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Comenĭus

[240] Comenĭus (tschech. Komenský), Johann Amos, Theolog und Begründer der neuern Pädagogik, geb. 28. März 1592 in Ungarisch-Brod (Mähren) oder dem benachbarten Dorfe Nivnitz, gest. 15. Nov. 1670 in Amsterdam, entstammte der Gemeinde der Böhmisch-Mährischen Brüder. Früh verwaist, kam er erst 1608 auf die lateinische Schule der Brüdergemeinde zu Prerau. Nachdem er 1611 die berühmte, später (1654) zur Universität erhobene hohe Schule zu Herborn bezogen, wo J. H. Alsted mit seiner enzyklopädischen Richtung und seinem Chiliasmus tiefen Eindruck auf ihn machte, schloß er seine Studien 1613 mit einer Reise nach Holland und einjährigem Aufenthalt in Heidelberg. Heimgekehrt, ward er Rektor der Brüderschule in Prerau, wo er, durch Ratichius angeregt, eine (verlorne) lateinische Grammatik herausgab. 1616 zum Priester geweiht und seit 1618 als Geistlicher in Fulnek tätig, verfaßte C. mehrere erbauliche Schriften und erwarb sich dadurch wie durch sein praktisches Wirken bedeutenden Ruf in seinem Lebenskreise. 1621 verlor er infolge der Schlacht am Weißen Berge sein Amt und durch Plünderung seine Habe, 1624 durch die Vertreibung aller evangelischen Prediger aus Böhmen und Mähren sein Asyl in Brandeis an der Adler (Böhmen). Zwei edle Männer, Karl von Zerotin und Georg Sadowski von Sloupna, gewährten ihm indes noch jahrelang Aufnahme und Muße zu schriftstellerischer Tätigkeit (neben mystisch-theologischen Trost- und Mahnschriften auch eine treffliche Karte von Mähren), bis er 1628 sein Vaterland verlassen mußte und zu Lissa in Polen mit vielen andern Brüdern eine Stätte fand für neue, bald weltberühmte Wirksamkeit als Leiter des dortigen Gymnasiums. Seinen pädagogischen Ruf begründeten namentlich die beiden Schriften: »Janua linguarum reserata« (1631) und »Didactica magna, seu omnes omnia docendi artificium« (»Große Unterrichtslehre«, böhmisch vollendet 1632, vollständig lateinisch erschienen Amsterd. 1657; neuer Abdruck, besorgt von Hultgren, Leipz. 1893). Daneben war er seit 1632 Senior der Böhmisch-Mährischen Brüdergemeinden. Den Plan einer tiefgreifenden Unterrichtsreform erweiterte C. alsbald zu der Idee eines allgemeinen Heilmittels für die an blinder Streitwut krankende Zeit in einer friedlichen christlich-humanen Gesamtwissenschaft (pansophia). Durch Vermittelung des in London lebenden Elbingers Samuel Hartlib erschien 1639 sein »Pansophiae prodromus« in Oxford, und 1641folgte C. einer damit in Verbindung stehenden Einladung nach England, wo sich das Parlament mit seinen pädagogischen Reformvorschlägen beschäftigt hatte. Schon vorher hatte er einen Ruf zur Schulreform in Schweden abgelehnt. Als das englische Projekt durch die Revolutionswirren vereitelt wurde, fand er in dem reichen niederländisch-schwedischen Edelmann Ludwig de Geer einen für seine Pläne begeisterten, freigebigen Gönner. Die Reise nach Norrköping zu dem »Patron« brachte C. in persönlichen Verkehr mit dem Kanzler Oxenstierna und mit dem Erzieher Gustav Adolfs, damaligen Kanzler der Universität Upsala, Johannes Skyte, die ihn mit Abfassung einiger Schulbücher beauftragten und ihm in Übereinstimmung mit Geer Elbing in Preußen (damals schwedisch) als Wohnort anwiesen. Vom Herbst 1642 bis zu Anfang des Jahres 1648 lebte C. daher in Elbing, fieberhaft tätig bald für seine didaktischen, bald für seine pansophischen und irenischen Pläne, bald für das Wohl der Brüder, deren Preisgebung im Westfälischen Frieden im Verein mit häuslichem Leid und persönlichen Mißverständnissen ihn niederbeugte. 1648 wurde er Bischof der Böhmischen Brüder und nahm seinen Wohnsitz wieder in Lissa, wo er die »Methodus linguarum novissima« nebst einigen andern sprachlichen Arbeiten erscheinen ließ. Der Fürst Rákóczy rief ihn 1650 nach Sáros-Patak in Oberungarn, wo er nach seinen Grundsätzen eine höhere Schule einrichten durfte. Aber der Tod des Fürsten nebst andern Hemmnissen störte den Erfolg. Enttäuscht kehrte C. 1652 nach Lissa zurück. Als Frucht dieser Episode erschien zu Nürnberg der »Orbis sensualium pictus, hoc est omnium fundamentalium in mundo rerum et in vita actionum pictura et nomenclatura« (1658, oft aufgelegt und nachgeahmt; zuletzt neu bearbeitet von A. Müller, Nürnb. 1835). Im April 1656 verwüstete ein polnisches Heer die von Schweden besetzte Stadt Lissa, worauf C., mit Verlust von Hab und Gut, darunter dem größten Teil seiner Handschriften, über Hamburg, wo er 2 Monate krank lag, nach Amsterdam zog; dort gewährte ihm Lorenz de Geer, Ludwigs Sohn, mit andern reichen Verehrern ruhigen Aufenthalt und die Möglichkeit, eine Gesamtausgabe seiner pädagogischen Werke (1657) zu veranstalten. C. wirkte, von jüngern Gehilfen umgeben, auch hier noch vielseitig und unermüdlich für die Ideale seines Lebens: Reform der Erziehung und der wissenschaftlichen Weltansicht; friedliche Verständigung der streitenden Kirchen und Ausbreitung des Christentums unter Juden, Mohammedanern, Heiden; Unterstützung u. Zusammenhaltung der versprengten Brüdergemeinde. Viel Verdruß bereitete ihm sein überzeugtes Eintreten für die seltsamen Weissagungen der Christina Poniatowia, des Christoph Kotter zu Sprottau und seines einstigen Mitschülers Nikolaus Drabik; doch nichts vermochte ihn in seinem Glauben daran zu erschüttern. Unter seinen spätern Schriften sind die wichtigsten: »Panegersia« (»Allgemeiner Weckruf«) oder »De rerum humanarum emendatione« (Amsterdam 1662; wieder herausgegeben von Buddeus, Halle 1702) und »Unum necessarium« (das. 1668). Von seinen Schriften zählt Kvacsala 142 auf. Die bleibende Bedeutung des C. für das Unterrichts- u. Erziehungswesen beruht darin, daß er einerseits, ohne die Forderungen des kirchlichen, staatlichen und geselligen Lebens zu verkennen, vor allem auf naturgemäße Erziehung der gesamten Jugend drang, die nach seiner Auffassung mit wahrhaft christlicher Erziehung zusammenfiel, und anderseits, gestützt auf Barons Vorgang, die Anschauung der wirklichen Welt, nicht die Belehrung aus den Schriften alter oder neuer Gelehrten als Ausgangspunkt für allen Unterricht annahm. Auch in der genauern Ausführung seiner Grundgedanken finden sich neben manchem Seltsamen und Überspannten viele geistvolle Gedanken von bleibendem Wert. Allen Unterricht verteilte er auf die vier Stufen der Mutter-, Muttersprach-, Lateinschule und Akademie, deren jeder er regelmäßig 6 Jahre zuteilte. Nicht mindern Einfluß übte C. auf die gesamte moderne Bildung durch seinen edeln, weitherzigen Humanitätsbegriff aus, wie ihn besonders die[240] »Panegersia« kurz darlegt, die nächst HerderBriefe zur Beförderung der Humanität«) der Philosoph Krause (1811) und dessen Schüler Leonhardi (1869) wieder hervorzogen. C. ward wenige Tage nach seinem Tod in Naarden beigesetzt (22. Nov. 1670); in Brandeis (1865), Prerau (1874), Fulnek, Lissa (1900) wurden ihm Standbilder errichtet. Eine Sammlung von C.' »Pädagogischen Schriften« gab deutsch Lion heraus (4. Aufl., Langens. 1898); ebenso Beeger und Zoubek (»I. A. C. nach seinem Leben und seinen Schriften«, Leipz. 1883), Pappenheim (3. Aufl., Langens. 1902) und Lindner (Wien 1897). Vgl. außerdem Leutbecher, C.' Lehrkunst (Leipz. 1853); Gindely, Über C.' Leben und Wirksamkeit (2. Aufl., Znaim 1893); Pappenheim, C., der Begründer der neuern Pädagogik (Berl. 1871); Seyffarth, C. nach seinem Leben und seiner pädagogischen Bedeutung (2. Aufl., Leipz. 1872); v. Criegern, I. A. C. als Theolog (das. 1881); Kvacsala, J. A. Comenius (das. 1892); Vrbka, Leben und Schicksale des I. A. C. (Znaim 1892, zweites Heft der »Comenius-Studien«); Kayser, I. A. C., sein Leben und seine Werke (3. Aufl., Hannov. 1892); Brügel, I. A. C. (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, 3. Bd., 2. Abt., Stuttg. 1892); Monroe, C. and the beginnings of educational reform (Lond. 1900); »Korrespondenz von J. A. C.« (hrsg. von Patera, Prag 1892). – Der 200jährige Todestag C.' führte zur Gründung der Comeniusstiftung (s.d.), der in der ganzen gebildeten Welt festlich begangene 300jährige Geburtstag zur Stiftung der Comeniusgesellschaft (s.d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 240-241.
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