[go: up one dir, main page]

Karl X.

[556] Karl X. (Philipp), König von Frankreich 1824 –30, der Bruder der franz. Könige Ludwig XVI. und Ludwig XVIII., geb. zu Versailles am 9. Oct. 1757, führte anfangs den Titel eines Grafen von Artois. Er vermählte sich 1773 mit der Prinzessin Maria Therese von Savoyen, welche ihm den Herzog von Angoulême (s.d.) und den Herzog von Berri (s.d.) gebar und 1805 starb. Bei der Belagerung von Gibraltar 1782 diente der Graf von Artois als Freiwilliger im Lager von St.-Roch und wurde darauf zum Ludwigsritter ernannt. Im J. 1787 zog er als Präsident des Bureaus der Notablen durch die von denen seiner Brüder abweichenden aristokratischen Gesinnungen den Unwillen des Volks auf sich. Er und der Prinz von Condé waren die ersten vornehmen Franzosen, welche aus dem Vaterlande auswanderten, um auswärts den Bewegungen der Revolution Widerstand zu leisten. K. ging 1789 zunächst nach Turin, dann nach Mantua, wo er mit dem Kaiser Leopold zusammenkam, Worms, Bruck bei Bonn, Brüssel und Wien. Bei dem Congresse zu Pillnitz war er für die Sache des franz. Königthums überaus thätig. Nachdem Ludwig XVI. die Constitution 1792 angenommen und beschworen hatte, foderte er die franz. Prinzen auf, nach Frankreich zurückzukommen; diese aber erklärten, daß sie die Constitution nicht anerkennen und unter den obwaltenden Verhältnissen nicht zurückkehren wollten. Die Nationalversammlung entzog K. hierauf das ihm ausgesetzte Jahrgeld. K. war thätig, eine Gegenrevolution in Frankreich zu veranlassen und führte den Oberbefehl über das Emigrantencorps, welches mit der preuß. Armee 1792 in die Champagne eindrang. Nachdem Ludwig XVI. auf dem Blutgerüste gefallen war, nahm sein älterer Bruder Ludwig den Titel eines Regenten von Frankreich an und ertheilte K. den eines Generallieutenants des Königreichs. Für seine Sache suchte dieser auch die Kaiserin Katharina von Rußland zu gewinnen, fand auch bei ihr wohlwollende Aufnahme und erhielt von ihr einen kostbaren Degen. England bewilligte ihm 1794 einen Jahrgehalt von 15,000 Pf. St. und in der Hoffnung auf Erscheinen eines russ. Hülfsheers begab sich K. 1796 nach England und von hier schiffte er nach Ile Dieu, um den königlich Gesinnten in der Vendée zu Hülfe zu kommen. Das Ausbleiben des russ. Heeres bestimmte ihn, unverrichteter Sache zurückzugehen, und nun lebte er bis 1799 auf dem Schlosse Holyrood zu Edinburg. In diesem Jahre wollte er sich nach der Schweiz zu dem Suworoff'schen Heere begeben, erfuhr aber unterwegs die Niederlage Korsakoff's und ging daher [556] nach England zurück. Nachdem er sich wieder längere Zeit in Edinburg aufgehalten, kam er 1803 nach London und lebte seit 1809 auf dem von Ludwig XVIII. erkauften Schlosse Hartwell. Als endlich die Heere der Verbündeten 1813 gegen Frankreich vorrückten, kam K. nach dem Festlande, ging im Febr. 1814 über den Rhein und trat in Nancy nach Napoleon's Abdankung als Verkündiger »des Triumphs der Freiheit, der Herrschaft der Gesetze, der Aufhebung der Conscription und der vereinigten Gefälle, und der gänzlichen Vergessenheit des Vergangenen« auf. Zu Paris hielt er am 12. Apr. 1814 seinen Einzug, übernahm die Leitung des Staats im Namen seines Bruders und unterzeichnete den Waffenstillstand mit den Verbündeten. Als Ludwig XVIII. angekommen war, ernannte er K. zum Generalobersten der Schweizer und der Nationalgarde. Nachdem 1815 die Nachricht von Napoleon's Landung nach Paris gekommen war, eilte K. nach Lyon, fand hier jedoch eine so ungünstige Stimmung, daß er sich ebenso eilig wieder entfernen mußte. Er ging zu dem Könige nach den Niederlanden. Zurückgekehrt nach Paris, erwarb er sich die Zuneigung des Volks, indem er bei der Wahlversammlung in Paris den Vorsitz führte. Als am 7. Oct. 1815 die Kammer eröffnet wurde, erneuerte er den schon am 16. März geleisteten Eid der Treue für die Charte. Als Vorstand eines Bureaus nahm K. hierauf an den Geschäften der Pairskammer Theil, zog sich jedoch später zurück und legte 1818 auch den Oberbefehl über die Nationalgarde nieder. Die Partei der an der alten Macht des Königs und der Kirche Hängenden schloß sich enger an ihn an, und dadurch verlor er sehr in der Liebe des Volks. Nachdem er jedoch am 16. Sept. 1824 selbst König geworden war, erregte er durch seine öffentlichen Erklärungen die Begeisterung des Volks für sich und wurde mit Jubel in Paris empfangen. Bald darauf stellte K. die Freiheit der Presse hinsichtlich der Zeitschriften her. Bei seiner feierlichen Krönung zu Rheims 1825 schwur K. nach der Charte regieren zu wollen. Allmälig neigte er sich aber immer mehr einer unter dem Mantel der Religion Feindseligkeiten gegen die bestehende Verfassung verbergenden Partei zu. Die Jesuiten, welche durch ein unter Ludwig XV. erschienenes Gesetz für immer aus Frankreich verbannt sein sollten, hatten sich eingeschlichen und fanden beim Könige und Ministerium Unterstützung. Der Minister Villèle hatte sich überdies in der Finanzverwaltung mancherlei Vorwürfe zugezogen und 1827 trat eine dem Ministerium durchaus widerstrebende Kammer zusammen. Der König entließ Villèle und berief Martignac an seine Stelle, welcher, um das Vertrauen des Volks herzustellen, zu Concessionen bereit war, die aber der König mit Entschiedenheit von sich abwies. K. unternahm eine Reise nach dem Elsaß, der am wenigsten der königl. Partei ergebenen Provinz, und da das Volk hierin eine Annäherung zu seinen Wünschen zu erblicken glaubte, so wurde er überall mit Begeisterung empfangen. Er aber glaubte, die ihm bezeugte Zuneigung gelte seiner Person und beschloß, mit entschiedener Strenge gegen die ihm widerstrebende Partei aufzutreten. Es erfolgte hierauf die Entlassung des Ministeriums Martignac, der Günstling des Königs, Polignac, wurde zum ersten Minister erhoben, die Kammern wurden aufgelöst und die verhängnißvollen Ordonnanzen erlassen, durch welche die Juliusrevolution 1830 (s. Frankreich und Julitage) herbeigeführt wurde. K. verharrte bei den gefaßten Beschlüssen, bis es zu spät war. Er hielt sich in St.-Cloud auf und war vom Gange der Begebenheiten in Paris nicht genau unterrichtet. Als er das bisherige Ministerium entließ und den Herzog von Mortemart an die Spitze eines neuen Ministeriums stellte, war bereits seine und seines Hauses Entsetzung vom franz. Königsthrone beschlossen. Ebenso vergeblich war die am 2. Aug. zu Rambouillet erfolgende Entsagung K.'s und seines Sohnes, des Herzogs von Angoulême, zu Gunsten des jungen Heinrich, Herzogs von Bordeaux und Sohn des Herzogs von Berri, für welchen der Herzog Ludwig Philipp von Orleans die Regentschaft führen sollte. Durch die Drohung, mit Gewalt seine Entfernung erzwingen zu wollen, ließ sich K. bewegen, nach Cherbourg abzureisen, nachdem er die Krondiamanten herausgegeben hatte. Einige Schwadronen der Leibwache dienten ihm auf der Reise zum Schutz. Am 16. Aug. verließ K. mit seinem Gefolge den franz. Boden. Ihn begleitete der Dauphin (Herzog von Angoulême) und dessen Gemahlin, die Herzogin von Berri und deren Kinder, der Marschall Marmont, der Herzog Armand de Polignac, der Herzog de Guise, zusammen 60 Personen von Stande. Auf zwei Schiffen begab sich die ganze Gesellschaft nach England, wo K. die Erlaubniß erhielt, als Privatmann sich aufzuhalten. K. führte den Namen eines Grafen von Ponthieu und hielt sich mit Bewilligung der engl. Regierung wieder zu Holyrood in Edinburg. auf. Er fand hier allgemeine Theilnahme und erwarb sich die Liebe und Verehrung der Bewohner, sodaß er bei seiner im Sept. 1832 erfolgenden Abreise Zeichen aufrichtiger Zuneigung empfing. Über Hamburg und Berlin ging die königl. Familie nach Prag, wo sie ihre Wohnung in dem Hradschin nahm. Der König suchte zu Görz in dem Vergnügen der Jagd, welche er von jeher leidenschaftlich liebte, Zerstreuung; doch hielt ihn später Kränklichkeit häufig von derselben ab. Gegen das Ende des Jahres 1836 begab er sich mit seiner Familie und seinen bei ihm gebliebenen Anhängern nach Görz, um dort seinen bleibenden Wohnsitz zu nehmen. Kurze Zeit nach seiner Ankunft erkrankte er an seinem Namenstage an der Cholera und starb am 6. Oct. 1836.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 556-557.
Lizenz:
Faksimiles:
556 | 557
Kategorien: