[231] Glocken sind die hohlen, in der Regel metallenen Gefäße, welche frei aufgehangen und angeschlagen einen klangreichen, weithinschallenden Ton geben.
Man hat sie von sehr verschiedener Größe, gibt jedoch den kleinern den Namen Schellen oder Klingeln. Das Anschlagen der Glocken geschieht entweder mittels eines Hammers von außen oder häufiger durch einen im Innern der Glocke beweglich herabhängenden, verhältnißmäßig schweren Klöppel. Entweder wird beim Lauten die ganze Glocke in Bewegung gesetzt, oder nur (namentlich bei großen Glocken) der Klöppel. Ihr vorzüglichster Gebrauch ist gegenwärtig der kirchliche, indem, wie bekannt, Anfang und Schluß des Gottesdienstes durch Geläute mit den auf den Kirchthürmen in hölzernen Gerüsten (Glockenstühlen) befindlichen Glocken angezeigt und auch andere religiöse Handlungen, z.B. Begräbnisse, von Glockengeläut begleitet werden. Aber auch zu weltlichen Zwecken werden die Kirchenglocken verwendet: man schlägt an sie, um die Stundeneintheilung des Tages zu bezeichnen, ruft durch schnelleres, ungewöhnliches Anschlagen das Volk zusammen, wenn eine Feuersbrunst ausgebrochen, und fodert im Sturmgeläut alle Umwohner zur Rettung in drohender Gefahr auf, oder wol auch, um im Aufstande die Waffen zu ergreifen; man begrüßt endlich mit Geläut hohe Personen bei deren feierlichem Einzug. Das schöne Lied Schiller's an die Glocke knüpft an die Beschreibung der Verfertigung der Glocke die gemüthvolle Betrachtung ihrer vielfachen Anwendung, welche stets Ausdruck des Wehs oder Wohls der Menschen ist. – Eine Zeit lang glaubte man durch Glockengeläut die Gewitter ableiten oder unschädlich machen zu können.
Die Glocken sind erst im 7. und 8. Jahrh. nach und nach bei den christlichen Kirchen in Gebrauch gekommen und andere Religionen, namentlich die mohammedanische, haben sie niemals angenommen. Die Mohammedaner bedienen sich noch jetzt, wie früher auch die Christen, um die Gläubigen zu religiösen Handlungen aufzufodern, des Anschlagens [231] an Breter oder des Ausrufs von Thürmen. Auf ähnliche Weise, sowie durch Trompetenschall, riefen auch die Juden ehemals zum Tempel. Die kleinern Glocken waren schon im Alterthume bekannt und dienten auch zu religiösen Gebräuchen. Zu Nola in Campanien sollen die Kirchenglocken zuerst vom Bischof Paulinus im 4. Jahrh. eingeführt worden sein, und daher führt die Glocke noch im Lateinischen die Namen campana und nola. Man führte bald Glocken zu verschiedenen Bestimmungen ein: Betglocken, Feierabendglocken, Sterbeglocken, Sturmglocken, Brandglocken, Schandglocken, Ehrenglocken u. dgl.
Reiche Kirchen suchten sich bald durch besonders kostbare Glocken auszuzeichnen, entweder indem sie solche ganz oder zum Theil aus edlem Metall, oder indem sie dieselben in besonderer Größe anfertigen ließen. In Deutschland ist die größte Glocke zu Wien auf der Stephanskirche, welche mit Klöppel und allem sonstigen Zubehör 514 Ctr. wiegt. Auch die Glocke im Dom zu Erfurt ist berühmt. Sie wiegt 276 Ctr., wurde 1497 gegossen und trat an die Stelle der bei einem Brande geschmolzenen noch weit schwerern Susanna. Durch große Glocken zeichnet sich vor allen übrigen Ländern Rußland aus. Im Kreml, dem alten Residenzschlosse der Zaren, befindet sich eine Riesenglocke, welche gegen 430,000 Pfd. wiegen soll und eine Höhe von mehr als 21 F. hat. Sie soll 1653 unter dem Zar Alexis gegossen worden sein, ist aber nie in Gebrauch gekommen, weil das über ihr errichtete Gebäude in Brand gerieth und dabei die Glocke einen bedeutenden Riß erhielt. Nach ihr ist die größte Glocke der hier abgebildete Bolshoi (d.h. die Große), welche auf dem größten Thurme Moskaus, dem Iwan Weliki, hängt, 1000 Ctr. wiegt und 1819 gegossen wurde.
Aus nachfolgender Zusammenstellung ersieht man die Größenverhältnisse einiger der größten Glocken. Die kleinste unter ihnen, der Thomas zu Oxford, wiegt 150 Ctr. Die große Glocke zu Pe-king ist von Eisen, 125,000 Pfd. schwer, 141/2 F. hoch und soll 1403 gegossen worden sein. Die Form derselben ist allen chines. Glocken eigenthümlich.
Die Verfertigung der Glocken geschieht durch die Glockengießer, indem sie Formen bilden und in diese das durch Hitze flüssig gemachte Metall, die Glockenspeise, gießen. An der Glockenform, welche vor dem Gießofen in der sogenannten Dammgrube bereitet wird, unterscheidet man Kern, Dickte und Mantel. Der Kern stellt genau den innern Raum der zu bildenden Glocke dar und wird aus Mauerwerk aufgeführt, mit Lehm überstrichen und wohl geglättet. Auf diesen kommt dann die Dickte, welche ganz die Gestalt der Glocke selbst hat und über diese der Mantel, der auch aus Lehm besteht, durch eiserne Bänder gut befestigt wird und oben mit einem Gießloche versehen ist. Hierauf bringt man unter der Glockenform ein Feuer an, welches dieselbe wohl austrocknet, hebt den Mantel ab, schlägt die Dickte vom Kern herunter und bringt den Mantel wieder genau an seine frühere Stelle. Nun ist der Raum zwischen Mantel und Kern, welchen das Glockenmetall einnehmen soll, leer. Die Metallmasse wird [232] im Gießofen geschmolzen und bleibt in der Hitze, bis sie den zum Gießen geeigneten Flüssigkeitsgrad erlangt hat. Dann wird der Ofen abgestochen, das Metall in die Form geleitet und nach dem Erkalten die fertige Glocke aus der Dammgrube emporgewunden. – Man unterscheidet an der Glocke vier Theile, nämlich den untern härtesten Theil, an welchen der Klöppel anschlägt und welcher der Kranz oder Schlag heißt, darüber die Schweifung, die allmälig an Stärke abnimmt und auf der die Haube mit den Henkeln sitzt. An den letztern wird die Glocke aufgehängt. Der keulenförmige Klöppel hängt inwendig mittels eines Riemens an dem Hängeeisen genau in der Mitte. Die Größe der Glocke bestimmt die Stärke, und die Form derselben die Tiefe des Tons. Sehr häufig bringt man zu einem Geläut mehre Glocken zusammen, welche man dann so wählen muß, daß ihre Töne von gleichmäßiger Stärke sind und einen Accord geben. Die eisernen Glocken zeichnen sich durch einen dumpfern Ton aus. – Zur Glockenspeise (oder Glockengut) nimmt man Zinn und Kupfer in verschiedenen Verhältnissen, mischt wol auch Messing, Zink, Wismuth oder Silber bei. – Zum religiösen Gebrauche werden die Glocken noch jetzt zuweilen durch die Glockentaufe feierlich eingeweiht. In katholischen Ländern läutet man zuweilen in der sogenannten stillen Woche (vor Ostern) mit hölzernen Glocken, um auch in dieser Beziehung jeden Prunk zu vermeiden. Da die Glocken sehr kostspielig sind, so hat man Versuche gemacht, sie durch andere auf ähnliche Weise tönende Instrumente zu ersetzen. So hat man z.B. im Dorfe Serno im Anhaltschen ein Stahlstäbegeläut hergestellt, welches etwa nur den neunten Theil so viel als eine mittelmäßige Glocke kostet. Es besteht aus drei Stahlstäben, welche durch ein Getriebe angeschlagen werden und die den reinsten Dreiklang geben. Diese Art Geläute sollen in Nordamerika gebräuchlicher sein.
Glockenspiele sind eine Reihe nach ihrem Tone geordneter Glocken, welche von Hämmern angeschlagen werden und mittels deren auf diese Weise zusammenhängende Musikstücke vorgetragen werden können. Die Hämmer werden entweder durch eine Walze in Bewegung gesetzt und dann ist das Glockenspiel nur auf gewisse Melodien eingerichtet, oder durch ein Tastenwerk, wie beim Clavier, nur größer. Auf diese Tasten wird, weil sie natürlich schwer beweglich sind, mit der Faust geschlagen und diese zum Schutz mit Leder bedeckt. Das Glockenspiel selbst, sowie für dasselbe gesetzte Musikstücke werden Carrillon, der Glockenspieler Campanist genannt. Man findet die Glockensyiele, namentlich in Nordfrankreich und in den Niederlanden, oft mit den großen Schlaguhren auf Thürmen in Verbindung gesetzt. Mehr als jetzt wurde im Mittelalter die Kunst des Spielens auf diesen gewaltigen Instrumenten geübt. Kleinere Glockenspiele hat man in Wanduhren, in der Orgel als Register (Cymbel) und in der Janitscharenmusik. Hier sind die Glöckchen an ein Gestell befestigt, welches mit der linken Hand gehalten wird, während die rechte mit einem oben von Leder umwundenen Stäbchen die Glocken anschlägt.
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