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Gießerei

[833] Gießerei (hierzu die Tafel »Gießerei« mit Text), Formgebung gewisser Materialien, die im flüssigen Zustand in Formen (Gußformen) gegossen und darin fest werden, liefert Gußstücke (Gußware). Man unterscheidet Eisen-, Bronze-, Messing-, Zink-, Zinn-, Blei-, Wachs-, Stearin-, Gips-, Zement- etc. G. und dementsprechend Eisenguß, Bronzeguß etc.; dann Kunstgießerei und Kunstguß; ferner Schrot-, Kugel-, Lettern-, Geschütz-, Kerzengießerei etc. Das Flüssigmachen der Gußmaterialien erfolgt durch Schmelzen (Metalle, Glas, Wachs, Stearin, Harz. Leimgallerte etc.) oder durch Anrühren mit Flüssigkeiten (Gips, Zement etc. mit Wasser u. dgl.). Leicht schmelzbare Materialien (Wachs, Stearin, Blei, Zinn, Zink u. dgl.) werden in Löffeln, Kellen oder in eingemauerten eisernen Kesseln, die schwer schmelzbaren Materialien (Eisen, Bronze, Stahl etc.) in feuerfesten Tiegeln oder in Schmelzherden geschmolzen. Zu den letztern gehören als die wichtigsten die im Artikel »Eisengießerei« beschriebenen Kupolöfen und Flammöfen, welch letztere insbes. auch zum Schmelzen von Bronze Verwendung finden. Tiegel dienen hauptsächlich zum Schmelzen von Stahl, Bronze, Messing, Neusilber, Gold, Silber etc. und bedürfen dazu einer hohen Hitze, die in Ofen, am besten in solchen mit Regeneratoren, erzeugt wird. Über Schmelzvorrichtungen s. die beifolgende Tafel und Artikel »Ofen«.

[Formerei.] Das Formmaterial für die Gußformen darf beim Gießen von Metall nicht schmelzen, beim Gießen von wässerigem Gußmaterial sich nicht auflösen etc. In der Metallgießerei verwendet man daher ganz allgemein Sand (magern und fetten), Lehm und Metall, bei Gipsguß etc. Gips, Zement und Leimgallerte; außerdem kommen Formen aus Papier (zur Anfertigung der Stereotypplatten, s. Stereotypie), aus Stein (Serpentin zum Gießen der Bleifiguren) und Holz (für Betonguß) vor. Formen aus Metall heißen Schalen, Coquillen oder Eingüsse. Da das Gußmaterial beim Erstarren gewöhnlich schwindet, d. h. sich zusammenzieht, muß die Form um das Schwindmaß größer sein. Dieses beträgt bei Gußeisen 1/97, Messing 1/64, Bronze 1/77, Kanonenmetall 1/130, Zink 1/80, Blei 1/92, Zinn 1/147 in jeder der drei Dimensionen. Während Metallformen durch Gießen, auf der Drehbank durch Abdrehen, Drücken (Blechformen) etc., durch Pressen oder durch Ziselieren (Gravieren), Papierformen durch Pressen des nassen Papiers, Steinformen durch Schneiden hergestellt werden, erzeugt man die Formen aus dem durch Anfeuchten plastisch gemachten Sand durch Stampfen mit einem Stampfer um ein Modell, d. h. einem Körper aus Holz oder Metall, der dem Gußstück gleicht. Um das eingebettete Modell aus der Form herausbringen zu können, wird es oft in mehrere Teile zerschnitten (zerschnittene Modelle), die einzeln eingeformt werden, so daß Formteile entstehen, die durch Zusammenstellen die volle Form bilden. Bei hohlen Gußstücken werden Kerne in Kerndrückern, auf der Drehlade etc. erzeugt, die den Hohlräumen gleichen und in die Formen gelegt werden. Modelle dienen hauptsächlich in der Sandformerei, die wieder in Herdformerei und Kastenformerei zerfällt, je nachdem man das Einformen direkt in dem den Fußboden des Formerraums bildenden Sand oder in transportabeln Gefäßen (Formkasten, Formflaschen) vornimmt. In der Lehmformerei hat sich besonders die Schablonenformerei, d. h. Anwendung von Drehbrettern oder Schablonen, ausgebildet, mit denen man vermittelst einer Drehspindel die Form abdreht. So wird z. B. zum Formen einer großen Glocke erst ein Kern aufgemauert, mit Lehm beworfen und abgedreht, wodurch die innere Form entsteht. Auf diesen Kern bringt man eine Lage von Lehm, welche die Dicke der Glocke hat und, wieder mit der Schablone abgedreht, die äußere Form gibt, somit das Modell darstellt und auch Modell, Dicke oder Hemd heißt. Hierüber bildet man dann durch Umkneten den äußern Formteil (Mantel), der später abgehoben wird, um das Hemd durch Zerschneiden und Abschälen zu entfernen, und dann, wieder über den Kern gesetzt, die Form vollendet, die endlich, scharf ausgetrocknet (gebrannt), zum Guß vorbereitet ist. Da die Beschaffenheit des fetten Sandes (Masse) und des Lehmes lange Zeit auf die Herstellung der Form zu verwenden gestattet, so dient die Masse- und Lehmformerei besonders für den Kunstguß, die oft Monate in Anspruch nimmt. Zum sichern und genauen Ausheben des Modells dienen oft mechanische Mittel, z. B. zum Ausdrehen von Schrauben, Rotationskörpern (Drehmodelle).

Die Formmaschinen bewirken nur das Ausheben des Modells, oder das Einbetten des Sandes, oder beides, oder sie machen überhaupt ein Modell[833] überflüssig. Formmaschinen zum Einbetten bestehen aus mechanisch gehobenen und frei niederfallenden Stampfen, Preßschrauben, Kniehebel, Preßplatten mit Druckluft- oder Druckwasserantrieb. Formmaschinen nach dem Prinzip der Schablonenformerei erzeugen die Form durch Herumführen einer Schablone, also ohne Modell. Näheres s. beifolgende Tafel.

[Gießen.] Das Eingießen in die Form geschieht entweder direkt aus dem Schmelztiegel, oder dem Schmelzofen (Laufenlassen), oder durch Löffel, Kellen, Pfannen. Diese benutzt man namentlich in der Zinn-, Blei-, Zink- und Eisengießerei und paßt sie der Größe des Gußstückes so an, daß ihr Inhalt jedesmal die Form sicher füllt, weil ein Nachgießen Ausschuß liefert. Damit die Formen gut ausgefüllt werden, sind sie mit entsprechend hoch gelegenen Eingußkanälen sowie Luft- oder Windpfeifen versehen. Die Eingüsse bilden zugleich Behälter, aus denen Metall nachsackt, um einen Druck auf den Forminhalt auszuüben (Gießkopf, verlorner Kopf, Anguß). Zum Transport großer Mengen geschmolzenen Eisens oder Stahls nach den Orten, wo das Gießen in Formen oder Eingüsse stattfinden soll, dienen fahrbare Krane oder Wagen, die von einer auf ihnen stehenden Dampfmaschine oder einem Elektromotor bewegt werden (Gießlokomotive), wobei diese Maschinen auch das Kippen der großen Gießhübel, deren Drehung im Kreis und sonst erforderliche Bewegungen hervorbringen. Kaltguß, also Ausschuß, entsteht, wenn die Form unvollständig gefüllt wird. Ost werden einzelne Teile der Form aus Wachs mit eingeformt und beim Trocknen der Form in der Wärme durch Herausschmelzen entfernt. Man macht vielfach den Kern dadurch entbehrlich, daß man das Metall in die Form und, nachdem sich an den Formwänden eine erstarrte Kruste gebildet, wieder aus derselben herausgießt (Sturzguß, Schwenkguß). Diese Kruste ist dann das Gußstück. In der Letterngießerei wird das geschmolzene Metall vermittelst einer kleinen, in dem Schmelzkessel stehenden Druckpumpe in die Form gepreßt (Gießmaschine). Hierher gehört auch der selten angewendete Zentrifugalguß, bei dem die Form in schnelle Rotation versetzt wird, um dadurch das Metall an die Formwand anzupressen. Die Gußstücke werden erst nach dem völligen Erstarren, wenn auch oft noch im glühenden Zustand, aus der Form genommen und von anhängendem Sand und nicht hingehörendem Metall (Gußzapfen, Windpfeifen, Gußnähten etc.) durch Putzen mittels Sandgebläse, Bürsten, Meißel, Feilen, Schleifsteine befreit. Vgl. Eisengießerei, Bronzeguß.

Zum Abgießen von Naturgegenständen benutzt man letztere selbst als Modell. Man überzieht z. B. eine Eidechse, Spinne, Blume, Pflanzenteile etc., an Drähten hängend, durch Aufpinseln von dünnem Gipsbrei mit einer zarten Gipslage und formt sie dann durch Übergießen mit einem aus 3 Teilen Gips und 1 Teil Ziegelmehl oder aus seinem magern Ton mit Alaun- oder Salmiakwasser hergestellten Brei so ein, daß für den Austritt der Luft die sogen. Windpfeifen durch Drähte und für das Eingießen des Metalls Eingüsse durch keilförmige Holzstücke mit entstehen. Diese Form wird dann sehr langsam getrocknet und endlich so stark gebrannt, daß die eingeschlossenen Körper in Asche verwandelt werden, die mit Quecksilber herausgespült wird. Das Gußstück erhält man durch Erweichen der Form in Wasser unbeschädigt. Zur vollständigen Ausfüllung der feinsten Teile der Form saugt man vor dem Gießen die Luft mittels einer Luftpumpe aus der Form. Die Japaner formen auch zur Herstellung gewöhnlicher Gußstücke die Holzmodelle in Ton ein und entfernen sie durch Ausbrennen. Dabei werden die Verzierungen aus Wachs angefertigt und vorher auf das Modell geklebt. Über Schalen- oder Coquillengußs. Hartguß. Uchatius hat nach dem Prinzip des Schalengusses zur Erhöhung der Festigkeit Bronze um einen kupfernen Kern gegossen (s. Bronze, S. 454). Manche Metalle werden mitunter zur Vermeidung porösen Gusses unter hohem Druck gegossen, der durch Verdampfen von Wasser oder flüssiger Kohlensäure in der Form unter der Einwirkung des einfließenden glühenden Metalls hervorgebracht wird.

[Geschichtliches.] Bronzegießerei wurde bereits in vorgeschichtlicher Zeit geübt. Um die Zeit des Salomonischen Tempelbaues (1000 v. Chr.) stand der Erzguß schon in hoher Blüte; kleine gegossene Gegenstände aus Erz (Bronze), wie Beile, Lanzenspitzen, Schwerter und Pfeilspitzen, bildeten einen bedeutenden Handelsartikel der Phöniker. In Griechenland entwickelte sich im 7. Jahrh. v. Chr. die Erzgießerei, in der sich Glaukos von Chios, Rhökos und Theodoros von Samos auszeichneten. Von den Griechen erlernten die Römer die Kunst des Erzgießens, von der sie den ausgiebigsten Gebrauch zur Anfertigung von Waffen und Kunstgegenständen machten, bis mit dem Verfall der Römerherrschaft die Kunst des Gießens fast ganz verloren ging, indem sie sich vom 8. Jahrh. an nur auf den Guß von Glocken beschränkte. Im 10. Jahrh. kam sie dann in Deutschland wieder zur Entwickelung, wo unter andern der Bischof Bernhard von Hildesheim (gest. 1022) bedeutende Gußarbeiten in Bronze, aber auch in Gold und Silber anfertigte, die im Dom zu Hildesheim zum größten Teil noch vorhanden sind. Als im 14. Jahrh. der Gebrauch des Schießpulvers allgemein wurde, bildete sich die Stück- oder Kanonengießerei aus; 1372 wurden die ersten Erzkanonen gegossen. Während dieser ganzen Periode wurden die Formen ausschließlich aus Ton oder aus einem Gemenge von Ton und Sand aus freier Hand oder mit Hilfe von Schablonen und Drehbrettern hergestellt. Um die Mitte des 14. Jahrh. gebrauchte man zum Gießen von Geschützkugeln kleinern Kalibers Formen aus Kupfer, Bronze und Stein, verwendete also schon Schalen oder Coquillen. Über die Geschichte der Eisengießerei s. d., S. 557. Der Stahlguß ist neuesten Datums, denn wenn auch der Gußstahl als Werkzeugstahl länger bekannt ist, so beginnt doch das Gießen von Stahlgegenständen (Geschützen, Glocken, Maschinenteilen etc.) erst in den 40 er Jahren des 19. Jahrh., von wo an besonders Krupp in Essen den Stahlguß sehr förderte. Auch der Zinkguß da tiert erst aus dem ersten Viertel des 19. Jahrh. Die Zinngießerei list sehr alt und nach Ausgrabungen vermutlich schon von den alten Römern, außerdem mindestens im 13. Jahrh. schon in Deutschland von Italienern betrieben und namentlich in Nürnberg zu großer Entwickelung gebracht worden, wo schon von alters her die Formen aus Stein oder Messing angefertigt wurden. In Verfall geriet die Zinngießerei durch die Erfindung des Porzellans und den betrügerischen Zusatz von Blei. In neuerer Zeit ist die Zinngießerei jedoch wieder sehr in Blüte gekommen. Vgl. Uhlenhuth, Anleitung zum Formen u. Gießen (4. Aufl., Wien 1899); Novotny, Die Schablonenformerei (2. Ausg., das. 1898); Wüst, Handbuch der Metallgießerei (Leipz. 1897); A. Müller, Der Former und Gießer (Lößnitz 1901).[834]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 833-835.
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