[go: up one dir, main page]

Violīne

[180] Violīne (ital. Violino, franz. Violon), das jetzt über die ganze Welt verbreitete Streichinstrument, das mit seinen in größern Proportionen ihm nachgebildeten Verwandten in tieferer Lage (Bratsche, Cello, Kontrabaß) alle andern Streichinstrumente völlig verdrängt hat, ist ein verhältnismäßig noch junges Instrument, erreichte aber bereits zu Anfang des 18. Jahrh. die höchste Vollkommenheit seines Baues; alle Versuche, die Meisterleistungen der Cremoneser Violinbauer zu überbieten, sind erfolglos geblieben, während die übrigen Orchesterinstrumente sowie auch das Klavier und die Orgel seitdem sich immer mehr vervollkommt haben. Über die Entwickelung der V. aus den ältern Violen vgl. Streichinstrumente und Viola; über die Konstruktion der modernen Streichinstrumente s. Geige. Die Umwandlung der Viole zur V. ging etwa 1480–1530 durchaus allmählich vor sich. Die Erfahrung lehrte, eine kleine Abänderung nach der andern festzuhalten; daß ein solches Weitergeben der Erfahrungen der Violinbauer wirklich statthatte, dafür bürgt nicht nur die durch Generationen fortlaufende Tätigkeit der Amati (s. d.), Guarneri und Stradivari, sondern überhaupt die Beschränkung des Geigenbaues in der Zeit der Entwickelung auf einen verhältnismäßig kleinen Bezirk (Tirol und Oberitalien). Die V. ist, wie ihre Verwandten, mit vier Saiten bezogen, welche Zahl beimäßiger Wölbung des Steges ein bequemes Spiel jeder einzelnen Saite gestattet. Die Saiten sind gestimmt in:

Tabelle

und zählen von der Höhe nach der Tiefe, weil die höchste die dem Bogen nächst erreichbare ist. Die erste Saite heißt bei den Musikern »Quinte« oder Chanterelle (Sangsaite); die vierte (G-) Saite ist übersponnen. Notiert wird für die V. im G-Schlüssel (Violinschlüssel). Der Umfang des Instruments reicht in der Höhe fürs Orchesterspiel bis c4 oder ein paar Halbtöne höher, im Flageolett aber bis a4 und höher. Die V. ist ihrer Natur nach ein Instrument für einstimmiges Spiel; die Reduktion der Saiten der alten Violen und Lyren bedeutete einen Verzicht auf das Akkordspiel, doch ist dasselbe innerhalb gewisser Grenzen noch immer möglich und wurde besonders zu Ende des 17. Jahrh. von deutschen Violinisten (Baltzer, Walther, Biber, Strungk) zu großer Kunst gesteigert. Der Klang der dritten und vierten Saite der V. hat etwas dem Timbre der Altstimme Verwandtes, besonders in höhern Lagen. Außer dem gewöhnlichen vollen Tone sind der V. noch besondere Klänge abzugewinnen: 1) durch Berührung von Knotenpunkten harmonischer Obertöne, das sogen. Flageolett (s. d.); 2) durch Anreißen mit dem Finger statt Streichen das Pizzicato (s. d.), der dürftige Ersatz für die einst so zahlreich vertretenen Instrumente mit gekniffenen Saiten (Laute, Theorbe etc.). Veränderungen der Klangfarbe ergibt auch das Spiel ganz dicht am Stege (sul ponticello), das die Töne hart und rauschend, und das Gegenteil, das Spiel mehr nach dem Griffbrett hin (flautando, flautato), das die Töne weich und flötend macht. Einen ganz eigenartigen Klangeffekt ergibt auch das Aufsetzen des Dämpfers (s. d.) auf den Steg. Zu den Spielereien von zweifelhaftem Werte gehört das Klopfen mit der Rückseite des Bogens auf die Saiten (col legno). Über die verschiedenen Stricharten vgl. Bogen, S. 138.

Die Violinliteratur ist außerordentlich reich, und eine große Zahl hochbedeutender Virtuosen haben ihre Zeitgenossen durch die meisterliche Behandlung des seelenvollsten aller Instrumente entzückt, die zum Teil zugleich achtenswerte Komponisten für dasselbe waren; es seien nur die hervorragendsten genannt: (17.–18. Jahrh.) B. Marini, C. Farina, G. B. Fontana, M. Uccellini, Bassani, G. B. Vitali, Torelli, Ant. Veracini, Corelli, Matteis, Vivaldi, Volumier, Baptiste, Birckenstock; (18. Jahrh.) Aubert. Babbi, Franz Benda, Berthaume, Brunetti, Cannabich, Castrucci, Treu, J. Fränzl, Festing, Fiorillo, Gaviniès, Geminiani, Giardini, Leclair, Linley, Locatelli, Lolli, Mestrino, Nardini, Pisendel, Pugnani, Somis, die drei Stamitz (Johann, Karl und Anton), Tartini, Tessarino, Toeschi, Fr. M. Veracini; (18.–19. Jahrh.) Campagnoli, Cartier, F. Fränzl, Rolla, Täglichsbeck, Viotti; (19. Jahrh.) Adelburg, Artôt, Baillot, de Bériot, Böhm, Ole Bull, David, Ernst, Rudolf und August Kreutzer, Lafont, Laub, Lipinski, Maurer, Mayseder, Mazas, Meerts, Molique, Paganini, Polledro, Prume, Rode, Sainton, Saloman, Sauzay, Schuppanzigh, Spohr, Strauß, Vieuxtemps, Wieniawski, Dancla, Joachim; Zeitgenossen: Alard, Auer, Lauterbach, Léonard, Rappoldi, Remenyi, Singer, Sivori, Sarasate, Ysaye, Sauret, Thomson, Wilhelmj, Heermann, Halir, Burmester etc. – Ausgezeichnete Violinschulen sind: die »Méthode« des Pariser Konservatoriums (Kreutzer, Rode und Baillot) und die Schulen von Baillot, Spohr, Alard, David, Dancla, Singer-Seifriz; die ältesten die von Geminiani und Leopold Mozart. Die Zahl der ausgezeichneten Studienwerke ist sehr groß; besonders seien genannt Tartinis »Arte dell arco«, Davids »Hohe Schule des Violinspiels« (Auswahl klassischer Violinwerke). Vgl. v. Wasielewski, Die V. und ihre Meister (4. Aufl., Leipz. 1904) und Die V. im 17. Jahrhundert (Bonn 1874); L. A. Vidal, Les instruments à archet (Par. 1876–79, 3 Bde.); W. L. v. Lütgendorff, Die Geigen- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Frankf. a. M. 1905); Schubert-Hofmann, Die V. (4. Aufl., Leipz. 1892); Ehrlich, Berühmte Geiger der Vergangenheit und Gegenwart (das. 1892); Clarke, Biographical dictionary of fiddlers (Lond. 1895); Witting, Geschichte des Violinspiels (Köln 1900); R. Scholz, Handbüchlein für Geigenspieler (Leipz. 1900); Tottmann, Führer durch den Violinunterricht (3. Aufl., das. 1902; Bd. 2, das. 1900); Heim, Neuer Führer durch die Violinliteratur (2. Aufl., Hannov. 1901); R. Hofmann, Führer durch die Violinliteratur (das. 1905); im übrigen die Literatur bei Artikel »Geige«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 180.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: