verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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No. 52.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
Keine Viertelstunde war vergangen, so klopfte Taddeo oben an der Thür seines Herrn und trat dann mit seiner gewöhnlichen halb lauernden, halb dummen Miene in das Zimmer, wo der Marchese vor einem aufgeschlagenen Buche saß. Er hätte eher sich selbst als seinem Diener vorspiegeln können, daß er darin gelesen habe.
„Alles besorgt, Eccellenza,“ sagte er, „Alles glatt abgelaufen, wie ich mir’s gedacht habe. Den Thurm offen gelassen, den Wein mit dem Schlafgift weggegossen, mich taumlig gestellt und zu Bette getorkelt und drauf hingefallen wie ein Scheit Holz. Dann gleich die verfluchte Hexe über mich her, mir den Schlüssel weggefingert und hinaus, und kaum daß man drei Vaterunser hätte beten können, wieder durch mein Zimmer, den Herrn Oesterreicher hinter sich und ihn in den Garten bugsirt und dann mausestill.“
Der Marchese bewegte sich unwillkürlich auf seinem Stuhl, biß aber die Lippen zusammen und schwieg.
„Ich mußte noch ein Weilchen liegen bleiben,“ fuhr Taddeo fort, „bis sie erst alle Drei im Garten waren. Dann aus den Stiefeln geschlüpft und an die Thür, die in den Garten geht.“
„Du hörtest Alles?“
„Alles, Herr.“ Und er berichtete, auf seine Art, aber in der Hauptsache der Wahrheit gemäß. „Und dann plötzlich,“ schloß er seine Erzählung, „schoß die Frau Marchesa wie ein Pfeil durch die Thür herein, daß ich schon dachte: Nun sieht sie dich. Aber nichts da! Sie stürzte nur geradewegs nach ihrem Schlafzimmer, und ich hörte, daß sie den Schlüssel hinter sich umdrehte. Ich dann wieder nach meinem Bett getappt und die Komödie weiter gespielt. Und da hört’ ich noch, daß der Capitän ihr schreiben will, nämlich der Frau Marchesa, und die Vettel von Barborin will den Brief unterm Stein am Brunnen abholen. Befehlen der Herr Marchese, daß ich der gottverfluchten Hexe den Hals umdrehe?“
Der Marchese, der die letzte Frage überhört zu haben schien, stand auf, in einer Bewegung, die er nicht mehr zu verbergen suchte. Er ging einige Mal die ganze Länge des Zimmers auf und ab, hastige Worte vor sich hinmurmelnd; dann erst schien er sich zu besinnen, daß er nicht allein war.
„Du hast nichts weiter zu berichten?“ sagte er, indem er vor Taddeo stehen blieb und ihn durchdringend ansah.
„Noch mehr?“ erwiderte der Bursch und zwinkerte halb possenhaft mit dem Auge und dem linken Mundwinkel. Dann aber, als er sah, daß sein Herr nicht in der Laune war, Spaß zu verstehen, setzte er wieder in unterwürfigem Ton hinzu: „Befehlen der Herr Marchese, daß ich den Brief abfangen soll?“
Eine kurze Pause trat ein. Dann sagte der Marchese: „Geh’ jetzt zu Bett, Taddeo, und fahre fort, auf Alles Acht zu geben, was geschieht. Den Brief will ich nicht sehen, hörst Du? – nur wissen, ob er geschrieben und angenommen worden ist. Gute Nacht!“
„Wohl zu schlafen, Herr Marchese!“
Und der Diener schlich aus dem Zimmer, nicht in der besten Stimmung. Die Art, wie sein Herr die Sache behandelte, wollte ihm nicht in den Kopf. „Aber wart’ nur,“ murmelte er ingrimmig, während er sich wieder in seine Kammer stahl, „Dir ist’s nicht geschenkt, vermaledeite Giftmischerin! Und den Brief – wenn er ihn nicht zu lesen begierig ist – ich will den Krebs schon aus dem Loche holen, wenn er mich auch in die Finger zwickt!“
Dann entschlief er, einen Fluch auf den Fremden zwischen den Zähnen.
Droben im Thurmzimmer brannte um dieselbe Stunde noch die Lampe und brannte noch lange fort, als der Mond schon untergegangen war. Eugen saß am Tische und schrieb mit Bleistift auf ein Blatt, das er aus seinem Zeichenbuch ausgerissen hatte. Lange war er unschlüssig geblieben, ob er es thun solle und dürfe. Nicht, daß ihn ihre Drohung geschreckt hätte, es dem Marchese zu sagen, wenn er sich ihr noch einmal näherte. Ihr selbst zu mißfallen, fürchtete er, ihre gute Meinung zu verscherzen, ihr zudringlich und vorwitzig zu erscheinen. Aber wenn er schwieg, in einem wie zweideutigen Lichte mußte sie ihn sehen, da er kaum wußte, was er ihr im Garten gesagt und ob sie ihn richtig verstanden hatte! Und es war ihm unerträglich, so von ihr zu scheiden, das Haus zu verlassen und denken zu müssen, daß hier Alles seinen unglückseligen Gang fortgehe, weil er, der Einzige, der vielleicht hätte retten können, nach dem ersten Fehlschlag sich zurückgezogen habe. Also schrieb er, ganz wie es ihm um’s Herz war, mit schlichter, soldatischer Gradheit, erst sich entschuldigend, dann in sie dringend, ihr Leben nicht ein für allemal verloren zu geben. Er wisse nur wenig von den Ereignissen, die sie bewogen hätten, diese furchtbare Einsamkeit aufzusuchen. Aber da ihn der Zufall zum Mitwisser gemacht, könne er den Gedanken nicht ertragen, daß er nun wieder in’s Leben zurück solle und sie hier in freiwilligem Hinsterben wisse, in langsamer Selbstvernichtung, ehe er überzeugt sei, daß es gegen den Kummer, der ihr zur leben verwehre, kein Heilmittel mehr gebe. Er gestand ihr, wie lange er
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_809.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)