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Aufführung des Drama

[83] Aufführung des Drama.

Man sagt von einem Drama, es sey gut oder schlecht aufgeführt worden; deswegen scheinet das Wort Aufführung schiklich, die Vorstellung des Drama auf der Bühne zu bezeichnen. Die gute Aufführung hängt größtentheils von der Geschiklichkeit der Schauspieler, und von der guten Einrichtung der Bühne ab; aber auch der Dichter selbst kann viel dazu beytragen. Von dem, was zur Kunst des Schauspielers gehört, kommt in manchem Artikel dieses Werks verschiedenes vor: hier ist blos von dem Antheil die Rede, den der Dichter an dieser Sache hat.

Es ist sehr wichtig, daß er bey Verfertigung seines Stükes keinen Augenblik vergesse, daß er kein Werk zum Lesen, sondern bloße Reden für solche Personen schreibe, die als handelnde Personen auf die Schaubühne treten. Diese Vorstellung muß einen bestimmten Einfluß auf sein Werk haben. [83] Hat sie es nicht; so kann er vielleicht ein schönes Gespräch schreiben; aber ein vollkommenes Drama wird er nicht zu Stande bringen. In der That findet man, daß in dramatischen Stüken manches beym Lesen sehr gut gefällt, das auf der Bühne schlechte Würkung thut; und daß bisweilen die einfachesten Dinge, die im Lesen bey nahe übersehen werden, auf der Bühne von großer Schönheit sind. Die Ursache hievon ist, weil das Drama, in so weit der Dichter es verfertiget, nur ein Theil der Sache ist; die Handlung der Personen und was dazu gehört, machen den andern Theil davon aus.

Nur ein sehr erfahrner Schauspieler wäre im Stande dem Dichter zu sagen, was er so wol überhaupt, als in besondern Stellen aus Rüksicht auf die Aufführung seines Stüks, in Acht zu nehmen habe. Wir können hievon nur unvollkommene Winke geben.

Ueberhaupt erfodert die Schaubühne eine ganz eigene, nur für sie abgepaßte, Schreibart, die genau in dem Ton einer Person, die in einer Handlung begriffen ist, gestimmt seyn muß. Euripides konnte nicht wie Demosthenes, und Terenz nicht wie Cicero schreiben. Auch in der höchsten tragischen Schreibart, muß nichts den Geruch der Lampe des griechischen Redners verrathen. Alle Wörter, die blos dem Schrifsteller, oder dem Redner eigen sind, müssen da vermieden werden; weil die handelnden Personen weder Schriftsteller noch Redner sind. Die langen und gekünstelten Perioden sind hier gänzlich zu vermeiden, so wie die Wendungen, die aus Ueberlegung entstehen; denn man spricht da ohne Vorbereitung. Eine einzige Periode, die einem Schauspieler etwas sauer wird, wozu sein Athem nicht hinreicht, oder die das Feuer der Vorstellung etwas dämpft, hebt sogleich beym Zuschauer die Taüschung auf; er verliehrt die handelnde Person aus dem Gesichte und erblikt den Dichter.

In Rüksicht auf die Aufführung, muß der dramatische Dichter sich kürzer, als jeder andre Schrifsteller ausdrüken. Aber seine Kürze muß nicht eine erkünstelte oder erzwungene Kürze seyn, dergleichen einige Schriftsteller, nach dem Muster, das Tacitus gegeben hat, annehmen. Hieher können wir einen Fehler rechnen, wie wol er mehr die Sachen, als den Ausdruk betrifft, von welchem kaum die besten dramatischen Dichter frey sind. Er besteht darin, daß sie ihre Personen so gar ofte mehr sagen lassen, als der, mit dem sie sprechen, zu hören nöthig hat. Ein Theil dessen, was gesagt wird, gehört ofte blos für den Zuschauer, um ihn von etwas zu unterrichten, das der Dichter ihm auf eine bessere Art zu erkennen zu geben, kein Mittel wußte.

Hat der Dichter die Personen, denen er die Reden in Mund legt, vor Augen, stellt er sich ihr Spiel recht vor, überlegt er genug, was ihre Stellung, ihre Minen und der Ton ihrer Stimme, auszudrüken vermögen, so wird er an sehr viel Orten weniger sagen, als ein andrer Schriftsteller, der eben dasselbe historisch, rednerisch oder poetisch zu sagen gehabt hätte. Denn selbst die Winke und das sogenannte stumme Spiel kommen ihm zu statten.

Eine vorzügliche Aufmerksamkeit von Seiten des dramatischen Dichters erfodern die Auftritte, wo außer den würklich redenden Personen noch mehr andre zugegen seyn müssen. Sie werden gar zu bald langweilig, wenn die Reden eigentlich nur unter zwey Personen vorfallen, da doch vier oder fünfe zugegen sind, die alsdenn überaus magere Figur machen.

Dieses gilt fürnehmlich von den Auftritten in ernsthaften Stüken, wo die handelnden Personen in die höchste Leidenschaft gesetzt sind. Da hat der Dichter am wenigsten zu thun, weil der höchste Grad starker Leidenschaften mehr stumm, als beredt macht. Mit desto größerer Ueberlegung hat er auf die Würkung, welche die Sache bey der Aufführung haben wird, Acht zu geben. Dergleichen Auftritte, von denen man das meiste erwarten sollte, mißlingen den Schauspielern gar zu ofte, und nicht allemal durch ihre Schuld allein. Der Dichter versieht es insgemein darin, daß er verschiedenen Personen Reden in den Mund legt, wo sie schweigen sollten, weil er den Auftritt nicht will stumm lassen.

Es ist zu wünschen, daß Kunstrichter, welche die Schauspiele fleißig besuchen, auf diejenigen Stellen besonders Achtung geben, da der Dichter aus Mangel der Rüksicht auf die würkliche Aufführung, etwas versehen hat, und daß sie ihre Bemerkungen zum besten der dramatischen Dichter bekannt machen. Denn es sind vielleicht über keinen Theil der schönen Künste weniger Beobachtungen, als über diesen gesammelt worden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 83-84.
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