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RE:Kritias 5

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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athenischer Politiker und Philosoph (460–403 v. Chr.)
Band XI,2 (1922) S. 19011912
Kritias in der Wikipedia
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5) Κριτίας, ὁ σοφιστής, ὁ τῶν τριάκοντα, ὁ τύραννος.

1. Leben. K. war der Sohn des Kallaischros (Plat. Charm. 153c; Prot. 316a. Plut. Alc. 33. Ael. var. hist. II 13. Athen. IV 184 d. Diog. Laert. III 1. Ps.-Dionys. Hal. rhet. VI 1 p. 25, 11 Us. Liban. or 25, 64 II 567 F.), eines der einflußreichsten Mitglieder der ‚Vierhundert‘ (Lys. contra Eratosth. 66), der Enkel des Κριτίας Δρωπίδου. Dieser war nach Plat. Tim. 20e. 21 a. b (vgl. Charm. 157 e) mit Solon verwandt und eng befreundet (οἰκεῖος καὶ σφόδρα φίλος), und erzählte als Greis von 90 Jahren in Gegenwart seines 10jährigen Enkels am dritten Tag des Apaturienfestes Solons Gespräch mit dem Priester von Sais über das hohe Alter der ägyptischen Kultur. Die aus Platons Angaben (a. O. und Charm. 154 a, 155 a) sich ergebende Genealogie, welche auch für den Stammbaum Platons von großer Bedeutung ist, haben Diog. Laert. III 1 Procl. in Tim. I. 81f. D., was K. anbelangt, im allgemeinen richtig aufgebaut – lediglich zu Unrecht wird Dropides Bruder Solons gennant – während bei dem platonischen Zweig der Familie frühzeitig Verwirrung entstanden ist (vgl. Diog. Laert. III 1 Iamblichos und der Platoniker Theon bei Procl. a. O. sowie Proklos selbst a. O. nebst Schol. S. 462 D.). Doch auch Platons Angaben bedingen unlösbare Schwierigkeiten. K., der Großvater, der 80 J. älter war als sein Enkel, war nach Schol. Aesch. Prom. 130 Liebling des Anakreon, der nicht vor 522 (Sturz des Polykrates von Samos) nach Attika und Athen kam. Der demnach frühestens um 540 geborene ältere K. kann mit dem in Solons Dichtungen K. (frg. 22 B.⁴) ebensowenig identisch sein, wie dessen Vater [1902] Dropides, der Urgroßvater des platonischen K., als Archon Nachfolger des Solon (um 590) gewesen sein kann (Philostrat. vit. soph. I 16. Diog. Laert. III 1, s. Kirchner Rh. Mus. LIII 386). Daher schaltet Kirchner o. Bd. V S. 1720f.; Prosopogr. Attic. II 206 zwei Generationen ein, und macht den Großvater K. zum Enkel des solonischen K., zum Urenkel des solonischen Dropides. Als dieses Dropides Bruder gilt ihm der Marm. Par. ep. 36 gennante Archon K. (nach 604), und beide wären alsdann Söhne des Archonten Dropides vom. J. 644/3 (Marm. Par. ep. 34). Auf Einschaltung einer Generation kann unter keinen Umständen verzichtet werden, wenn überhaupt direkte Deszendenz den solonischen und platonischen K. verband, und Platons Altersangaben mehr besagen als die äußerste Grenze einer mündlichen Überlieferung von Geschlecht zu Geschlecht.

K., frühestens um 460 geboren (Bach a. O. 8 nimmt 455 an), stammte wie sein Freund Alkibiades aus vornehmstem und reichbegütertem Hause (Xen. Mem. I 2, 25 ὠγκωμένω μὲν ἐπὶ γένει, ἐπηρμένω δ’ ἐπὶ πλούτῳ, πεφυσημένω δ’ ἐπὶ δυνάμει, διατεθρυμμένω δὲ ὑπὸ πολλῶν ἀνθρώπων), zu Solon stand er in verwandtschaftlicher Beziehung. Hierdurch und durch die Familienfreundschaft mit Anakreon und vielen anderen Dichtern war sein Vaterhaus, wie das des Charmides vor andern beglückt (Socr. in Plat. Charm. 157 e). Platons Mutter Periktione, die Tochter des Glaukon, des jüngeren Bruders des Kallaischros, war seine Cousine, ihr Bruder Charmides nach des Glaukon Tode sein Mündel (Diog. Laert. III 1. Procl. a. O. Plat. Charm. 154a. 155a). Nach einer unsicheren Vermutung Schleiermachers ist der Γλαύκωνος ἐραστής, welcher auf Platons Brüder Glaukon und Adeimantos wegen ihrer Tapferkeit bei Megara eine Elegie gedichtet hat (Plat. rep. II 367e), K. gewesen. Fernerhin waren K. und Leogoras, der Vater des Redners Andokides, Vettern (Andoc. περὶ μυστηρ. 47), ihre Mütter waren Schwestern Kirchner Prosopogr. Attic. I 63). Mit K. verschwägert war Hagnodoros (Lys. XIII 55).

K. gehörte zur Phyle Erechtheis (Xen. hell. II 3, 2) und zwar zum Demos Phegus, falls der διαιτητὴς Κάλλαισχρος Φηγούσιος (IA II 943 a. 325/4) ein Nachkomme des K. war (s. Loeper Journal d. kais. russ. Ministeriums d. Volksaufklärung 1896, Mai S. 90ff.).

Ausgebildet war K. in der Kunst des Flötenspiels (Chamaileon bei Athen. IV 184 d), er gehörte zum Schülerkreise des Gorgias (Philostr. ep. 73) und Sokrates. Zu ersterem ist K. vielleicht erst in Thessalien in nähere Beziehung getreten, während er sich frühzeitig Sokrates anschloß. Er, wie sein Freund Alkibiades, wandte sich von Sokrates ab, als er sein Ziel, die politische Ausbildung, erreicht zu haben glaubte (Xen. mem. I 2, 12ff. Aeschin. I 173. Aelian var. hist. II 13. Philostrat. Vit. soph. I 16; vgl. Cic. de orat. III 138. Lact. inst. III 19, 25), s. bes. Xen. a. O. 16 εὐθὺς ἀποπηδήσαντε Σωκράτους ἐπραττέτην τὰ πολιτικά, ὧνπερ ἕνεκα Σωκράτους ὠρεχθέτην. 39 ἔτι γὰρ Σωκράτει συνόντες οὐκ ἄλλοις τισὶ μᾶλλον ἐπεχείρουν διαλέγεσθαι ἢ τοῖς μάλιστα πράττουσι τὰ πολιτικά. Für die Entfremdung und [1903] Trennung von Sokrates und K. gibt Xenoph. a. O. 29ff. ohne Gewähr noch einem anderen Grund an. Sokrates soll seinen Schüler wegen des Liebesverhältnisses zu Euthydemos, dem Sohne des Diokles, gescholten haben. Die späte Rache des K. bestand angeblich darin, daß er als einer der Dreißig mit Charikles den Antrag stellte, es solle verboten sein, die Redekunst zu lehren. Wenn dies Verbot auch allgemein gehalten war und gleichzeitig die demokratische Redefreiheit traf, so zielte sicher K. auch auf Sokrates. Denn Tatsache ist, daß K. und Charikles dem Sokrates sein Handwerk mit Gewalt legen wollten (Xenoph. a. O. 33ff. v. Wilamowitz Platon 199f.). Bekanntlich haben die Ankläger des Sokrates dem Lehrer die Beziehungen zu K. und Alkibiades zum Vorwurf gemacht (Xen. a. O. 12. Philostr. vit. soph. I 16).

K.'s erstes politisches Auftreten erfolgte i. J. 415. Damals wurde er von Diokleides wegen Teilnahme am Hermenfrevel denunziert und ins Gefängnis geworfen, jedoch durch das Geständnis des Andokides in Freiheit gesetzt (Andok. περὶ μυστηρ. 45. 47. 68. Daher Philostrat. vit. soph. I 16 προὐδίδου τὰ ἱερὰ?). Als Mitglied der ,Vierhundert‘ soll K. nach Ps.-Demosth. LVIII (contra Theocrin.) 67 im J. 411 bereit gewesen sein, die Lakedaimonier in die befestigte Eetioneia aufzunehmen (κατασκάψας τὴν Ἠετιώνειαν, εἰς ἣν Λακεδαιμονίους ἔμελλον οἱ περὶ Κριτίαν ὑποδέχεσθαι); vgl. Thuc. VIII 90. Aristot. Άθ. πολ. 37. Dies bestreitet Busolt Griech. Gesch. III 1462, 3, weil K. beim Sturz der ‚Vierhundert‘ keineswegs zu flüchten brauchte, wie Peisandros, Phrynichos und die übrigen Anhänger des radikalen Flügels (s. auch v. Wilamowitz Platon 116, 2). Jedenfalls blieb K. damals in Athen und beantragte mit Zustimmung des Theramenes die Rückberufung des Alkibiades (s. Crit. frg. 5 D. 4 B. 6 Cr. Plut. Alc. 33; vgl. Thuc. VIII 97, 3. Diod. XIII 38, 2. 42, 2. Nepos Alc. 5). Mit diesem Eintreten für Alkibiades hängt der Antrag des K. zusammen, daß Alkibiades’ Hauptgegner Phrynichos noch nach seiner Ermordung als Hochverräter verurteilt wurde, und man auf Grund des Verdiktes dessen Gebeine exhumierte und außerhalb Attikas verscharrte (Lycurg Leocr. 113). Diese Todfeindschaft mit Phrynichos erklärt es, daß K. nicht schon damals unter den Radikalen eine führende Rolle spielte. Er war nicht nur einer der heftigsten Gegner der Demokratie in Athen (Xen. hell. II 3, 47 ἐν μὲν τῇ δημοκρατίᾳ πάντων μισοδημότατος ἐνομίζου, ἐν δὲ τῇ ἀριστοκρατίᾳ πάντων μισοχρηστότατος γεγένησαι), sondern, wie seine Πολιτεῖαι lehren, ein φιλολάκων von reinstem Wasser, der seine eigenen Landsleute selbst in der Verbannung mit tödlichem Haß verfolgte (Philostrat. Vit. soph. I 16). Schließlich wurde doch auch K. nach Wiederherstellung der Demokratie (407? jedesfalls vor dem Arginusenprozess [Xen. Mem. II 3, 36], wahrscheinlich gelegentlich des zweiten Sturzes des Alkibiades) als ehemaliges Mitglied des Rates der ‚Vierhundert‘ auf Betreiben des Kleophon, verbannt. Zum Beweise dafür, daß K. von Haus aus zu Exzessen neige, politisch gewissermaßen erblich belastet war, berief sich Kleophon auf die Elegie des Solon auf den älteren K. (Arist. [1904] rhet. 1, 15. 1375 b 32 Sol. frg. 22 B.⁴), wiewohl sich K. als eifriger Gegner der gestürzten Machthaber gebärdete (Xen. hell. II 3, 15. 36. s. Sauppe O. A. II 154, Beloch Att. Polit. 94, Busolt Griech. Gesch. III 1542). K. ging nach Thessalien, wo er mit einem gewissen Prometheus eine Demokratie schuf und die Penesten gegen ihre Herren bewaffnete, also revolutionäre Bewegung in umgekehrtem Stil inszenierte (Xen. a. O. 36 ἐν Θεσσαλίᾳ μετὰ Προμεθέως δημοκρατίαν κατεσκεύαζε καὶ τοὺς πενέστας ὥπλιζεν ἐπὶ τοὺς δεσπότας), doch vgl. Philostrat. Vit. soph. I 16 βαρυτέρας δ’ αὐτοῖς (d. i. den Thessalern) ἐποίει τὰς ὀλιγαρχίας διαλεγόμενος τοῖς ἐκεῖ δυνατοῖς καὶ καθαπτόμενος μὲν δημοκρατίας ἁπάσης, διαβάλλων δ’ Ἀθηναίους, ὡς πλεῖστα ἀνθρώπων ἁμαρτάνοντας. In Thessalien hat K. an Ort und Stelle Material für die Πολιτεία Θεσσαλῶν gesammelt, ob früher oder während der Verbannung muß dahingestellt bleiben. Wenn erst damals, dann sind die übrigen Politeiai wohl im Zusammenhang mit dieser enstanden. Xen. Mem. I 2, 24 stellt es so hin, als ob der schon von Natur wenig erfreuliche Charakter des K. in der Verbannung weiter Schiffbruch gelitten hätte (Κριτίας μὲν φυγὼν εἰς Θεσσαλίαν ἐκεῖ συνῆν ἀνθρώποις ἀνομίᾳ μᾶλλον ἢ δικαιοσύνῃ χρωμένοις), während Philostrat. a. O. eher das Umgekehrte für richtig hält, daß die Thessaler durch K. verdorben wurden. Auch für Philostrat, dem wir eine ausführliche Charakteristik des K. als Mensch und Schriftsteller verdanken, ist K. κάκιστος ἀνθρώπων ... ξυμπάντων, ὧν ἐπὶ κακίᾳ ὄνομα. Darin stimmt er mit Xenophon überein, dem Mem. I 2, 12, der spätere Tyrann als τῶν ἐν τῇ ὀλιγαρχίᾳ πάντων κλεπτίστατός (u. l.) πλεονεκτίστατος) τε καὶ βιαιότατος καὶ φονικώτατος galt.

Nach Aigospotamoi und der Kapitulation von Athen kehrte mit den Verbannten auch K. nach Athen zurück (im J. 404). Hier war K. zuerst mit Eratosthenes einer der fünf Ephoren nach spartanischem Vorbild, die in antidemokratischem Sinne die Ordnung wiederherstellten (Lysias XII 43). Trotzdem wählte ihn das Volk als einen der ,Dreißig‘, denen es oblag, die alten Gesetze niederzuschreiben, nach denen man den neu zu errichtenden Staat regieren wollte (Xen. hell. II 3, 1f., vgl. Dio Chrysost. 21, 3, II 267 Arn.). Statt dessen rissen die ,Dreißig‘ als Oligarchen und Τύραννοι die Herrschaft an sich (Lysias XIII 55. Aeschin. I 173. Demosth. XXIV 90. Plut. Alcib. 38. Sext. Emp. adv. math. IX 54. Diog. Laert. III 1. Procl. in Tim. I 70, 24 D.), ihr Haupt war K. (Dion. Hal. Isae. 20 ὁ τῶν τριάκοντα ἄρξας. Nep. Thras. 2, 7 Critias dux tyrannorum), der eingedenk der ehemaligen Verbannung durch den Demos im Bürgerblut watete (s. auch Iustin. V 9, 15 Critias et Hippolochus, omnium tyrannorum saevissimi). Dies führte zum Bruch mit Theramenes (Xen. hell. II 3, 15–49), dem K. schließlich den Prozeß machte. Theramenes, zum Tode verurteilt, mußte den Schierlingsbecher trinken (Hell. II 3, 50–56. Diod. XIV 4, 5. Schol. Arist. Ran. 541 S. 292, 12 D.; vgl. Aristot. Ἀθ. πολ. 37).

Als K. und die übrigen Tyrannen sich in Athen nicht mehr sicher fühlten, wollten sie Eleusis in ihre Gewalt bringen, sie siedelten [1905] dorthin über und schrieben unter falschen Vorspiegelungen eine Musterung der Ritter aus. Die, an deren Zuverlässigkeit sie zweifelten, verurteilten sie zum Tode (Xen. hell. II 4, 8ff.). Unterdessen war Thrasybulos mit etwa 1000 Geächteten von Phyle aus zum Piraeus gezogen, ihnen rückten die ‚Dreißig‘ mit ihren Scharen entgegen. In Munichia stießen die beiden Parteien zusammen, im Treffen fielen von den ,Dreißig‘ K. und Hippomachos, von den zehn Archonten im Piraeus Charmides, der Sohn des Glaukon, der Vetter des K. (im Mai 403. Xen. hell. II 4, 10–19. Philostrat. vit soph. I 16; vgl. Aristot. Ἀθ. πολ. 37f. Diod. XIV 33, 3. Philoch. in Schol. Arist. Plut 1146 S. 383, 52 D. Nep. Thrasyb. 2, 7. Iustin. V 9, 15, s. Busolt Herm. XXXIII 85). Nach Schol. Aeschin. I 39 (S. 261 Schultz) setzten dem K. Freunde ein Denkmal, das eine Oligarchie darstellte, die mit brennender Fackel die Demokratie in Brand setzte, und die vielsagende Inschrift trug: μνῆμα τόδ’ ἐστ’ ἀνδρῶν ἀγαθῶν, οἲ τὸν κατάρατον δῆμον Ἀθηναίων ὀλίγου χρόνον ὕβριος ἔσχον. Dieser Tod für die Tyrannis vermag den Philostrat. a. O. mit K. nicht auszusöhnen, wie es bei einigen damals der Fall war, denen nun K. als ἀνὴρ ἀγαθός erschien.

2. Werke. Wie als Politiker, so hat K. auch als Sophist und Schriftsteller, in Poesie und Prosa, eine vielseitige Tätigkeit entfaltet. In mehreren Dialogen hat ihn Platon als redende Figur eingeführt, im Charmides (153 cff.), Protagoras (316 a ff.), Timaios (19 cff.) und Kritias (106 bff), der nach ihm benannt ist. Auch im ps.-platonischen Eryxias (392 aff.) tritt K. auf. Von K.s vielseitigen und zahlreichen Dichtungen und Prosaschriften sind leider nur dürftige Fragmente erhalten. Manchmal steht nicht einmal fest, ob ein Gedanke einem Gedicht oder Prosawerk entlehnt ist, wie die mit Empedokles sich deckende These, daß das Blut als Sitz der Wahrnehmung und des Denkens die Seele sei (Aristot. de anima a 2. 405 b 5, Philopon. de an. prooem. 9, 19 [wo irrtümlich Empedocl. frg. 105, 3 dem K. zugeschrieben wird]; vgl. Tert. anim. 6 Empedocles et Critias (animam) ex sanguine effingunt [Ambros. Noe 25, 92. Macrob. somn. I 14, 20]). In gebundener Rede hat K. Hexameter, Elegeia (wie der Sophist Euenos von Paros) und Dramen verfaßt. Athen. XIII 600e hat durch Vermittlung des Chamaileon 10 Hexameter des K. überliefert, in denen der Dichter dem Anakreon, mit dem ihn ja Familientradition verband, Unsterblichkeit verheißt, solange man Symposien in Hetärengesellschaft feiert und Kottabosspiel: frg. l. D(iels). 7 B(ach). 7 B(ergk)⁴. Crus. Anthol. Gr. S. 134. v. Wilamowitz Sappho und Simonides S. 108f. vermutet, daß die Charakteristik eines anderen Dichters, etwa des Ibykos φιλόπαις voranging, Bergk a. O. 606 sah in dem Fragm. ein Stück von politischen vitae poetarum, welche die Behandlung literarhistorischer Materien in Versen einleiteten, wie es in alexandrinischer Zeit Alexandros Aitolos, Hermesianax u. a. zu tun pflegten, in Rom Accius und Porcius Licinus einführten. Frg. 2 D. (1 B. B.⁴. Cr.) aus den Ἐλεγεῖα des K. ist ein Kataloggedicht in hesiodeischer Manier, in dem die Erfindungen der verschiedenen Städte [1906] und Völker aufgezählt werden. In diesem Zusammenhang (oder im literarhistorischen Gedicht) dürfte K. die durch Mall. Theodor, de metr. S. 19 (Gramm. VI 589, 20) bezeugte Ansicht vertreten haben, daß Orpheus der Erfinder des daktylischen Hexameters gewesen sei.

In der Elegie auf Alkibiades, die nicht vor 411 verfaßt ist, vielleicht aus Anlaß der Rückkehr des Alkibiades nach Athen in jenem Jahre, frg. 4. 5 D. (3. 4 B. B⁴ 5. 6 Cr.) erinnert E. seinen Freund an die Bemühungen um dessen Rückberufung. Hephaest. 2. 3 (frg. 4 D.) hat zwei Distichen wegen einer metrischen Eigentümlichkeit ausgehoben. Weil sich der Name Ἀλκιβιάδης dem daktylischen Rhythmus nicht fügt, ersetzte E. den Pentameter durch einen iambischen Trimeter (Ἀλκιβιάδην νέοισιν ὑμνήσας τρόποις), der älteste Beleg für die sog. pythiambische Strophe, die hier einer zufälligen Spielerei ihr Dasein verdankt. Frg. 4 ahmte nach der Verfasser des Grabepigramms des Grammatikers Didius Taxiarchus (IG XIV 1537. Kaibel Epigr. 616; vgl. Radermacher SBWA 1912 Abh. 9).

Das Instrument, dessen sich E. in den Πολιτεᾶι ἔμμετροι bediente, welche nach Alexandros von Aphrodisias bei Philopon. de anima 89, 8 das einzige Werk des Tyrannen K. sind, der mit dem Sophisten nicht identisch sein soll, war gleichfalls das Elegeion. Auch hierin war K. ein Vorläufer der gelehrten alexandrinischen Elegie. Lediglich aus der poetischen Bearbeitung der Πολιτεία Λακεδαιμονίων besitzen wir einige Fragmente. Das Hauptstück frg. 6 D. (2 B. B.⁴ Cr.) handelt von spartanischen Trinksitten, die im Gegensatz zu anderwärts (Athen) mäßig waren, so daß Geist und Körper schädigende Exzesse vermieden wurden. Hier knüpft E. sichtlich an die ältere sympotische Elegie an und bereitet die späteren Aitia vor. Verwandten Inhalts ist das Prosafrg. 33 D. (24 B. 2 Müller FHG II 68) aus der Πολ. Λακ. über Trinksitten verschiedener Städte. Wenn K. in derselben Πολιτεία ἔμμετρος den Spruch des spartanischen Weisen Chilon μηδὲν ἄγαν in elegisches Gewand gekleidet hat, frg. 7 D. (36 B. 2 a Cr.) und an anderer Stelle die These aufstellte ἐκ μελέτης πλείους ἢ φύσεως ἀγαθοί, frg. 9 D. (6 B. 3 Cr.) [vgl. Epicharm. frg. 33 D. Euen. frg. 9], so erinnert dies an den gnomischen Charakter einiger Elegien des Solon, der Dichtungen des Theognis und der Theognidea. Frg. 8 D. (5 B. B.⁴ 3 Cr.), das den Reichtum der Skopaden, den stolzen Sinn des Eimon, die Siege des Arkesilas aus Sparta rühmt, ist in seiner Art dem frg. 2 nahe verwandt.

Die in der Vita Euripidis S. 135, 33 W. als νόθα bezeichneten Dramen unter Euripides’ Namen, die Trilogie unter Euripides’ Namen, die Trilogie Τέννης, 'Ραδάμανθος, Πειρίθους hat v. Wilamowitz Analecta Eurip. 166f. (vgl. N. Jahrb. 1908, 57) in Anlehnung an Athen. XI 496 a (ὁ τὸν Πειρίθουν γράψας, εἴτε Κριτίας ἐστὶν ὁ τύραννος ἢ Εὐριπίδης) dem K. zugeschrieben und als Satyrspiel den Σίσυφος zugefügt. Aus dem Sisyphos des K. nämlich hat Sext. Empir. IX 54 (frg. 25 D. 9 B. 1 p. 770 N²) ein größeres Stück ausgehoben, von dem einzelne Verse von Aëtios I 7, 2 (S. 298 D.) und I 6, 7 [1907] fälschlich unter Euripides' Namen zitiert werden. Die Verwechslung, welcher bereits Satyros sich schuldig gemacht hatte, ist um so leichter zu erklären, als ein Sisyphos des Euripides im J. 415 aufgeführt worden ist (Ael. var. hist. II 8). Doch s.v. Wilamowitz Platon 117, 1. Zur Rekonstruktion des Inhaltes der einzelnen Stücke der Trilogie und des Satyrspiels reichen die dürftigen, durchwegs unter dem Verfassernamen Euripides überlieferten Fragmente nicht aus. Zur Hypothesis des Tennes - Namen des Eponymos von Tenedos - hat schon Nauck (FTG² S. 578). Konon bei Phot. bibl. 126 S. 135b 19 B verglichen). Stob. III 2, 15 zitiert den einzigen Vers φεῦ· οὐδὲν δίκαιόν ἐστιν ἐν τῷ νῦν γένει (frg. 12 D). Abermals dem Stob. (II 8, 12. 4, 20, II 61) danken wir ein zusammenhängendes Stück aus dem Rhadamanthys: von den Sterblichen hat der eine diese, der andere jene Liebe, ich (Rhad., wohl im Geiste des K.) δόξαν δὲ βουλοίμην ἂν εὐκλείας ἔχειν (frg. 15 D. 659 N²). Der Peirithous (frg. 16-24 D 591ff. N²), den K. Kuiper De Pirithoo fabula Euripidea (Mnemos. XXXVII 1907, 354ff.) gegen v. Wilamowitz vergeblich für Euripides retten wollte, behandelte die mißglückte Höllenfahrt des Theseus sowie beider Rettung durch Herakles. Die Hypothesis des Dramas erzählt kurz Gregorios Korinthios zu Hermog. II 449, 8 Sp., wo auch ein größerer Passus - Herakles stellt sich bei seiner Ankunft in der Unterwelt dem ihm interpellierenden Knecht des Hades Aiakos (von Aristophanes in den Fröschen übernommen) vor – zitiert wird. Dieses wichtigste Fragment (16 D.) ist jüngst durch die Entdeckung des Ioannes Diakonos zu Hermog. im cod. Vatic. gr. 2228 durch Rabe (s. Rhein. Mus. LXIII 144f.) wesentlich erweitert worden. Andere Fragmente aus derselben Tragödie (17ff. D. 10ff. B. 592ff. N.²), von denen frg. 17 und 18 D. in Anapästen, die übrigen in Trimetern abgefaßt sind, verraten den in Politik, Philosophie und Rechtslehre bewanderten Autor. Endlich haben Welcker und v. Wilamowitz einige fragmenta incerta Euripidea dem Peirithous und damit dem K. zugeschrieben (frg. 24 D = Eurip. frg. 865 und 964 N² Phot. lex. ed. Reitz. S. 91, 18; s. SBBA 1907, 7). Rechtsphilosophischen Inhaltes ist auch das Hauptstück aller K.-Fragmente, das wir Sextus Empiricus danken, frg. 25 D. (9 B. 1 N² S. 770) aus dem Sisyphos: eine von radikalstem Rationalismus zeugende, aber nicht ohne hohen sittlichen Ernst getragene Betrachtung des Sisyphos über die Entwicklung der Menscheit aus tierischer Rechtlosigkeit zum Rechtszustand, und darüber hinaus zum Götterglauben und zur Gottesfurcht auch bei den geheimsten Gedanken und Taten. Freilich sind ihm die Götter und die sich an diese anlehnenden Gedanken lediglich eine Erfindung der Staatsmänner. Sophistisch-ethischen Gepräges sind auch vier weitere Frg. aus unbestimmten Dramen frg. 26ff. D. (19ff. B. 2ff. N.) aus Stob., sowie das frg. 49 D. aus Ps.-Dionys. rhet. VI 1 S. 25, 10ff. Us. (βέβαιον μὲν οὐδέν, εἰ μὴ τό τε καταθανεῖν γενομένῳ καὶ ζῶντι μὴ οἷόν τε ἐκτὸς ἄτης βαίνειν), wo Usener wohl mit Recht ein Dramenzitat vermutete. [1908]

Unter den Prosaschriften des K. nehmen die Πολιτεῖαι, das Gegenstück zu den Πολιτεῖαι ἔμμετροι (s. o.), eine bevorzugte Stellung ein. K. hat von den ‚Verfassungen‘ der Athener, Spartaner und Thessaler gehandelt – Athen, Sparta, Thessalien waren die Hauptstätten seiner Wirksamkeit – von denen die beiden letzteren unmittelbar bezeugt sind, auch die Πολ. Ἀθην. ist wohl nicht zu umgehen. Ob der Kreis weiter zu ziehen ist und wie weit, ist völlig ungewiß. Der Titel Πολιτεῖαι ἔμμετροι ist ebenso unbestimmt, wie die vereinzelte Notiz bei Pollux VII 59 (frg. 38 D.) τὰς δὲ ἀναξυρίδας καὶ σκελέας καλοῦσιν· τὸ μὲν ὄνομα καὶ παρὰ Κριτίᾳ ἔστιν ἐν ταῖς Πολιτείας: Von Kleidungsstücken aller Art war auch in der Πολ. Λακεδ. und Θετταλῶν die Rede (s. u.). Ein direktes Zeugnis für K.s Πολ. Ἀθην. gibt es nicht, v. Wilamowitz Aristot. und Athen. I 176 Anm. und Diels führen eine Reihe singulärer Wörter, die Pollux aus K. exzerpiert hat (frg. 53-73 D. frg. 44–64 B. 27 B.), auf die Πολιτ. Ἀθην. zurück. Und darüber hinaus ist der Versuch gemacht worden, auch andere frg. aus unbekannten Prosaschriften, sofern sie von Attika und Athen handeln (z. B. frg. 45 D. 31 B. 8 M. über die Bereicherung des Themistokles und Kleon auf Staatskosten, frg. 52 D. 32 B. 9 M. die Nachricht, daß Kimon durch die Hilfsexpedition gegen die Messenier die Interessen des eignen Vaterlandes preisgegeben habe, doch vgl. v. Wilamowitz a. O. 177 Anm.) der Πολ. Ἀθην. zuzuschreiben (vgl. E. Kalinka Die pseudo-xenophontische Ἀθηναίων Πολιτεία 20). Auch Aelians Erzählung (var. hist. X 15) von den von ihren Verlobten schnöde im Stich gelassenen verarmten Töchtern des Aristeides, welche v. Wilamowitz a. O. 177 Anm. auf K. zurückführte, könnte der Πολ. Ἀθην. entnommen sein. Für den alten Vorschlag Wachsmuths Hellen. Altertumsk. II 1, 441 (1829) = I² 998 (1844) und Platens (De auctore libri Xenophontei qui est de republica Atheniensium 1843 32ff.), daß K. der Verfasser der sog. xenophonteischen Ἀθ. Πολ. wäre, einen Vorschlag, den kein geringerer als A. Boeckh (Athen. Staatshaushaltung I² 443f. Anm.) annahm, die damaligen Gelehrten jedoch einhellig ablehnten, den in neuester Zeit E. Müller (Wer ist der Verfasser der älteren Schrift von der athenischen Verfassung? Zittau 1891). Fr. Blass (Die att. Beredsamkeit I² 280), E. Drerup (Die Anfänge der rhetor. Kunstprosa, Fleck. Jahrb. Suppl.-Bd. 1902, 313 sowie [Ἡρώδου] περὶ πολιτείας S. 110) und W. Nestle (N. Jahrb. XI 1903, 188ff.) wiederum aufgriffen, freilich ohne die schwerwiegenden Gründe für die Ablehnung der These in der Vergangenheit zu erschüttern, verweise ich auf die klaren und überzeugenden Ausführungen von E. Kalinka a. O. 18ff.

Das einzige Fragment aus der Πολ. Θετταλῶν bei Athen. exc. XIV 663 a, das vom Luxus der Thessaler handelt, geht im cod. unter Kratinos’ Namen, den schon Casaubonus in K. geändert hat.

Die Πολ. Λακεδ. – nach K. die beste Verfassung überhaupt (Xen. hell. II 3, 34) – begann mit einer Erörterung über die Stählung des Körpers derer, die Kinder zeugen oder gebären [1909] wollen (frg. 32 D. 23 B. nach Clem. Alex. Strom. VI 9, II 428, 12 St.). Frg. 33 D. (24 B. 2 M.) handelte von Trinksitten verschiedener Städte (s. o.). Frg. 34 D. (25 B. 3 M.) lobt die Anspruchslosigkeit der Spartaner, ihre praktische Kleidung, ihr gutes Schuhwerk und besonders den vornehmlich für den Soldaten so praktischen Becher (κώθων). Von Socken oder Filzschuhen handelt frg. 65 D. (55 B. 7 N.), vielleicht im Gegensatz zu derberen spartanischen Fußbekleidungen, wie frg. 35 D. (28 B. 5 M.) von auswärts bezogene luxuriöse Einrichtungsgegenstände (κλίνη und δίφρος Μιλησιουργής, κλίνη Χιουργή, τράπεζα Ῥηνειοεργής) sichtlich spartanischer Einfachheit gegenübergestellt waren. Frg. 36 D. (29 B. 6 M.) beschreibt den spartanischen Tanz θερμαΰστρίς. Frg. 37 D. (aus Liban. or. 25, 63) erörtert den schroffen Gegensatz zwischen Sklaven und Freien in Sparta und das daraus sich ergebende gegenseitige Mißtrauen. Die Ausführungen des Dikaiarchos bei Athen. IV 141 a-c und des Plut. Lykurg. 12 über die einfache Ernährung der Spartaner führt W. Jaeger (bei Diels S. 328 zu frg. 60) auf K. zurück: alle drei bedienen sich des seltenen Wortes ὀψωνία.

Aus K.s Ἀφορισμοί (in mindestens 2 Büchern), ,Aphorismen‘, den ersten ihrer Art neben den Hippokrateischen, und den Ὁμιλίαι (in 2 Büchern), ,zwanglosen Unterhaltungen‘, zitiert Galen comment. in Hippocr. de off. 1, 1 je zweimal γνώμη in der Bedeutung νοῦς, διάνοια, ἐννόησις (frg. 39. 40 D. 39. 40 B.). Herod. περὶ μον. λέξ. S. 40, 14 bucht aus K.s Ὁμιλίαι ὀρσότης in der Bedeutung ὁρμή (frg. 41 D.).

In περὶ φύσεως ἔρωτος ἢ ἀρετῶν (ἐρώτων Franz) gab K. nach Galen, lex. Hippocr. 19, 94 K. eine Definition von δυσάνιος (frg. 42 D. 37 B.).

Den Δημηγορικὰ προοίμια des K., Einleitungen zu Staatsreden als Rüstzeug für den Rhetor bestimmt, nach Art der προοίμια und ἐπίλογοι des Antiphon, eignete nach Hermog. de ideis II 11, 10, p. 415 Sp. in besonderem Maße τὸ ἀληθινόν τε καὶ πιθανόν (frg. 43 D. und S. 312, 19). Im übrigen hat es Reden des K. nach Ausweis der Fragmente wohl nicht gegeben (doch s. u).

Aus einer nicht näher zu bestimmenden Prosaschrift hat Ael. var. hist. X 13 die berühmte Notiz des K. über Lebensschicksale des Archilochos und die Selbstcharakteristik des parischen Dichters, für dessen ,Bekenntnisse‘ K. wenig Verständnis hat, geschöpft. K. seinerseits hat natürlich den Archilochos selbst befragt (frg. 44 D. 35 B. 12 M.). Die übrigen Fragmente enthalten außer den bereits erwähnten Angaben über athenische Dinge lexikalische Raritäten (s. o.) und Proben stilistischer Eigentümlichkeiten des K., die Aristid. rhet. II 2, 7. 3, 15 (frg 46f. D.) und Planud. zu Hermog. rhet. 5, 484 W. (frg. 5] D. 43 B.) aufgestochen haben. Endlich erfahren wir durch Philostr. vit. soph. pr. p. 1, 9 K., daß K. den Homer mit seinem Vaternamen nannte, um auf das Wunder hinzuweisen, daß ein Fluß (Μέλης) Vater des Homer gewesen war (frg. 50 D. 34 B. 11 M.). v. Wilamowitz (Aristot. und Athen. I 175 Anm.) weist die Notiz den Ὁμιλίαι zu. Ebenda wird von v. Wilamowitz das frg. 48 D. (38 B.) aus Dio Chrys. 21, 3 κάλλιστον εἶδος ἐν τοῖς ἄρρεσι [1910] τὸ θῆλυ, ἐν δ’ αὗ ταῖς θηλείαις τοὐναντίον den Ἀφορισμοί zugeschrieben.

3. Charakteristik und Fortleben. Plat. Tim. 20 a bezeichnet K. nach der Meinung aller als οὐδενὸς ἰδιώτην ὄντα ὧν λέγομεν, wozu Proklos die berühmte Erläuterung gab (I 70, 20ff. D.): ὁ Κ. ἦν μὲν γενναίας καὶ ἁδρᾶς φύσεως, ἥπτετο δὲ καὶ φιλοσόφων συνουσιῶν καὶ ἐκαλεῖτο ἰδιώτης μὲν ἐν φιλοσόφοις, φιλόσοφος δὲ ἐν ἰδιώταις, ὡς ἡ ἱστορία φησίν (hiernach Schol. Plat): K. war ein Laie unter den Philosophen, ein Philosoph unter den Laien. Im Charmides 161. 162 gilt K. dem Sokrates durchaus als ein Weiser. Auf die eigenartige Stellungnahme des Aristoteles zu K. hat v. Wilamowitz a. O. I 131f. aufmerksam gemacht. In seiner Ἁθ. πολ. nennt der Stagirite den K. nicht, nicht einmal bei der Erwähnung des Treffens bei Munichia, wo K. fiel. Dagegen scheint ein gewisses Bedauern über die geringe Kenntnis von K., seinen Taten und Werken, in weiten Kreisen der Äußerung rhet. III 16, 1416 b 26 zugrunde zu liegen, daß bei einer Lobrede auf Achill die Masse nicht erst über dessen Taten aufgeklärt zu werden brauche, wohl aber bei K. οὐ γὰρ πολλοὶ ἴσασιν. Diese Auffassung des Aristoteles erklärt v. Wilamowitz aus der Nachwirkung der Autorität des Platon. Aber Aristoteles hat recht behalten. Denn in der Tat haben die nächsten Jahrhunderte von K. keine Notiz genommen, und zwar hat sich nach Philostr. vit. soph. I 16 um K.s Lehre und Gedanken deshalb die Nachwelt so wenig gekümmert, weil er seine Worte mit seinem Charakter nicht in Einklang gebracht hat. Sieht man von gelegentlichen Bemerkungen Ciceros, des Caecilius (?) und Dionys ab, so haben ohne Zweifel erst Plutarch und die neue Sophistik seit Dion K.s Stil und Werke, wenigstens vorübergehend, zu neuem Leben erweckt.

Cic. de orat. II 93 nennt K., Theramenes und Lysias als Nachfolger der Redner Perikles, Alkibiades und Thukydides; multa Lysiae scripta sunt, nonnulla Critiae . . . omnes etiam tum retinebant illum Pericli sucum, sed erant paulo uberiore filo. III 138 (K. und Alkibiades) civitatibus quidem suis non boni, sed certe docti atque eloquentes (Lact inst. III 19, 25). Brut. 29. In Ps.-Plutarchs Leben der zehn Redner 1, 1 wird K. neben Alkibiades, Lysias und Archinos nach dem Stil seiner Gerichtsreden als Anhänger des Antiphon bezeichnet. Dionys. Halic. Lys. 2 stellt den Attizismus des Lysias neben den der Reden des Andokides und K., Isae. 20 rühmt er den K., das Haupt der 30 Tyrannen, unter denen, die die sorgfältigen Reden bevorzugten und sich in der Kampfrede vor Gericht übten, neben Antiphon von Rhamnus, Thrasymachos u. a. Dann fährt Dionys fort: Θρ. δὲ καθαρὸς μὲν καὶ λεπτὸς καὶ δεινὸς εὑρεῖν τε καὶ εἰπεῖν στρογγύλως καὶ περιττῶς ὃ βούλεται, πᾶς δέ ἐστιν ἐν τοῖς τεχνογραφικοῖς καὶ ἐπιδεικτικοῖς, δικανικοὺς δὲ οὐκ ἀπολέλοιπε λόγους, τὰ δὲ αὐτὰ καὶ περὶ Κριτίου . . . τις ἂν εἰπεῖν ἔχοι πλὴν ὅσον τοῖς χαρακτῆρσι τῆς ἑρμηνείας διαλλάττουσιν ἀλλήλων. Phrynichos praepar. soph. bei Phot. bibl. 158 S. 101 b 4 B. hebt als die Muster des εἰλικρινής, καθαρός, ἀττικὸς λόγος Platon, die zehn Redner, Thukydides, Xenophon, Aischines den Sokratiker, K. und Antisthenes [1911] hervor. Nach Philostratos (vit. soph. II 1, 14), der selbst den K. nachahmte, hat sich Herodes Atticus an alle Alten angelehnt, besonders eng aber an K., den er sozusagen einführte, während dieser bis zu seiner Zeit vernachlässigt und unbeachtet war. Das Wiederaufleben des K. zur Zeit der neuen Sophistik dokumentiert auch der Rhetor Aristeides (ars rhet. II 2, 7), der die Eingangsworte von Xenophons Symposion ἀλλ’ ἔμοι γε δοκεῖ zur schroffen, apodiktischen Art eines K. δοκεῖ δ’ ἔμοι γε in Vergleich setzt (frg. 46 D.). Ähnlich wird rhet. III 15 die schlichte Ausdrucksweise des Xenophon (symp. 1, 4) der würdevolleren eines K. und seinesgleichen gegenübergestellt (frg. 47 D.). In gleichem Sinne konstatiert Planudes in Hermog. rhet. vol. V 484 W., daß τῷ ἀγῶνι τῶν Πυθίων die gewöhnliche, schlichte Ausdrucksweise sei, während K. umstellte τῷ τῶν Πυθίων ἀγῶνι, wo Diels τῶν Π. τῷ ἀγῶνι vermutet. Ausführliche Würdigungen des Stiles des K. lesen wir bei Hermog. de ideis 2, 11, 10 S. 415 Sp. und Philostratos. Hermogenes lobt den erhabenen Stil des K., seine prunkvolle und kategorische Art in der Weise des Antiphon, dem er in der Reinheit der Sprache und im klaren Periodenbau überlegen war. Der nicht wenig sorgfältige Stil hält sich von Extremen fern, und macht den Eindruck des Echten und Wahren. Auf Schlichtheit und Anspruchslosigkeit legte K. geringeren Wert. Philostrat. ep. 73 führt den erhabenen und gravitätischen Ausdruck (τὸ μεγαλόγνωμον καὶ τὴν ὀφρύν) bei Thukydides und K. auf Gorgias’ Einfluß zurück, doch ihn machte sich zu eigen K. infolge seiner Redegewandtheit, Thukydides dank seiner Wucht. Die Hauptstelle lesen wir vit. soph. 116; hiernach war K.s Stil reich an Sprüchen und Sentenzen (s. o. μεγαλόγνωμον), K. war ein Meister des hohen Stils, der weder dem des Dithyrambos gleicht, noch zu poetischen Worten seine Zuflucht nimmt, sondern der in hohem Maße selbstverständlich und natürlich wirkt. K. verstand sich auf knappe Ausdrucksweise und geschickte Angriffe in der Verteidigung, sein Attizismus wirkte weder übertrieben noch fremdartig, da die Attizismen seiner Sprache wie Lichter aufgesetzt waren und aufleuchteten. Seine Eigenart lag im asyndetischen Ausdruck, im Streben nach paradoxen Gedanken und Aussprüchen. Der Hauch seiner Rede war etwas lückenhaft, aber anmutig und lind, wie das Wehen des Südwinds.

Eine Charakteristik der problematischen Doppelnatur des K., der auf den jungen Platon bereits einen tiefen Eindruck gemacht hatte und den in späteren Jahren der Meister trotz allem als Persönlichkeit und als Philosoph hochgeschätzt haben muß, wie die Rollen beweisen, die ihm Platon in seinen Dialogen zuerkannt hat, haben W. Nestle a. a. O. und v. Wilamowitz Platon 115ff. 138. 188. 585ff. gegeben.

4. Literatur. N. Bach Critiae tyranni carminum aliorumque ingenii monumentorum quae supersunt 1827. H. N. Patrick De Critiae operibus pedestri oratione conscriptis, Diss. Jenens. 1896. Th. Bergk PLG⁴ 602ff. O. Crusius Anthol. lyr. 134ff. A. Nauck TGF² 770ff. 547ff. 578. 566f. C. Müller FHG II 68ff. H. Diels Fragmente der Vorsokratiker 2³ 308ff. J. Kirchner [1912] Prosop. Att. I 592, 8792. Fr. Blass Attische Beredsamkeit I² 263ff. E. L. Schleicher Kritias v. Athen, Progr. Wurzen 1877. A. v. Gutschmid Kl. Schriften IV 327f. v. Wilamowitz Aristoteles und Athen I 131f. 173ff.; Platon I 115ff. u. ö. F. Dümmler Hermes XXVII (1892) 260ff; = Kl. Schriften II 417ff. Th. Gomperz Griechische Denker II² 556. R. Poehlmann Sokrates und sein Volk 102. W. Nestle Kritias. Eine Studie, N. Jahrb. f. d. Kl. Altert. XI (1903) 81ff. 178ff. Fr. Lortzing Burs. Jahresber. CLXVIII 113ff. Th. Bergk Gesch. d. griech. Lit. IV 342. O. Mueller-Heitz Griech. Literaturgesch. I⁴ 304. G. Bernhardy Griech. Lit.-Gesch. II³ 1, 558. W. Christ-Schmid Gesch. der griech. Literatur I5 173.

[Diehl. ]