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Kirchenmusik

[507] Kirchenmusik, ursprünglich der von der Orgel begleitete Kirchengesang, dann die Aufführung religiöser Singsstücke mit Instrumentalbegleitung. Es hat kein Volk gegeben, das der Musik beim Gottesdienst durchaus entbehrt hätte, aber keins besaß eine so bedeutende Zahl von Sängern u. Musikern zur Feier des Gottesdienstes, als die Hebräer zur Zeit ihrer höchsten Blüthe (vgl. Saalschutz, Geschichte u. Würdigung der Tempelmusik der Hebräer, Berlin 829). Aus dem jüdischen Kultus ging Musik u. Thorgesang dann auch in den christlichen über (vgl. 1. Kor. 14, 15. 26. Koloss. 3,16) u. ward hier eigentlich erst K. Die ersten Christen sangen meist ohne Begleitung musikalischer Instrumente. Vereinzelt ist die Sitte in Alexandrien, daß Flöten den Gesang bei den Agapen begleiteten; Clemens Alexandrinus verbot dies 190 als zu weltlich u. führte statt dessen die Davidsharfe ein. Zu u. nach den Zeiten Konstantins des Großen entstand der Ambrosische Gesang, das Singen der Psalmen u. Hymnen nach den vier ersten authentischen Tonarten der alten Griechen. Gregor der Große bereicherte gegen Ende des 6. Jahrh. den Kirchengesang mit neuen Tonarten u. vervollkommnete ihn durchgehends, schloß aber die Instrumente gänzlich von dem Gotteshause aus; erst durch die Orgel findet der Instrumentalton neben der Menschenstimme einen Platz im Gotteshause. Die Einführung der Orgeln fällt in die Zeit Karls des Großen, s.u. Orgel. Durch des Mönchs Guido von Arezzo im 11. Jahrh. neu erfundene Notenschrift[507] kam die Figuralmusik zu Stande. Repräsentanten der Kunstentwickelung der K. in den nächsten Jahrh. sind außer Guido von Arezzo noch Franco von Köln (13. Jahrh,), Johannes de Muris (14. Jahrh.), der Niederländer Ockenheim (15. Jahrh.), Josquin del Prato (56 Jahrh.). Seit dem 16. Jahrh.) theilt sich die K. in zwei Hauptarten, Choral- u. Figuralmusik. A) Die Choralmusik (Kirchengesang) ist in ihrem Ursprünge der einfache Kirchengesang selbst, bei welchen, die Melodie in ihren Haupttönen feierlich langsam fortschreitet.. Sie ist weder mit Nebentönen verziert, noch wird sie in einem genau abgemessenen Zeitmaße vorgetragen u. unterscheidet sich insofern von dem Mensuralgesange (s.d.), in dem dir Töne eine genau bestimmte Zeitdauer erfordern, s. Choral. B) Die Figuralmusik (K. im engern Sinne), die Ausführung religiöser Singstücke in Begleitung von Instrumenten, entstand aus der Choralmelodie, indem man diese in ein vier- od. auch mehrstimmiges Tonstück über Hymnen, Psalter od. über einzelne aus biblischen Sprüchen bestehende Texte umsetzte u. thematisch bearbeitete. Von den dabei gebräuchlichen Figuren od. Setzmanieren in den verschiedenen Stimmen, die im Choral nicht üblich waren, erhielt dieser Gesang den Namen des figurirten. Um ihn zu heben u. die Stimmen zu unterstützen, bediente man sich anfangs einiger Blasinstrumente u. der Orgel, bis nach u. nach auch Saiten- u. Blasinstrumente eingeführt werden. Indeß wurden die Instrumente anfangs nur zur Intonation verwendet, nicht zu selbständiger musikalischer Production od. zur Begleitung. Selbst durch die Reformation erhielten die Instrument in der Kirche keine selbständige Stellung, u. die Reformirten verwarfen sie ganz, auch haben die italienischen Meister Palestrina u. Orlando di Lasso nicht für Instrumente componirt. Doch brachte Luther die Sitte auf, Choräle mit Instrumenten von den Thürmen blasen zu lassen. Der allgemeine Gebrauch der Orgeln zum Gesange fällt um das Jahr 1640. Die Figuralmusik, der Kunstgesang im Gegensatz zum Gemeindegesang, findet sich schon in den im 14. Jahrh aufgekommenen Fugen (Fugae) od. Motetten, Compositionen, in welchen die Stimmen nicht gleichmäßig fortschritten, sondern eine Stimme begann, welcher dann eine zweite folgte, dann eine dritte u. vierte, welche vierte von der ersten verfolgt ward. Die Idee der Figuralmusik liegt auch schon vielen Compositionen aus dem Zeitalter der Reformation, wie den Festgesängen des Joh. Eccard (st. 1611), zu Grunde: Hammerschmidt (st. 1675) stattete diesen Kunstgesang glänzender aus u. verschaffte ihm den aus der weltlichen Musik genommenen Namen Madrigal. In Italien ging am Schluß des 16. Jahrh. aus der damals dort entstandenen Opernmusik der weltliche Styl auch in die geistliche Musik über, u. es entstand so eine Mittelgattung zwischen dem Kunststyl u. dem weltlichen Styl, der sog, Oratorien- od. Kammerstyl. Für den unmittelbaren kirchlichen Zweck bildet sich dort das geistliche Concert aus, ein Wechsel von Chören, Arien, Recitativen, in welchem selbständige Instrumentalmusik mit dem Gesang erscheint, während zuvor in der Kirche die reine Vocalmusik zu Hause war. Diese neue Kunstform wurde durch Joh Prätorius (st. 1621) u. Heinr. Schütz (st. 1762) nach Deutschland verpflanzt. Aus ihr ging die Cantate hervor, in welcher Joh. Stb. Bach das Größte geleistet hat. Doch sank der ernste kirchliche Styl immer mehr, der Oratorienstyl ging ganz in den Opernstyl über; Mozart u. Beethoven bedienten sich bei kirchlichen Musikstücken geradezu des Opernstyls, Theater- u. Concertmusik versorgte die Kirche Namentlich hob in dieser Zeit des Verfalls des kirchlichen Glaubens u. der K. Joh. Fr. Doles die letzte Schranke zwischen K. u. Bühnenmusik auf, indem er beiden denselben Zweck, Rührung u. Besserung des Herzens, zuweist. Auch übte die Verschlimmerung des katholischen Meßgesangs welcher ganz wieder in die vorpalestrinische Zierlichkeit herabgesunken war, Einfluß auf die Verweltlichung der protestantischen K. Der Prunk der Instrumentierung stieg immer mehr, Ouvertüren u. Tänze bildeten oft die Vor- u. Nachspiele auf der Orgel. Erst mit der Neubelebung des religiösen Lebens regte sich auch der Sinn für Verbesserung der K. bes. durch die Orgel- u. Präludienbücher von C. F. Beker, I. Chr. H, Rück, G. W Körner, durch die von Kocher, Silcher u. Frech 1851 herausgegebene Sammlung von kirchlichen klassichen Orgelstücken etc., u. namentlich durch die von der Berliner Singakademie unter Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy angestrebte Zurückführung der alten Oratorien Handels, Seb. Bachs u.A. Daneben wurde auch der Figuralgesang wieder ausgebildet, u. es haben sich auf diesem Felde verdient gemacht Rück, Ä. W. Bach, C. G. Reiniger, Silcher, Frech, Palmer. Vgl. A. F. I Thibaut, Über Reinheit der Tonkunst, Heidelberg 1825, 2. A. 1826. Laurenzin, Zur Geschichte der K. bei den Italienern u. Deutschen, Lpz. 1856.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 507-508.
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