVATDOZENT DR. E. LÜTHGEN
DIE nächstliegendste Aufgabe der Kunstgewerbe-
schulen muß offenbar die sein, den werdenden
Kunstgewerben die handwerklichen Fähigkeiten
und Grundlagen des kunstgewerblichen Schaffens zu über-
mitteln. Denn »der Kunstgewerbler war durch Jahrhunderte
hindurch Handwerker, d. h. ein Mensch, der in einem be-
stimmten Fache reiche, fachliche Kenntnisse und Fähig-
keiten besaß. Aus der fortgesetzten Beschäftigung mit
seinem Stoffe, aus der unbedingten Hingabe an gewisse
Handfertigkeiten erwuchs ihm die innere Übereinstimmung
mit den Möglichkeiten der Formgestaltung, der Oberflächen-
behandlung, des inneren Aufbaues, der Gliederung und
der Zweckbestimmtheit der handwerklich zu bearbeitenden
Stoffe«*).
Es versteht sich von selbst, daß die Gewinnung hand-
werklicher Fähigkeiten nur erzielt werden kann im engsten
Anschluß an die Kunstform selbst. Ebensowenig wie in
der Malerei oder der Plastik ist im Kunstgewerbe eine
Trennung zwischen Technik und Kunstform möglich. Jeder
Wunsch nach Formgestaltung muß auf künstlerischem
Gebiete einem eigentlichen Kunstwollen entspringen. Jeder
Form, der in irgendeinem Zusammenhang einmal ein
künstlerischer Ausdruckswert zukommen soll, muß ein nur
ihr eigentümlicher, wirkungsvoller Ausdruck eignen.
Hier liegt der Kern der schwer lösbaren Frage nach
der kunstgewerblichen Erziehung. Um nämlich irgend-
welche Handgriffe der kunstgewerblichen Gestaltung, um
grundlegende handwerkliche Fähigkeiten übermitteln zu
können, müssen entweder Vorbilder künstlerischer Formen
vorhanden sein oder es müssen neue Kunstformen ge-
schaffen werden.
Die frühere Auffassung, die Hand wie das Kunst-
wollen an den vorbildlichen Werken der Vergangenheit
zu schulen, ist heute überwunden. Nur selten wird man
noch auf die alte Erziehungsweise stoßen, die in ausge-
sprochener Kopistentätigkeit die Formen der italienischen
Renaissance, des französischen Barock und Rokoko einfach
nachahmen ließ. Vielmehr hat die Anschauung allent-
halben mehr und mehr an Boden gewonnen, daß schon
während der schulmäßigen Ausbildung der junge Kunst-
gewerbler neue Kunstformen, die dem Sinne unserer Zeit
entsprechen, schaffen solle. Damit wird die Frage nach
der Erziehung zu einer Frage nach geeigneten Lehrkräften.
Denn nur wenn der Lehrer, der den Schüler unterweist,
selbst die Fähigkeit besitzt, Kunstwerke zu schaffen, ver-
mag er durch das Beispiel echtes Kunstwollen zu über-
mitteln. Der Lehrer muß zuerst Künstler sein, soll er
seine Aufgabe lösen.
Der Schwierigkeit, eine genügend große Zahl künst-
lerischer Kräfte für den kunstgewerblichen Unterricht zu
gewinnen, mag das häufig nur geringe Ergebnis des
kunstgewerblichen Unterrichts zuzuschreiben sein. Die
Hemmnisse, die der kunstgewerblichen Erziehung aus dem
Mangel an Künstlern als Lehrkräften erwachsen, steigern
sich noch, wenn man das wichtigste Erfordernis eines
förderlichen Unterrichts beachtet, das in der bewußten Be-
tonung einer einheitlichen Stilanschauung und künstle-
rischen Gesinnung besteht. Bei der großen Verschieden-
artigkeit der herrschenden künstlerischen Anschauungen ist
1) Lüthgen: Die Erziehung zum Kunstgewerbler. Innen-
dekoration 1914, S. 118 ff. Darmstadt, Koch.
es geradezu unmöglich, an einer Schule mehrere Künstler
zu vereinen, die wenigstens in grundlegenden Fragen des
Stiles und der künstlerischen Formgestaltung einer Mei-
nung sind.
Hier macht sich der Mangel eines ausgesprochenen
Zeitstiles besonders geltend. Daß das neuere Kunst-
gewerbe in keiner Weise einen einheitlichen Stil besitzt,
bedarf wohl kaum des Beweises. Das neuere Kunst-
gewerbe kennt eben keinen Stil, der mit der ziel- und
richtunggebenden Bedeutung eines Zeitstiles eine grund-
legende Gesetzmäßigkeit der Formanschauung besäße. Es
sind vielmehr Richtungen und Strömungen aller Art, die
sich willkürlich und launenhaft durchkreuzen und die durch
ihre Willkürlichkeit ein Hindernis bilden, daß bestimmte
Ausdruckswerte und Darstellungsmittel von stilbildender
Kraft ausreifen können.
Man könnte dem entgegenhalten, daß, namentlich ver-
anlaßt durch die Werkbundbewegung, die Aufstellung be-
stimmter Gestaltungsgrundsätze erfolgt sei, die heute so
gut wie allgemein anerkannt wären. Die Grundsätze näm-
lich, die darauf ausgehen, die künstlerischen Formen aus
dem Charakter des Stoffes, der gestaltet werden soll, aus
den Möglichkeiten der Herstellungsweisen, und aus der
Einstellung auf den Gebrauchszweck des Gegenstandes
gewinnen zu lassen.
Die Forderungen nach Zweckgemäßheit, Stoffechtheit
und Werkgerechtigkeit sind aber letzten Endes keine künst-
lerischen Gestaltungsgrundsätze. Denn über die Kunst-
form an sich sagen sie nichts aus. Es sind vielmehr For-
derungen der handwerklichen Gestaltung, die, geschichtlich
betrachtet, nichts anderes als eine glückliche Rückwirkung
sind gegen die völlig unkünstlerische Gesinnung der Rück-
blickzeit Es sind Anweisungen, die die technischen Grund-
lagen der Herstellung eines kunstgewerblichen Erzeugnisses
betreffen. Das Vernünftige und Zweckmäßige technischer
Herstellungsweisen zur Norm des künstlerischen Schaffens
zu erheben, geht nicht an. Und wenn es dennoch ge-
schieht, bleibt der schöpferischen Tätigkeit der Phantasie
immer noch ein solches Maß der Freiheit, das auch auf
dieser Grundlage eine einheitliche Stilanschauung nicht ge-
wonnen werden kann.
Man beachte nur einmal die verwirrende Verschieden-
artigkeit kunstgewerblicher Darstellungsmittel. Neben geo-
metrisch-flächenhaften, streng stilisierten Bildungen stehen
unvermittelt linear-plastische Formen oder malerisch-räum-
liche und farbig-flächige Darstellungsweisen. Wieviele Ver-
knüpfungen solcher Ausdruckswerte möglich sind, soviele
Stilvermischungen werden versucht. Ob sich die Darstel-
lungsmittel widersprechen, ist gleichgültig. Um des per-
sönlichen Ausdrucks willen muß sich Widerspruchsvollstes
zur Einheit binden. Denn es besteht kein gemeinsames
Ziel einer allgemeingültigen Stilanschauung. Selbst wenn
einmal der Kern der Formgesinnung gleich ist, ist in jedem
einzelnen Künstler doch die Mischung dessen, was aus
vergangenen oder gleichzeitigen, anders gearteten Stil-
anschauungen aufgenommen wurde, so verschieden, daß
das Gesamtbild den Eindruck einer verwirrend reichen
Vielgestaltigkeit macht.
Und diese verwirrende und verwickelte Lage des
neueren Kunstgewerbes findet in den Kunstgewerbeschulen
häufig noch eine Stütze. Denn um überhaupt einen Künstler
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