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Marseille

Marseille

[68] Marseille, Hauptstadt des Departements der Rhonemündungen und eine der wichtigsten Handelsstädte Frankreichs, liegt am Fuße eines hohen Felsengebirges an einem Busen des mittelländ. Meeres, hat 190,000 Einw. und den geräumigsten und sichersten Hafen in ganz Südfrankreich, dem es jedoch für große Kriegsschiffe an hinreichender Tiefe fehlt.

Die Stadt umfaßt ihn im Halbkreis und besteht aus der am Abhang eines Hügels, nördl. gelegenen schlecht gebauten alten Stadt, mit unregelmäßigen, unsaubern Straßen, und der östl. und südl. sich ausbreitenden, regelmäßig und schön gebauten neuen Stadt; beide aber vereinigt eine breite, von sehr hohen Gebäuden mit platten Dächern eingefaßte und mit doppelten Alleen gezierte Straße, le Cours genannt, die gegen eine Stunde lang ist und wo in zahlreichen Buden ein beständiger Markt stattfindet. Die Forts Louis und Saint-Jean vertheidigen mit andern Befestigungen den Zugang des Hafens, bei dem sich auch eine wichtige Quarantaineanstalt für aus der Levante kommende Schiffe, Waaren und Personen auf der Insel Ratoneau mit dem Quarantainehafen Port-Dieudonné zwischen dieser und der Insel Pomegue befindet. Zu den ausgezeichnetsten öffentlichen Gebäuden von M. gehören das Rathhaus, die Börse, das neue Theater, das alte und neue Zeughaus und die uralte Domkirche, la Majour genannt, welche auf der Stelle eines ehemaligen Dianentempels steht und in der sich mehre alterthümliche Granitsäulen befinden; auch hat M. die einzige griech. Kirche in Frankreich und von den 37 öffentlichen Plätzen zeichnen sich der Königsplatz, der neue Platz mit vier Springbrunnen und der St.-Michaelsplatz aus. Von Bildungsanstalten bestehen hier ein Lyceum mit Kunst- und Alterthumssammlungen, eine öffentliche Bibliothek, Akademie der Wissenschaften und Künste, eine Schiffahrtsschule, medicinische Gesellschaft und andere wissenschaftliche und gemeinnützige Vereine. Die wichtigsten Erwerbszweige der Bevölkerung sind der fast ausschließlich von M. aus betriebene franz. Handel mit den morgenländ. Häfen, sowie mit den übrigen Küstenländern des mittelländ. Meers; der Schiffbau und bedeutende Fabriken von Seife, seidenen. baumwollenen und wollenen Waaren, Parfümerien u.s.w., auch werden jährlich 30 Boote zur Korallenfischerei ausgerüstet. Die von Natur wenig fruchtbare Umgegend der Stadt ist vortrefflich angebaut und auf den nahen Abhängen liegen, von Oliven- und Mandelbaumpflanzungen umgeben, gegen 5000 weiße [68] Landhäuser, Bastiden genannt. Dampfbote unterhalten jetzt eine regelmäßige Verbindung zwischen M. und den Haupthäfen des Mittelmeers bis Konstantinopel und führen eine Menge Fremde ab und zu, von denen auch viele sich längere Zeit hier aufhalten. M. wurde um 660 v. Chr. von einer vor Cyrus aus Kleinasien geflohenen griech. Colonie gegründet, erwuchs bald zu einem wichtigen Freistaat und wurde ein treuer Verbündeter der Römer, allein von Julius Cäsar, weil es die Partei seiner Gegner nahm, nach einer merkwürdigen Belagerung erobert und des Kerns seiner Macht beraubt. Im 5. Jahrh. von den Gothen und Franken eingenommen, später den Königen von Burgund unterworfen, im 13. Jahrh. wieder eine freie Stadt, dann den Grafen von Provence gehorsam, kam es 1481 nach dem Aussterben derselben an Frankreich, verlor aber erst 1660 durch Ludwig XIV. die ihm gebliebenen Vorrechte. In den Jahren 1720–21 raffte die von einem Schiffe in die Stadt verschleppte Pest gegen 60,000 Menschen hinweg, während der franz. Revolution aber machten sich die 1792 nach Paris berufenen Haufen Marseiller aus der Hefe der Bevölkerung durch ihre Ausschweifungen und Gewaltthaten berüchtigt. Davon, daß sie bei ihrem Einzuge ein im Apr. 1792 von dem franz. Ingenieuroffizier Rouget de Lisle verfaßtes und mit Melodie versehenes Kriegslied sangen, erhielt dieses den Namen Marseillaise, unter dem es weltberühmt geworden ist. Dem erst unbekannten Verfasser ward in Folge der Juliusrevolution 1830 ein Jahrgeld von 6000 Francs deshalb angeboten, was er aber ablehnte und seitdem 1835 gestorben ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 68-69.
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