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Karikatūr

[625] Karikatūr (v. ital. caricare, »überladen, übertreiben«, franz. charger), Zerr- oder Spottbild, eine charakteristische Darstellung, in welcher der dargestellte Gegenstand unverkennbar getroffen ist, einzelne Merkmale aber in Übertreibung hervortreten. In künstlerischer Beziehung hat die K. gleiches Recht wie die burleske Satire in der Poesie. Der Karikaturist kann, wie Hogarth, ganze (moralische oder soziale) Gattungen charakterisieren, wie den Dummen, den Geizigen, den Prahler, den Murrkopf, den Hochmütigen, den Wollüstling, den Spieler etc.; die an verschiedenen Repräsentanten einer Gattung hervortretenden Merkmale, auf das Abbild eines einzigen Individuums gehäuft, machen es zur K.; umgekehrt wird dagegen das nur an Einem Individuum, sonst nicht wiederkehrende Merkmal, karikiert aufgefaßt, zum Typus einer ganzen Gattung. Für die Komödie wie überhaupt für die poetische Satire ist die K. ein notwendiges Element; Caliban und Falstaff bei Shakespeare, der Don Quichotte des Cervantes, Tartaglia bei Gozzi, der Busso in der italienischen Opera buffa sind Karikaturen. Schon bei den Alten wurde die K. angewandt. Unter den Italienern zeichneten sich besonders Leonardo da Vinci, unter dessen Namen noch zahlreiche Zeichnungen karikierter Köpfe in den Sammlungen vorhanden sind, und Annibale Carracci als Karikaturisten aus, unter den Franzosen Callot, unter den Engländern Hogarth. Die politische K. ist zuerst in England und Frankreich gepflegt worden, von da nach allen übrigen Kulturstaaten gekommen und spielt heute eine bedeutende Rolle, namentlich in den Händen der Opposition gegen die Staatsgewalt. In England steht der »Punch« allen Karikaturisten[625] voran, stark hauptsächlich in der persönlichen K., worin sich überhaupt die Engländer hervortun. Cruikshank war der bedeutendste auf diesem Gebiet. In Frankreich waren während der großen und nach der Julirevolution Karikaturen (der sich selbst guillotinierende Henker, von Geköpften umgeben, als K. auf die Schreckenszeit; die »Birne« und der »Regenschirm« als K. auf das Bürgerkönigtum) häufig. Der »Charivari« geißelte Modetorheiten, lächerliche Szenen des geselligen Lebens und des Lebens in der Provinz. Gavarni, Grandville und Daumier waren damals die Hauptvertreter der französischen K., nach ihnen Cham und Grévin. Mit der Februarrevolution von 1848 trat die bis dahin durch strenge Gesetze in Schranken gehaltene persönliche K. wieder in den Vordergrund. Ihr verfielen Lamartine, Cavaignac, Ludwig Bonaparte und seine Familie, Proudhon etc. Die ersten deutschen Zerrbilder waren nur Nachdrucke fremder Blätter; erst zur Zeit des Wiener Kongresses wurde die K. auch in Deutschland lebendiger. Besonders war Napoleon I. ihr Gegenstand. In den 18:mer Jahren regte sich die politische K. von neuem. Die Reihe der Karikaturzeitungen eröffnete die Mainzer »Narrhalla« von Kalisch, ein Blatt voll Witz und Laune, jedoch ohne bedeutende karikierende Illustrationen. Seit 1844 erschienen unter Mitwirkung bedeutender Künstler die Münchener »Fliegenden Blätter« (s. d.), die »Düsseldorfer Monatshefte«, die »Leuchtkugeln« als ziemlich harmlose Karikaturblätter, von denen sich nur die erstern erhalten haben. Die geistreichsten und schärfsten Karikaturen seit der Bewegung von 1848 schuf der Berliner »Kladderadatsch« (s. d.), nach dessen Vorbild in allen größern Städten Karikaturblätter und politische Witzblätter entstanden (in Wien der »Figaro«, der »Floh«, die »Bombe« u. a.). Bleibenden Wert aber haben fast nur die Parlamentskarikaturen von Banü, die berühmt gewordenen Zeichnungen von Schrödter zu Detmolds (s. d.) Schrift »Taten und Meinungen des Herrn Piepmeyer«, erlangt. Während der Konfliktszeit in Preußen nahm die politische K., deren Spitze sich vornehmlich gegen Bismarck richtete, einen neuen Aufschwung, der sich durch die Kriege von 1866 und 1870 noch steigerte. Namentlich gab letzterer Veranlassung zu einer Hochflut von Karikaturen, die besonders Napoleon III. zum Gegenstand hatten. Eine umfangreiche, alle Länder umfassende Sammlung davon befindet sich in der königlichen Bibliothek zu Berlin. Von bleibender Bedeutung sind darunter die Karikaturen auf Bismarck im »Kladderadatsch«, meist von Wilhelm Scholz (gesammelt als »Bismarck-Album des Kladderadatsch«, 28. Aufl., Berl. 1903). Auf dem Gebiete der nichtpolitischen K. haben sich in Deutschland in den 1860er Jahren besonders Herbert König und L. Löffler, später neben den Zeichnern der »Fliegenden Blätter« (Harburger, Oberländer, Meggendorfer) besonders W. Busch (s. d. 4) und Schließmann in Wien einen Namen gemacht. In neuester Zeit hat die K., insbes. die politische, durch die in München erscheinenden Wochenblätter »Jugend« (seit 1896) und »Simplizissimus« (seit 1896) einen neuen Aufschwung genommen, vornehmlich durch die Zeichner des letztern (Thomas Theodor Heine, E. Thöny, B. Paul u. a.). In Berlin wird die politische K. außer durch den »Kladderadatsch« durch den »Ulk« (seit 1872) und die »Lustigen Blätter« (seit 1886, Zeichner Jüttner) gepflegt. Unter den französischen Karikaturenzeichnern der Neuzeit haben sich besonders Forain und Caran d'Ache einen Namen gemacht. Vgl. Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen (Liegnitz 1778; neue Ausg. von Ebeling, Leipz. 1886); Champfleury, Histoire générale de la caricature (Par. 1865–80, 5 Bde.; Ergänzungsband 1888); Th. Wright, History of caricature and grotesque (2. Aufl., Lond. 1875); die Werke von J. Grand-Carteret (s. d.); Bayard, La caricature et les caricaturistes (Par. 1901); Hermann, Die deutsche K. im 19. Jahrh. (Bielef. 1901); Fuchs und Krämer, Die K. der europäischen Völker vom Altertum bis zur Neuzeit (Berl. 1901–04, 3 Bde.); Maurice und Cooper, History of XIX. century in caricature (Lond. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 625-626.
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