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Dispensation

[186] Dispensation (v. lat.), die Anordnung, durch welche die Anwendung einer allgemeineren gesetzlichen Vorschrift für einen bestimmten einzelnen Fall ausgeschlossen wird (Relaxatio legis). Bei der Unmöglichkeit, daß ein Gesetz für alle unter seine Regel fallenden Verhältnisse gleich angemessen erscheine, muß, wenn anders nicht aus dem strengen Recht das größte Unrecht entstehen soll, die Füglichkeit offen gelassen sein, für besondere Fälle eine Nichtanwendbarkeit der gesetzlichen Regel herbeizuführen. Dies geschieht durch die D.; dieselbe unterscheidet sich daher von dem Privilegium insofern, als das letztere die fortwährende Befreiung einer bestimmten Person von der Beobachtung eines Gesetzes enthält; von der Begnadigung dadurch, daß diese blos die bereits nach dem gemeinen Gesetz eingetretene Strafe od. deren Folgen aufhebt, nicht aber das Gesetz selbst beseitigt. von einer Rerhtswohlthat (Benefici um juris), dadurch, daß diese nicht auf einzelne Fälle geht. sondern im Voraus auf die allgemeine Erklärung sich stützt, daß Jeder, welcher in gleiche Lage kommt, von selbst von der allgemeinen Regel ausgeschlossen werden soll, ohne daß es also weiterer Anordnung dazu bedarf. Im Allgemeinen wird angenommen, daß das Recht zur D., weil nur Derjenige, von welchem das Gesetz ausgegangen ist, dasselbe auch auf legitimen Wege aufzuheben im Stande ist, nur dem Gesetzgeber selbst zustehen kann. Doch versteht es sich von selbst, daß derselbe dieses Recht seinen Behörden übertragen kann, welche dasselbe dann an seiner[186] Statt u. in seinem Namen ausüben; das Letztere bildet für die gewöhnlicheren Fälle die Regel. Besonders häufig kommen die D-n bei mehr polizeilichen Vorschriftm, bei Steuer- u. Disciplinargesetzen vor. Grenzen, in denen das Dispensationsrecht zu üben ist, lassen sich dabei nur schwer aufstellen; nur soviel steht fest, daß eine absolut rechtswidrige od. unmoralische Handlung durch D. nicht zu einer rechtsgültigen gemacht werden kann, so wie daß die D. nicht verletzend in die Privatrechtssphäre eines Dritten eingreifen darf. Mehrere neuere Verfassungsurkunden (z.B. von Schwarzburg-Sondershausen, §. 65; Gotha, §. 128; Kurhessen, §. 76) enthalten deshalb auch die Bestimmungen, daß der Landesherr das Dispensationsrecht nur soweit üben darf, als diese Befugniß nicht durch besondere Gesetze beschränkt ist. Einer ständischen Concurrenz bedarf aber die Ausübung dieses Rechtes jedenfalls nicht. Besonders geordnet u. ausgebildet ist das Dispensationsrecht in der Kirche. Aus der Gewohnhell der Bischöfe, in zweifelhaften Fällen bei dem Papst anzufragen, bildete sich für die Katholische Kirche der Satz aus, daß von der Anwendung eines allgemeinen Rechtssatzes überhaupt u. in der Regel nur der Papst, jeder einzelne Bischof aber nur in den ausdrücklich ausgenommenen Fällen entbinden könne. Zwar ist eine Zeitlang in der Doctrin auch die entgegengesetzte Ansicht, welche der Regel nach die Bischöfe zur D. berechtigt hielt, vertheidigt worden; allein seit Innocenz III. (1198–1216) kann die Herrschaft des Papstes in dieser Hinsicht als entschieden betrachtet werden; nur wo der Zugang zu dem Römischen Stuhle erschwert ist, treten an die Stelle des Papstes die Bischöfe; anßerdem pflegt der Papst auch den Bischöfen in einer. in je 5 Jahren zu erneuernden Vollmacht (den sogenannten Quinquennalfacultäten, s.d.) das Recht, in gewissen Fällen zu dispensiren, zu übertragen. Die D erfolgt entweder unmittelbar durch ein Decret, od. Breve (D. in forma gratiosa), od. dergestalt, daß der betreffende Bischof die Vollmacht erhält, die Wahrheit der dem Gesuche zu Grunde liegenden Thatsachen zu prüfen u. alsdann die D. zu ertheilen (D. in forma commissoria) Eigentlich sollten alle D-n unentgeldlich ertheilt werden; allein theils unter dem Titel einer Expeditionsgebühr, theils zum Besten der frommen Anstalten pflegen doch nach dem Stande u. den Vermögensverhältnissen der Nachsuchenden gewisse, zuweilen nicht geringe Abgaben erhoben zu werden. In der Protestantischen Kirche gebührt das Dispensationsrecht dem Landesherrn als Inhaber der Kirchengewalt; doch übt derselbe in der Regel dies Recht nicht selbst, sondern durch seine Consistorien aus. Fälle, in denen D-n nothwendig werden, kommen in der Katholischen Kirche vor, z.B. die bei der Irregularität einer Weihe, bei den den Geistlichen auferlegten disciplinarischen Ge- u. Verboten, bei den Ehehindernissen, bei Übertretung des Fastengebotes u. besonderer Gelübde etc.; in der Protestantischen rücksichtlich der Haustaufen, Haustrauungen, der Zulassung zur Confirmation vor dem gesetzlichen Alter, der Ehehindernisse etc. In Fällen, in denen der Landesherr selbst in ein gegen die allgemeinen Vorschriften verstoßendes Verhältniß (z.B. bei einer Ehe mit nahen Verwandten) einzutreten beabsichtigt, pflegt von einer theologischen Facultät ein Gutachten eingeholt zu werden, welches indessen, wenn es auch zustimmend ausfällt, doch nicht selbst als D. aufzufassen ist, sondern nur die Grundlage zu der Entschließung des Fürsten zur Beruhigung des Gewissens bietet. Ein abschlägiges Votum bildet daher kein Hinderniß, daß der Fürst dennoch die einer D. bedürfende Handlung vornehmen kann.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 186-187.
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