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Egoismus

[395] Egoismus (Ichsucht, Selbstsucht, Selbstliebe) ist nach dem vom Ende des 18. Jahrh. datierenden Sprachgebrauch diejenige Gesinnung, die sich nur durch die Rücksicht auf das unmittelbare eigne Wohl oder Wehe, den eignen Nutzen oder Schaden leiten läßt und deshalb eine Aufopferung des eignen Interesses zu gunsten des fremden oder im Dienst einer allgemeinen Idee ausschließt. Wird dabei wenigstens die direkte Schädigung des fremden Wohles vermieden, so ist der E. ein feinerer, wird das letztere rücksichtslos dem eignen geopfert, so ist er ein grober. Bei den sogen. egoistischen Moralsystemen (vgl. Ethik) muß man unterscheiden, ob sie den E. als Motiv oder als Zweck des Handelns aufstellen. Die hauptsächlich von Hobbes (s. d.) begründete, dem Altruismus (s. d.) entgegengesetzte Lehre, daß der Mensch[395] seiner Natur nach in letzter Linie nur durch die Rücksicht auf das eigne Wohl oder Wehe zum Handeln bestimmt werde, hat insofern recht, als das egoistische Verhalten bei Kindern und unkultivierten Völkern vorherrscht und erst im Verlauf der sittlichen Entwickelung mehr und mehr eingeschränkt wird, als ferner das Streben nach Beförderung des eignen Wohles von keinem Menschen ganz verleugnet werden kann. Eine sehr schwierige und noch unentschiedene Frage dagegen ist es, ob auch die bei sittlich entwickelten Menschen tatsächlich vorkommenden uneigennützigen Handlungen ihren letzten Grund in der Befriedigung, also in dem subjektiven Genuß haben, den das sittliche (uneigennützige) Handeln gewährt, oder unmittelbar aus der Hingabe an das Sittengebot hervorgehen. Wenn im übrigen alle dem Eudämonismus (s. d.) huldigenden Moralsysteme zwar in der Beförderung des Einzelwohles auch den letzten Zweck alles menschlichen Handelns sehen, so predigen sie deswegen doch nicht den E. in dem tadelnden Sinne der Volksmoral; schon Hobbes behauptete, daß das wohlverstandene eigne Interesse dazu führen müsse, auf das Wohl der Mitmenschen Rücksicht zu nehmen, und nach den Grundsätzen des neuern Utilitarismus (s. d.) bedeutet die Beförderung des Gesamtwohles zugleich die beste Förderung des eignen Wohles. Dagegen haben im Altertum die Sophisten (s. d.) und in der Neuzeit Mandeville (s. d.) in offener, die französischen Enzyklopädisten (s. d.) in verblümter Form erklärt, daß in dem Genuß der einzige Zweck des menschlichen Handelns zu suchen sei, und also den nackten E. auf ihre Fahne geschrieben. – Nach der Volkswirtschaftslehre der englischen Schule (Adam Smith und Nachfolger) ist der E. (das Selbstinteresse, self interest) die Veranlassung zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Einzelnen und damit zum wirtschaftlichen Leben überhaupt. Natürlich soll unsittlicher und den Gesetzen widersprechender E. ausgeschlossen sein, wohl aber erscheint nach obiger Auffassung die Betätigung des E. im Wirtschaftsleben innerhalb der Rechtsschranken nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit weit vorteilhafter als eine Leitung von oben herab. Dieser Satz bedeutet eine etwas übertriebene Reaktion gegen das Bevormundungssystem des absoluten Staates, enthält aber zweifellos einen berechtigten Kern, insofern er das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, den größten Erfolg mit den geringsten Opfern zu erzielen, verkündet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 395-396.
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