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Hessen-Nassau

[278] Hessen-Nassau (hierzu Karte »Hessen-Nassau«), preuß. Provinz, 1867 und 1868 aus Landesteilen gebildet, die infolge des Krieges von 1866 an Preußen kamen, nämlich aus dem ehemaligen Kurfürstentum Hessen-Kassel und dem ehemaligen Herzogtum Nassau, ferner aus dem größten Teil des Gebietes der ehemaligen freien Reichsstadt Frankfurt a. M., aus dem Kreis Biedenkopf und einigen andern Stücken des Großherzogtums Hessen, aus der Herrschaft Homburg der ehemaligen Landgrafschaft Hessen-Homburg und endlich aus kleinen Gebietsteilen von Bayern (Gersfeld, Orb). Diese Gebiete bilden jetzt zwei Regierungsbezirke: Kassel und Wiesbaden, von denen der erstere die vormals kurhessischen und bayrischen und ein kleines Gebiet von Hessen-Darmstadt, der letztere die übrigen Landesteile umfaßt. Die Provinz grenzt im N. an Westfalen, Waldeck und Hannover, im O. an die Provinz Sachsen, die thüringischen Staaten (Sachsen-Weimar) und Bayern, im S. an Bayern und das Großherzogtum Hessen, im W. an die Rheinprovinz. Von dem Hauptteil der Provinz sind getrennt, außer einigen kleinern Parzellen in Waldeck, die Kreise Schmalkalden am Thüringer Wald und Rinteln (Grafschaft Schaumburg) an der Weser zwischen den preußischen Provinzen Hannover und Westfalen und den Fürstentümern Lippe und Schaumburg-Lippe; innerhalb der Provinz dagegen liegen die großherzoglich hessische Provinz Oberhessen und der zur Rheinprovinz gehörige Kreis Wetzlar.

[Bodenbeschaffenheit. Klima.] Die Provinz hat eine Größe von 15,699,3 qkm (285,1 QM.). Sie besteht meist aus Bergland, in welches das Tiefland nur mit geringen Teilen einschneidet, so im S. am Main, wo der nördlichste Teil der Oberrheinischen Tiefebene mit einem Teile der Wetterau hierher gehört, und im N., wo das Tiefland in schmalen Strichen längs der Werra und Fulda hinausgeht und vorzüglich an der Schwalm sich zu einem fruchtbaren Becken erweitert. Das Bergland gehört im Regbez. Wiesbaden zum Rheinisch-westfälischen Schiefergebirge, von dem sich ein Ausläufer, das Hainaische Gebirge (im Wüstegarten des Kellerwaldes 673 m hoch), halbinselartig zwischen den Buntsandsteinplatten in den Regbez. Kassel hineinzieht; der Regbez. Wiesbaden enthält den Taunus (s. d.) und den Westerwald (s. d.) mit den höchsten Punkten, dem Großen Feldberg (880 m) und dem Fuchskauten (657 m). Die Gebirgslandschaften des Regbez. Kassel gehören zum rheinischen System (Buntsandsteingebirge). Von demselben zählen hierzu die Hohe Rhön (etwa zur Hälfte) mit der Wasserkuppe (950 m) und der Milseburg (833 m), vom Spessart nur geringe Teile (Orber Reisig); auch der Vogelsberg in Oberhessen berührt nur die Provinz. Im nördlichen Teil der Provinz gibt es endlich eine große Anzahl von kleinern Berggruppen und einzeln liegenden Bergen, die zusammen das Hessische Bergland bilden. Hierzu gehören: die Lahnberge bei Marburg (380 m), das Knüllgebirge (632 m) zwischen Fulda und Schwalm, der Seulingswald (474 m) zwischen Fulda und Werra, das Richelsdörfer Gebirge (465 m) nördlich von dem vorigen, die nordöstlich sich anschließenden Berge des Ringgau (512 m), der westlich gelegene Bombacher Wald (456 m) und der Alheimer (548 m). Weiter nördlich in der Schere zwischen Werra und Fulda liegen der Meißner (749 m), die Söhre (482 m) und der Kaufunger Wald (Bilstein 640 m). Zwischen Fulda, Weser, Eder und Diemel ziehen sich von S. nach N. der Langenberg (538 m), der Habichtswald (Hohe Gras 595 m) und der Reinhardswald (468 m). Die Grundlage dieser Berglandschaften bildet Buntsandstein, der nur in seltenen Fällen von Muschelkalk überlagert wird, in den höhern Teilen zwischen Fulda und Werra aber dem Zechstein weicht, während er überall, namentlich aber in der Rhön, im Knüllgebirge, von Basalten (in der Milseburg selbst von Phonolith) durchbrochen ist. Merkwürdig ist eine Gruppe von Tertiärbildungen mit Braunkohlen, die innerhalb der Buntsandsteinplatte ein ausgedehntes Becken von Ziegenhain an der Schwalm bis Kassel ausfüllt, aus dem gleichfalls viele Basalte, auch die des Habichtswaldes, emporsteigen. Der Thüringer Wald durchzieht den Kreis Schmalkalden, woselbst der Inselsberg (916 m); im Kreise Rinteln endlich finden sich Teile der untern Wesergebirge, vom Süntel und vom Bückeberg (s. d.). Die Provinz gehört zu den Stromsystemen des Rheins und der Weser; die größern Flüsse, soweit sie schiffbar sind, befinden sich auf oder nahe der Grenze, so der Rhein und Main im S. und die Weser und Werra im N.; weiter hinein in die Provinz reichen die Lahn und Fulda. Unter den übrigen Flüssen sind noch zu erwähnen: die Kinzig und Nidda, die zum Main, die Ohm, Weil, Ems, Aar, Dill und der Elbbach, die zur Lahn fließen, die Eder, ein Nebenfluß der Fulda, mit der Schwalm, und im N. die Diemel, die bei Karlshafen die Weser erreicht. Seen und Kanäle gibt es nicht, dagegen große Moore auf der Hohen Rhön. Das Klima ist auf den Berglandschaften rauher als im Norddeutschen Tiefland, vorzüglich rauh auf dem Westerwald und der Hohen Rhön, die im Winter 5–6 Monate von ungeheuern Schneemassen bedeckt ist. Überaus angenehm ist das Klima in den tiefer gelegenen Landstrichen. Die jährliche Durchschnittswärme beträgt in Kassel und Marburg bei etwa 65 cm jährlicher Regenhöhe beinahe 9°, in Frankfurt a. M. 9,6°.

[Bevölkerung, Erwerbszweige.] Die Zahl der Bewohner belief sich 1900 auf 1,897,981 Seelen (121 auf 1 qkm), davon 1,308,016 Evangelische, 530,541 Katholiken und 48,105 Juden. Die Evangelischen sind in den ursprünglich weltlichen, die Katholiken in den vormals geistlichen Staaten (Fulda, Mainz, Trier) vorherrschend. An Lehranstalten gibt es eine Universität (Marburg), 20 Gymnasien, 1 Progymnasium, 4 Realgymnasien, 4 Realprogymnasien, 6 Oberrealschulen, 14 Realschulen, 1 Landwirtschaftsschule, 4 höhere Privatlehranstalten, 7 Lehrer-, 1 Lehrerinnenseminar, 2 Präparandenanstalten, 3 Taubstummen-, 2 Blindeninstitute etc. Die Hauptbeschäftigungen der Bewohner sind: Landwirtschaft, Viehzucht, die gewöhnlichen Gewerbe: Holzwirtschaft, Bergbau in einzelnen Gegenden (s. unten). Von der Gesamtfläche kamen 1900. 45,7 Proz. auf Äcker und Gärten, 0,2 auf Weingärten, 11,6 auf Wiesen, 3,6 auf Weiden und 39,7 Proz. auf Wald. H. ist die waldreichste Provinz des preußischen Staates. Der Buchenhochwald ist die herrschende Waldart, erscheint aber schon mehrfach mit Nadelhölzern untermischt; die Eiche findet sich vorzüglich gemischt mit der Buche im Reinhardswald, in gepflanzten Beständen im Kreise Rinteln und im Regierungsbezirk Wiesbaden; die Kiefer ist bei Fulda und in der Mainebene, die Fichte, mit der Tanne vermischt, im Kreise [278] Schmalkalden zu finden. Bewaldet sind vorzugsweise die Gebirge mit Ausnahme der höchsten Teile der Hohen Rhön und des Westerwaldes, sodann alle Berglandschaften und Bergplatten (vgl. Wagner, Die Waldungen des ehemaligen Kurfürstentums Hessen, Hannov. 1886, Bd. 1). Für den Ackerbau ist die Provinz nicht sehr geeignet, doch sind durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet die höhern Lagen in der Mainebene im S., der Goldene Grund an der Ems am Nordabhang des Taunus, die Ebene von Wabern und der Schwalmgrund sowie die Gegend von Eschwege. Von Wichtigkeit sind die Wiesen als eine Grundbedingung für die bedeutende Rindviehzucht. Der Ernteertrag betrug 1903: 263,818 Ton. Roggen, 123,682 T. Weizen, 45,135 T. Gerste, 286,491 T. Hafer, 1,087,583 T. Kartoffeln und 875,758 T. Wiesenheu. Garten-, Obst- und Gemüsebau sind ausgezeichnet im N. bei Kassel und an der Werra, im S. am Main und am Rhein, sodann noch an der Lahn. Zu Geisenheim a. Rh. gibt es ein pomologisches Institut und großartige Baumschulen. Weinbau wird in geringem Maß an der Werra bei Witzenhausen betrieben; das Hauptgebiet für denselben sind die Anhöhen und Hügel auf der Südseite des Taunus im sogen. Rheingau; da sind berühmte Weinorte Hochheim a. M. und am Rhein abwärts Schierstein, Eltville, Erbach (Markobrunner), Rauenthal, Kiedrich, Hattenheim, Östrich, Winkel, Johannisberg, Geisenheim, Rüdesheim, Aßmannshausen, Lorch u. a. Geringer Weinbau findet auch bei Hanau und an der Lahn unterhalb Ems statt. Von 2920,7 Hektar Weinbergsfläche (2890,7 im Regierungsbezirk Wiesbaden) wurden 1903: 68,505 hl Weinmost im Werte von 2,968,267 Mk. gewonnen. Nach der Viehzählung von 1900 gab es 85,170 Pferde, 587,802 Stück Rindvieh, 304,999 Schafe, 556,233 Schweine, 171,959 Ziegen und 60,410 Bienenstöcke. Für die Pferdezucht besteht ein Landesgestüt in Dillenburg. Das Mineralreich liefert Eisenerze in Menge, sodann Stein- und Braunkohlen, Kupfer-, Blei- und Manganerze, Tone, Bausteine etc.; die Produktion der Bergwerke und Hütten betrug 1902: 435,931 Ton. Braunkohlen, 503,231 T. Eisenerz, 18,559 T. Zinkerz, 7912 T. Bleierz, 575 T. Kupfererz, 3818 T. Manganerz, 20,670 T. Roheisen, 22,932 T. Blei, 34,273 kg Silber und 85,815 T. Schwefelsäure. – Von höchster Wichtigkeit sind die Mineralquellen, von denen mehrere, wie die Kochsalzthermen von Wiesbaden und die Natronthermen von Ems, einen europäischen Ruf haben. Andre Badeorte sind: Homburg, Soden, Langenschwalbach, Schlangenbad, Nenndorf etc. Das Wasser verschiedener Mineralbrunnen wird verschickt, so der zu Niederselters im Kreis Untertaunus (Selterwasser), zu Fachingen und Geilnau an der Lahn etc.

Die Fabriktätigkeit ist nur in einzelnen Gegenden von Wichtigkeit. Unter den Städten sind hervorzuheben: Kassel (Maschinen, Gold- und Silberwaren, Instrumente aller Art), Großalmerode (vorzügliche Schmelztiegel und andre Steingutwaren), Eschwege (Leder und Sohlleder aus südamerikanischen Häuten), Hersfeld (Leder, Tuch), Fulda (Damast und andre Zeuge), Hanau (Bijouterien, Zigarren, Eisengußwaren), Frankfurt a. M. (Bijouterien, Eisen- und Bronzewaren, Maschinen, Zigarren, Chemikalien), Diez (Marmorwaren), Schmalkalden und Umgegend (Kleineisenwaren). Aus dem sogen. Kannenbäckerland im Kreis Unterwesterwald werden Krüge und andre Tonwaren in den Handel gebracht. Mehr vereinzelt ist noch eine Anzahl Fabriken über die verschiedensten Teile der Provinz ausgebreitet, so: Spinnereien, Webereien, Eisengießereien, Maschinen-, Tuch-, Papier-, chemische Fabriken etc. In einigen Orten sind Haupterwerbsquellen für die Bewohner der Verkehr von Badegästen und überhaupt der Fremdenverkehr (Wiesbaden, Ems), am Ufer des Rheins im Rheingau der Weinbau. Die Schiffahrt ist nur in einigen Grenzgebieten von Belang. Der Handel wird unterstützt durch sechs Handelskammern (Kassel. Hanau, Frankfurt a. M., Wiesbaden, Limburg und Dillenburg). Wichtige Eisenbahnlinien durchziehen die Provinz, von denen namentlich die von Göttingen über Kassel nach Frankfurt a. M. und von Göttingen über Bebra dorthin für den Durchgangsverkehr von Bedeutung sind.

Von den beiden Regierungsbezirken zerfällt Kassel in 24 Kreise (darunter die Stadtkreise Kassel und Hanan), Wiesbaden in 18 Kreise (darunter die Stadtkreise Wiesbaden und Frankfurt a. M.); der Oberpräsident hat seinen Sitz in Kassel. Jeder Regierungsbezirk bildet einen kommunalständischen Verband. Die obersten Gerichtsbehörden sind die Oberlandesgerichte zu Kassel (mit den drei Landgerichten zu Hanau, Kassel und Marburg) und zu Frankfurt a. M. (mit den fünf Landgerichten zu Frankfurt a. M., Hechingen, Limburg, Neuwied und Wiesbaden); zu dem Bezirk des erstern gehört noch Waldeck, zu dem des letztern Hohenzollern und Teile der Rheinprovinz; zu andern Oberlandesgerichtsbezirken gehören die Kreise Schmalkalden (Jena) und Rinteln (Celle). (Vgl. die Textbeilage »Gerichtsorganisation des Deutschen Reiches«, Bd. 7.) Der Regierungsbezirk Kassel gehört zum Bezirk des 11., der Regierungsbezirk Wiesbaden zum Bezirk des 18. Armeekorps. Die Provinz entsendet 14 Mitglieder in den deutschen Reichstag und 26 in das preußische Abgeordnetenhaus. Das Wappen der Provinz H. s. auf Tafel »Preußische Provinzwappen«, nebst Textblatt. Die Farben der Provinz sind Rot, Weiß, Blau. Vgl. Heßler, Hessische Landes- und Volkskunde. Das ehemalige Kurhessen etc. (Marb. 1903, 2 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 278-279.
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