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Huftiere

[604] Huftiere (Ungulata, Hufsäugetiere), Ordnung der Säugetiere, umfaßte früher alle Säugetiere, deren unbewegliche Zehen mit Hufen umgeben sind, also Einhufer, Zweihufer oder Wiederkäuer und Vielhufer oder Dickhäuter, jedoch sind jetzt die Elefanten (als Rüsseltiere) und die Klippdachse als besondere Ordnungen abgetrennt, auch ist wohl die Ordnung der H. ganz aufgelöst worden. Die Zehen der H. sind mit Hornschuhen (Hufen) bekleidet. Das Schlüsselbein fehlt. Das Gebiß dient zum Kauen pflanzlicher Nahrung, daher sind die Backenzähne stark entwickelt und mit Faltungen und Höckern versehen, während die Schneidezähne oft fehlen und zwischen ihnen und dem ersten Backenzahn (wenigstens bei den jetzt lebenden Arten) eine Lücke bleibt. Der Darmkanal ist besonders bei den nur auf Pflanzenkost angewiesenen Arten sehr lang, etwas kürzer bei den Omnivoren; im einzelnen weist namentlich der Magen große Verschiedenheiten auf. Überhaupt sind die zahlreichen Familien der H. recht abweichend organisiert. Die ältesten H. (die Condylarthra aus Nordamerika) berührten im Gegensatz zu den lebenden Formen mit fünf Zehen den Boden, sodann verringerte sich allmählich die Zahl der Zehen, und zugleich ist entweder die mittelste (3.) oder diese mit der folgenden (4.) zusammen zum Träger des Beines geworden, während die übrigen etwa noch vorhandenen Zehen als Afterklauen nicht mehr den Boden erreichen (Ausnahme: die Flußpferde, s. unten). Man trennt hiernach meist die H. in Paarzeher (Artiodactyla) und Unpaarzeher (Perissodactyla); doch ist der Name schlecht gewählt (weil es sowohl Paarzeher mit unpaaren Zehen als Unpaarzeher mit paaren Zehen gibt) und gilt nur für die Hauptzehen. Lebende H. kennt man gegen 60 Gattungen mit etwa 260 Arten; von ausgestorbenen findet man namentlich in Nordamerika noch immer stark abweichende Formen. Man leitet die H. von den Condylarthra ab und nimmt als deren Vorfahren [604] Fleischfresser an. Eine sehr alte, völlig ausgestorbene Gruppe sind auch die Amblypoda aus dem Eocän (fast alle aus Nordamerika), mit fünf Zehen an allen Füßen und mit vollständigem Gebiß; zu ihnen gehören unter anderm die riesigen Dinoceraten (s. d.).


Übersicht der Huftiere (im engern Sinn).


I. Anpaarzeher (Perissodactyla). In beiden Kinnladen Schneidezähne, die jedoch zuweilen bei erwachsenen Tieren ausfallen; Eckzähne meist vorhanden, klein; Backenzähne zwei- oder mehrhöckerig; Magen stets einfach, Blinddarm groß, Gallenblase fehlt; Rücken- und Lendenwirbel zusammen 22 oder mehr.

1. Familie. Lophiodonten (Lophiodontia). Nur fossil, sowohl in Europa (im Eocän) als in Nordamerika (im Miocän). Sie bilden zum Teil die Vorläufer der heutigen Tapire, führen aber zum Teil auch zu andern, nicht mehr lebenden Gruppen hin. Füße noch fünfzehig, jedoch die dritte Zehe am stärksten entwickelt. Wichtige Gattungen: Lophiodon, Coryphodon, von der Größe eines Stieres, und Pliolophus, beide mit vollständigem Gebiß (44 Zähne); letztere Gattung vielleicht die Stammform für die Paläotherinen nach der einen und die Paarzeher nach der andern Richtung.

2. Familie. Paläotherinen (Palaeotherina). Ebenfalls nur fossil aus dem Eocän und Miocän. Füße dreizehig, Schädel sehr ähnlich dem der Tapire, Nase wahrscheinlich zu einem kurzen Rüssel verlängert, vielleicht die Vorfahren der Pferde. Hierher namentlich Macrauchenia aus Südamerika, von Kamelgröße und mit langem Halse, sowie Palaeotherium (s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 12).

3. Familie. Tapire (Tapiridae). Vorderfüße mit vier, Hinterfüße mit drei Zehen; Nase mit kurzem Rüssel; Schwanz kurz; Haut kurz behaart. Nur zwei lebende Gattungen: Tapirus, der Tapir, und Elasmognathus, mit 5 oder 6 Arten in Mittel- und Südamerika und in Ostindien (Malakka, Sumatra, Borneo), früher weiter verbreitet, da fossile Tapire in Europa und in Nordamerika gefunden wurden; als ältesten Vorfahren nimmt man Lophiodon (s. oben) in Anspruch und kennt auch eine Zwischenform, Tapiravus.

4. Familie. Nashörner (Nasicornia). Die lebenden Nashörner gehen auf allen drei Zehen; von den Schneidezähnen fallen regelmäßig einige aus, Eckzähne fehlen; auf dem Nasenrücken und der Stirn bei den heutigen Arten ein Horn oder zwei Hörner hintereinander, bei einzelnen fossilen nebeneinander. Hierher die ausgestorbenen tertiären Aceratherium und Amynodon, ohne Horn und mit vier Zehen an den Vorder-, drei an den Hinterfüßen, Diceratherium, mit zwei Hörnern nebeneinander, Elasmotherium, ferner mehr denn 20 Arten fossiler echter Nashörner aus Europa, Asien und Nordamerika und endlich die noch lebende Gattung Rhinoceros (Nashorn), mit etwa 10 Arten, aus Afrika und Ostindien.

5. Familie. Pferde (Equidae) oder Einhufer (Solidungula). Füße der lebenden Pferde mit nur einer (der dritten) wohl entwickelten, behuften Zehe. Wegen der übrigen Charaktere und der sehr wichtigen Stammformen, wie Hippotherium, s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 7, u.a., s. Einhufer.

II. Paarzeher (Gleichzeher, Artiodactyla). Schneidezähne oft nur im Unterkiefer vorhanden, Eckzähne fehlen häufig; Backenzähne zusammengesetzt oder schmelzfaltig; Magen oft sehr kompliziert gebaut, Blinddarm einfach und oft kurz; Rücken-und Lendenwirbel zusammen stets 19. Man teilt sie meist in die beiden Gruppen der Dickhäuter oder schweineartigen Paarzeher und der Wiederkäuer; jedoch sind letztere wohl nicht einheitlichen Ursprungs (s. unten, 8. Familie).

6. Familie. Flußpferde (Hippopotamidae) oder Plumptiere (Obesa). Gestalt plump; Schnauze stumpf; Haut dick, fast nackt; Füße mit vier Zehen, die alle den Boden berühren. Nur die eine lebende Art Hippopotamus amphibius, das Flußpferd, in den großen Flüssen Afrikas. Die fossilen Flußpferde erstreckten sich durch Indien und ganz Europa bis nach England hin; ein Teil der Arten wird, da er statt 4 Schneidezähne 6 hat, zur Gattung Hexaprotodon zusammengefaßt.

7. Familie. Schweine (Suidae). Schnauze spitz oder zu einem stumpfen Rüssel verlängert; Haut mit Borsten bekleidet; nur zwei Zehen Berühren den Boden, sehr artenreiche und fast über die ganze Erde verbreitete Familie, deren lebende Vertreter (5 Gattungen mit über 20 Arten) nach der Bezahnung in 3 Unterfamilien zerfallen: a) Pekaris (Dicotylinae). Nur die Gattung Dicotyles, Pekari oder Nabelschwein, mit 2 Arten, in Amerika von Arkansas bis Paraguay; fossil Dicotyles u.a. b) Echte Schweine (Suinae). Hierher die Gattungen: Sus, Schwein, Porcus, Hirscheber, und Potamochoerus, in der Alten Welt; fossil Sus u.a. c) Warzenschweine (Phacochoerinae). Nur Phacochoerus, Warzenschwein, aus dem tropischen Afrika. Den Schweinen steht auch das fossile Anthracotherium (s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 11) nahe.

8. Familie. Selenodonten (Selenodontia). Mit schmelzfaltigen Zähnen. Nur fossil. Sie bilden die Vorläufer der lebenden Wiederkäuer, die sich in ihren einzelnen Familien ziemlich sicher bis zu bestimmten Gattungen der Selenodonten zurückverfolgen lassen. Die meisten haben noch alle 44 Zähne, was bei den Wiederkäuern nicht mehr der Fall ist. Die Unterfamilie der Oreodontidae oder wiederkäuenden Schweine aus dem Oligocän und Miocän Amerikas hielt die Mitte zwischen Wiederkäuern und Schweinen, ist aber völlig ausgestorben. Die europäischen Anoplotheriidae, mit Anoplotherium (s. Tafel »Tertiärformation III«, Fig. 5), Xiphodon, Gelocus, Dichobunus etc., liefern die Stammeltern für die Moschustiere, Hirsche, Antilopen, Giraffen etc., während die Vorfahren der Kamele amerikanischen Ursprungs zu sein scheinen.

9. Familie. Kamele (Camelidae) ober Schwielensohler (Tylopoda). Hörner und Geweih fehlen; die Füße treten nicht mit den Hufen, sondern mit der schwieligen Sohle auf, Afterklauen fehlen; Hals lang; obere Schneidezähne vorhanden; am Magen fehlt der Blättermagen. Lebend nur: Camelus, Kamel, mit 2, und Auchenia, Lama, mit 4 Arten; erstere ist auf Wüsten der Alten Welt, letztere auf die Berge und Wüsten im südlichen Teil von Südamerika beschränkt. Doch sind fossile Formen in Europa (Merycotherium) und sehr zahlreich in Nordamerika (Auchenia, Procamelus, Homocamelus) gefunden worden und lassen sich bis zum miocänen Poëbrotherium, das zur Familie der Selenodonten (s. oben) gehört, rückwärts verfolgen.

10. Familie. Zwergmoschustiere (Tragulidae). Ohne Geweih; obere Schneidezähne fehlen, beim Männchen ragen die obern Eckzähne wie Hauer vor; am Magen fehlt der Blättermagen; im übrigen hirschähnlich, aber klein. Lebend nur: Tragulus, mit 5 Arten in Ostindien und den größern dortigen Inseln, und Hyaemoschus, mit einer Art in Westafrika; fossil eine Art Hyaemoschus aus Südfrankreich sowie mehrere europäische Gattungen.

11. Familie. Moschustiere (Moschidae), neuerdings auch wohl der folgenden Familie eingereiht; ohne Geweih; Gebiß wie bei der vorigen Familie; Magen mit allen vier Abteilungen; Männchen mit Moschusbeutel hinter dem Nabel. Lebend nur Moschus moschifer, das Moschustier, in Zentralasien; fossil europäische und ostindische Gattungen, die sich auf die Selenodonten (s. oben) zurückleiten lassen.

12. Familie. Hirsche (Cervidae). Männchen, seltener auch alte Weibchen, mit Geweih, das periodisch abgestoßen und erneuert wird (s. Geweih); die obern Schneidezähne, meist auch die obern Eckzähne, fehlen; Afterzehen vorhanden. Lebend 6 Gattungen mit 50 Arten, die in den Wäldern und offenen Ebenen von Europa, Asien und Amerika, in Afrika nur an der Nordküste, in Australien und Polynesien gar nicht vorkommen, hierher unter andern Alces, Elen; Rangifer, Renntier; Cervus, Hirsch und Reh; Dama, Damhirsch. Fossil sind Hirsche in Europa sehr häufig, in Amerika sehr selten gefunden worden; hierher unter andern der Riesenhirsch oder Schelch (Megaceros hibernicus) aus Irland (s. Tafel »Diluvium II«, Fig. 8), der noch im 12. Jahrh. gelebt haben soll.

13. Familie. Giraffen (Camelopardalidae) oder Abschüssige (Devexa). An Stelle des Geweihes zwei von Haut überzogene Knochenzapfen; obere Schneide- und Eckzähne fehlen; Schultern viel höher als das Becken, Schwanz lang. Lebend nur Camelopardalis giraffa, die Giraffe, in den offenen Landstrichen Afrikas; fossil ist sie wie auch die ältern Gattungen Helladotherium, Sivatherium und Bramatherium in Südeuropa und Ostindien gefunden worden. Hierher auch das im Kongogebiet (1900) entdeckte und der Giraffe wie dem Helladotherium nahestehende Okapi (Okapia Johnstoni), s.d.

14. Familie. Horntiere (Cavicornia), d.h. Rind, Schaf, Antilope, Gemse etc.; s. Horntiere.


Vgl. Cuvier, Recherches sur les ossements fossiles (4. Aufl., Par. 1836); Kowalewski, Versuch einer natürlichen Klassifikation der fossilen H. (Kassel 1873); Sundevall, Übersicht über die wiederkauenden Tiere (Stockh. 1844); Gray, Synopsis of the [605] species of deer (Lond. 1850); Schlosser, Beiträge zur Stammesgeschichte der H. (Leipz. 1886).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 604-606.
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