[go: up one dir, main page]

Rabelais

[537] Rabelais (spr. rab'lä), François, der größte Satiriker der Franzosen, geb. um 1490 wahrscheinlich in dem Landhaus Devinière bei Chinon, wo sein Vater Advokat war, gest. (nach einer Angabe von 1710) 9. April 1553 (wahrscheinlich 1554) in Paris, besuchte die Schule in Angers und trat dann in das Franziskanerkloster zu Fontenay-le-Comte ein, wo er mit Vorliebe Sprachstudien trieb und sich insbes. eine ungewöhnliche Kenntnis des Griechischen erwarb. Aber seine Gelehrsamkeit und sein Sarkasmus machten ihn den Klostergenossen verhaßt; man nahm ihm die griechischen Bücher weg und warf ihn wegen ungeziemenden Betragens ins Gefängnis; nur der Vermittelung einflußreicher Freunde verdankte er die Freiheit und später (1524) die Erlaubnis, den Orden des heil. Franz mit dem der Benediktiner zu vertauschen. Infolgedessen trat er in die Abtei Maillezais ein, hielt es aber auch hier nicht lange aus, legte die Kutte ab, um Weltgeistlicher zu werden, genoß eine Zeitlang die Gastfreundschaft des Bischofs Geoffroy d'Estissac, auf dessen Schlosse sich viele Freigeister und Feinde der römischen Kirche zusammenfanden, und ging 1530 nach Montpellier, um Medizin zu studieren, brachte es auch bald so weit, daß er einige Schriften des Hippokrates und Galen herausgeben konnte (1538). Trotzdem er erst 1537 den Doktorgrad erwarb, finden wir ihn schon 1532 in Lyon als Hospitalarzt; zugleich aber setzte er eifrigst seine gelehrten Studien fort, besonders in der italienischen und altfranzösischen Literatur, und war ein tätiger Mitarbeiter seines Freundes Etienne Dolet, des gelehrten und freisinnigen Buchdruckers, der 1546 als Ketzer verbrannt wurde. Er gab 1532 in Lyon eine Art Volksbuch: »Les grandes et inestimables chroniques du grand et énorme géant Gargantua«, heraus und 1533 eine Fortsetzung dazu, »Pantagruel« (zwei Faksimileausgaben des einzigen Exemplars der königlichen Bibliothek in Dresden, Par. 1904). Im J. 1535 hat er selbst jenen ersten Teil umgeformt u. d. T.: »Gargantua«. Den »Pantagruel« von 1533 zeichnete R. mit seinem Anagramm »Alcofrybas Nasier«, um die Angriffe der arg mitgenommenen Mönche und Pfaffen irre zu leiten. Eine Reise nach Rom als ärztlicher Begleiter des Kardinals Jean du Bellay benutzte er, um vom Papst Paul III. sich eine Bulle zu verschaffen, die ihm Ablaß für seine »apostasie« (das Entweichen aus dem Kloster) bewilligte. Er erhielt auch gleich nach seiner Rückkehr vom Kardinal eine Präbende im Stift[537] von St.-Maur des Fossés, wo er sich jedoch nur vorübergehend aufzuhalten pflegte. Das dritte Buch seines Romans, das neue und schärfere Angriffe gegen die Geistlichkeit enthielt, wurde mit königlichem Privilegium unter R.' Namen 1546 gedruckt; jedoch war die Macht seiner Gegner so groß, daß R. sich außerhalb Frankreichs, nach Metz, begab, wo ihn die Gemeinde als Stadtarzt besoldete (1547–48), und nach dem Tode Franz' I., seines mächtigen Beschützers, sich nach Rom zu du Bellay flüchtete und von dort aus sich bemühte, die Gunst Heinrichs II. zu gewinnen. Dies gelang ihm durch einige Schmeicheleien, die er an die Geliebte Heinrichs, Diana von Poitiers, richtete. Er wurde 1551 zum Pfarrer von Meudon ernannt und gab 1548 ein Stück des vierten Buches, 1552 das ganze Buch heraus, gegen das zwar wiederum Sorbonne und Parlament ihr Anathem schleuderten, ohne jedoch gegen die mächtigen Beschützer R.' etwas ausrichten zu können. Erst 1564 erschien, von fremder Hand redigiert, das fünfte und letzte Buch, von dem eine andre 1549 gedruckte Fassung sich als plumpe Fälschung erweist. Vielfach werden Daten und Ereignisse aus seinem Leben auch anders angegeben, denn schon bald nach seinem Tode bemächtigte sich seiner die Legende. R. gehört in die Reihe der Geister ersten Ranges. Die Bildung seiner Zeit in sich fassend, stand er an geistiger Freiheit und in Hinsicht auf seine ganze Weltanschauung weit über dieser. Nie hat ein Satiriker die Geißel des Spottes kühner und furchtloser geschwungen als R. Die Scheinheiligkeit, die Dummpfiffigkeit des Pfaffentums, die Wortklaubereien der Juristen, der marktschreierische Scharlatanismus der Ärzte, die Ausschreitungen der weltlichen Macht, der Übermut und die Unbildung der großen Herren hatten in ihm einen unversöhnlichen und mit vernichtenden Waffen ausgerüsteten Gegner. Den Kampf gegen die Feinde führte er in seinem Roman mit der überlegenen Heiterkeit unerschöpflichen geistigen Reichtums. Aber auch an wahrhaft tiefsinnigen Gedanken, an echter Weisheit ist dies wunderbare Buch reich, wenn schon diese Elemente überwuchert werden von den oft kolossal grotesken Einfällen des Übermuts, des Zynismus, der humoristischen Laune und ganz besonders der Allegorien, die das Verständnis bedeutend erschweren. Wie man in Grangousier, Gargantua, Pantagruel Ludwig XII., Franz I. und Heinrich II. zu erkennen glaubt, so sieht man in Panurg bald den Kardinal von Amboise, bald R. selbst, bald den Typus des Durchschnittsmenschen. Von der größten Bedeutung ist R. auch für die Entwickelung der französischen Sprache gewesen, die er zur Darstellungsfähigkeit seiner Gedanken umgebildet und mit einer Masse von Ausdrücken und Wendungen bereichert hat, die bleibendes Gemeingut geworden sind. Außer dem Roman haben wir von R. noch: »Pantagruéline pronostication«, die »Almanachs«, die »Sciomachie«, einige Episteln in französischen Versen, einige lateinische Verse und eine kleine Anzahl von Briefen. Die besten neuern Ausgaben des »Gargantua und Pantagruel« sind: von Esmangart und Johanneau (Par. 1823–26, 9 Bde.), von P. Lacroix (1825–27, 5 Bde.; 1840 u. ö.), von Burgaud des Marets u. Rathery (1857, 2 Bde.; 1882, sehr zu empfehlen), von Montaiglon und Lacour (1868, 3 Bde.), mit Illustrationen von Doré (1872, 2 Bde., mit Einleitung und Glossar), von Marty-Laveaux (1872–1903, 6 Bde.), von Favre (Niort 1875–80, 5 Bde.), von Lemerre (1903, 6 Bde.). Eine geistvolle deutsche Umarbeitung des »Gargantua« verfaßte J. Fischart (s. d.). Übersetzungen lieferten G. Regis (Leipz. 1832–41, 3 Bde.; neue Ausg. von Weigand, mit Bibliographie von Pfeffer, Münch. 1906), F. A. Gelbcke (Leipz. 1880), Hegaur u. Owlglaß (Münch. 1905). Denkmäler sind ihm in Chinon und Tours gesetzt. Vgl. Brunet, Recherches bibliographiques sur R. (Par. 1852); Lacroix, R., sa vie et ses ouvrages (das. 1859); Gebhart, R., la Renaissance et la Réforme (Nancy 1877) und R. in der Sammlung »Classiques populaires« (1895); Arnstädt, F. R. und sein Traité d'éducation (Leipz. 1871); Ligier, La politique de R. (Par. 1880); Paul Stapfer, R., sa personne, son génie, son œuvre (das. 1889); Heulhard, R., ses voyagesen Italie, son exil à Metz (2. Aufl., das. 1893); Millet, Rabelais (das. 1892); A. Bertrand, R. à Lyon (das. 1894); Le Double, R. anatomiste et physiologiste (das. 1899); Thuasne, Études sur R. (das. 1904); P. P. Plan, Bibliographie Rabelaisienne. Les éditions de R. de 1532 à 1711 (das. 1904); M. Benoit, R. accoucheur (Montpellier 1904); Mollet, R. clinicien (Par. 1904); A. Lefranc, Les navigations de Pantagruel (das. 1905); »Revue des études rabelaisiennes« (das. 1903 f.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 537-538.
Lizenz:
Faksimiles:
537 | 538
Kategorien: