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Zentralasien

[891] Zentralasien (hierzu die Karte »Zentralasien«), die zuerst von Ritter gebrauchte Bezeichnung für den Rumpf des Kontinents Asien im Gegensatz zu den Gliedern, während A. v. Humboldt das Gebiet so nannte, das vom Kaukasus im W., Sibirien im N., China im O. und Indien im S. begrenzt wird. Indes hat F. v. Richthofen diese Begrenzung als unhaltbar nachgewiesen und Z. auf das größtenteils abflußlose Land zwischen dem Altai im N., dem Pamir im W., der Wasserscheide von Indus und Brahmaputra im Hochland von Tibet im S., der Wasserscheide der Riesenströme von China (Yangtsekiang und Hwangho) und dem Chingangebirge im O. beschränkt; diesem Kern sind die »peripherischen Gebiete«, wie Russisch-Turkistan und das Hochland Iran, angeschlossen. Somit ist Z. das zusammenhängende festländische Gebiet der, geologisch betrachtet, alten abflußlosen Wasserbecken, ein Land, wo die durch den Charakter der Abflußlosigkeit bedingten Erscheinungen zu vollem Ausdruck gekommen sind. Zwischen dem eigentlichen Z. und den peripherischen Ländern liegt eine Übergangszone, nämlich Teile der abflußlosen Gebiete, die in den jüngsten Perioden Abfluß erhalten haben (oberes Indusbecken im Hochtibet, Kuku Nor-Becken scheint nachzufolgen), oder Gebiete, in denen das Umgekehrte stattgefunden hat (Pangkongsee in Westtibet). Die Oberflächengestalt von Z. ist durch viele große und kleine, äußerst flache, mit Steppenboden erfüllte Senkungen ausgezeichnet, in denen das niederfallende Wasser von den Rändern zur Mitte fließt und entweder schon vorher versiegt oder dort in einem Salzsee oder Salzsumpf endet oder endlich zu einem benachbarten tiefern Becken weiterfließt. Zwischen den Senken erstrecken sich meist nur einförmige, flach gerundete Rücken; unmerklich steigt man dann vom Salzsee auf dem Steppenboden nach dem Scheiderücken auf und ebenso nach einem vielleicht viel größern und tiefer gelegenen Becken wieder hinab. Doch ragen als mächtige Bergmassen bis in die Schneeregion empor der Tiënschan, der die Mongolei im N. von Ostturkistan und der Gobi im S. trennt, und die vorwiegend aus kristallinischen Gesteinen bestehende Nordkette des Kwenlun (Altyntag) und ihre Fortsetzung im Nanschan (s. d. 1), während die Ketten auf dem Hochland von Tibet (s. d.) mit einigen Ausnahmen auch mehr als flache Rücken erscheinen (vgl. Asien, geologische Verhältnisse). Die Steppen von Z. scheidet Richthofen in Löß-, Sand-, Kies- und Steinsteppen; dazu kommen größere Wüstenflächen. Die größte Steppe in Z. ist das Han-hai (s. d.), das fast das ganze Tarimbecken und die Mongolei (die [891] Schamo oder Gobi) umfaßt. Den größten Teil des Tarimbeckens nimmt die große Sandwüste Taklamakan (s. d.) ein. Die Schamo (s. Gobi) ist im SW. mehr als Sand-, im O. mehr als Kiessteppe entwickelt, vielfach mit Übergang in den Wüstencharakter. Die Lößsteppen mit lehmartigem Boden, der bald braungelb, bald durch Aufnahme verwesender Pflanzenreste schwärzlich erscheint, finden sich besonders im S. und SO. von Z. und geben die besten Weid plätze. Die Stein- oder Schuttsteppen, meist in den Randgebieten der Becken, sind durch scharfkantigen Gesteinsschutt in lockerm Zersetzungsboden gekennzeichnet. Nutzbare Mineralien besitzt Z. nur in geringer Menge (vgl. Nephrit). – Das Klima ist charakterisiert durch außerordentliche Trockenheit der Luft, sehr spärlichen Regenfall, heiße Sommer und strenge Winter. Die östlichen Gebietsteile haben etwas mehr Niederschlag. Jarkand (Seehöhe 1270 m, 38°25' nördl. Br.), Jahrestemperatur 12,3°: Januar -6,0°, April 17,8°, Juli 27,6°, Oktober 13,4° (Extreme -17,9° und 39,4°); Urga (1150 m, 47°55'), Jahrestemperatur -2,5°: Januar -26,7°, April 1,0°, Juli 17,7°, Oktober -1,9° (mittlere Extreme 38,2° und -42,6°); Regenmenge 260 mm. In der Mongolei (s. d.) weht im Winter ein heftiger austrocknender Nordwestwind oft Wochen hindurch. Frühling und Herbst fehlen in den Steppen.

Die Vegetationsformationen sind sehr einförmig: Wüsten, Steppen mit einjährigen Kräutern, dickwurzeligen Stauden, dornigen Halbsträuchern und Zwiebelgewächsen und Wälder von borealem Typus. Unter den charakteristischen Pflanzenordnungen ragen hervor die Salsolazeen mit dem Saxaul (Haloxylon Ammodendron), Polygonazeen, Rhabarbergewächse, Tamarisken und Zygophylleen. In Turkistan sind Astragaleen zahlreich neben Zwiebelgewächsen (Allium, Tulipa, Fritillaria). Ein Steppengras von hohem Wuchs, Lasiagrostis splendens, das Dyrissun, geht vom Kaspi user bis nach Tibet und der dsungarischen Wüste. Durch weite Verbreitung zeichnet sich aus die Konifere Picea Schrenkiana und ein Wacholder, Juniperus Pseudosabina. Sonst sind Birken und Pappeln (Toghrak) die herrschenden Bäume, während einige, zugleich mitteleuropäische Sträucher auch in Innerasien ein üppiges Wachstum und weite Verbreitung haben, so Hippophae rhamnoides, Myricaria germanica.

In der Tierwelt birgt Z. hervorragende Charakterformen, wie den Yak, den persischen Mufflon, den Argali, mehrere Antilopen, Hirsche und Rehe, mit dem seltenen Milu Chinas, dem Muntjak und andern verwandten Formen, das Moschustier und das wilde Kamel; von den Unpaarzehern das verwilderte asiatische Pferd (Tarpan), das Urpferd (Equus Przewalskii), den Pallasschen Wildesel (Dschiggetai); von Nagern Springmäuse (Jerboa und Alakdaga) und Pfeifhasen (Lagomys); von Insektenfressern eine ganze Anzahl eigentümlicher Gattungen; von Raubtieren Nebelparder, Manul, Irbis, Zwergkatze, Sumpfluchs, Luchskatze und Bären, eine Art des syrischen Bären, dann den Panda und Ailuropus. Von den Vögeln haben die Fasanen, Pfauen und Steppenhühner ihre Heimat in Z., von den Reptilien die Krötenköpfe; von Insekten treten Laufkäfer hervor. Die Molluskenfauna Zentralasiens kann als chinesische Provinz abgesondert werden, die Clausilien sind in einer eigentümlichen Untergruppe entwickelt.

Die Bevölkerung Zentralasiens zeigt wie das Land eine überraschende Zusammengehörigkeit. Ursprünglich wohnten die Indogermanen, die sich noch bis heute in abgelegenen Tälern erhalten haben, wo sie ihr Leben von etwas Feldbau, Viehzucht und Jagd fristen. Die große Masse, die führenden Stämme. gehören heute zur türkisch-tatarischen Familie (Kirgisen, Mongolen, Uzbeken, Turkmenen, s. d.); fleißige Ackerwirte sind die Nachkommen der altiranischen Kolonisten, die Tadschik und Sarten (s. d.). Das Areal von Z. läßt sich (mit Ausnahme aller peripherischen Länder) auf 9,769,000 qkm, die Zahl der Bewohner auf 21,1 Mill. berechnen, wovon auf Russisch-Z. nebst Bochara und Chiwa 10,8 Mill., auf Tibet 6,5 Mill., auf die Mongolei 2,6 Mill., auf die chinesische Dsungarei und Ostturkistan 1,200,000 kommen dürften. Die Religion ist durchweg der Islam, dagegen herrscht große Mannigfaltigkeit in der Sprache. Persisch wird im SW., türkisch-tatarisch im Zentrum, mongolisch im O. gesprochen. Der Lebensweise nach sind die Bewohner der Flußufer seßhaft, die der Steppe Nomaden. Für Verkehrswege ist nur in neuester Zeit in dem russischen Teil Zentralasiens, dort aber auch sehr viel, getan worden, namentlich durch die Transkaspische Bahn. Über die Erforschung von Z. vgl. Artikel »Asien« (Entdeckungsgeschichte), S. 868ff.; über das Vordringen Rußlands s. Artikel »Russisch-Zentralasien« (mit Karte). Vgl. A. v. Humboldt. Asie centrale (Par. 1843, 3 Bde.; deutsch von L. Mahlmann, Berl. 1844, 2 Bde.); Mac Gregor, Central Asia, compiled for political and military reference (Kalkutta 1871, wichtiges anglo-indisches Sammelwerk); Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (deutsch, Leipz. 1874); F. v. Hellwald, Zentralasien (das. 1874); v. Richthofen, China (Berl. 1877 ff.); Marvin, Reconnoitring Central Asia, between Russia and India (2. Aufl., Lond. 1885); Lansdell, Chinese Central-Asia (das. 1893, 2 Bde.); Futterer, Die allgemeinen geologischen Ergebnisse der neuern Forschungen in Z. und China (Ergänzungsheft 119 zu »Petermanns Mitteilungen., Gotha 1896); E. v. Salzmann, Im Sattel durch Z. (Berl. 1902); S. Hedin, Im Herzen von Asien (Leipz. 1903, 2 Bde.) und. Scientific results of a journey in Central Asia 1899–1902« (Stockh. 1901 bis 1908, 6 Bde.); Obrutschew, Z., das nördlich »China und der Nanschan« (russ., Petersb. 1900–01). Unter den Karten von Z. ist Walkers »Map ot Central Asia« (mehrfach aufgelegt) hervorzuheben. Weitere Literatur bei den Artikeln. Asien, Ostturkistan. Tibet, Mongolei, Russisch-Zentralasien.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 891-892.
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