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Kanārische Inseln

[552] Kanārische Inseln (Islas Canarias), eine Provinz Spaniens bildende Inselgruppe an der Westküste von Afrika, zwischen 27°30'–29°30' nördl. Br. und 13°17'–18°10' westl. L., die sich in einem 556 km langen Bogen von der Küste 90 km (Fuerteventura) bis 300 km (Palma) entfernt hinzieht, aus fünf kleinern unbewohnten Felseninseln (s. das Textkärtchen): Graciosa, Alegranza, Santa Clara, Lobos, Rocca, und sieben größern: Hierro oder Ferro, Palma, Gomera, Tenerife, Gran Canaria, Fuerteventura und Lanzarote (s. d.) besteht und 7624 qkm groß ist. Die Inseln erheben sich aus tiefem Meer (zwischen mehreren Inseln bis 1000 m) in steilen vulkanischen Massen bei selten sandiger Strandbildung zu bedeutender Höhe. Die westlich von 15° gelegenen Inseln Gran Canaria, Tenerife, Gomera, Palma und Ferro sind jüngern vulkanischen Ursprungs (die fast kreisrunden Inseln Gomera und Gran Canaria werden fast ganz von alten Vulkanen eingenommen); der Pico de Teyde auf Tenerife erreicht 3730, der Pico de la Cruz auf Palma 2358 m. Sie sind sämtlich dicht bewaldet und bergen in ihren radial eingeschnittenen Erosionstälern die ganze Fülle subtropischer Vegetation. Die östlichen Inseln Fuerteventura und Lanzarote sind dagegen dürr und baumlos, von der afrikanischen Küste herübergewehter Sand bedeckt in Dünen weite Landstriche; doch sind die Inseln für Viehzucht wohlgeeignet. Sie sind weit niedriger als die westlichen Inseln; Fuerteventura erreicht nur 844 m, Lanzarote 684 m. Die Laven sind vorwiegend basaltischer, andesitischer und phonolithischer Natur. Sie wechsellagern mit Tuffschichten (Toscalos), die leicht verwittern und Anlaß zu interessanten Höhlenbildungen geben. Auf Palma, Fuerteventura und Lanzarote, welch letztere Insel eine lange Reihe von Kratern aus den Jahren 1730–37 trägt, sind unter den vulkanischen Gebilden auch ältere Gesteine, zumal Diabase, beobachtet worden. Besonders groß ist die Zahl der erloschenen Aschenkegel mit weiten Kratermündungen und der Lavafelder (Malpais oder Volcanos), die oft reich bewässert und unvergleichlich fruchtbar sind, wenn starke Schichten vulkanischer Asche sich darüberlagern. Vulkanische Ausbrüche und Erdbeben, welche die Inseln mehrfach heimsuchten und besonders Lanzarote von 1730–37 in schrecklichster Weise zerstörten, sind jetzt seltener geworden; Palma mit der berühmten Caldera und dem Barranco (s. d.) hatte die letzte Eruption 1677 und 1678, Tenerife 1798, Lanzarote mit dem noch schwach tätigen Montana de Fuego (533 m) 1824. Der Pik von Tenerife hat nur noch eine schwache Solsatara. Gomera und Gran Canaria gelten für die wasserreichsten Inseln. Die Täler werden von Bächen durchflossen, die im Sommer nicht das Meer erreichen und nur durch ein künstliches System von meilenweit an den Gebirgen hinziehenden Wasserleitungen nutzbar gemacht werden. Die Landschaft dieser »glücklichen Inseln« (Insulae fortunatae der Alten) ist überreich an Schönheiten. Ihr Charakter beruht auf einer wunderbar gezackten Form der Bergkämme, auf dem Gegensatze pflanzenloser roter und schwarzer Felsenmassen mit der Üppigkeit einer subtropischen Vegetation sowie endlich auf dem feuchten Schmelz der immergrünen Lorbeerförsten, bei der Durchsichtigkeit der Atmosphäre, der Umschau auf das Meer und einer fast überall zerstreut auftretenden ländlichen Kultur.

Das Klima ist mild und gesund, namentlich für Brust- und Nervenleidende sehr wohltuend; es gehört zu den gleichmäßigsten der Erde. Seewinde kühlen die Hitze, Schnee und Eis sind in den bewohnten Tälern unbekannt. Vom November bis März fällt gelinder Regen; im März steht der herrlichste Frühling in vollem Flor; im April wird in den Küstengegenden das Korn geerntet. Sommer und Herbst sind völlig trocken und wolkenlos. Regenmenge auf Tenerife (Laguna) 55 cm, davon von Oktober bis April 52 cm. Juni bis September fast regenlos. September und Oktober sind mit durchschnittlich 30° die heißesten Monate; niedrigste Temperatur im Winter etwa 10° Mittlere Temperatur zu Tenerife (Santa Cruz) Jahr[552] 21,6°, Januar 17,6°, April 19,6°, Juli 25,4°, Oktober 23,7°. Vor Eintritt der Winterregen wehen öfters aus der Sahara die schwülen, dicke Nebel erzeugenden Levante- oder Südostwinde, die auch oft Heuschrecken mitführen. Die Inseln besitzen eine reiche endemische Flora, die zwar durch Erikazeen und andre immergrüne Gesträuche einen westeuropäischen Charakter erhält, zugleich aber durch waldbildende, immergrüne Laurazeen und afrikanische Florenelemente ein eigenarnges Gepräge zeigt. Die untere Strauch- oder Sukkulentenregion, die je nach der Nord- oder Südlage bis 500 oder 800 m hinaufsteigt, zeigt neben der Dattelpalme (Phoenix canariensis) die Tamariske (Tamarix canariensis) und zahlreiche, den Kakteen gleichende Euphorbia-Arten. Daneben ist ebenso häufig die die Kapkolonie bewohnende Komposite Kleinia neriifolia, und mehr als 20 endemische Krassulazeen-Arten kennzeichnen diesen Gürtel, in dem namentlich Opuntien zur Kochenillegewinnung angebaut sind. In der immergrünen Lorbeerwaldregion, bis etwa 1200 m, sind die wichtigsten Bäume: Laurus canariensis, Persea indica, Oreodaphne foetens und der der Vegetation ihren eignen Charakter ausdrückende Drachenbaum (Dracaena Draco). Die Region der Nadelhölzer und Erica-Sträucher folgt bis etwa 1800 m. Pinus canariensis mit Untergesträuch von Cistus- und Daphne-Arten sowie Juniperus Cedrus und J. brevifolia gehören hierher.

Karte der Kanarischen Inseln.
Karte der Kanarischen Inseln.

Unter den Erikazeen wiegen Erica scoparia und E. arborea vor. Die weiße Retama (Spartocytisus nubigenus), ein fast blattloser Ginsterstrauch, bezeichnet auf Tenerife, oberhalb der Baumgrenze, auf den trocknen Bimssteingeröllhalden eine charakteristische subalpine Region. Ein Cytisus und wenige Stauden gesellen sich ihm bei.

Mit ihrer Tierwelt bilden die Inseln einen Teil der mittelländischen Subregion der paläarktischen Region. Die einzigen einheimischen Säugetiere sind zwei europäische Arten Fledermäuse. Die Landvögel, etwa 50 Arten, tragen ganz europäischen Charakter, nur einige Arten sind den Inseln eigen, andre diesen und andern atlantischen Inselgruppen gemeinsam. Der wilde Kanarienvogel mit gelblichgrünem Gefieder lebt in großen Flügen auf allen baumreichen Inseln. Reptilien, Amphibien und Süßwasserfische treten völlig zurück. Die Mollusken und die Insektenfauna, unter der allein 1000 Arten Käfer bekannt sind, enthalten manche eigne Arten.

Die Bevölkerung (1900: 358,564, davon 166,505 männlich, 192,059 weiblich) besteht aus Mischlingen von Spaniern mit den ursprünglichen Bewohnern, den Guanchen (s. unten), sowie mit normannischen, flandrischen und arabischen Einwanderern. Die weiße Farbe herrscht durchweg, nur auf Gran Canaria gibt es einige Negerdörfer. Die Kanarier sind ehrlich, mäßig, zuverlässig, arbeitsam, voll Pietät für das Alter und von unbegrenzter Gastfreundschaft. Auch ihre natürliche Begabung ist groß. Die Gruppe ist geteilt in Bistümer: Las Palmas und San Cristobal de la Laguna, die beide unter dem Erzbischof von Sevilla stehen. Für die höhern Stände bestehen gute [553] Schulen; die Volksbildung ist aber so gering, daß etwa 80 Proz. der Bevölkerung nicht lesen können. Hauptbeschäftigung der Einwohner bilden Ackerbau, Viehzucht und Schiffahrt; doch herrscht im allgemeinen Armut, da große Majorate bestehen, die Felder meist von Pächtern bebaut und schwere Steuern erhoben werden. Von der anbaufähigen Fläche werden 32,270 Hektar bewässert, 11,814 Hektar sind Gärten u. a., 4981 Hektar sind mit Getreide bestellt, 4747 Hektar Weinberge, 3785 Hektar Obstpflanzungen. Nicht bewässerbar sind 113,866 Hektar Getreidefelder, 6346 Hektar Weinberge, 3785 Hektar Obstpflanzungen. 144,290 Hektar sind von Wald bedeckt. Früher war Wein (Kanariensekt) eins der Hauptprodukte der Inseln, doch vernichtete seit 1852 die Traubenkrankheit den Weinbau fast vollständig; seit 1870 hat man ihn wieder aufgenommen. Die früher blühende Kochenillezucht betrug 1895 nur noch 1,883,320 Mk. (1869: 15,800,000 Mk.). Bedeutend ist der Anbau von Zwiebeln u. Kartoffeln, die nach Westindien ausgeführt werden, sowie von Weizen, Gerste, Roggen, Mais, Tabak, Orangen, Bananen etc. Auch die Soda liefernde Barillo (Mesembryanthemum crystallinum) sowie Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht werden gebaut. Die geringe Industrie erzeugt nur seidene und wollene Stoffe sowie grobes Leinen. Der Handel (meist in englischen Händen) hat sich sehr gehoben, seitdem 1852 die Inseln (Ferro ausgenommen) zu Freihäfen erklärt wurden. Zwischen den einzelnen Inseln besteht ein reger Verkehr durch Segelschiffe. Mit Cadiz und Puerto Rico ist Tenerife durch spanische Postdampfer verbunden, Tenerife, Gran Canaria und Lanzarote durch englische Dampfer mit Liverpool und Gibraltar. Haupthäfen sind Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas. Ein spanisches Staatskabel führt von Cadiz nach Tenerife (Landungspunkt Jurada) und von da (Landungspunkt Tejita) ein französisches Staatskabel nach Saint-Louis in Senegal. Tenerife ist außerdem über Gran Canaria mit Lanzarote sowie mit Las Palmas durch Staatskabel verbunden. Der Gouverneur sowie der Kommandant der kleinen spanischen Truppenabteilung residiert in Santa Cruz de Tenerife. Zu Verwaltungszwecken besteht eine Einteilung in zwei Divisionen, jede zu drei Distrikten. Außer der Garnison gibt es noch eine einheimische Miliz; Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas sind Festungen.

Die Kanarischen Inseln waren wahrscheinlich schon den Phönikern bekannt; die Alten verlegten (seit Plinius, der den Namen »Canaria« von der Menge großer Hunde herleitet) auf die »glücklichen« oder »seligen« Inseln (vorher nannte man Madeira so) ihre elysäischen Gefilde. Daß die Karthager zu ihnen gelangt waren, zeigt die Gesandtschaft, die der mauretanische König Juba 40 v. Chr. hierher sandte. Im 12. Jahrh. sahen die Araber den Archipel; 1341 unternahmen die Portugiesen eine Fahrt hierher, infolge deren Luis de la Cerda, ein Urenkel Alfons' X. von Kastilien, sich 1344 von Papst Clemens VI. zu Avignon zum König der Kanarischen Inseln krönen ließ. Doch betrat er seinen Besitz niemals, und der Admiral Robert von Bracamonte, dem Heinrich III. von Kastilien die Inseln geschenkt hatte, besuchte zwar Lanzarote, übertrug aber seine Rechte bald auf Johann von Béthencourt. Dieser landete 1402 mit einigen Abenteurern auf Lanzarote und eroberte bis 1405 dieses sowie Fuerteventura, Gomera und Ferro. Des noch nicht eroberten Tenerife suchte sich Portugal, obschon vergeblich, zu bemächtigen. Ferdinand der Katholische kaufte die genannten Inseln von Didaco Herrera für 15,000 Dukaten, und bis 1496 wurden auch Gran Canaria, Palma und Tenerife ihren ursprünglichen tapfern Bewohnern, den Guanchen, entrissen, die dabei bis auf wenige Reste, die sich mit den Spaniern vermischten, zugrunde gingen. Im März 1902 veranlaßte eine autonomistische Bewegung das Einschreiten der spanischen Regierung.

Vgl. L. v. Buch, Physikalische Beschreibung der Kanarischen Inseln (Berl. 1825); Barker-Webb und Berthelot, Histoire naturelle des îles Canaries (Par. 1836–50, 3 Bde.); v. Fritsch, Reisebilder von den Kanarischen Inseln (Gotha 1867); »Les îles Fortunées, ou l'archipel des Canaries« (Par. 1869, 2 Bde.); F. v. Löher, Nach den Glücklichen Inseln, kanarische Reisetage (Bielef. 1876); Berthelot, Antiquités canariennes (Par. 1879); Millares, Historia general de las islas Canarias (Las Palmas 1882–95, 8 Bde.); Christ, Eine Frühlingsfahrt nach den Kanarischen Inseln (Basel 1886); Stone, Tenerife and the Canary Islands (2. Aufl., Lond. 1889); Verneau, Cinq années de séjour aux îles canariens (Par. 1890); Whitford, The canary Islands as a winter resort (Lond. 1890); Taylor, Health resorts of the Canary Islands (das. 1893); V. Meyer, Märztage im Kanarischen Archipel (Leipz. 1893); Hans Meyer, Die Insel Tenerife (das. 1896); Kurt Müller, Die Kanarischen Inseln, in der Festschrift für den 18. deutschen Geographentag in Breslau 1901); Margry, La conquête et les conquérants des Îles Canaries (Par. 1896); Reisehandbücher von Ellerbeck (Lond. 1892), Browne (7. Aufl., das. 1903) u. a.; Karte von M. Pérez y Rodriguez (4 Blatt, Madr. 1896–98).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 552-554.
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