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Mendelssohn

[592] Mendelssohn, 1) Moses, Popularphilosoph, geb. 6. Sept. 1729 in Dessau von armen jüdischen Eltern, gest. 4. Jan. 1786 in Berlin, wurde schon zeitig außer vom Talmud und der Bibel durch das Hauptwerk des Maimonides: »More Nebochim«, angezogen. Nach Berlin ausgewandert und in großer Armut lebend, lernte er mühsam die deutsche Schriftsprache und Latein, letzteres, um Lockes Buch »De intellectu hominis« lesen zu können. Seine materielle Not hatte ein Ende, als ihn ein reicher jüdischer Seidenfabrikant in Berlin, Bernhard, 1750 zum Erzieher seiner Kinder, später zum Buchhalter und endlich testamentarisch zu seinem Geschäftsteilnehmer machte, was M. bis zu seinem Tode blieb. Nachhaltige Wirkung auf sein geistiges Leben übte besonders das Studium Lockes, Shaftesburys, Wolffs, die ihn anzogen, und Spinozas, der ihn abstieß. Infolge seiner 1754 mit Lessing geschlossenen Freundschaft wurde er in die Literatur eingeführt, indem Lessing ein ihm zur Durchsicht übergebenes Manuskript, die 1755 erschienenen »Philosophischen Gespräche«, in denen M. versuchte, Leibniz' optimistische Weltanschauung gegen Voltaire zu verteidigen, heimlich zum Druck beförderte. Mit Lessing gemeinschaftlich verfaßte er die Schrift »Pope, ein Metaphysiker!« (Danz. 1755), in der er sich gegen eine von der Berliner Akademie gestellte Preisaufgabe wandte. Es folgten 1755 seine Briefe »Über die Empfindungen«, in denen gegen die einseitige Auffassung der sinnlichen Anschauungen und Empfindungen, als nur den untern Seelenkräften angehörig, polemisiert wird, ferner für Nicolais »Bibliothek der schönen Wissenschaften« und die »Allgemeine deutsche Bibliothek« die »Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und Wissenschaften« (1757), »Betrachtungen über das Erhabene u. Naive«[592] (1758) und die »Rhapsodie über die Empfindungen«. Diese Schriften enthalten seine ästhetischen Ansichten. Als Religionsphilosoph trat er auf in der von der Berliner Akademie 1763 gekrönten »Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften«, im »Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drei Gesprächen« (Berl. 1767; neu hrsg. von Bodek, Leipz. 1869) und in den »Morgenstunden« (Berl. 1785), deren zweite (die berühmteste und gelesenste seiner Schriften) die Unsterblichkeit und deren dritte im Anschluß an Wolffs Metaphysik das persönliche Dasein Gottes zu beweisen sucht. Durch die Vereinigung warmer Überzeugung mit klarem Gedankengang und einer leichtverständlichen Sprache hat M. für die Verbreitung des Deismus bedeutend gewirkt. Neben verschiedenen Übersetzungsarbeiten, durch die (z. B. die Übersetzung des Pentateuchs und der Psalmen ins Deutsche) er den Juden die deutsche Sprache und damit auch die deutsche Bildung nahebrachte, ist ferner der Abfassung der Schrift »Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judentum« (1783) zu gedenken, in der M. freieste Welt- und Religionsbetrachtung zeigt. Persönlich hielt er für sich und die Seinen am konfessionellen Judentum fest und wies den taktlosen Bekehrungsversuch Lavaters in entschiedener Weise zurück. Der in der jüdischen Religion ausgeprägte Monotheismus war ihm Herzenssache und sein Widerwille gegen Pantheismus und (wahren oder vermeintlichen) Atheismus so stark, daß er ihm das Leben kostete. Als die an ihn gerichtete Schrift F. H. Jacobis: »Über die Lehre des Spinoza« Lessing des Spinozismus beschuldigte, wurde er durch sie so tief erregt, daß er eine Schrift abfaßte, um die nach seiner Meinung verletzte Ehre des Freundes zu retten: »Moses M. an die Freunde Lessings«. Die Aufregung zog ihm den Tod zu; den Druck dieser Schrift erlebte er nicht mehr. Als Mensch und Schriftsteller achtungswert, ist M. als Philosoph von seinen Zeit- und Glaubensgenossen weit überschätzt worden. Eine vollständige Sammlung seiner Schriften (Leipz. 1843–45, 7 Bde., mit einer Biographie Mendelssohns von dessen Sohn Joseph und einer Einleitung in die philosophischen Schriften von Brandis) besorgte sein Enkel Georg Ben j. M. (s. unten); seine »Schriften zur Philosophie, Ästhetik und Apologetik« gab Brasch heraus (das. 1880, 2 Bde.), der auch »Lichtstrahlen« aus Mendelssohns Schriften (das. 1875) veröffentlicht hat. Vgl. Kayserling, M. Mendelsohns Leben und Wirken (2. Aufl., Leipz. 1887) und Moses M., Ungedrucktes und Unbekanntes von ihm und über ihn (das. 1882); Freudenthal, Aus der Heimat Mendelssohns (Berl. 1900); Goldhammer, Die Psychologie Mendelssohns (Wien 1886); Ritter, M. und Lessing (2. Aufl., Berl. 1886); Sander, Die Religionsphilosophie M. Mendelssohns (Erlang. 1894); L. Goldstein, Moses M. und die deutsche Ästhetik (Königsb. i. Pr. 1904).

Mendelssohns ältester Sohn, Joseph, geb. 11. Aug. 1770, gest. 24. Nov. 1848, trat durch die beiden Schriften: »Bericht über Rosettis Ideen zu einer neuen Erläuterung des Dante« (Berl. 1846) und »Über Zettelbanken« (das. 1846) literarisch auf und gründete mit seinem Bruder Abraham (geb. 10. Dez. 1776, gest. 19. Nov. 1835), dem Vater von Felix M.-Bartholdy, das noch gegenwärtig von den Enkeln der Begründer geleitete Berliner Bankierhaus »Mendelssohn u. Komp.« Der dritte und jüngste Sohn Mendelssohns, Karl Theodor Nathan, geb. 8. Dez. 1782, gest. 8. Jan. 1852, bildete sich in England und Frankreich zu einem vorzüglichen Mechaniker und war seit 1835 Revisor der Hauptstempel- und Formularverwaltung in Berlin. Von den Töchtern war die älteste, die geistreiche Dorothea, zuerst an den Kaufmann Veit, dem sie zwei Söhne, die Maler Johann und Philipp Veit (s. d.), gebar, dann an Friedrich Schlegel (s. d.) verheiratet, mit dem sie zum Katholizismus übertrat; eine jüngere, Henriette, blieb unvermählt und ward die Erzieherin der Tochter des Generals Sébastiani, der nachmaligen Herzogin von Praslin. Der Herausgeber von Moses Mendelssohns Schriften, Georg Benjamin M., Sohn von Joseph M., geb. 16. Nov. 1794, Professor an der Universität Bonn, gest. 24. Aug. 1874 in Horchheim bei Koblenz, schrieb außerdem: »Das germanische Europa« (Berl. 1836) und »Die ständische Institution im monarchischen Staat« (Bonn 1846). Vgl. S. Hensel, Die Familie M. 1729–1847 (12. Aufl., Berl. 1904, 2 Bde.).

2) Arnold, Musiker, Sohn eines Neffen von Felix Mendelssohn-Bartholdy, geb. 26. Dez. 1855 in Ratibor, studierte anfänglich in Tübingen die Rechte, dann aber in Berlin, besonders unter Haupt, Grell und Kiel Musik, wurde 1880 Universitätsorganist in Bonn, 1883 Musikdirektor in Bielefeld, 1885 Lehrer am Konservatorium in Köln, 1890 Gymnasialmusiklehrer und Kirchenmusikmeister in Darmstadt, wo er 1899 den Professortitel erhielt. Als Komponist in einem einfachen, ansprechenden Stile zeigte er sich in Liedern, mehreren Chorwerken (»Abendkantate«, »Frühlingsfeier«, »Der Hagestolz«) und den Opern: »Elsi, die seltsame Magd« (Köln 1896) und »Der Bärenhäuter« (Berlin 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 592-593.
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