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Analogīe

[472] Analogīe (griech.) bezeichnet die Übereinstimmung gewisser Dinge in einem oder mehreren wesentlichen Merkmalen, aus der dann mit (nach Menge und Wesentlichkeit des Übereinstimmenden steigender) Wahrscheinlichkeit auf Übereinstimmung auch in den übrigen Merkmalen geschlossen wird. Beispielsweise folgerte Kepler aus dem Umstande, daß die Planeten unsers Sonnensystems in vielen wichtigen Beziehungen untereinander harmonieren und einer derselben, Mars, seinen Beobachtungen zufolge erweislich eine elliptische Bahn beschreibt, daß sich sämtliche Planeten in Ellipsen um die Sonne bewegen. Sind jedoch die übereinstimmenden Merkmale zufälliger Natur, so ist die A. nur scheinbar, nicht wahrhaft, und es können auf ihrem Wege sehr irrige Folgerungen zum Vorschein kommen; daher ist die A. das am wenigsten verläßliche Induktionsverfahren (vgl. Induktion). – In der Mathematik ist A. bei den Griechen soviel wie Proportion, z. B. Nepersche Analogien, s. Trigonometrie. – A. des Glaubens (lat. Analogia fideï) heißt in der evangelischen Dogmatik der Maßstab, den die klaren und unzweideutigen Stellen der Heiligen Schrift behufs des Verständnisses der übrigen ergeben. Voraussetzung dabei ist, daß innerhalb der Bibel selbst keinerlei Widerspruch obwalten könne; wo ein solcher vorhanden zu sein scheine, werde er sich lösen, sobald man die Stelle im Lichte des Gesamtinhalts betrachte.

In juristischer Beziehung (A. des Gesetzes und des Rechtes) versteht man unter A. diejenige rechtswissenschaftliche Operation, die zeigt, daß ein in der geltenden Rechtsordnung nicht ausdrücklich entschiedener Fall den Prinzipien dieser Rechtsordnung gemäß in bestimmter Weise entschieden werden müsse. Man sagt daher wohl auch, die A. diene zur Ergänzung von Lücken der Gesetzgebung. Die Resultate der A. sind zuweilen sogar als ein besonderes Recht der Wissenschaft, Juristenrecht, Recht der Praxis bezeichnet worden. Wenn die A. auch nicht neue Gesetzesvorschriften schafft, so ist sie doch für die Fortbildung der in den einzelnen Gesetzen ruhenden Grundgedanken von hohem Wert. Man unterscheidet Gesetzesanalogie und Rechtsanalogie. Unter ersterer versteht man die Anwendung eines gesetzlichen Rechtssatzes auf ein zwar in demselben nicht ausdrücklich getroffenes, wohl aber unter sein Prinzip fallendes Verhältnis, auf einen rechts ähnlichen, analogen Fall (ubi eadem ratio legis, ibi eadem dispositio). Diese A. ist wohl zu unterscheiden von der ausdehnenden Erklärung (extensiven Interpretation) eines Gesetzes, d.h. der Ausdehnung eines Gesetzes auf Fälle, die zwar nach dem Wortlaute desselben nicht darunter begriffen zu sein scheinen, doch aber dem Sinne nach darunter fallen, indem der Gesetzgeber die Fälle allerdings mit im Auge und nur die Fassung des Gesetzes zu eng genommen hatte. Rechtsanalogie ist die Findung eines Rechtssatzes aus dem Geiste der ganzen Gesetzgebung, des ganzen Rechtssystems für einen Fall, der auch nicht unter das Prinzip eines bestehenden einzelnen Rechtssatzes fällt. Unstatthaft ist die A. bei singulären Rechtssätzen, besonders bei Privilegien. Da bezüglich des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Ergänzung aus dem frühern Recht ausgeschlossen ist, kann für dasselbe nur die Rechtsanalogie in Betracht kommen. Das Strafrecht steht in betreff der Zulässigkeit der A. mit dem Zivilrecht nicht in gleichem Verhältnis. Denn im Strafrecht gilt der Grundsatz: Es kann keine Handlung bestraft werden, die nicht mit Strafe bedroht ist (nulla poena sine lege); es bleibt also hier dem Richter in den Fällen, wo das Gesetz keine Strafandrohung enthält, nur der Ausweg, dahin zu entscheiden, daß kein Verbrechen anzunehmen sei. Gleichwohl konnte die A., wenigstens die Rechtsanalogie, bei der Unvollständigkeit des frühern gemeinen deutschen Strafrechts auch auf diesem Gebiete nicht entbehrt werden. Die neuere Strafgesetzgebung aber, namentlich das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (§ 2) und ebenso Art. 4 des Kundmachungspatents zum österreichischen Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1852, schließen die A. vollständig aus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 472.
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