[go: up one dir, main page]

Comte [2]

[247] Comte (spr. kongt'), 1) Isidore Marie Auguste François Xaver, der Begründer der sogen. positiven Philosophie, geb. 19. Jan. 1798 in Montpellier, gest. 5. Sept. 1857 in Paris, war Zögling der polytechnischen Schule in Montpellier, ging 1816 nach Paris, lernte Saint-Simon kennen, brach aber bald mit dessen Lehren, wurde 1820 Mitarbeiter am »Organisateur«, 1822 an dem neugegründeten Blatt »Le Producteur«. Von 1826 an hielt er Vorträge über sein System, denen eine Zeitlang A. v. Humboldt beiwohnte, wurde 1832 Repetent an der polytechnischen Schule und 1837 Examinator für die Ausnahmszöglinge. Als er 1843 zu letzterer Stelle nicht wieder ernannt worden war und dadurch sein Einkommen verlor, ermöglichte ihm eine Gesellschaft in England lebender Verehrer seiner Schriften, unter denen sich Stuart Mill und der Bankier und Geschichtschreiber George Grote befanden, durch eine ansehnliche Jahrespension die Fortsetzung seiner Arbeiten. Seit 1849 hielt er Vorlesungen über die Geschichte der Humanität, durch die er, von der Liebe zu Clotilde de Vaux begeistert, der Apostel einer Religion der Humanität zu werden hoffte; doch wurden diese Vorlesungen 1851 von der Regierung untersagt. Seine Lehre legte er zuerst in dem »Plan des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société« (Par. 1822; neue Aufl., das. 1824 u. d. T.: »Système de philosophie positive«), dann in seinem Hauptwerk: »Cours de philosophie positive« (das. 1830–42, 6 Bde.; 5. Aufl. 1893), nieder. Einen populären Auszug hieraus lieferte Jules Rig: »La philosophie positive par A. Comte. Résumé« (Par. 1880, 2 Bde.; deutsch von v. Kirchmann, Heidelb. 1883–84, 2 Bde.). Die von ihm selbst so genannte »positive Philosophie« (daher seine in Frankreich, England, Belgien und andern Ländern zerstreuten Anhänger sich Positivisten nennen) ist eine Kombination von Empirismus, der aus seiner mathematischen Bildungsepoche stammte, und Sozialismus, den er Saint-Simon verdankte. In der Periode seiner religiösen Begeisterung, die er selbst als seine »subjektive« bezeichnete, schrieb er: »Système de politique positive, ou Traité de sociologie« (1852–54, 4 Bde.; neue Ausg. 1890 bis 1894); »Catéchisme positiviste« (3. Aufl. 1890; deutsch von Roschlau, Leipz. 1891); »Appel aux conservateurs« (1855) und »Synthèse subjective« (1856), deren Inhalt von einem Teil seiner Schüler, namentlich von dem bedeutendsten derselben, dem Akademiker Littré (s.d.), nicht als richtig angenommen worden ist. Der Letztgenannte hat u. d. T.t »A. C. et la philosophie positive« (3. Aufl., Par. 1877) eine Biographie und Darstellung der Lehre Comtes herausgegeben, der 1866 eine andre Schrift: »Auguste C. et Stuart Mill«, folgte. Vgl. auch Robinet, Notice sur l'œuvre et sur la vie d'Auguste C. (3. Aufl., Par. 1891); »Correspondance inédite d'Auguste C.« (1993, Bd. 1). In England haben Miß Martineau (1853), Bridges (1865) und R. Congreve seine Schriften teilweise bearbeitet, Stuart Mill (»A. C. and the positivism«, Lond. 1865; deutsch von Elise Gomperz, Leipz. 1874), Buckle, Lewes, Tylor, Caird (»The social philosophy and religion of C.«, Glasgow 1885, 2. Aufl. 1893) u. a., in Amerika Carey ihn vielfach berücksichtigt. Seine Briefe an Mill erschienen u. d. T.: »Lettres d'A. C. à John Stuart Mill 1841–1846« (Par. 1877). Auch in Italien und Deutschland hat er in neuerer Zeit vielfach Eingang gefunden. Vgl. Gruber, August C. (Freiburg 1889); Derselbe, Der Positivismus vom Tode A. Comtes bis auf unsre Tage (in den »Stimmen aus Maria-Laach«, das. 1891); Lévy-Brühl, La philosophie d'A. C. (Par. 1900; deutsch von Molenaar, Leipz. 1902).

Comtes »Philosophie positive« richtet sich in ihrem negativen Teil gegen jede Metaphysik, jede Einführung von Anfangs- oder Endursachen. Beide Enden der Dinge sind uns unzugänglich, nur die Mitte gehört uns. Der Atheist ist für den Positivisten nur eine Abart des Theologen, der Pantheismus nur eine Form des Atheismus. Theologie und Metaphysik, jeder Versuch, das Universum durch Ursachen zu erklären, die außer ihm sind, ist Transzendenz; Immanenz ist die Wissenschaft, die das Universum durch Ursachen erklärt, die in ihm sind. Seinem positiven Teil nach besteht der Positivismus in einer neuen Auffassung der Entwickelung des Menschengeistes und in einer neuen Anordnung der Wissenschaften. Jener[247] zufolge durchläuft der denkende Geist notwendigerweise drei Stadien (trois états): das theologische, das metaphysische und das positive. Während des ersten werden die Naturerscheinungen durch übernatürliche Ursachen und persönliches Eingreifen von Göttern, während des zweiten durch abstrakte Ursachen, realisierte Abstrakta, erklärt; während des dritten begnügt man sich, den Zusammenhang der Phänomene zu konstatieren durch Beobachtung, durch das Experiment, kurz, jede Tatsache mit ihren vorangegangenen Bedingungen zu verknüpfen. Was sich nicht durch Experimente verifizieren läßt, gehört nicht in die Wissenschaft. Diese Methode hat die moderne Wissenschaft geschaffen und ist bestimmt, die Stelle der alten Metaphysik einzunehmen. Die Anordnung des Wissens, der im allgemeinen die Baconsche Einteilung der Wissenschaften zu Grunde liegt, und die er die »natürliche Hierarchie der Wissenschaften« nennt, geht vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Die Grundlage von allem bildet die Mathematik; dann folgen die Astronomie, die Physik, die Chemie, die Biologie und die Soziologie, deren jede die Vorstufe und Voraussetzung der nächsten ausmacht. Auf die Gesellschaftswissenschaft legte C. den Hauptwert, da sein ganzes Werk neben der Auffindung allgemeiner Gesetze eine Sozietätslehre auf positiver Grundlage zu schaffen bezweckte. Diese Wissenschaft ist nicht möglich ohne die Wissenschaft vom Leben, diese nicht ohne Chemie, die ihrerseits die Physik wie diese die Astronomie und diese die Mathematik zur Basis hat. Die Psychologie ist nur ein Teil der Physiologie (Phrenologie); die Moral beruht auf dem geselligen Trieb und weist Eigennutz und Selbstsucht zurück, indem sie an die Stelle des eignen Vorteils als Motiv des Handelns (Egoismus) den des »andern« (Altruismus) und das allgemeine Wohl über das jedes Einzelnen setzt. Comtes »Politique positive« aus seiner »subjektiven Periode« enthält das bis ins Detail ausgearbeitete Ideal der künftigen Organisation der menschlichen Gesellschaft, die dadurch charakteristisch ist, daß in derselben den »positiven« Philosophen (ähnlich wie den Wissenden in der Platonischen Republik) die herrschende Stellung eingeräumt und unter denselben ein Kultus des »großen Wesens«, d. h. der Menschheit, sowie eine Art Hierarchie mit einem Oberhaupt an der Spitze (ähnlich wie im katholischen Priestertum mit dem römischen Papst) eingerichtet wird, daher die »positive« Gesellschaft von Gegnern als »Katholizismus ohne Christentum« bezeichnet worden ist. Nach dem Muster derselben sind von Anhängern Comtes in England (Rich. Congreve, Bridges u. a.) Positivistengemeinden gegründet und an verschiedenen Orten Kirchen, z. B. in London, eröffnet worden, in denen »positivistischer« Gottesdienst abgehalten wird. In neuerer Zeit sind unter den Mitgliedern Spaltungen eingetreten, infolge deren ein Teil der (übrigens niemals zahlreich gewesenen) »Positivisten« sich der herrschenden Kirche genähert hat.

2) Pierre Charles, franz. Maler, geb. 23. April 1823 in Lyon, gest. 30. Nov. 1895 zu Paris, wurde in Paris Schüler von Robert-Fleury und stellte 1847 eine Lady Jane Gray aus, die, von trefflicher Komposition, korrekter Zeichnung und lebensvoller Charakteristik, Erwartungen erregte, die er nachher in reichem Maß erfüllte in den Bildern: Heinrichs III. Begegnung mit dem Herzog von Guise (1855, im Luxembourg), Jeanne d'Arc bei der Krönung Karls VII. (1861, Museum in Reims) und in der Leonore von Este, Witwe des Herzogs von Guise, die ihren Sohn Heinrich schwören läßt, seinen ermordeten Vater zu rächen (1864, Museum in Lyon). Unter seinen spätern Bildern sind der letzte Besuch Karls V. im Schloß zu Gent nach seiner Thronentsagung (1866), Zigeuner vor dem kranken Ludwig XI. (1869), Katharina von Medici im Schloß Chaumont, Franz I. bei Benvenuto Cellini, die Nichte Don Quichottes (1877) und Dante und die Florentiner Edelleute hervorzuheben.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 247-248.
Lizenz:
Faksimiles:
247 | 248
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon