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Richelieu [2]

[706] Richelieu (Louis Franç. Armand du Plessis, Herzog von), Marschall und Pair von Frankreich, geb. in Paris 1696, war in Folge viel zu früher Geburt außerordentlich schwächlich, wuchs aber doch zu einem durch Leibesgestalt und Geist ausgezeichneten Manne heran und erreichte trotz einer frühbegonnenen und fortgesetzten ausschweifenden Lebensart ein Alter von beinahe 93 Jahren. Das Muster eines franz. Höflings aus der frivolen Zeit der Regentschaft des Herzogs von Orleans nach Ludwig XIV. Tode und der Regierung Ludwig XV., hatte er durch seine bis an sein Ende fortgesetzten Liebesabenteuer, Duelle, Hofintriguen, Spottreden u. dergl. m. eine große Berühmtheit bei seinen Zeitgenossen erlangt, und schon im 15. Jahre ward er seiner Thorheiten wegen in die Bastille gesetzt, was ihm noch mehrmals widerfuhr. Ungeachtet seiner anerkannten Treulosigkeit besaß er doch die Gunst der franz. Damen in solchem Grade, daß sich einmal zwei Prinzessinnen, von Charolais und von Valois, mit Hintansetzung ihrer gegenseitigen Eifersucht, zu R.'s Befreiung aus der Bastille verbanden. Im J. 1712 ging er zu der franz. Armee in den Niederlanden, wurde Adjutant des Marschalls Villars und wohnte mehren Treffen und Belagerungen bei. Zum Mitgliede der franz. Akademie ward R. im 24. Jahre ernannt, ohne jedoch die geringsten Ansprüche wegen seiner Bildung auf diese Auszeichnung zu besitzen, und ging 1725 als Gesandter nach Wien, wo er mit einem ins Lächerliche fallenden Pomp auftrat und z.B. zu seinem Einzuge seine und seines Gefolges Pferde mit Silber, jedoch so locker beschlagen ließ, daß der Beschlag während des Zugs in den Straßen verloren gehen mußte. Das Jahr 1733 gewährte seine Wünsche nach kriegerischer Wirksamkeit, indem er als Oberst eines Infanterieregiments an der Belagerung von Kehl, 1734 an der von Philippsburg Theil nahm und wiederholt Beweise seines verwegenen Muthes gab. Nach hergestelltem Frieden 1735 an den Hof zurückgekehrt, wußte er sich Ludwig XV. als Theilnehmer seiner Lüfte unentbehrlich zu machen und wählte dessen Maitressen, welche zugleich Stützen von R.'s Einflusse wurden. Im J. 1738 ward er Gouverneur von Languedoc, wohnte seit 1743 den Feldzügen in den Niederlanden bei und soll sich vorzüglich in der Schlacht bei Fontenay hervorgethan haben. Wegen der Vermählung des Dauphins mit der Prinzessin von Sachsen besuchte R. 1746 den dresdner Hof, befand sich dann wieder beim Heere in den Niederlanden und erhielt 1747 den Oberbefehl über die franz. Hülfstruppen in Genua. Hier wurden seine Verdienste um Regierung und Vertheidigung dieses Platzes übermäßig belohnt, indem der Senat eine Marmorbildsäule R.'s in seinem Saale aufstellen und ihm Geschenke und andere Ehren zu Theil werden ließ, wozu noch die Ernennung zum Marschall von Frankreich kam. Seine glänzendste That war 1756 die Erstürmung des von den Engländern besetzten Port Mahon, dessen Belagerung er ohne die dazu erfoderlichen Mittel begonnen hatte, worauf er den Oberbefehl über die franz. Truppen in Hanover erhielt und dort im Sept. die Convention von Kloster Seven mit den vom Herzog von Cumberland befehligten Hülfstruppen Friedrich II. abschloß, welche jedoch weit vortheilhafter für Frankreich schien, als sie später sich auswies. Auch ward dieselbe ein Hauptgrund von R.'s 1758 erfolgter Abberufung, über dessen Erpressungen sowie über die Ausschweifungen der unter ihm verwilderten Truppen sich ebenfalls die lautesten Klagen erhoben. Seine Habsucht hatte ihm bei den Soldaten den Spottnamen »Väterchen Marodeur« eingebracht und die Pariser nannten einen damals von ihm in Paris erbauten Palast den Pavillon von Hanover. Seitdem lebte R. theils in seinem Gouvernement zu Bordeaux, theils am Hofe, wo er stets ein verderbliches Beispiel der Sittenlosigkeit gab. Als ein Verdienst R.'s wird aufgezählt, daß er Ludwig XV. von einer ihm angerathenen Verfolgung der Protestanten abhielt. Unter Ludwig XVI. Regierung verlor er seinen Einfluß und nur sein Alter und vielleicht sein Witz schützten ihn vor gänzlicher Zurücksetzung. Im 84. Jahre vermählte er sich zum dritten Male und starb, seinem frivolen Charakter bis zum Tode treu, im Aug. 1788. – Sein Enkel, Armand du Plessis, Herzog von R., geb. 1766 zu Paris, verließ Frankreich 1789, wo er den Titel »Herzog von Chignon« führte, trat in russ. Dienste und wohnte 1790 einem Feldzug gegen die Türken unter Suwoross mit Auszeichnung bei. Später focht er mit den franz. Emigranten gegen Frankreich, ging 1800 wieder nach Rußland und ward 1803 Generalgouverneur von Odessa, um dessen Aufblühen er sich anerkannt große Verdienste erwarb. (S. Odessa.) Nach Herstellung der Bourbons auf dem franz. Throne begab sich R. nach Paris, wo er von Ludwig XVIII. zum Pair und ersten königl. Kammerherrn ernannt wurde, nach der zweiten Herstellung des Königs 1815 aber ward ihm die Stelle eines Ministerpräsidenten und die Führung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen. Unter den schwierigen Verhältnissen jener Zeit wußte R., dem jedoch seine Beziehungen zum Kaiser Alexander I. von Rußland sehr zu Gute kamen, Frankreich mit Würde nach außen zu vertreten, im Innern aber mit Besonnenheit zu verwalten. Auf dem Congresse zu Aachen ordnete er die rückständigen Zahlungen Frankreichs an die Verbündeten und den beschleunigten Rückzug ihrer Besatzungstruppen und unterzeichnete den Vertrag über die Aufnahme Frankreichs in den Bund der europ. Großmächte. Als er aber nach seiner Rückkehr mit Aufgebung der frühern Mäßigung in Bezug auf innere Verhältnisse, entschieden royalistische Maßregeln anordnen wollte, stieß er im Ministerium und bei den Deputirten auf solchen Widerstand, daß er zu Ende 1818 seine Entlassung nahm und den Herzog Decazes (s.d.) zum Nachfolger erhielt. Dessenungeachtet ward ihm von den franz. Kammern als Nationalbelohnung ein Majorat mit 50,000 Francs Einkünften aus den Krondomainen bewilligt, was R. zwar annahm, allein seinem uneigennützigen Charakter gemäß, den ganzen Betrag an milde Stiftungen zu Bordeaux überließ. Später ward er noch [706] vom Könige zum Oberjägermeister mit 20,000 Francs Gehalt ernannt und im Febr. 1890 übernahm er nach Decazes von Neuem die Stelle eines ersten Ministers, die er in absolutistischem Sinne bis in den Dec. 1821 verwaltete, wo er seine Entlassung abermals nahm und bald nachher im Mai 1829 zu Paris starb.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 706-707.
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