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Angoulême

[83] Angoulême (Louis Antoine, Herzog von), Exdauphin von Frankreich, geb. zu Versailles am 6. Aug. 1775, ist der Sohn des Grafen Artois, jetzigen Exkönigs von Frankreich, Karl X., aus der ältern Linie des bourbonischen Stammes, mit der er in Folge der Juliusrevolution im J. 1830 zum dritten Male Frankreich verlassen mußte. Beim Ausbruch der franz. Revolution von 1789 wanderte er mit seinem Vater sogleich aus und lebte bis zur Restauration in Deutschland, Rußland, Italien und England, ohne irgendwo sich auszuzeichnen. Fortwährend dem Willen seines Vaters unterthan, erlangte er keine Selbständigkeit des Charakters und spielte auch gegen seine Gemahlin stets eine untergeordnete Rolle. Nachdem er in Folge der Ereignisse im J. 1814 nach Frankreich zurückgekehrt war, stellte er sich nebst seinem Vater, von seiner Gemahlin dazu veranlaßt, an die Spitze der alten Royalisten, welche den zeitgemäßen Plänen Ludwig XVIII. in Allem entgegenarbeiteten. Bei der Rückkehr Napoleon's, 1815, suchte er von Marseille aus mit den dortigen Linientruppen und mehren Tausenden Nationalgarde an der Rhone vorzudringen; doch der Abfall der Linientruppen nöthigte ihn zu capituliren und am 18. Apr. sich zu Cette auf ein engl. Kriegsschiff nach Spanien einzuschiffen. Auch nach der zweiten Restauration verfolgte er den frühern Weg, hemmte vielfach die Regierung Ludwig XVIII., suchte auch die Armee für sich zu gewinnen, wozu es ihm aber an Geschick fehlte und erwarb sich im span. Feldzuge von 1823, dessen Leitung ihm dem Namen nach übertragen war, kein anderes Verdienst, als daß er sich von den Generalen aus Napoleon's Schule leiten ließ. Unter der Regierung seines Vaters hatte er wenig Einfluß; doch wußte er von den Juliusordonnanzen. Bei dem durch sie herbeigeführten Falle seines Hauses zeigte er sich gleichgültig; zu Gunsten seines Neffen, des Herzogs von Bordeaux, unterzeichnete auch er am 2. Aug. für seine Person die Abdankungsurkunde seines Vaters, folgte, als am 7. Aug. die ältere bourbonische Linie des Thrones für immer verlustig erklärt worden war, seinem Vater nach dem Schlosse Holyrood bei Edinburg und 1832 nach Prag. – Seine Gemahlin, Marie Therese Charlotte, die Tochter Ludwig XVI. und der Marie Antoinette, geb. 19. Dec. 1778, ward während der Revolution nebst ihren Ältern am 10. Aug. 1792 eingekerkert und hat länger als die übrigen Glieder ihrer Familie im Gefängnisse schmachten müssen, bis sie endlich am 20. Dec. 1795 gegen einige von Östreich gefangen gehaltene Conventsdeputirte ausgewechselt wurde. Im J. 1799 zu Mitau mit dem Herzoge von Angoulême vermählt, lebte sie bis 1814 mit ihrem Gatten in der Zurückgezogenheit; erst als sie am 4. Mai in Paris wieder eingezogen war, fing sie an, einen unheilvollen Einfluß auf ihren Gemahl und durch ihn auf die Regierung zu äußern. Sie hatte am meisten während der Revolution gelitten; ihr war daher auch die Revolution und Alles, was aus ihr hervorgegangen, am meisten verhaßt. Sie war gleichsam ein Bild der furchtbaren Vergangenheit, das mahnend vor Ludwig XVIII. trat, wenn er einen, die Parteien möglichst versöhnenden Weg zu gehen entschlossen war. Bei der Rückkehr Napoleon's eilte sie nach dem royalistisch gesinnten Bordeaux; doch wagte sie nicht, sich gegen den von Napoleon dorthin gesandten General Clausel zu behaupten und schiffte sich nach Spanien ein. Nach ihrer Rückkehr im J. 1815 zeigte sie sich gegen alle Liberale und die Anhänger Napoleon's noch bitterer gestimmt; vergebens flehten sie die Gemahlinnen Ney's, Labedoyère's und Lavalette's an, bei dem Könige um Gnade für ihre Gatten zu bitten. Später jedoch änderte sie ihre Gesinnung; nahm wenig Antheil mehr an den öffentlichen Geschäften und bildete sich ihren Hofstaat aus frommen Damen, mit welchen sie sich den Erinnerungen an den Tod ihrer Ältern und an ihre Leiden widmete. Von den Juliusordonnanzen hatte sie keine Kunde; da Polignac ihren klaren und kräftigen Sinn scheute, war sie zu einer Reise veranlaßt worden und erfuhr unterwegs, was geschehen war. Die abermalige Verbannung ihrer Familie ertrug sie mit Standhaftigkeit und folgte ihrem Gemahle erst nach Holyrood und dann nach Prag. Die Geschichte ihrer mannichfachen Leiden während der ersten Revolution hat sie selbst in einer Schrift geschildert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 83.
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