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Anilīn

[532] Anilīn (Amidobenzol, Phenylamin, Aminophen) C6H7N oder C6H5.NH2 findet sich im Teer der Steinkohlen (0,3–0,5 Proz.), des Torfes und der Knochen, entsteht bei Destillation des Indigos mit Ätzkali oder der Amidobenzoesäure mit Kalk, beim Erhitzen von Phenol mit Ammoniak und Salzsäure 310°, bei der Reduktion von Nitrobenzol C6H5.NO2 etc. Zur Darstellung benutzt man technisches Benzol aus Steinkohlenteer, das aus Benzol C6H6 und zwei isomeren Toluolen C7H8 besteht. Es liefert bei Behandlung mit Salpetersäure eine Mischung von Nitrobenzol und Nitrotoluolen, aus der ein Anilinöl gewonnen wird, das aus A. und Toluidinen besteht und zur Darstellung roter Farbstoffe dient (Rotöl). Trennt man Toluol und Benzol durch Rektifikation voneinander, so liefert das reine Benzol reines A. (Blauöl). Nitrobenzol wird in einem eisernen, mit Rührwerk versehenen Zylinder durch Eisen und wenig Salzsäure zu A. reduziert, und wenn man nach Beendigung des Prozesses gelöschten Kalk zusetzt und gespannten Wasserdampf in den Zylinder leitet, so destilliert das A. über, das zur Reinigung rektifiziert wird. Der Rückstand von der Destillation, aus Eisen, Oxyden und Chloriden des Eisens und teerigen Substanzen bestehend, wird auf Eisen verhüttet oder auf Eisenvitriol und mit Magnesiazement auf künstliche Steine verarbeitet.

A. ist ein farbloses Öl vom spez. Gew. 1,036 bei 0°, riecht schwach aromatisch, honigähnlich. schmeckt brennend, erstarrt in der Kälte und schmilzt dann bei -8°. Es löst sich in 31 Teilen Wasser bei 12,5°, sehr leicht in einer Lösung von salzsaurem A., auch in Alkohol, Äther, Kohlenwasserstoffen; es löst Indigo, Kampfer, Schwefel, Phosphor, verflüchtigt sich bei gewöhnlicher Temperatur, ist ziemlich leicht flüchtig mit Wasserdämpfen, siedet bei 184° und brennt mit leuchtender, rußender Flamme. Es reagiert sehr schwach alkalisch. Mit Säuren bildet A. farb- und geruchlose Salze, die in Wasser und Alkohol löslich sind, sauer reagieren, Metalle stark angreifen und Fichtenholz gelb färben, so daß man sie zur Nachweisung von Holzstoff in Papier benutzen kann. Es fällt Zink-, Aluminium-, Eisenoxydsalze und verdrängt beim Erhitzen Ammoniak aus seinen Salzen. Über die physiologischen Wirkungen des Anilins s. Anilismus. A. färbt sich an der Luft braun und verharzt, mit Chlorkalk entsteht eine violette Färbung (sehr empfindliche Reaktion). Mit Schwefelsäure und einigen Tropfen Kaliumchromatlösung versetzt, färbt es sich rot, dann blau, mit übermangansaurem Kali gibt es Azobenzol und Nitrobenzol, mit Chromsäure Chinon, mit chlorsaurem Kali bei Gegenwart von Kupfersalzen Anilinschwarz. Toluidinhaltiges A. gibt mit Chromsäure oder Chlorkalk Mauveïn, mit Arsensäure Rosanilin (Fuchsin). Salpetrige Säure bildet mit A. in kalter alkoholischer Lösung Diazoamidobenzol, in warmer Lösung Amidoazobenzol. Chlormethyl gibt mit A., ebenso wie salzsaures A. mit Methylalkohol, Methylanilin C6H5.NH.CH3 und Dimethylanilin C6H5.N(CH3)2. Bei höherer Temperatur tritt die Methylgruppe in den Benzolkern, und es entstehen die Amidoverbindungen von den Homologen des Benzols (Toluidin etc.). In salzsaurer Lösung und bei Gegenwart von Chloraluminium gibt A. mit Aldehyd Methylchinolin (Chinaldin), mit Nitrobenzol, Glyzerin und Schwefelsäure bildet es Chinolin. Beim Erhitzen von Anilinchlorzink mit Phenol entsteht Diphenylamin C6H5.NH.C6H5, dasselbe entsteht auch neben Ammoniak beim Erhitzen von salzsaurem A. mit A. Mit Acetylchlorid oder Essigsäureanhydrid gibt A. Acetanilid C6H5.NH.C2H3O. Die Anilide sind beständig, kristallisierbar und unzersetzt flüchtig; mit Alkalien oder Salzsäure werden sie wieder in A. und die betreffende Säure gespalten. A. dient hauptsächlich zur Darstellung von Farbstoffen, die nach den oben angedeuteten und andern Reaktionen erhalten und in der Färberei und zu zahlreichen andern Zwecken benutzt werden. Die Anilinfarbstoffe sind größtenteils Abkömmlinge des Triphenylmethans, und diese werden daher besser Triphenylmethanfarbstoffe (Rosanilinfarbstoffe) genannt; andre gehören ganz verschiedenen Gruppen an. Anilinfarben sind an sich nicht giftig, doch enthält nicht kristallisierte Ware bisweilen giftige, zu ihrer Bereitung benutzte Stoffe, die indes auch nur unter besondern Verhältnissen schädlich werden können (vgl. Teerfarben). Aus A. stellt man auch arzneilich wichtige Verbindungen, wie Antifebrin, Antipyrin etc., dar.

Im J. 1826 erhielt Unverdorben aus Indigo das Kristall in, das einige gut kristallisierende Salze (daher der Name) bildet; Runge beschrieb 1834 ein Kyanol aus Steinkohlenteer, das mit Chlorkalk sich blau färbt; Fritzsche erhielt 1840 A. durch Destillation von Indigo mit Kalihydrat und benannte es nach dem portugiesischen Namen des Indigo (Anil); Zinin gewann 1841 Benzidam aus Nitrobenzol, und Hofmann wies 1843 die Identität dieser vier Körper nach. Coupier stellte A. aus Benzol im großen dar, und seit 1870 verbreitete sich diese Methode. Die Bildung farbiger Produkte beobachtete zuerst Runge, und Perkins brachte 1856 die erste Anilinfarbe (Mauveïn) in den Handel. 1858 entdeckte Hofmann bei der Einwirkung von Chlorkohlenstoff auf A. das Anilinrot, und Girard und Delaire erhielten Fuchsin mittels Arsensäure. Hofmann erforschte die Natur der neuen Farbstoffe, erklärte die Bildung von Anilinblau aus Fuchsin und A. und entdeckte die mit Alkoholjodüren[532] darstellbaren Farbstoffe. Die Anilinfarbenindustrie gewann in kurzer Zeit eine außerordentliche Bedeutung. Man verbrauchte schon 1869 über 1,5 Mill. kg Anilinöl und davon 1 Mill. allein in Deutschland, den Rest in Frankreich, England und der Schweiz. 1898 führte Deutschland 729 Ton. Anilinöl und Anilinsalze ein und 12,360 T. im Wert von 13,596,000 Mk. aus. Vgl. Schultz, Chemie des Steinkohlenteers (3. Aufl., Braunschw. 1900–1901, 2 Bde.); Schultz und Julius, Tabellarische Übersicht der künstlichen organischen Farbstoffe (4. Aufl., das. 1902); Heumann, Die Anilinfarben und ihre Fabrikation (Bd. 1, Braunschw. 1888; Bd. 2 u. 3 von Friedländer, 1898 bis 1900). Nietzki, Chemie der organischen Farbstoffe (3. Aufl., Berl. 1897); Mühlhäuser, Technik der Rosanilinfarbstoffe (Stuttg. 1889); Weyl, Die Teerfarben mit besonderer Rücksicht auf Schädlichkeit und Gesetzgebung (Berl. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 532-533.
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