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Erbsünde

[822] Erbsünde (Peccatum originis, Peccatuum originale, Peccatum hereditarium), die von Adam u. Eva (1. Mos. 3,16–19. Röm. 5, 12. Pecc. originans) auf alle von denselben abstammende Nachkommen übergegangene vererbte moralische Unvollkommenheit (Trägheit zum Guten u. Geneigtheit zum Bösen, Pecc. originatum), vgl. Sündenfall. Sie unterscheidet sich von der wirklichen Sünde wie die Ursache von der Wirkung. Das Dogma von der E. findet sich schon bei den Juden, vgl. 1. Mos. 8, 21. In der Christlichen Kirche wurde dasselbe, bes. durch die Auctorität des Apostels Paulus (Gal. 3, 22. 5, 17. Röm. 3, 23 f. 5, 12. 8, 5 f.), ein Gegenstand langwieriger u. heftiger Streitigkeiten. Schon Origenes störte die freiere allgemeinere Ansicht der älteren christlichen Kirchenlehrer, indem er sich gegen die Meinung der Gnostiker u. Manichäer von einer Fortpflanzung der Sünde durch die Generation erklärte, während in der Orientalischen Kirche bes. Justinus Martyr u. Clemens Alex. nur einen Mißbrauch der menschlichen Freiheit behaupteten. Tertullian entschied sich streng für die Ansicht der Fortpflanzung der E. durch natürliche Erzeugung. Die Widersprüche des Pelagius, der mit seinem Anhänger Cölestin die Wirklichkeit der E. bestritt, regten den Augustin auf, welcher, meinend, daß durch die pelagianische Ansicht das Verdienst Christi herabgesetzt werde, ein strenges System der Lehre von der E. aufstellte u. geltend zu machen wußte. Pelagius u. seine Lehre wurden auf den Synoden in Carthago 412, 416, 418 verdammt, u. Augustins System zur Kirchenlehre erhoben. Gleichwohl entstand in der Mitte des 5. Jahrh., bes. durch die gallischen Mönche Cassian, Gennadius, Vincentius, Faustus, der Semipelagianismus, welcher blos eine gewisse angeborene Schwäche der menschlichen Natur, welche sich mit der Sterblichkeit von den ersten Stammeltern auf alle Menschen fortpflanze, annahm u. vertheidigte, aber, bei allem Anhang, welchen diese Denkart im ganzen Occident fand, u. bei der gemäßigten Interpretation des Augustinischen[822] Begriffes von Seiten der Scholastiker Anselmus von Canterbury, Petr. Lombardus, Albertus Magnus u. A., die Oberhand nicht zu gewinnen vermochte. Es bildete sich vielmehr noch, um die Geburt Jesu von der E. auszuschließen, das lange streitige u. in der Katholischen Kirche erst 1854 als Kirchenlehre angenommene Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Jungfrau Maria (s. Mariä Empfängniß). Die Reformatoren kämpften zwar gegen die Kirchenlehre von den guten Werken, konnten aber die Augustinische Theorie nicht umstürzen, sondern weckten dieselbe vielmehr wieder. Nur Melanchthon bekannte sich später zu einer glimpflichen Ansicht, aber während Strigel behauptete, die E. sei nur ein zur Substanz des Menschen Hinzugekommenes, ein Accidens (daher seine Anhänger Accidentaler), verfocht Flacius gegen ihn die Behauptung, die E. gehöre seit dem Sündenfall wesentlich zur Substanz des Menschen (daher seine Anhänger Substantialisten), u. obschon sich die Concordienformel gegen Flacius erklärte, so vermochten sich doch die älteren Anabaptisten, Socinianer, Arminianer u. Quäker so wenig mit jener Theorie zu befreunden, daß sie sich ausschieden. Kant u. seine Anhänger setzten an die Stelle der E. ein Radicalböses; Schelling näherte sich mehr dem Manichäismus; die strengere Partei in der Lutherischen Kirche hat die E. nach der von Luther gebilligten Augustinischen Theorie wieder aufgenommen, dagegen erklären die Rationalisten die E. als eine in unserer geistig-sinnlichen Natur überhaupt bedingte Schwäche zur Erkenntnuß u. Übung des Guten, durch deren Bekämpfung u. Besiegung sich der Mensch aber zum wahren Tugendleben, dessen Ideal Christus ist, emporarbeiten könne.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 822-823.
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