[562] Soda (hierzu Tafel »Sodabereitung« mit Text). mehr oder weniger reines, im großen dargestelltes Kohlensaures Natron (s. d.). Das Salz war als Nitrum den Alten bekannt. Ägypten lieferte natürlich vorkommende S. (Trona) und auch Pottasche aus Pflanzenasche und versah damit das römische Reich. Seit dem 15. Jahrh. bezeichnete man das natürlich vorkommende oder aus Pflanzenasche dargestellte kohlensaure Alkali als kohlensaures Natron, unterschied es aber nicht vom kohlensauren Kali; bei Geber findet sich der Ausdruck S. für fixes Alkali. Stahl (1702) und bestimmter Duhamel (1736) unterschieden das Kali vom Natron, und letzterer zeigte die Identität der Base des Kochsalzes mit derjenigen des »mineralischen Alkalis«, wie man das kohlensaure Natron im Gegensatz zu dem aus Pflanzenasche gewonnenen kohlensauren Kali dem vegetabilischen Alkali nannte. Seitdem bemühte man sich, aus dem Kochsalz S. darzustellen; doch blieb zunächst das kohlensaure Kali ungleich wichtiger, obwohl bereits die Araber natürliche S. nach Europa gebracht hatten und aus natronhaltigen Pflanzen durch Veraschung gewonnene S. (die Barilla-, Alicantesoda, Rocchetta, Salikor, Blanquette, s. Kohlensaures Natron) in viel größerer Menge in den Handel kam. Diese S., die höchstens 30 Proz. kohlensaures Natron enthielt, war trotzdem teurer als Pottasche. Die Entwickelung der Baumwollindustrie verteuerte aber die Pottasche um so mehr, als ihre Produktion eher ab- als zunahm und man auf Zufuhren aus dem waldreichen Rußland, Illyrien und Kanada angewiesen war. Als dann während der französischen Revolution die Pottasche für die Darstellung von Salpeter zum Zweck der Pulverfabrikation verbraucht wurde und bei der völligen Abgeschlossenheit Frankreichs die große Seifenindustrie not litt, setzte die französische Akademie der Wissenschaften 1775 einen Preis aus für das beste Verfahren der Sodafabrikation. Nach Malherbes Vorschlägen von 1778 hatte Alban bei Paris S. durch Erhitzen von Glaubersalz mit Eisen und Holzkohle dargestellt, doch ging seine Fabrik noch vor der Revolution wieder ein. 1787 behandelte Leblanc Kochsalz (Chlornatrium) mit Schwefelsäure und erhitzte das gewonneune Natriumsulfat mit kohlensaurem Kalk und Kreide. In Verbindung mit andern und mit dem Gelde des Herzogs von Orléans gründete er eine Fabrik bei St.-Denis, die indes den Stürmen der Revolution erlag. Die Fabrik wurde 1793 geschlossen und Leblanc gezwungen, sein Verfahren der Allgemeinheit preiszugeben. 1806 wurden in Frankreich bereits Spiegel mit Leblanc-Soda dargestellt, und 1814 führte Losh das Verfahren in England ein. Die großartige Entwickelung der Sodaindustrie datiert aber erst von 1823, in welchem Jahr in England[562] das Salzmonopol aufgehoben und von Muspratt eine Sodafabrik in Liverpool gegründet wurde. Die neue Industrie konzentrierte sich hauptsächlich auf das südliche Lancashire und die Ufer des Tyne, und fortan lieferte England weitaus die meiste S. für den Handel. In Deutschland wurde das Leblancsche System zuerst 1828 in Schönebeck eingeführt, etwas später in Ringkuhl bei Kassel, und in Österreich begann die Sodafabrikation erst 1851 in Hruschau; 1856 wurde die jetzt größte Fabrik des Landes in Aussig gegründet. Anfangs verursachte der bei der Umwandlung des Chlornatriums in Natriumsulfat auftretende Chlorwasserstoff (Salzsäuregas) große Übelstände, und 1863 erschien in England die Alcali Act, nach der nicht mehr als 5 Proz. der entwickelten Säure unverdichtet entweichen dürfen. Die weitere Entwickelung, die der Leblanc-Prozeß gefunden hat, beruht wesentlich auf der Verbesserung der Apparate und der Verwendung von mechanischen Hilfsmitteln statt der persönlichen Arbeit. Wesentliche Verbesserungen waren die Einführung der Kokstürme durch Gossage und der eisernen Zersetzungsschalen für die Sulfatöfen durch Gamble und Lee, die rationelle Auslaugung, die Darstellung der kaustischen S. wesentlich durch Gossage, die Erfindung der rotierenden Öfen durch Stevenson und Williamson und die der Schwefelregeneration durch Schaffner und Mond, die seit 1863 in regelmäßigen Betrieb kam, dann aber durch andre Verfahren (Chance) überholt wurde. 1838 wurde der Ammoniaksodaprozeß von Dyar und Hemming entdeckt, doch erhielt er erst seit 1861 durch Solvay praktischen Wert und machte sich seit 1876 in hervorragender Weise geltend. 1868 wurden 374,000 Ton. S. nach dem Leblanc-Prozeß dargestellt und nur 300 T. nach dem Ammoniakverfahren. 1902 entfielen von den 1,760,000 T. der gesamten erzeugten S. nur noch 150,000 T. auf das Leblancsche Verfahren. Von der in Deutschland produzierten S. sind gegenwärtig 85 Proz. Ammoniaksoda. 1884 erfand Höpfner die elektrolytische Darstellung von S. aus Halogensalzen, und 1890 begann man in Griesheim nach dieser Methode zu arbeiten. Über die Darstellung der S. s. beifolgende Tafel.
Man benutzt S. hauptsächlich zur Darstellung von Glas und Seife, in der Papierfabrikation, Bleicherei, Färberei und Zeugdruckerei, in der Fabrikwäsche der Wolle, zur Darstellung der meisten Natronsalze, überhaupt in unzähligen Fällen bei der Darstellung chemischer Präparate, namentlich auch der Farbstoffe, wie des Ultramarins etc. Sie dient ferner als Mittel gegen den Kesselstein, in der Metallurgie besonders des Stahles etc. Überhaupt benutzt man S. überall, wo früher Pottasche angewandt wurde, bis auf wenige Fälle, in denen die Eigenschaften des Kalis maßgebend und, wie bei der Darstellung von Alaun, Kalisalpeter, Blutlaugensalz, Kristallglas, Schmierseife etc. Sehr viel Kristallsoda dient als Reinigungsmittel in der Hauswirtschaft. Auch arzneilich wird S. benutzt.
Untersuchung. Die kalzinierte S. des Leblanc-Prozesses enthält stets Ätznatron, schwefelsaures Natron, Chlornatrium, Spuren von Kieselsäure, Tonerde, Eisen, meist auch von Schwefelnatrium und schwefligsaurem Natron, dann in Wasser unlösliche Substanzen, wie kohlensauren Kalk, Sand etc. Ammoniaksoda ist stets frei von Ätznatron, sie enthält eher kleine Mengen von Bikarbonat, Spuren von unlöslichen Substanzen und Eisen, als wesentlichste Verunreinigung Kochsalz. Selbst ordinäre S. sollte nicht über 1,5 Proz. Unlösliches enthalten, hochgradige S. viel weniger. An Ätznatronen ihält gute kalzinierte S. höchstens 1 Proz. Kristallsoda gibt durch ihr Äußeres hinreichende Garantie ihrer Reinheit.
Die deutschen Handelsgrade zur Bezeichnung der Qualität der S. geben die Prozente von kohlensaurem Natron (Na2CO3) an, manche englische Fabriken die wirklichen Prozente von Natriumoxyd (Na2O, Gay-Lussac-Grade), die Fabriken des Newcastledistrikts und die United Alcali Company rechnen das Äquivalent des Natrons zu 31, nicht 32. Die französischen Grade bedeuten die Menge von Schwefelsäure (H2SO4), die von 100 Teilen S. neutralisiert wird. Die Tabelle gibt eine Vergleichung aller dieser Handelsgrade.
Hygienisches. Bei der Darstellung des Sulfats aus Kochsalz und Schwefelsäure werden die Arbeiter und die Umgebung durch saure Dämpfe belästigt. Die betreffenden Gebäude müssen deshalb hoch und lustig sein, und über den Arbeitstüren müssen Gasfänge angebracht werden, welche die Gase in einen saugenden Schornstein führen. Zum Abkühlen des fertigen Sulfats ist ein mit dem Feuerkanal in Verbindung stehender Behälter erforderlich, und ebenso sollte zum Lagern desselben ein verschließbarer, durch einen hohen Schornstein ventilierbarer Raum benutzt werden. Die größten Schwierigkeiten bereitet die Kondensation der Salzsäure, deren Dämpfe die Umgebung in höchstem Grade belästigen und die Vegetation zerstören. Die englische Alcali Act fordert, daß 1 cbm der durch den Schornstein entweichenden Gase nicht mehr als 0,454 g Chlorwasserstoff enthalte; tatsächlich aber enthalten die Gase nur etwa die Hälfte dieser Säuremenge. In Deutschland existiert eine derartige Bestimmung nicht, die Fabriken sind hier kleiner und liegen im allgemeinen sehr zerstreut. Beim Pulverisieren des Kalkes, der Kohle und der kalzinierten S. sind die üblichen Schutzmaßregeln anzuwenden. Die Arbeit am Ofen geschieht meist in lustigen, zugigen Räumen und führt oft Rheumatismus und Erkältungen herbei. Die Sodarückstände wurden früher für die Umgebung sehr lästig, werden jetzt aber meist verarbeitet, um den in ihnen enthaltenen Schwefel zu gewinnen. Hierbei ist das Auftreten von Schwefelwasserstoff nicht immer zu vermeiden, und die Arbeiter leiden infolgedessen häufig an Augenentzündungen. Sie müssen in diesem Falle der fernern Einwirkung des Gases entzogen werden. Das Ammoniaksodaverfahren ist in hygienischer Hinsicht viel günstiger zu beurteilen als der Leblanc-Prozeß. Es kommen fast nur die Abwässer in Betracht, die Chlorcalcium enthalten. Bei deren Ableitung in die[563] Flüsse ist die Grenze zu beachten, die nicht überschritten werden darf, ohne die Fische, technische oder ökonomische Zwecke, zu denen das Flußwasser benutzt werden soll, zu beeinträchtigen.
Lange Zeit beherrschte England, begünstigt durch seine maritime Lage, billige Frachten und billige Kohlen, den Weltmarkt mit den Artikeln der Sodaindustrie. Hart bedrängt wurde diese Industrie erst durch die Erfolge des Ammoniaksodaverfahrens, das weit weniger an örtliche Grenzen in ökonomischer Beziehung gebunden ist. Das Leblanc-Verfahren hatte den großen Vorzug, durch die Mannigfaltigkeit der hergestellten Produkte (S., Salzsäure, Chlorkalk, Chlorate) eine größere Beweglichkeit in bezug auf die Preise der einzelnen Fabrikate zu besitzen, während das Solvay-Verfahren eben nur S. liefert. In neuester Zeit war die Salzsäure nahezu zum Hauptprodukt der Fabriken geworden, dann aber lernte man, Chlor zur Darstellung von Chlorkalk durch Elektrolyse von Chloriden herzustellen, und Salzsäure kann leicht aus dem Chlormagnesium der Kaliindustrie gewonnen werden. So erklärt sich, daß das Leblanc-Verfahren. abgesehen von England, bald nur noch historisches Interesse besitzen wird. Kleinere Mengen von S. werden als Nebenprodukt bei der Verarbeitung des Kryoliths gewonnen, und in Nordamerika hat man die Verarbeitung natürlicher Trona in großem Maßstab in Angriff genommen. In England wurden 1890 an 100 proz. S. hergestellt 585,000 Ton., davon 172,000 T. (29,4 Proz.) Ammoniaksoda. Deutschland produzierte: 1878: 42,500,1883: 115,000,1896: 250,000,1902: 340,000 Ton. Früher führte Deutschland S. aus England ein, 1875 noch 26,104 T., jetzt hat die Einfuhr fast vollständig aufgehört, und die Ausfuhr betrug:
Vgl. Wagner, Regesten der Sodafabrikation (Leipz. 1866); Lunge, Handbuch der Sodaindustrie (Bd. 1 in 3. Aufl., Braunschw. 1903; Bd. 2 u. 3 in 2. Aufl. 1894 u. 1896) und Taschenbuch für die Soda-, Pottasche- und Ammoniakfabrikation (3. Aufl., Berl. 1900); Goldstein, Deutschlands Sodaindustrie in Vergangenheit und Gegenwart (Stuttg. 1896); Schreib, Die Fabrikation der S. nach dem Ammoniakverfahren (Berl. 1904).
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