[664] Elektrizität. Wenn man eine Glasröhre oder eine Siegellackstange reibt, etwa am Rockärmel, so erlangen sie die Eigenschaft, leichte Körperchen, wie Papierschnitzel, Zigarrenasche u. dgl., anzuziehen. Da diese Eigenschaft schon in alter Zeit zuerst am Bernstein, den die Griechen Elektron nannten, beobachtet worden war, so nannte man den Zustand, in dem sich die geriebenen Körper befinden, elektrisch und das hypothetische unsichtbare Agens, von dem die Kraft ausgeübt wird (s. Kraft), E. Außer den genannten zeigen auch noch andre Körper, z. B. Porzellan, Harze (zu denen auch Siegellack und Bernstein gehören), Ebonit, Kollodium etc., diese Eigenschaft. Hängt man einen geriebenen Harz- (Siegellack-) Stab in der Mitte horizontal an einem dünnen ungedrehten Faden auf, so daß er sich leicht drehen kann, und nähert ihm einen geriebenen Glasstab, so wird er von diesem angezogen. Ein ebenso aufgehängter geriebener Glasstab wird dagegen abgestoßen. Ebenso findet Abstoßung zwischen zwei geriebenen Siegellackstäben statt. Es gibt also zwei verschiedene elektrische Zustände, als deren Ursache wir zwei verschiedene Elektrizitäten annehmen, die man Glas- u. Harzelektrizität nennen kann. Gleichnamige Elektrizitäten stoßen sich gegenseitig ab, ungleichnamige ziehen sich an. Eine in der Hand gehaltene Eisen- oder Messingstange läßt sich durch Reiben nicht elektrisch machen. Befestigt man aber die Metallstange an einem Griffe von Ebonit, den man mit der Hand faßt, so wird sie durch Reiben gleichfalls elektrisch. E. wird, wenn man die Metallstange unmittelbar in der Hand hält, zwar ebenfalls erzeugt, entweicht jedoch sofort durch das Metall selbst und die berührende Hand, während sie durch den Griff von Ebonit nicht fortgeleitet wird. Die E. hat die Fähigkeit zu fließen, ist ein Fluidum. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß eine zweite mit Ebonitgriff versehene Metallstange, mit der ersten in Berührung gebracht, einen Teil der E. aufnimmt. Beide sind nunmehr elektrisch, aber schwächer als die erste vor der Berührung. Die Schwächung ist natürlich um so beträchtlicher, je größer der ableitende Körper, und wenn er außerordentlich groß, z. B. die ganze Erde, ist, so wird die Wirkung verschwindend klein. Während also Metall die E. fortpflanzt oder leitet, besitzt Ebonit diese Fähigkeit nicht. Die besten Leiter (Konduktoren) der E. sind die Metalle; weniger gut leiten der menschliche Körper, Kohle, Wasser und viele andre Flüssigkeiten Holz, Papier, Stroh, Baumwoll- und Leinenfaser, Holundermark, Leder, viele Gesteine und Erde, die letztern namentlich, wenn sie feucht sind; Nichtleiter dagegen oder richtiger sehr schlechte Leiter sind Ebonit, Paraffin, Glimmer, Flintglas etc. Soll ein Leiter den elektrischen Zustand, in den man ihn auf irgend eine Weise versetzt hat, bewahren, so muß er rings vun Nichtleitern umgeben und dadurch von allen Leitern seiner Umgebung getrennt (isoliert) werden; wegen dieser Anwendung nennt man die Nichtleiter auch Isolatoren. Ein Metallkörper, der an gläsernem Griff in der Hand gehalten wird oder auf gläsernem Fuße steht, ist isoliert, denn die Luft, mit der er außerdem noch in Berührung steht, ist, wenn trocken, ein Nichtleiter; feuchte Luft leitet zwar an sich ebenfalls nicht, sie beschlägt aber die Oberflächen der festen Isolatoren mit einer dünnen Wasserschicht und macht sie dadurch leitend.
Ein an seidenem Faden, also isoliert, aufgehängtes Holundermarkkügelchen nennt man ein elektrisches Pendel. Berührt man das Kügelchen mit einem geriebenen Glasstab, so wird es da durch selbst elektrisch. Es wird nun von dem Glasstab abgestoßen, von einer geriebenen Siegellackstange aber angezogen. Macht man das Kügelchen mittels der Siegellackstange elektrisch, so wird es von dieser abgestoßen, von dem Glasstab dagegen angezogen. Die auf einem geriebenen Körper erregte E. läßt sich also ohne Änderung ihrer Beschaffenheit durch Berührung auf einen Leiter übertragen. Von zwei durch gläserne Griffe isolierten Messingplatten werde nun die eine glaselektrisch, die andre ebenso stark harzelektrisch gemacht; ob sie gleichstark elektrisch sind, erkennt man daran, daß sie die unelektrische Kugel des Pendels aus gleicher Entfernung gleichweit aus der lotrechten Gleichgewichtslage ablenken. Bringt man nun die Platten miteinander in Berührung, so erweisen sie sich nachher als vollkommen unelektrisch. Die beiden ungleichnamigen Elektrizitäten in gleichen Mengen miteinander vereinigt, heben sich gegenseitig auf oder neutralisieren sich. Zwei Größen, die sich so verhalten, bezeichnet man als entgegengesetzte, und zwar die eine als positiv, die andre als negativ. Dementsprechend nennt man die eine E. die positive (+E), die andre die negative E. (-E). Welche von beiden als positiv zu betrachten sei, darüber geben uns die Erscheinungen selbst keinen Wink; man ist aber übereingekommen, die Glaselektrizität positiv, die Harzelektrizität negativ zu nennen. Reibt man eine Glasstange mit einem Kautschuklappen und nähert diesen der zuvor mit negativer E. geladenen Kugel des elektrischen Pendels, so wird diese abgestoßen, von der Glasstange aber angezogen, und zeigt somit, daß, während letztere positiv elektrisch geworden ist, der als Reibzeug dienende Kautschuklappen negativ elektrisch wurde. Man nimmt daher an, daß die beiden Elektrizitäten durch das Reiben nicht erst entstehen, sondern in gleichen Mengen miteinander vereinigt in jedem unelektrischen Körper bereits vorhanden sind und durch das Reiben nur voneinander getrennt werden, so daß die eine auf dem geriebenen Körper, die andre auf dem Reibzeug auftritt. Stellt man sich auf einen Paraffinklotz oder Isolierschemel (s. Elektrisiermaschine) und versucht sich selbst zu elektrisieren, indem man eine Glasröhre reibt und diese sodann an den geriebenen Stellen berührt, so verschwindet (wie Franklin zuerst gezeigt hat) die E. vollkommen, d.h. bei Erzeugung von E. entstehen beide Elektrizitäten stets in gleicher Menge. Literatur s. Elektrizitätslehre.
[Rechtliches.] Nach § 242 des Strafgesetzbuchs kann nur eine »bewegliche Sache« gestohlen werden, d.h. ein körperliches Ding, das man berühren kann. Früher war deshalb die rechtswidrige Entnahme von elektrischer Energie (s. Energie) aus einer von einem andern betriebenen elektrischen Anlage nicht strafbar. Wohl ist die Energie beweglich und muß z. B. im Falle elektrischer Kraftübertragung über eine Landesgrenze verzollt werden, obschon die Leitungsdrähte sich nicht bewegen; indes ist sie sicher kein Stoff, obschon man von einem elektrischen Strom in der Leitung[664] spricht. Könnte man mit dem Chemiker Ostwald annehmen, daß die Materie nichts andres sei, als eine räumlich zusammengeordnete Gruppe verschiedener Energien, so wäre allerdings im Prinzip kem Unterschied zwischen einer körperlichen Sache und Energie. Indes ist diese Ansicht nicht bewiesen, und es würde auch untunlich sein, jede widerrechtliche Entziehung von Energie ohne weiteres als Diebstahl zu bestrafen. Eine solche findet z. B. statt, wenn jemand ohne Fahrkarte einen Eisenbahnzug besteigt, da die Lokomotive eine entsprechende Mehrarbeit zu leisten hat. Der Ausdruck Diebstahl von »E.« ist überhaupt unzulässig, denn nicht die E., sondern nur die Energie wird entwendet. Ein ähnlicher Fall wäre, wenn jemand widerrechtlich an einer Dampfanlage eine Zweigleitung anbrächte, etwa zum Betrieb einer Dampfheizung, und zwar so, daß der Dampf wieder in die Hauptanlage zurückströmt. Er stiehlt dabei nicht Dampf, sondern nur dessen Wärmeenergie; ebenso wenn jemand an einer hydraulischen Anlage zu Turbinenbetrieb widerrechtlich ein Zweigrohr anbrächte, um einen Wassermotor zu betreiben, aus dem das Wasser in den Hauptkanal abfließt. Er stiehlt nicht Wasser, sondern dessen Arbeitsfähigkeit oder Energie. Man kann auch sagen, daß die Arbeit, die er sich durch den Motor leisten läßt, gestohlen sei. In diesem Sinne spricht man auch von »Entwendung elektrischer Arbeit«, die nunmehr durch Reichsgesetz vom 9. April 1900, falls sie mittels eines Leiters, der zur ordnungsmäßigen Entnahme von Arbeit nicht bestimmt ist, in der Absicht rechtswidriger Zueignung erfolgt, mit Gefängnis von einem Tag bis zu fünf Jahren und mit Geldstrafe bis zu 1500 Mk. (oder einer dieser Strafen) bedroht ist. Neben Gefängnis kann auch auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Auch der Versuch ist strafbar. Wenn jemand ohne die Absicht, die elektrische Arbeit auszunutzen, solche widerrechtlich entzieht, lediglich in der Absicht, den Stromlieferanten zu schädigen, z. B. durch Herstellung eines Erdschlusses, durch den der Strom nutzlos zur Erde abfließt, und eventuell Versagen der ganzen Anlage herbeigeführt werden kann, oder durch Herstellung eines Kurzschlusses, durch den eventuell auch die Maschinenanlage beschädigt wird, so kann auf Geldstrafe bis zu 1000 Mk. und Gefängnis bis zu zwei Jahren erkannt werden. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.
Schon durch Reichsgesetz vom 1. Juli 1898 war bestimmt worden, daß Meßwerkzeuge, sofern sie zur Bestimmung der Vergütung bei gewerbsmäßiger Abgabe elektrischer Arbeit dienen sollen, nur verwendet werden dürfen, wenn ihre Angaben auf den gesetzlichen Einheiten beruhen. Der Gebrauch unrichtig (d.h. zugunsten des Stromlieferanten zu viel oder zugunsten des Stromabnehmers zu wenig) zeigender Meßgeräte wird mit Geldstrafe bis zu 1000 Mk. oder mit Hast bis zu vier Wochen bestraft. Vgl. Wengler, E. und Recht im Deutschen Reich (Leipz. 1900); Pfleghart, E. als Rechtsobjekt (Straßb. 19011902, 2 Tle.).
Buchempfehlung
Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro