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Seite:Die Gartenlaube (1866) 764.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

verwahren ließ. Aber ehe er zu Bette ging, hielt er es doch nicht für überflüssig, sein Nachtquartier noch genauer zu untersuchen. Er konnte nichts Verdächtiges bemerken, bis ihm einfiel, den hohen schwarzen Schrank von der Wand abzurücken. Eine verschlossene Thür kam zum Vorschein, in der freilich ebenfalls von innen der Schlüssel steckte. Doch einmal aus seiner Sicherheit herausgestört, hielt er es für durchaus nothwendig, die Thür zu öffnen und in das Nebengemach hineinzuleuchten.

Ein niedriger, langgestreckter Saal that sich auf, zu dem einige Stufen hinabführten. Als er, vorsichtig schreitend, ihn ganz durchmessen hatte, überzeugte er sich, daß nirgend ein Ausweg war, als durch sein kleines Thurmzimmer. Die Thür gegenüber war fest vermauert, der ganze Raum kahl und ohne alle Ausstattung, drei kleine Fenster, die nach der Thalseite gingen, mit Läden verschlossen, die in ihren rostigen Haspen sich nicht mehr bewegten, auf der Seite des Hofes drei andere Fenster mit staubüberzogenen, runden Scheiben. Der Saal schien viele Jahrzehnte schon nicht mehr betreten worden zu sein, denn der Holzwurm in der getäfelten Decke hatte Zeit gehabt, kleine Häufchen gelben Staubes auf dem Estrich anzusammeln. Es reizte den Fremden, eine der bleigefaßten Scheiben zu öffnen. Aber die plötzlich hereinwehende Nachtluft verlöschte ihm die Lampe, und so stand er im Finstern und sah in den Hof hinab nach dem Brunnen, an dem er gern sein glühendes Blut gekühlt hätte. Unten war Alles ganz still; die Platane warf ein dichtes Schattennetz über die Steinplatten, während ihr Wipfel in Mondschein getaucht war. Auch das Stück des Gartens, das er durch’s Gitter übersehen konnte, lag hell beschienen; er konnte deutlich die Rosenbüsche aus den schwarzen Cypressen vortauchen sehen. Das Alles erschien traurig und unheimlich, und eben wollte er das Fenster wieder schließen, um endlich im Schlaf alle Schauer dieses Ortes loszuwerden, als er durch eine Lücke im Gezweig der Platane einen Lichtschimmer bemerkte, der aus einem niedrigen Fenster des Erdgeschosses ihm gerade gegenüber hervordrang. Auch dieses Fenster war mit hölzernen Läden verschlossen, aber ein breiter Ausschnitt im oberen Theil, der wohl bei Nacht frische Luft einlassen sollte, ließ das Zimmer, das eine Lampe erleuchtete, bis in die halbe Tiefe übersehen. Eugen’s scharfes Auge erkannte deutlich einen runden Tisch in der Mitte, der ein einzelnes Gedeck trug, wie auch ein einzelner rohrgeflochtener Sessel davorstand. Ein altes Weib mit einem gelben, mürrischen Gesicht ging ab und zu, die Zurüstung des Mahls zu vervollständigen. Sie stellte eine gefüllte Wasserflasche und einen Teller mit Feigen auf den Tisch und schnitt von einem groben Brode ein Stück herunter, das sie in ein Körbchen legte. Dann trug sie eine dampfende Schüssel auf und verschwand wieder, wie um zu melden, daß das Mahl aufgetragen sei.

Diesen Augenblick benutzte der Fremde, um ein Fernrohr hervorzuziehen, das er stets bei sich trug. Er hatte es kaum vor sein Auge gestellt und auf das Fenster gerichtet, als das Weib wieder eintrat, diesmal aber nicht mehr allein. Doch statt des Hausherrn, den Eugen zu sehen erwartete, folgte ihr mit langsamen, halb nachtwandlerischen Schritten eine junge Frau, ganz in Grau gekleidet, das reiche blonde Haar einfach gescheitelt und im Nacken in einen schweren Knoten zusammengebunden, Gesicht und Hände von einer so durchsichtigen Blässe, daß die Haut der Alten dagegen wie mit einer dicken Tünche überklebt schien. Dem Späher aber fuhr es blitzschnell durch den Kopf, daß er dies schöne junge Gesicht schon irgend einmal vor Jahren gesehen haben müsse, wo es noch in Lebensfreude glühte. Jetzt war es wie von einer hoffnungslosen Krankheit gebleicht und verklärt. Die Augen sahen zerstreut und müde vor sich hin; keine Miene verrieth, ob sie das hörte, was die Alte mit eifrigen Geberden und heftigem Kopfnicken an sie hinredete. Sie hatte sich mechanisch an den Tisch gesetzt und zugesehen, wie ihre Dienerin ihr aus der Schüssel vorlegte. Es schien die landübliche Polenta zu sein; der Fremde konnte deutlich bemerken, daß die Alte ihrer jungen Herrin zuredete, zu essen, und das Gericht ihr anpries. Aber schon nach dem ersten Kosten legte sie den Löffel hin und schob den Teller zurück. Sie zerschnitt dann mit einem kleinen silbernen Messer das Brod und brach eine der purpurrothen Feigen auf. Auch davon genoß sie kaum einen Bissen, so sehr die Alte in sie drang. Ihre Augen waren starr in die Flamme des Lichts versenkt, das auf dem schneeweißen Tischtuch vor ihr stand. Endlich schienen sie überzugehen. Sie fuhr sich mit ihrer blassen schmalen Hand über die Stirn und stand hastig auf. Gegenüber an der Wand lehnte ein Betschemel, über dem ein schwarzes Crucifix hing. Da warf sie sich nieder und lag lange still, das Gesicht in beide Hände gedrückt.

Die Alte warf einen bekümmerten Blick gegen die Zimmerdecke und machte sich kopfschüttelnd daran, den Tisch wieder abzuräumen. Sie war längst damit fertig und hatte sich mit einer Näharbeit auf einen Sessel gekauert, als ihre Herrin erst vom Knieen sich erhob, das schöne junge Gesicht nur noch steinerner und trostloser. Nun begann die Alte, ihr etwas zu erzählen, wobei sie mehrfach nach dem Thurme hinüberdeutete. Offenbar sagte sie ihr, daß ein Gast im Castell eingekehrt sei, und schien Betrachtungen daran zu knüpfen, die ihr selbst von der größten Wichtigkeit waren. Aber die junge Frau sah in sich versunken zu Boden und öffnete die Lippen zu keinem Wort. Plötzlich ging sie vom Tisch weg und schien das Zimmer zu verlassen. Nun packte auch die Alte rasch ihre Arbeit zusammen und trug die Lampe vom Tische weg. Im Nu war unten Alles dunkel, wie in einem Guckkasten, wenn der Schieber vorgeschoben wird, und der fremde Zuschauer harrte vergebens mit klopfendem Herzen über eine Stunde, ob die Erscheinungen drunten nicht von Neuem auftauchen wollten. Nur hinter dem Gitterthor des Gärtchens glaubte er einmal die Gestalt der Alten sich bewegen zu sehen. Auch das kam nicht wieder, und er entschloß sich endlich seinen Posten zu verlassen und in sein Thurmgemach zurückzukehren.

Der Mond schien so hell herein, daß es überflüssig war, die Lampe wieder anzuzünden. An Schlaf aber konnte er noch nicht denken. Mit heißer Stirn und fiebernden Gedanken stand er lange am offenen Fenster und sah in das tiefe Thal hinab. So schön – so jung – und warum hier eingekerkert? sagte er vor sich hin. Es fiel ihm wieder ein, wo er ihr einst begegnet, wenn sie es überhaupt war. Vor fünf Jahren war’s im Hause eines französischen Generals, der einen Winter in Venedig zubrachte und auf einem Ballfest die Blüthe der deutschen und italienischen Gesellschaft versammelt hatte. Sie erschien damals mit ihrer Mutter, einer hohen, ernsthaften, allgemein sehr geachteten Dame, sie selbst noch im ersten Aufblühen, nicht über siebenzehn Jahre alt, Gestalt und Stimme und der lachende Ausdruck ihrer schwarzen Augen so unwiderstehlich, daß der junge Artillerie-Lieutenant, der sonst mit seiner Gleichgültigkeit gegen das schöne Geschlecht geneckt wurde, den ganzen Abend nur Augen für die junge Lombardin hatte. Es gelang ihm aber nur einmal, einen Tanz von ihr zu erhalten. Ein junger mailändischer Graf, ihr Vetter, hatte sich zu ihrem Ritter aufgeworfen und wich ihr selten von der Seite, und sie schien die Huldigung ihres schönen, etwas übermüthigen Landsmannes allen andern Bewerbungen vorzuziehen. Mit Eugen hatte sie nur wenig Worte gewechselt, genug, daß ihn die nächsten Wochen ihre Stimme und ihre Augen überall verfolgten. Dann sah er sie noch einmal am Tage, als sie mit ihrer Mutter und eben jenem Vetter in eine Gondel stieg. Er grüßte sie ehrerbietig; sie dankte, wie man einem Unbekannten dankt, darauf hörte er bald, daß sie Venedig verlassen habe und nach Mailand zurückgekehrt sei.

Welche Schicksale waren inzwischen über sie hereingebrochen und hatten das Roth von ihren Wangen geschreckt und die Augen um ihren Glanz bestohlen? Fünf Jahr nur – demnach konnte sie jetzt nicht über zweiundzwanzig Jahre alt sein. Und doch war ihr Mund schon so streng geschlossen, wie es ihrem Tänzer damals an ihrer Mutter aufgefallen war. Und wie kam sie in diese Wildniß? In welchem Verhältniß stand sie zu dem Herrn des Hauses, der sie zu hüten schien, wie man sein böses Gewissen oder seine tödtliche Krankheit vor den Blicken der Welt verbirgt? War es ihr Gatte, oder hatte er sie gar im Wahnsinn einer hoffnungslosen Leidenschaft in dies feste Schloß entführt, wie ein Raubritter aus dunkler Vorzeit, und ließ sie hinschmachten, da ihr Stolz und Abscheu nicht zu besiegen waren? Er rief sich die vornehm sichere Gestalt des Schloßherrn zurück und verwarf augenblicklich den Gedanken an ein so abenteuerliches Verbrechen, aber in der Lösung des finsteren Räthsels kam er darum nicht weiter.

(Fortsetzung folgt.)



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_764.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)