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Seite:Die Gartenlaube (1866) 763.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

haben wird, wenn das Geräusch eines Festungsbaues und die Anwesenheit einer Besatzung die Physiognomie der Gegend verändert. Für den Fall, daß diese Rücksicht auf Ihre Entschlüsse von Einfluß wäre, habe ich den Auftrag, Ihnen die annehmlichsten Gebote zu machen, die den Schätzungswerth Ihres Besitzthums um ein Bedeutendes übersteigen.“

Er schwieg und suchte auf dem beschatteten Gesicht des Marchese vergebens den Eindruck zu erspähen, den seine Worte gemacht hatten. Mit derselben etwas dumpf klingenden, aber gelassenen Stimme, wie vorhin, antwortete Jener:

„Sie werden mich verpflichten, mein Herr, wenn Sie alle weiteren Verhandlungen über diese Sache sich ersparen. Ich wiederhole, daß ich hier zu bleiben und das Weitere abzuwarten gedenke. Wenn ich Ihnen persönlich irgend einen Dienst leisten kann –“

„Nun wohl, Herr Marchese,“ nahm der junge Mann das Wort. „Ich bin allerdings in der Lage, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. Nach Ihren Erklärungen ist es doppelt nothwendig, daß ich einige Tage in der nächsten Nachbarschaft zubringe, Messungen anstelle und Aufnahmen mache. Ich habe Ihnen schon gestanden, wie schwer ich mich entschließen würde, mir bei dem Landvolk Quartier zu verschaffen, abgesehen von der Unsicherheit, in der sich dort meine Habseligkeiten und Papiere befänden. Auch Ihnen, Herr Marchese, bin ich kein willkommener Gast. Aber in dem Vertrauen, daß Sie den Menschen von seinem Amt werden zu trennen wissen, wage ich es dennoch, Sie um Gastfreundschaft für einige Tage anzugehen. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß ich mich in Allem Ihrer Hausordnung fügen und mit dem bescheidensten Winkel dieses Schlosses mich begnügen werde, der ja ohnehin kaum anders als für die Nacht mir Obdach gewähren soll.“

In diesem Augenblick trat der Einäugige herein, näherte sich mit dem sichtbaren Bemühen, eine einfältige Miene anzunehmen, seinem Herrn, und sagte im unverfälschten mailändischen Dialekt: „Der Bauer, der den Herrn Capitano hergeführt hat, will nicht länger warten. Er sagt, er müsse vor Mitternacht wieder zu Hause sein.“

Die kaltblütige Frechheit, mit welcher der Mensch, der nicht aus dem Vorzimmer gewichen war, die offenbare Lüge vorbrachte, empörte den Fremden. Um so freundlicher ward er berührt, als der Marchese, immer noch ohne seine Stellung zu verändern, nach einem kurzen Bedenken sagte:

„Schick’ ihn nach Hause, Taddeo. Der Herr Capitän bleibt im Castell. Du wirst ihm sogleich das Thurmzimmer aufschließen und ein Bett herrichten. Sorge, daß er sich nicht über Dich zu beklagen hat. Sie, mein Herr,“ fuhr er zu Eugen gewendet fort, „muß ich bitten, vorlieb zu nehmen. Mein Haus ist nicht auf Gäste eingerichtet, Sie werden Vieles vermissen, was zur Bequemlichkeit nöthig und erwünscht wäre. Und ferner bitte ich, es mir nicht übel zu deuten, wenn ich an meinen zurückgezogenen Gewohnheiten nichts ändere und es Ihnen selbst überlasse, in meinem Hause den Wirth zu machen. Im Uebrigen freut es mich, einem so geradsinnigen Manne und wackern Officier, wie ich in Ihnen kennen gelernt, einen kleinen Dienst erweisen zu können. Gute Nacht, Herr Capitän!“

Bei diesen Worten verneigte er sich leicht gegen seinen Gast, ohne doch die Hand anzunehmen, die dieser Miene machte, ihm darzubieten. Vielmehr wandte er sich zu dem Diener, der wie versteinert bald seinen Herrn, bald den Fremden anstarrte, und sagte ihm halblaut einige Worte im Dialekt, auf die der Bursche sofort seine Haltung änderte, ein paar Mal hustete, das einzige Auge blinzelnd zudrückte und dann mit raschen Katzentritten voraneilend dem Gast die Thür öffnete. Auf der Schwelle rief ihn sein Herr noch einmal zurück, um ihm mit halber Stimme weitere Befehle zu geben. Dann kam er eilig dem Fremden nach, zündete im Vorzimmer eine kleine Laterne an, die auf dem Sims des Kamins gestanden hatte, und leuchtete ihm die Treppen hinunter über den Hof, wo es inzwischen völlig Nacht geworden war, nach dem alten Thurmgeschoß, das finster aus dem Seitenflügel hervortrat. Eine eisenbeschlagene Thür ging kreischend auf, und als der Fremde die steilen Wendeltreppen erklomm, über die das rothe Licht der Laterne trübe hinflackerte, bereute er einen Augenblick, daß er nicht lieber in einer niedrigen Winzerhütte sich zu Gast gebeten, als hier oben in den ellendicken Thurmmauern, die ihn kühl und schaurig wie Kerkerwände umschlossen.

Doch fiel dies Gefühl von ihm ab, als er droben im zweiten Stock das Zimmerchen betrat, das ihn beherbergen sollte; Es war ein achteckiger, leicht überwölbter Raum mit zwei tiefen Fensternischen, an der einen Wand ein Himmelbett im besten Stil der Renaissance, Tisch, Sessel und Schrank mit Schnitzwerk aus derselben Zeit verziert, eine braune Vertäfelung, die in halber Mannshöhe an den Mauern herumlief, die Decke leicht mit rosenstreuenden Bübchen, Vögeln und Morgenwolken bemalt. Alles wohlerhalten und, bis auf den dumpfen Steingeruch des verschlossenen Raums, durchaus nicht kerkermäßig. Als er vollends die kleinen Fenster geöffnet hatte, vor denen sich die Zweige voll echter Kastanien ausbreiteten, fühlte er mit der reinen Nachtkühle ein unverhofftes Behagen hereinströmen. Er stand, während der Diener ab und zu lief, sein Gepäck heraufbrachte und Bett und Zimmer zurüstete, wohl eine Stunde lang in der Nische und weidete sich an dem Blick die Schlucht hinunter, die sich mehr und mehr im Mondschein lichtete. Ganz unten in der Tiefe, jenseits der Olivengärten und Reben, glänzte ein schmaler Silberstreif, in dem er eine Bucht des Sees wiedererkannte, die weit nach Westen austritt. Das Thal war völlig still, aus keinem der weißen Häuschen, die hier und da verloren aus dem Grün der Wälder vorschimmerten, kam ein Lichtschein oder eine Rauchsäule. Der Bach, an dessen Bett ihn heut der Weg entlang geführt hatte, war bis auf den Grund ausgetrocknet. Nur das Mondlicht schien in dem steinigen Bette hinabzuschwimmen und seinen glänzenden Strom unten in den See zu ergießen. Es lag ein Zauber in dieser einsamen Himmelspracht, daß der junge Fremde die Blicke nicht davon losmachen konnte. Erst als er die Thür des Zimmers zuwerfen hörte, sah er sich nach den Zurüstungen um, die der schweigsame Schleicher inzwischen beendet hatte. Eine dreiarmige Messinglampe stand auf dem Tisch und beschien ein einladendes Abendmahl, kaltes Wildpret, Brod, Oliven und Wein in einer geschliffenen Flasche.

Im Hintergrunde war das Bett mit glänzenden Linnen aufgeschlagen, der Mantelsack auf einen Sessel gestellt, das Becken zum Waschen mit frischem Wasser gefüllt, nichts fehlte, um es dem Gast so wohnlich zu machen, wie man es irgend in einer alten Bergveste bei plötzlichem Ueberfall erwarten kann. Und dennoch überkam den jungen Fremden ein seltsames Gefühl, als er allein sich am Tische niederließ und denken mußte, wie unter demselben Dache ein ebenso Einsamer vielleicht in demselben Augenblick sich zu Tisch setzte. Seinem offenen und heiteren Wesen lag sonst alles neugierige Grübeln fern. Er war mit Leidenschaft Soldat und die strengeren militärischen Wissenschaften, die er trieb, füllten ihn so völlig aus, daß er bisher im Leben blind an Vielem vorübergegangen war, was seinen gleichalterigen Cameraden wichtig und anziehend erschien. Er entsann sich jetzt, den Namen des Marchese früher schon gehört zu haben, auch daß man über sein plötzliches Verschwinden aus der Welt Glossen gemacht, war ihm noch erinnerlich. Nur pflegte er, wenn das Gespräch sich um Menschen drehte, die er nicht kannte, kaum mit halbem Ohr zuzuhören und im Stillen irgend einem technischen oder mathematischen Problem weiter nachzudenken. So hatte er auch die Topographie dieser Bergschluchten bis in die entlegensten Winkel hinein besser im Kopf, als die Sagen und Gerüchte, die über den Herrn des Castells von Mund zu Mund gingen. Nun aber war von dem kurzen Gespräch, das er mit dem Einsilbigen gepflogen, ein Nachgefühl in ihm zurückgeblieben, wärmer als bloße Neugier. Er hätte viel darum gegeben, jetzt ihm gegenüber zu sitzen und ihm in herzlichen Worten zu danken, daß er ihm, dem Fremden, der ihm fast als ein Feind erscheinen mußte, gleichwohl die gastlichste Aufnahme gegönnt habe.

Unter solchen Gedanken hatte er die Flasche, die vor ihm stand, hastiger, als seine Art war, geleert, und der schwere lombardische Wein fing an, ihm alle Adern zu entflammen. Er sah sich vergebens nach Trinkwasser um und ergriff endlich die leere Weinkaraffe, um hinabzusteigen und sie selbst am Brunnen unten zu füllen. Wie erstaunte er, als er die schwere Thür des Thurms verschlossen fand und auch auf sein Pochen und Rufen Niemand antwortete! So war er wirklich ein Gefangener und vielleicht alle diese freundlichen Anstalten zu seiner Bewirthung nur Trugmittel, ihn in Sicherheit zu wiegen. Freilich verwarf er diesen Argwohn schon im nächsten Augenblick, um so mehr, als er bemerkte, daß sein eigenes Zimmer von innen mit Schlüssel und Riegel sich fest

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_763.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)