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Pseudomorphosen

[418] Pseudomorphosen (Pseudokristalle, Afterkristalle), Mineralien, welche die Kristallform einer Substanz zeigen, aber in ihrem physikalischen oder chemischen Verhalten oder in beiden von jener verschieden sind. Das Charakteristische der P. ist der Widerstreit zwischen Inhalt und Form. Man bezeichnet die P. durch Angabe der nachahmenden Substanz und Beifügung des Namens der Mineralspezies, deren Formen entlehnt sind, mit der Präposition »nach«, z. B. Malachit nach Rotkupfererz: die zusammen setzende Substanz ist Malachit (basisches Kupferkarbonat H2Cu2CO5), die Form aber ist nicht die für Malachit charakteristische, sondern eine von Rotkupfererz (Kupferoxydul Cu2O) hervorgebrachte. Da eine bestimmte Kristallform nur von einer bestimmten Substanz erzeugt werden kann, so beweist das Auftreten von P., daß früher diejenige Substanz vorhanden war, welche die noch erhaltene Form erfahrungsmäßig allein erzeugen kann, und mittels physikalischer oder chemischer Prozesse durch die jetzt die Form tragende Substanz ersetzt wurde. Hieraus ergibt sich die große Bedeutung der P. für mineralogische und geologische Spekulationen. Die P. sind die Produkte eines Umwandlungsprozesses, der auch dann sich vollzogen hat, wenn seine einzelnen Phasen chemisch nur schwer oder gar nicht erklärt werden können. So findet man Speckstein (Magnesiumsilikathydrat Mg3Si4O11.H2O) in Formen des Quarzes (Kieselsäureanhydrid SiO2). Da der Quarz durch Agenzien, die in der Natur zirkulieren, nicht umgewandelt, sondern nur gelöst wird, ist die Ersetzung des Quarzes durch ein schwer lösliches Magnesiumsilikat nur schwer erklärlich; dessenungeachtet aber muß man den Prozeß selbst eben durch das Auftreten der genannten P. als erwiesen betrachten.

Man pflegt die P. in Umwandlungs- sowie Umhüllungs- und Ausfüllungspseudomorphosen einzuteilen. Die Umwandlungspseudomorphosen (metasomatische P.) entstehen einmal durch bloße molekulare Umlagerung der Substanz ohne Aufnahme oder Abgabe von Bestandteilen (Paramorphosen), ein Fall, der nur bei polymorphen Körpern eintritt, wo eine Modifikation in der Form einer andern erscheint (z. B. Kalkspat nach Aragonit, Rutil nach Anatas), dann aber auch durch Verlust oder Aufnahme oder Austausch einzelner Bestandteile. Beispiele für P., entstanden durch Verlust von Bestandteilen (Auslaugungspseudomorphosen), sind gediegen Kupfer nach Rotkupfererz[418] (Cu2O), Roteisenerz nach Magnetit (Fe3O4 durch Auslaugung von FeO mittels kohlensäurehaltigen Wassers wurde zu Fe2O3), Silberglanz nach Rotgiltigerz (Ag3SbS3 = Ag6Sb2S6 durch Verlust von Sb2S3 zu 3Ag2S). P., gebildet durch Aufnahme von Bestandteilen (Epimorphosen), sind Gips nach Anhydrit (zu CaSO4 treten 2H2O), Bleivitriol nach Bleiglanz (PbSO4 aus PbS). Beispiele für P., die durch Austausch von Bestandteilen (partielle Allomorphosen) gebildet wurden, sind Brauneisenerz nach Eisenkies (H6Fe4O9 = 4FeS2 - 8S + 6O + 3H2O), Kaolin nach Feldspat (H4Al2Si2O9 = K2Al2Si6O16 - K2O - 4SiO2 + 2H2O). Ein gänzlicher Austausch der Bestandteile hat bei denjenigen P. stattgefunden, bei denen ein Zusammenhang zwischen der ursprünglichen und der die P. zusammensetzenden Substanz nicht mehr nachweisbar ist (totale Allomorphosen), z. B. Quarz nach Flußspat (CaFl2 wurde zu SiO2), Pyrolusit nach Kalkspat (CaCO3 ersetzt durch MnO2). Man muß für diese totalen Allomorphosen eine Reihe von Umwandlungsprozessen annehmen, deren Zwischenglieder nicht erhalten sind, wodurch der Verlauf der einzelnen chemischen Vorgänge schwer verständlich wird oder nur hypothetisch konstruierbar ist. Die totalen Allomorphosen werden, da von der Substanz der ursprünglichen Kristalle in ihnen nichts mehr vorhanden, sie also vollständig verdrängt ist, auch als Verdrängungspseudomorphosen (s. auch unten) bezeichnet. Bei den Umhüllungspseudomorphosen (Perimorphosen nach Kenngott) sind die Kristalle einer Substanz von einer dünnen Kruste eines andern Minerals so überzogen, daß die Form des Kernkristalls deutlich erkennbar bleibt; so bildet z. B. Quarz oft papierdünne Krusten auf Kalkspat derart, daß man Quarz in der Form des Kalkspats zu erkennen glaubt. Wird der von einer solchen Hülle umgebene Kern aufgelöst und fortgeführt, so wird die Innenseite der Hülle den Abdruck des ehemaligen Kristalls zeigen, und es werden sich, falls sich die Hülle mit später neugebildeten Mineralien füllt, Abgüsse der ihnen fremden Form bilden (Ausfüllungspseudomorphosen). Verschwindet an solchen P. schließlich noch die formgebende Hülle, so entstehen P., die sich nur durch die Art ihrer Entstehung von den Verdrängungspseudomorphosen (s. oben) unterscheiden.

Unterstützt wird die Ansicht von der Entstehung der P. vermittelst umwandelnder Prozesse einerseits durch die Beobachtung noch erhaltener Kerne in äußerlich schon umgewandelten Stücken (so bestehen häufig Würfel äußerlich aus Brauneisenstein, innerlich aus dem die Form bedingenden Eisenkies), anderseits durch die Möglichkeit der künstlichen Erzeugung von P. Für letztere ist eins der bekanntesten Beispiele, und zwar das einer Paramorphose, die Umwandlung der durch Schmelzen erhaltenen monoklinen Kristalle des Schwefels in ein Aggregat von rhombischen Teilchen beim Erkalten. Die obenerwähnten P. von Silberglanz nach Rotgiltigerz lassen sich künstlich durch Einlegen von Kristallen der letztern Substanz in eine Lösung von Schwefelalkalien darstellen. Zahlreiche sonstige Methoden zur Gewinnung künstlicher P. gaben Scheerer, Stein, Sorby, Knop u. a. an.

Zu den P. gehören in gewissem Sinn auch die Versteinerungen, da bei ihnen die durch den tierischen oder pflanzlichen Lebensprozeß erzeugten Formen (z. B. die Muschelschalen) nunmehr von mineralischen, aus den früher vorhandenen organischen Bestandteilen durch Umwandlung oder völligen Austausch (so bei der Vererzung, Verkieselung, s. d.) entstandenen Substanzen gebildet werden. Vgl. Breithaupt, Über die Echtheit der Kristalle (Freiberg 1816); Landgrebe, Über die P. im Mineralreich (Kassel 1841); Blum, die P. des Mineralreichs (Stuttg. 1843, mit vier Nachträgen 1847–79; Hauptwerk und vollständigste Aufzählung der P.); Roth, Allgemeine und chemische Geologie, Bd. 1 (Berl. 1879).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 418-419.
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