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Dogmātik

[80] Dogmātik (griech.), die systematische Darstellung der Dogmen (s. Dogma). Da diese von den Kirchen formuliert werden, so wird auch jede D. den Lehren einer bestimmten Kirche gelten. Diese kirchliche D. tritt in einer Zeit, in der die Kirche das ganze Wissensgebiet beherrscht und die Ansprüche des forschenden Geistes vor den Interessen eines ungebrochenen Glaubens verstummen, als eigentliche Universalwissenschaft auf. So herrschte die Scholastik im Mittelalter, ähnlich die lutherische und reformierte Orthodoxie im 16. und 17. Jahrh. Aufgabe dieser kirchlichen D. waren außer der genauen Darstellung des Lehrbegriffs aus den Bekenntnissen Beweis und Begründung desselben gegen Zweifel und Widersprüche, auch verstandesmäßige Herleitung der abgeleiteten aus den grundlegenden Elementen. Moderne Formen der D. sind: die kritische D., welche die kirchlichen Lehrbestimmungen an den Ergebnissen der wissenschaftlichen Welterklärung oder an den Forderungen des fortgeschrittenen religiösen Bewußtseins mißt; die philosophische D., welche die Dogmen vom Standpunkt eines spekulativen Systems zurechtlegt; die biblische D., die lediglich den religiösen Gehalt der Schrift zusammenstellt; die komparative D. oder vergleichende Darstellung der in verschiedenen Kirchen geltenden Lehren. Den zu bearbeitenden Stoff ordnete man protestantischerseits meist nach der sogen. Lokalmethode, die den Stoff in besondern Artikeln (s. Loci communes), von der Bibel, von Gott, vom Menschen, von Christus, von dem Heiligen Geist etc., abhandelt. Hiernach wurden die verschiedenen Teile der D. bezeichnet als: Bibliologie (Lehre von den heiligen Urkunden); Theologie im engern Sinne (Lehre von Gott mit Einschluß der Lehre von den göttlichen Werken), wozu die Lehre von den Engeln (Angelologie und Dämonologie) als Anhang kommt; Anthropologie (Lehre von der Schöpfung des Menschen, seiner Natur und höhern Würde) mit Einschluß der Ponerologie (Lehre von Sündenfall, Erbsünde und sündigem Verderben); Soteriologie mit Einschluß der Christologie (Lehre von der Person und dem Werk Christi, aber auch von der Heilsordnung mit Einschluß der Lehre von der Kirche und deren Gnadenmitteln) und Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen, dem Tode, der Auferstehung, dem Weltgericht und Weltende). Erst neuerdings sind, teilweise im Zusammenhang mit der von Schleiermacher und Rothe versuchten Umwandlung der D. in eine lediglich historische Disziplin, die »von dem Zusammenhang der in einer christlichen Kirchengemeinschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre« Rechenschaft geben solle (vgl. Dogmengeschichte), an die Stelle der alten Einteilungsgründe andre Gesichtspunkte, wie Sünde und Gnade oder Naturordnung, sittliche Weltordnung und Heilsordnung etc., getreten. Auch hat der Name D. seit Schleiermacher vielfach dem Ausdruck »Glaubenslehre« Platz gemacht. Was aber die von letztgenanntem Theologen datierende moderne Entwickelung der D. vom frühern Betrieb grundsatzmäßig unterscheidet, ist die angestrebte Unterscheidung zwischen dem wirklichen Inhalte des von religiös-ethischen Interessen geleiteten christlichen Glaubens und den lediglich physikalischen und metaphysischen Fragen, welche die alte D. in naiver Weise in die religiösen hinein- und mit ihnen zu einem oft recht monströsen mixtum compositum verarbeitet hatte. Von einer apriorischen Konstruktion absehend, beruft sich die neuere D. in ihren bessern Vertretern zunächst auf die christliche Erfahrung, um auf dem kritisch gesicherten Grunde dieser Tatsache den Inhalt des christlichen Glaubens zur systematischen Darstellung zu bringen. Lehrbücher der protestantischen D. von entscheidender Bedeutung sind: Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche (5. Aufl., Berl. 1861, 2 Bde.); K. J. Nitzsch, System der christlichen Lehre (6. Aufl., Bonn 1851); Twesten, Vorlesungen über die D. der evangelischlutherischen Kirche (4. Aufl., Hamb. 1838, 2 Bde.); Schweizer, Die christliche Glaubenslehre (2. Aufl., Leipz. 1877, 2 Bde.); Lipsius, Lehrbuch der evangelisch-protestantischen D. (3. Aufl., Braunschw. 1893); Biedermann, Christliche D. (2. Aufl., Berl. 1884 bis 1885, 2 Bde.); Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung (3. Aufl., Bonn 1888–89, 3 Bde.; Bd. 3 in 4. Aufl. 1895). Vgl. Schwarz, Zur Geschichte der neuesten Theologie (4. Aufl., Leipz. 1869); Gaß, Geschichte der protestantischen D. (Berl. 1854–67, 4 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 80.
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