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Seite:Die Gartenlaube (1866) 762.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sternlose Augenhöhle herab. Diese ganze Seite des Gesichts schien von Schmerzen verzerrt, und die andere vor Wuth über diese Schmerzen. Mit einem kurzen scharfen Ton, der fast wie ein Bellen klang, fragte er, was man wolle; hier sei keine Herberge. – Ob der Marchese zu sprechen sei, fragte der Fremde, dem die Ungeschliffenheit des Pförtners seine ganze militärische Würde zurückgab. – „Nein,“ war die Antwort. Und damit wollte der Einäugige den Laden wieder vorschieben, als ein paar Worte, die der Bauer, dem Reisenden unverständlich, hinauf rief, den widerwilligen Menschen stutzig zu machen schienen. Er verlangte den Namen des Fremden zu wissen, und als dieser seine Karte in die Mauerlücke reichte, verschwand er alsbald, um nach zehn Minuten das schwere Portal mit einem großen Schlüssel aufzuschließen.

„Der Herr „Marchese will den Herrn Capitän empfangen,“ sagte er, auch jetzt mit sichtbarem Widerwillen. „Du da bleibst draußen!“ fuhr er den Bauer an.

„Und das Gepäck?“ fragte der Bursch, der den Mantelsack des Reisenden und einen Kasten mit Instrumenten einstweilen auf der Zugbrücke niedergelegt hatte.

„Trag’s in den Hof hinein,“ befahl der Officier, „und warte dann hier draußen, bis ich zurückkomme.“

Es war ihm befremdlich, daß der Bursch nicht einmal in den Hof treten sollte, und doch traute er ihm selbst nicht genug, um ihn unter vier Augen mit dem Gepäck vor dem Thor zurückzulassen. Er sah, wie sorgfältig der Einäugige die Thür wieder hinter ihnen verschloß, und von Neuem überlief ihn ein räthselhaftes Unbehagen, als er sich nun in dem öden Burghof umsah und den Hall seiner eignen Schritte an den kahlen Mauern vernahm. Unwillkürlich faßte er in die Tasche nach seiner doppelläufigen Pistole und ließ den schweigsamen Pförtner vorangehen. Es war dunkler hier im Schatten der hohen Zinnen, als draußen in der Schlucht. Zum Ueberfluß raubte der Wipfel einer hohen Platane, die mitten im Hof sich über einem Ziehbrunnen wölbte, ein großes Stück des Himmels. Zahllose Vögel nisteten hier und schwirrten plötzlich durch einander, als die Männer über die Steinplatten gingen. Sie schienen es nicht gewohnt, um diese Zeit Menschentritte zu hören. Dann sah der Fremde noch, während er seinem Führer zu einer schmalen Thür in der Ecke des Hofes folgte, ein hohes alterthümliches Erzgitter, das einen kleinen Garten verschloß. Späte Rosen und Cypressen wuchsen da, und ein Feigenbaum, der sich durch das Gitter hinausgezweigt hatte, gab Zeugniß dafür, daß diese Thür seit vielen Jahren nicht mehr geöffnet worden war und ungestört mit ihren Eisenstäben zum Spalier dienen konnte.

Um so mehr überraschte es ihn, als er das Innere betrat, dort keine Spur von Vernachlässigung zu finden. Die Stufen, die er hinangeführt wurde, waren sorgfältig gekehrt, die engen Gemächer einfach, aber wohnlich ausgestattet, die Scheiben der kleinen Fenster blank geputzt und seidene Vorhänge davor, die seinem flüchtigen Blick durchaus nicht hundertjährig erschienen. Er sah jetzt auch, daß der einäugige Diener in saubern Kleidern steckte, in einer jägermäßigen Livree, ein großes hirschfängerartiges Messer mit Perlmuttergriff umgegürtet, und bemerkte, daß er trotz seiner schweren Nagelschuhe leise auftrat. Zwei bis drei Vorzimmer im ersten Stock durchschritten sie, alle winklig und eng; dann öffnete der Diener ein größeres Gemach und blieb, stumm hineindeutend, an der Schwelle stehen.

Als der junge Fremde eintrat, stand eine hohe vornehme Gestalt von einem Schreibtisch auf, der, ganz mit Büchern und Papieren bedeckt, eine tiefe Fensternische ausfüllte und noch den letzten Tagesschein empfing. Im Uebrigen war das gewölbte Zimmer schon so dunkel, daß man an den hohen Büchergestellen, die fast alle Wände bedeckten, kaum mehr die goldgedruckten Titel auf den Einbänden lesen konnte. Auch auf dem Gesicht des Schloßherrn, als er sich jetzt dem Fenster ab- und dem Eintretenden entgegenwandte, konnte man das Spiel der Mienen nicht mehr deutlich unterscheiden, – wenn überhaupt diese festen Züge viel von den Regungen des Innern verriethen. Die stark ausgearbeitete Stirn, von schlichten, schon etwas angegrauten Haaren umrahmt, schien ein undurchdringlich fester Wohnsitz des Gedankens und Willens. Darunter Augen, von großer Schönheit und einem ruhigen Glanz, durch lange Uebung dazu gewöhnt, Alles zu sehen und nichts zu verrathen. Der untere Theil des bartlosen Gesichts wäre Niemand weder im Guten noch im Bösen aufgefallen, so wenig wie Haltung und Geberde des ganz in Schwarz gekleideten Mannes, der mit gekreuzten Armen unbeweglich am Tische lehnte und die Verbeugung des Fremden mit kaum merklichem Kopfnicken erwiderte.

„Ich habe um Verzeihung zu bitten, Herr Marchese,“ sagte der junge Officier, „daß ich Ihnen zu so später Stunde eine Störung bereite. Da ich meinen Diener krank in Riva zurücklassen und einen fremden Burschen annehmen mußte, gab es allerlei Aufenthalt unterwegs. Auch rechnete ich darauf, in dem Dorf unten am Ausgang des Thals ein passendes Quartier zu finden, und hätte Ihnen dann morgen erst meinen Besuch gemacht. Ich fand aber so unfreundliche Gesichter und so abscheulichen Schmutz in jenen Hütten, daß selbst meine soldatische Abhärtung davor zurückscheute. Und so entschloß ich mich –“

Der Marchese unterbrach ihn, indem er einen Sessel mitten in’s Zimmer schob und ihn mit einer stummen Handbewegung dem Besucher darbot. Dann nahm er selbst seine Stellung am Tisch wieder ein, die Augen ruhig auf den Redenden geheftet.

„Ich will mich kurz fassen,“ fuhr der Fremde fort. „Was mich zu Ihnen führt, ist nicht eine persönliche Angelegenheit, sondern ein Auftrag meines Vorgesetzten. Ich bin der Hauptmann Eugen von R. aus dem Generalstabe des Feldmarschalls Radetzky, der, wie Sie wissen, gegenwärtig in Verona sein Hauptquartier hat. Schon längere Zeit war die Rede davon, an dieser Seite des Sees ein befestigtes Fort anzulegen, um die Pässe zu sichern, die durch Judicarien nach Norden führen. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit vorzüglich auf dieses Thal, das alle natürlichen Bedingungen vereinigt, um militärischen Operationen einen sicheren Stützpunkt zu bieten. Sie selbst, Herr Marchese, haben im piemontesischen Heer mit Auszeichnung gedient, und so bedarf es Ihnen gegenüber keiner langen technischen Erörterung, um die Wichtigkeit dieses Punktes, vor Allem Ihres eigenen Schlosses, Ihnen darzuthun. Es ist mir nun der Auftrag geworden, zunächst die alten Generalstabskarten dieser Gegend einer genauen Revision zu unterwerfen und einige andere Punkte auf ihre fortificatorische Bedeutung zu untersuchen, dann aber Ihnen, Herr Marchese, die Frage vorzulegen, ob und unter welchen Bedingungen Sie sich entschließen würden, Ihren Besitz an die Regierung des Kaisers abzutreten. Sie sehen, daß Sie es mit einem Soldaten zu thun haben, der gerade auf sein Ziel losgeht. Ich habe gebeten, mich des ehrenvollen Auftrags ganz zu überheben, wenn es die Absicht sei, auf diplomatischen Umwegen unsern Zweck zu erreichen. Erst als man mir Vollmacht gab, ohne Rückhalt mit Ihnen zu verhandeln, übernahm ich diese Mission ohne Bedenken.“

Eine kleine Pause trat ein. Der Fremde hörte das Knistern der Nägelschuhe draußen auf den Steinplatten, mit denen das Vorgemach ausgelegt war. Offenbar stand der Einäugige horchend an der Thür.

„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Herr Capitän,“ sagte endlich der Marchese. „Lassen Sie mich eben so offen Ihnen erwidern, daß ich allerdings nicht gesonnen bin, dieses Haus zu verkaufen, zu welchem Zweck und an Wen es auch immer sei. Ich kenne die Gesetze Oesterreichs nicht genau genug, um zu wissen, ob die kaiserliche Regierung sich erlauben darf, mich mit Gewalt aus meinem Eigenthum zu entfernen. Jedenfalls bin ich entschlossen, dies abzuwarten.“

Das Gesicht des Fremden überflog eine leichte Röthe. „Sie täuschen sich, Herr Marchese,“ erwiderte er, indem er aufstand. „Man schätzt Ihren Namen und Ihre Verdienste zu sehr, um sich gegen Sie aller Rechte zu bedienen, die das Expropriationsgesetz dem Staat vielleicht an die Hand gäbe. Vielleicht, sage ich; denn auch ich weiß nicht, wie klar ein solcher Fall, wie der Ihrige, vorgesehen ist. Wenn diese Ablehnung unwiderruflich ist, so wird der Generalstab die Idee, dieses Castell auszubauen und mit neuen Werken zu befestigen, alsbald fallen lassen. Auch dies Ihnen zu gestehen, habe ich die Erlaubniß. Aber ich muß zugleich bemerken, daß damit der Plan, das Thal überhaupt zu befestigen, keineswegs aufgegeben ist. Wenn meine Untersuchungen mich etwa auf einen Punkt oberhalb Ihres Schlosses führen sollten, der geeignet schiene, so wäre es meine Pflicht, in diesem Sinne Bericht zu erstatten. Sie, Herr Marchese, haben sich seit einigen Jahren in diese Einsamkeit zurückgezogen. Ich muß es Ihnen anheimgeben, ob dieser Wohnsitz noch dieselben Reize für Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_762.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)