verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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damals sich mit ihrem Bild beschäftigt habe. Er versicherte, nicht eine selbstische leidenschaftliche Regung treibe ihn jetzt, sich ihr zu jedem Dienste anzubieten. Er habe keinen höheren Wunsch, als sie aus dieser tödtlichen Luft wieder in’s Leben zurückkehren zu sehen, und wenn sie selbst jede Kraft, zu hoffen und zu wünschen, in diesem Schattendasein eingebüßt habe, so stehe er nicht dafür, daß er nicht eigenmächtig handle, wie ihm gutdünke, auf die Gefahr hin, das unheilvoll Verworrene nur noch schlimmer zu verwirren. Er bat sie zum Schlusse, ihm schriftlich zu sagen, ob er mit ihrer Mutter reden dürfe, der sie es doch schuldig sei, ihr das einzige Kind zu erhalten. Dann unterzeichnete er mit seinem vollen Namen, faltete das Blatt, so gut es ging, zusammen, und da es ihm an Siegellack und Oblaten fehlte, verschloß er den Brief mit einem Wachstropfen von einer alten Kerze, die er im Schrank gefunden, und drückte seinen Siegelring darin ab.
Noch in der Nacht trug er das Blatt hinunter an den Brunnen, hob den Trittstein behutsam auf und legte den Brief glatt darunter. Die Nachtkühle that ihm wohl. Er ließ den Eimer hinunterrollen und schöpfte sich einen frischen Trunk. Dann saß er noch lange auf dem Brunnenrand und sah in großer Traurigkeit durch das Gitter, das den jetzt ganz dunklen Garten verschloß. Er sagte sich in Gedanken noch einmal Alles vor, was er geschrieben hatte. Kein Wort hatte er zurückzunehmen. Und doch fühlte er mehrmals einen seltsamen Zug in sich, das Blatt wieder hervorzuholen und zu vernichten. Endlich, um den peinlichen Zwiespalt abzuschneiden, stieg er rasch wieder in sein Zimmer hinauf und versuchte zu schlafen, so gut es gehen wollte.
Der folgende Tag war neblig und schwül. Ein schwerer Scirocco wehte die Dünste des Sees in das Gebirge hinauf und die Sonne drang nicht durch. Unter der Platane am Brunnen schien es heute nicht Tag werden zu wollen.
„Schon so früh auf den Beinen, altes Ungewitter?“ sagte Taddeo, als er, mit den Stiefeln des Fremden aus dem Thurm tretend, die Barborin am Brunnen fand. „Und bist doch gestern lange spazieren gegangen, wenn mir recht ist.“
„Was weißt Du davon, Murmelthier?“ brummte die Alte. „Dich hat man schnarchen hören, daß die Mauern einem über den Kopf zu fallen drohten.“
„Gott sei Dank!“ sagte der Bursch mit einem höhnischen Auflachen. „Ich schlafe den Schlaf des Gerechten. Wer ein böses Gewissen hat, den sticht jede Daunenfeder in’s Fleisch.“
„Man kennt Dich,“ erwiderte die Alte, „daß Dich eine glühende Kohle nicht brennen würde, solch’ ein ausgeglühter Höllenbraten, wie Du bist. Geh’ nur Deiner Wege! Gute Worte zerbrechen einem nicht die Zähne, aber ich will lieber den Gottseibeiuns Gevatter nennen, als an Dich ein gutes Wort wenden.“
Sie füllte rasch ihren Krug und trug ihn in’s Haus. „Ob er was gemerkt hat?“ murmelte sie für sich. „‘s ist sonst nicht meine Zeit, an den Brunnen zu gehen, und wie er aus der Thür trat, hatte ich den Brief erst halb in der Tasche. Gleichviel! Wenn der Himmel helfen will, muß der Teufel mit langer Nase abziehen. Ach, du armes Herz! Da geht sie noch immer ohne Schlaf, und Ruhe auf und ab. Frau Marchesa!“ und sie klopfte mit ihren krummen, alten Fingern leise an die Thür. „Ja wohl,“ sagte sie dann, „nun soll ich glauben, daß sie schläft! Aber Barborin ist nicht so leicht anzuführen. Sie will mich nicht sehen, ich weiß wohl. Was soll sie mir für ein Gesicht machen? Daß ich den Herrn Capitano hereingelassen habe, das muß sie mir übelnehmen, und doch weiß sie am besten, es meint es kein Mensch so gut mit ihr, wie dies alte garstige Geschöpf von Barborin. Wart’, ich will ihr den Brief unten durch die Thürspalte in’s Zimmer schieben. Da mag sie ihn dann nehmen oder nicht, ich wasche meine Hände.“
Gesagt, gethan. Die Spalte war breit genug, um den Brief mit einem geschickten Wurf so weit in’s Zimmer zu bringen, daß er nicht übersehen werden konnte. Als es geschehen war, setzte sich die Alte mit zufriedener Miene an den Spinnrocken neben das Fenster, durch dessen zerbrochenen Laden ein grauer Tagesschimmer hereindrang. Sie summte wieder das Lied von der Donna Lombarda vor sich hin:
„Des Schlängleins Kopf zerstoßt im Mörser,
Zerstoßet ihn, zerstoßet ihn!
Das schüttet in den Wein dem Gatten,
Von dem er trinkt, von dem er trinkt,
Wenn er zu Nacht vom Jagen heimkommt
Und durstig ist und durstig ist – – –“
Da ging plötzlich die Thür des Schlafzimmers auf und ihre junge Herrin trat herein. „Barborin,“ sagte sie, und ihre schönen dunklen Augen blickten sehr ernst und strenge, „ich hatte mir vorgenommen, Dir kein Wort über Dein wahnwitziges Treiben gestern Abend zu sagen. Ich weiß, Du hattest es gut im Sinn, und darum wollt’ ich Dir verzeihen, wenn Du von jetzt an Dich vernünftig betrügest. Aber daß Du die Stirn hast, das Spiel fortzusetzen, ist zu stark. Und hiermit sag’ ich Dir’s: Noch der leiseste Versuch dieser Art, und wir sind geschieden. Was den Fremden betrifft, so dauert er mich noch mehr, als ich ihm zürne, und darum will ich das Letzte noch unterlassen und dem Marchese nichts sagen. Ich weiß, er verließe das Schloß nicht lebendig, wenn mein Gemahl von diesem Briefe wüßte. Aber so kann’s nicht bleiben. Ich will, daß Du Dich gleich aufmachst und Fra Ambrogio bittest, ungesäumt zu mir zu kommen. Der soll dem Tolldreisten meinen Willen mittheilen und ihm rathen, je eher je lieber fortzugehen. Hast Du gehört, was ich Dir gesagt, Barborin?“
Die Alte starrte ihre Herrin mit weitgeöffneten Mund und Augen an. „Um Gott, Frau,“ sagte sie, „dazu den Fra Ambrogio?“ Das könnte ja ich –“
„Still!“ herrschte die Marchesa. „Ich wiederhole Dir’s: Wenn Du nur das geringste Zeichen, nur einen Blick oder Wink mit dem Fremden wechselst, so darfst Du mir nie wieder vor’s Angesicht. Eile Dich und hole den Alten. Ich habe ihm noch mehr zu sagen. Am Nachmittag kann er schon hier sein.“
Damit ging sie, ohne die Erwiderung ihrer erschrockenen Getreuen abzuwarten, in ihr Zimmer zurück und schloß sich von Neuem ein. Die Alte kannte sie hinlänglich, um zu wissen, daß nichts übrig bleibe, als zu gehorchen. Es war ihr nie so sauer geworden, wie diesmal. Mit Aechzen und Seufzen machte sie sich auf und vergaß sogar, ihre Dose einzustecken. Taddeo, dem sie im Hof von dem eiligen Auftrag ihrer Gebieterin sagte – sie durfte ohne sein Wissen nicht aus dem Castell – sah an ihrem verstörten Wesen, daß etwas nicht richtig sei, daß der Brief, den er selbst vor Tage noch gelesen, eine unerwünschte Wirkung gehabt habe. Er zerbrach sich den Kopf darüber, was der Capuziner solle. Endlich beschloß er, seine Schuldigkeit, diesmal blindlings, zu thun und seinem Herrn das Neueste zu hinterbringen.
Er fand ihn mit einem überwachten Gesicht am Fenster stehen, als ob er ihn längst erwartet hätte. Auch die Meldung hörte er an, als habe er sich auf Das und Anderes völlig gefaßt gemacht.
„Taddeo,“ sagte er, während er Briefe und Geld in eine kleine Cassette that, „wir verreisen in einer Stunde. Du wirst mich diesmal begleiten. Gehe sogleich zu meiner Frau und sag’ es ihr, in meinem Auftrage, hörst Du? Wie lange ich fortbleibe, sei noch ungewiß, vielleicht Monate. Wenn sie einen Wunsch oder eine Beschwerde habe, der ich abhelfen könne, solle sie mir’s sagen lassen. Was stehst Du und gaffst?“
„Herr Marchese –“ stotterte der Bursch, der seinen Herrn fast wie einen Irrsinnigen anstarrte, „Sie wollten – Sie könnten – aber das ist ja unmöglich!“
„Es geschieht!“ sagte der Marchese. „Geh’ und packe dann meinen Koffer. Die Martina soll ihn uns nachtragen den Berg hinunter, bis wir einen Schiffer unten am See finden. Du selbst nimmst nur das Nöthigste in Deinen Mantelsack. Geh’ und laß mich nicht warten.“
Als der Diener hinaus war, schloß der Marchese die Cassette, dann warf er sich in den hohen Sessel wie ein tief Erschöpfter und blieb so liegen, die Augen fest auf die Thür geheftet. Er rührte sich nicht; in furchtbarer Spannung aller Sinne horchte er hinaus. Lange hörte er nichts, als das Ticken von Gino’s goldner Uhr, die neben der Cassette auf seinem Tische lag.
Da endlich vernahm er Schritte im Vorzimmer draußen, Schritte, deren schwebender Hall ihn plötzlich aus seiner Lage emporriß. Mit der rechten Hand stützte er sich scheinbar nachlässig auf die Lehne des Sessels, mit der Linken drückte er sein Herz zusammen, das zu springen drohte.
Es klopfte leise an die Thür. Mit gepreßter Stimme, kaum
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_810.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)