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Die Kaiserin von Spinetta

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Paul Heyse
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Titel: Die Kaiserin von Spinetta
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10–11, S. 157–160, 173–176
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[157]
Die Kaiserin von Spinetta.
Eine italienische Dorfgeschichte. Von Paul Heyse.

In der Ebene von Alessandria, eine Stunde von dem Dorf Marengo entfernt, liegt ein anderes Dorf, Spinetta genannt, das der Glanz seines weltberühmten Nachbarn vollständig verdunkelt hat. Kaum einmal in genaueren Kriegsgeschichten wird sein Name erwähnt, und die Fremden, die auf dem Schlachtfelde Marengo’s jeden Steinhaufen mustern, würdigen im Vorbeifahren das bescheidene Spinetta keines Blickes. So ist es auch nur den Wenigsten bekannt, daß dieser unscheinbare Ort einmal einen Tag erlebt hat, wo ein Kaiser und eine Kaiserin mit feierlichem Pomp hier gekrönt wurden, und wie es hernach mit der Herrlichkeit dieser Majestäten ein seltsames Ende nahm. Nur ein fliegendes Blatt, dergleichen auf ländlichen Messen und Jahrmärkten für eine kleine Kupfermünze zu Tausenden verkauft werden, hat die nachdenkliche Geschichte dieser Kaiserkrönung aufbewahrt, und die dichtende Phantasie der piemontesischen und lombardischen Landleute umrankt den historischen Kern mit allerlei wunderlicher Zuthat, so daß es heutzutage schwer ist, Geschehenes und Gedichtetes vollkommen zweifellos zu scheiden. Im Wesentlichen aber hat das Ereigniß sich so zugetragen, wie es in den folgenden Blättern berichtet werden soll.

Zu Anfang der zwanziger Jahre, als Karl Felix, nach der Niederschlagung aller Umsturzversuche der Carbonari, unangefochten auf dem Throne von Piemont sich behauptete, lebte in einer der ärmsten Hütten am Rande des Dorfes Spinetta ein schönes Schwesternpaar, das wegen seiner Bravheit und Frömmigkeit allgemein geachtet wurde. Sie hatten beide Eltern schon früh verloren, als die Jüngere, Margheritina, kaum drei Jahre alt war. Damals starb die Mutter aus Kummer über das traurige Ende ihres Mannes, der Napoleon’s Zug nach Moskau als Sergeant mitgemacht und im Eise der Beresina den Heimweg verloren hatte. Die genaue Bestätigung, daß er wirklich todt und nicht etwa gefangen oder irgend wohin verschlagen sei, kam erst einige Jahre nach jenem furchtbaren Völkertrauerspiel, und mit dem Fünkchen Hoffnung, das die gute Frau immer noch genährt hatte, erlosch auch ihre schwache Lebensflamme. Das ältere Mädchen, Pia genannt, war erst fünfzehn Jahre, als sie mit ihrem Schwesterchen zur Waise wurde. Sie wollte aber nichts davon wissen, das Kind fremden Leuten zu übergeben, um selbst in einem ländlichen Dienst sich ihren Unterhalt zu erwerben; sondern sie blieb in dem Häuschen, das noch ihr Vater gebaut hatte, ernährte sich und das Kind mit dem Ertrage ihrer Spindel und der Ernte eines kleinen Maisfeldes, das sie selbst bestellte, und hielt dabei sich und die Kleine so anständig in Kleidern und in so tadelloser Zucht und Ehrbarkeit, daß man ihr großes Lob zollte und die Mütter ihren Töchtern diese beiden Waisenkinder als Muster guter Aufführung hinzustellen pflegten.

[158] Es war freilich ein sauer verdienter Ruhm; denn bei ihrer Armuth mußte sie vom Morgen bis in die Nacht die Hände regen, um sich nur durchzubringen, und durfte nicht einmal an Feiertagen den Spinnrocken in die Ecke stellen. Und sie konnte es so viel bequemer haben, wenn sie nur gewollt hätte. Nicht nur daß man ihr von vielen Seiten Hülfe und freundliche Gaben anbot und auch die Kleine ihr gern abgenommen hätte, da es ein so liebliches und kluges Kind war; auch für sie selbst fand sich mehr als Eine sehr annehmbare Versorgung, denn sie galt für das schönste Mädchen im Dorfe, und überdies wäre Jeder, auch der Reichste, mit einer solchen Hausfrau wohlberathen gewesen. Sie aber schüttelte zu allem guten Willen rings um sie her den Kopf, verbat sich jegliches Geschenk und ließ von den jungen Leuten, die ihr den Hof machten, einen nach dem andern mit langem Gesicht und schwerem Herzen abziehen.

Dieses spröde Betragen wurde ihr natürlich von Alten und Jungen schwer verdacht, und sogar der Pfarrer des Dorfes fand sich endlich bemüßigt, sein wunderliches Beichtkind über den räthselhaften Stolz, mit dem sie sich ganz auf sich selbst zurückzog, zur Rede zu stellen. Was sie ihm zur Aufklärung sagte, war nichts irgend Sündhaftes, weßhalb sie es auch nicht unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses ihrem Seelsorger anvertraute. Und so wußte denn bald das ganze Dorf, aus was für Augen die Pia ihre Zukunft betrachtete.

Sie war nämlich gerade an jenem 14. Juni des Jahres 1800 zur Welt gekommen, als die Schlacht von Marengo in so naher Nachbarschaft von Spinetta geschlagen wurde. In ihrer bangen Stunde hatte die Mutter die Kanonen der Franzosen herüberdonnern hören und in doppelten Aengsten geschwebt, da ihr Mann unter Desaix' Truppen an diesem Tage mitfocht. War das Kind also unleugbar unter dem Gestirn des Mars geboren worden und hatte einen Helden zum Vater, den der erste Consul auf dem Schlachtfelde selbst belobte und zum Sergeanten beförderte, so wurde das Selbstgefühl der Familie noch erhöht, als fünf Jahre später der Gewaltige, vor dem alle Reiche der Welt zitterten, wieder in die Nähe ihres namenlosen Dorfes kam, jetzt als Kaiser der Franzosen und im Begriff sich in Mailand auch die Krone von Italien aufs Haupt zu setzen. Auf dem Schlachtfelde von Marengo hielt der Kaiser eine große Heerschau ab. Da hatte das Weib des Sergeanten der Versuchung nicht widerstehen können, war mit ihrem Kinde aufgebrochen und nebst der ganzen Bevölkerung des Dorfes dem herrlichen Schauspiel nachgewandert. Das fünfjährige muntere Dirnchen begriff freilich noch nicht recht, was dies Alles zu bedeuten habe. Als aber die Musterung der Truppen beendet war und der Kaiser mit seinem glänzenden Gefolge langsam die Straße nach Alessandria zurückritt, stand die Mutter in der vordersten Reihe des unabsehbaren Spalieres, das die Bauern der Umgegend gebildet hatten, und hatte die kleine Pia, die sonst schon rüstig auf ihren eigenen Füßchen stand, auf den Arm genommen, damit das Kind den Kaiser sich recht genau betrachten könne. Wie es nun hieß: „Da kommt er! Das ist er! Der da vorn auf dem Schimmel Evviva l'Imperatore!“ – streckte das kleine Mägdlein, als der Blitz des dunklen Kaiserauges sein roth und weißes Gesichtchen streifte, wie in plötzlicher Verzückung die beiden nackten Arme gegen den wunderbaren Helden aus und rief mit so heller Stimme sein Evviva! – daß der kindische Jubel durch alle anderen Stimmen hindurch an das Ohr des Herrschers drang und er einen Augenblick die Zügel anzog. Im nächsten hatte er das schlanke Mägdlein zu sich auf den Sattel gehoben, sah ihm ein Paar Secunden lang mit festem Blick in die großen schwarzen Augen, die nicht mit einer Wimper zuckend diesen dämonischen Blick aushielten, küßte die kleine, von krausen Härchen umflogene Stirn und reichte dann das Kind der Mutter wieder zurück, die sprachlos vor Entzücken über diese unerhörte Gunst wie eine Bildsäule am Wege stand und über dem davonsprengenden Triumphator sogar den eigenen Mann nicht gewahrte, als dieser bald nachher ermattet und bestäubt mit seinem Regimente an Frau und Kind vorbeimarschirte.

Niemand wird es verwundern, daß dieses Ereigniß auf alle Augenzeugen, zumal auf die nächsten Bekannten aus dem Dorfe, einen ungewöhnlichen und lange nachwirkenden Eindruck machte. „Das ist die Pia, die der Kaiser geküßt hat,“ hieß es noch Jahre lang, wenn etwa einem Fremden in Spinetta das schöne, schlanke Mädchen auffiel, welches auch seinerseits in einer gewissen aparten Haltung, sowohl in seinen Kleidern, als im Betragen, an den Tag zu legen schien, daß es sich gleichsam geadelt fühlte durch jenes märchenhafte Erlebniß aus der Kinderzeit. Trotz ihrer dürftigen Lage ging Pia stets in Schuhen und Strümpfen duldete nie einen Flecken an ihrem Röckchen oder an dem groben Linnenzeug, das sie selbst gesponnen und gewebt hatte, und ihre langen, schweren Zöpfe trug sie in einer breiten Flechte vorn über der Stirn, die fast einem schwarzen Diadem gleichsah. Ihre Gespielinnen liebten sie nicht sonderlich, nannten sie „die Prinzessin“ oder gar „die Kaiserin“, was sie sich wie etwas ganz Natürliches gefallen ließ, und suchten sie bei den jungen Burschen in den Verdacht einer Närrin zu bringen.

Diese Nachrede aber verfing bei dem männlichen Theile der Jugend nicht im Geringsten, zumal sie in der That dem sonderbar schönen Geschöpf Unrecht that. Pia verachtete keinen Menschen darum, weil sie auf sich selbst etwas hielt, und wenn jener Kuß des Kaisers hinter ihrer jungen Stirn Unfug angestiftet hatte, so war es doch nichts Schlimmeres, als ein träumerisches Sinnen und Brüten, das sie manchmal überfiel, wo sie dann geheime Stimmen zu vernehmen glaubte, die ihr von einer herrlichen Zukunft in Glanz und Ehren vorerzählten, so daß sie genau denselben wonnigen Schauder von Kopf bis Fuß sich wieder überrieseln fühlte, wie in jenem Augenblicke, als der Sieger von Marengo sie zu sich aufs Pferd hob. Sie war verständig genug, diesen Einflüsterungen ihrer Träume nicht zu glauben, sobald sie sich mit wachen Augen wieder umsah in ihrem armen Mutterhause, und als sie vollends für das Schwesterchen ganz allein zu sorgen hatte, kamen diese Phantasieen seltener und seltener; doch war es immerhin um ihretwillen, daß sie sich weigerte, in irgend einen Dienst zu treten, und wenn sie auf ihren Anzug bei aller niederen Arbeit besondere Sorgfalt verwendete, spielte der Gedanke heimlich mit, daß wohl gar eines schönen Tages wieder ein Fürst vorbeisprengen und den Blick auf sie richten möchte, wo sie sich dann hätte schämen müssen, wenn sie unsauber und unordentlich einhergegangen wäre.

Ihre Abneigung indessen, einen ihrer vielen Bewerber zu erhören, rührte nicht etwa davon her, daß sie sich nur für einen hohen Herrn gut genug dünkte, sondern, wie sie auch dem Pfarrer mit Erröthen eingestand, gerade im Gegentheil von ihrer festen und treuen Neigung zu dem allerärmsten Burschen des ganzen Dorfs. Es war dies ein gewisser Maino, ein Bauernbursche, der gleich ihr selbst schon früh seine Eltern verloren hatte und sich erst als Tagelöhner, dann als Maurergeselle ehrlich, aber kümmerlich durchschlagen mußte. Das hatte ihm weder den Muth, noch selbst den Uebermuth gelähmt, und es gab weit und breit keinen munterern, keckeren und zu lustigen Streichen aufgelegteren Gesellen als ihn. Auch war er ein bildhübscher Bursch mit dichtem Kraushaar und feurigen schwarzen Augen, breiter Brust und Schenkeln wie ein Hirsch; dazu hatte er eine schöne helle Stimme und wußte tausend Rispetti und Ritornelle, die er auf der Guitarre begleiten konnte. Sein einziger Fehler, außer der großen Armuth, war ein allzu heißes Blut, das ihn häufig in Raufhändel verwickelte, wo dann die Messer lockerer, als gut war, in der Scheide saßen. Es war aber immer noch ohne den schlimmsten Ausgang abgelaufen, und je älter Maino wurde, desto mehr hielt, nicht etwa die Vernunft, sondern ein übermächtiger Stolz seine Leidenschaften im Zaume, so daß er gemeinen Zänkereien auswich und seinen Zorn für größere Anlässe sparte.

Auch die Liebe hatte ihren Antheil an dieser Bändigung des Wildlings. Die Pia war noch ein halbwüchsiges Jüngferchen, als Maino ihr schon erklärt hatte, daß sie keinem Andern gehören dürfe, als ihm, und trotz aller kaiserlichen Träume hatte das Kind Nichts dagegen einzuwenden gehabt. Die Armuth ihres jungen Verlobten schreckte sie nicht von ihm zurück. Sie erfuhr es ja an sich selbst, daß wahrer Adel und fürstliche Gesinnung auch in geringen Kleidern sich bewähren konnten. Nur wie die Mutter gestorben war, bestand sie darauf, daß er sich von ihr fern halten und gegen Niemand von ihrem heimlichen Einverständnisse reden sollte, bis er es so weit gebracht, einen eigenen Herd gründen zu können, an dem auch für Margheritina ein Plätzchen frei sein müsse. Sie wolle gern [159] auf ihn warten, aber er müsse es weiter bringen, als bis zum Gesellen, da sie nur einem freien und selbständigen Meister ihre Hand reichen werde. Sie mochte wohl wissen, daß es nöthig war, ihn zu stetigem Fleiße anzuspornen, da er sie am liebsten vom Fleck weg, wie sie Beide gingen und standen, geheirathet und dann ein sorgloses Leben von der Hand in den Mund begonnen hätte.

Seitdem sie nun, um den Verdacht des Hochmuths von sich abzuwälzen, dem Herrn Pfarrer vertraut hatte, wie sie mit Maino stand, und diese ungeahnte Aufklärung überall großes Aufsehen machte, glaubte auch der Jüngling nicht länger sich zurückhalten zu müssen, sondern fand sich an allen Feiertagen und oft auch im Vorbeigehen am Werkeltage bei seiner Geliebten ein, die ihn aber nie über die Schwelle ihres Hauses ließ. Man konnte sie dort an schönen Abenden, oft bis tief in die Nacht hinein, auf einem Bänkchen sitzen sehen, das Kind Margheritina zu ihren Füßen spielend, bis es endlich einschlief, die Arme um den Hals des Hündchens Brusco gelegt. Dann erst durfte Maino sich einige unschuldige Liebkosungen gegen seine schöne und züchtige Braut erlauben. Bei allem Ungestüme seines zärtlichen Blutes hielt ihn doch auch die Verehrung, die er für sie wie für ein höheres Wesen hegte, in gewissen Grenzen. „O Pia,“ sagte er mehr als einmal, „ich weiß es, daß ich zu schlecht für dich bin, und wenn ich mir einbilden könnte, daß irgend ein sterblicher Mensch dich besser und treuer zu lieben vermöchte, als der arme Maurerbursche – beim Blute Christi, ich hinge mich an den ersten besten Baum und ließe dich glücklich werden, wie du es verdienst. Aber habe nur Geduld! Es geschehen noch alle Tage große Dinge in der Welt, wahrhaftige Mirakel, und ebenso gut, wie der namenlose Corse ein großer Kaiser und der Herr der ganzen Welt hat werden können – seine Herrlichkeit ist freilich zu einem schnöden Ende gekommen, weil er sich selbst mehr geliebt hat, als die Völker – ebenso gut kann der arme Bauernkerl Maino noch einmal ein großer Herr werden und dich wie eine Fürstin in seinem Hause halten.“

Sie lächelte ungläubig zu solchen Worten und suchte ihrem Liebsten dergleichen Hirngespinnste auszureden, damit er nur um so eifriger darauf bedacht wäre, ohne Hoffnung auf Wunder dem Ziel ihrer Wünsche nachzustreben. Aber Etwas, das einem Wunder nicht allzu unähnlich sah, ereignete sich in der That und rückte dieses Ziel, das noch um Jahre entfernt schien, plötzlich in die allernächste Gegenwart.

Eines schönen Tages, lange vor Feierabend, erschien Maino im Dorfe mit strahlendem Gesicht. Er hatte gegen den Willen seiner Braut es nicht versäumen wollen, dem Glück ein Pförtchen offen zu lassen, und scharf in der Lotterie gespielt. Nun war das seit Menschengedenken Unerhörte geschehen und die vier Nummern, die er gesetzt, sämmtlich herausgekommen. Diese benedeite Quaterne hatte ihm einen ganz ansehnlichen Haufen Lire ins Haus gebracht, mit dem er wohl wagen durfte, sich als Meister zu setzen, ein Geschäft und einen eigenen Hausstand anzufangen und ein Mädchen, welches der Kaiser auf die Stirn geküßt, heimzuführen.

Auch willigte seine Braut ohne Widerstreben ein, die Seinige zu werden. Nicht sowohl das Geld war es, was sie zu der raschen Hochzeit geneigt machte, als vielmehr der Umstand, daß ihnen dasselbe von der Glücksgöttin selbst ins Haus beschert worden. Sie betrachtete Maino seitdem mit anderen Augen, als einen Liebling höherer Mächte, und wenn sie auch zu verständig war, um zu glauben, daß ihm eine so glänzende Bahn bestimmt sei, wie dem corsischen Unterlieutenant, so sah sie ihn doch im Geiste mit allerlei Ehren und Würden geschmückt, als den ersten Mann im Dorfe, oder wer weiß gar noch als Podestà einer der Nachbarstädte, wenn das Glück ihm treu bliebe.

Ueberdies war sie nun zweiundzwanzig Jahre, hatte den verwegenen guten Jungen von Herzen lieb und sehnte sich danach, sein Weib zu werden.

Es sollte hoch hergehen bei ihrer Hochzeit, davon ließ sich der glückliche Bräutigam nicht abbringen. Was irgend mit dem Schwesternpaare nah oder fern versippt war, und das war das halbe Dorf, wurde in die Schenke geladen, Musiker von Alessandria her verschrieben und für ein hinlänglich ausgiebiges Faß des besten Nostrale gesorgt. Daß Maino seine Braut und das Kind Margheritina von Kopf bis Fuß aufs Schönste in neue Kleider steckte, braucht kaum gesagt zu werden. Auch das Hündchen Brusco erhielt ein hochzeitliches Halsband von rothem Sammet mit einer kleinen silbernen Schelle, und seit der Quaterne kam sein Freund Maino nie zu seiner Verlobten, ohne dieser einen Blumenstrauß und dem Hunde ein Würstchen mitzubringen.

Als nun in der zweiten Woche nach dem Glücksfalle der Hochzeitstag angebrochen war, erschien der Bräutigam zu Pferde mit vier oder fünf seiner guten Freunde, die gleichfalls trefflich beritten waren, da das Dorf San Giuliano Vecchio, wo sie sämmtlich in Arbeit standen, eine ziemliche Strecke von Spinetta entfernt an der Straße nach Tortona liegt, und Hochzeiter doch nicht in bestaubten Schuhen und Kleidern auftreten dürfen. Die Braut empfing ihn von ihren Brautführerinnen umgeben, die Schönste und Königlichste von Allen, mit einem so liebestrahlenden Lächeln, daß dem guten Jünglinge der Himmel sich aufzuthun schien, und er große Mühe hatte, an sich zu halten, um nicht die verrücktesten Freudensprünge zu machen. Er schwang sich wie eine Feder vom Rosse, reichte seiner Liebsten die Hand und trat ungesäumt, mit möglichster Würde, wie die uralten Dorfsitten es erheischten, den Kirchgang mit ihr an.

Nun hatte es seit unvordenklichen Zeiten zu einer richtigen Hochzeit in Spinetta gehört, daß auf dem Wege zur Kirche, und nach der Trauung wiederum bis zum Wirthshause hin, von den Freunden des Bräutigams kleine Böller gelös't, Flinten und Pistolen und was irgend knallen wollte blind in die Luft hinaus abgefeuert wurden. Seitdem aber Karl Felix sein unumschränktes Regiment ausübte, durfte, da die Furcht vor heimlichen Anschlägen der Carbonari noch nicht ganz beseitigt war, kein Bauer eine Schießwaffe sehen, geschweige denn hören lassen. Die königlichen Gensdarmen, die überall auch auf den Dörfern vertheilt waren, hatten strenge darauf zu sehen, daß dem Waffenverbot nirgend zuwidergehandelt wurde, und selbst das Freudenschießen bei Hochzeiten war seit Anno Einundzwanzig verstummt.

Bisher hatte die muntere Dorfjugend, der bei jedem Feste der Lärm die Hauptsache ist, sich knirschend in den Verzicht gefügt. Maino aber war nicht gesonnen, seinen Hochzeitstag ohne diese kriegerische Musik zu feiern. Er glaubte es schon seiner Braut schuldig zu sein, deren Vater als tapferer Soldat gefallen war, und wenn auch nicht so viel Pulver draufgehen konnte, wie bei der Krönung des großen Soldatenkaisers, oder bei seiner Heirath mit der österreichischen Kaiserstochter – ganz wie jeder andere Bauernbursche durfte doch Dessen Ehrentag nicht vergehen, der eine Quaterne in der Lotterie gewonnen hatte.

Als daher der festliche Zug etwa die Hälfte des Kirchwegs zurückgelegt hatte, fingen Maino's Freunde an, unter lautem Jauchzen und schallenden Evvivas ihre Büchsen abzuschießen, und der Bräutigam selbst, sobald er diese langentbehrten Töne hörte, griff in seinen Gürtel, holte ein paar alte, aber schön gearbeitete Taschenpistolen heraus und feuerte aus ihnen, trotz des inständigen Bittens der Unheil ahnenden Pia, mit einem hellen Jubelrufe in die blaue Luft.

Nun wäre unter gewöhnlichen Verhältnissen diese Uebertretung des Gesetzes wohl nicht strenger geahndet worden, als mit einer nachträglichen Geldbuße oder gar nur einer scharfen Vermahnung der Schuldigen. Zum Unglück aber war einer der beiden Gensdarmen, die in Spinetta ihr Standquartier hatten, selbst ein Anbeter der Braut gewesen, hatte sich, seines obrigkeitlichen Ansehens wegen, mit kühnen Hoffnungen getragen und es als eine persönliche Beleidigung, wo nicht gar als eine Schmälerung seiner Amtsehre empfunden, daß es nun doch zwischen der schönen Pia und diesem armseligen Maurerburschen richtig wurde. Er war Rache und Verderben brütend die Tage vor der Hochzeit herumgegangen, hatte seine Kameraden in den Dörfern Parodi und Mandrogne benachrichtigt, daß sie sich am Hochzeitstage nach Spinetta begeben sollten, da es dann leicht zu Händeln kommen möchte und, wenn der Wein dem Bauernvolk erst zu Kopfe stiege, sie Beide allein nicht ausreichten, um Unfug zu verhüten.

Wie nun jene völlig harmlosen Freudenschüsse zu knallen anfingen, erschienen die sechs wohlbewaffneten Gensdarmen plötzlich mitten auf der Straße, forderten die Auslieferung der Waffen, und jener verschmähte Nebenbuhler des Bräutigams – der den Spitznamen Barbone trug – trat mit triumphirender [160] Miene gerade auf Maino zu, um ihn als den Anstifter des ganzen Lärms gerade aus dem Brautzuge weg in Haft zu führen. Mochten die jungen Leute nun schon vorher, bei ihrem Ritte nach Spinetta, dem rothen Vorjährigen zugesprochen haben, oder der Ingrimm über diese ausgesuchte Bosheit ihnen zu Kopfe steigen, genug, sie widersetzten sich offen der obrigkeitlichen Macht, und Maino selbst, dem die Demüthigung vor den Augen seiner Braut fast die Besinnung raubte, erwiderte dem Barbone mit so schneidigem Hohne, daß zwar alle Zuhörer vom Dorfe in schallendes Gelächter ausbrachen, der wüthend gemachte Gegner aber nun auch alle Schonung vergaß und seinen spottenden Feind beim Kragen ergriff, um ihn eigenhändig in den Kerker zu schleppen. Im nächsten Augenblicke blitzte das Messer Maino's mit seinen sprühenden Augen um die Wette. Ein Ringen Faust gegen Faust, Dolch gegen Säbel entspann sich; die Weiber und Kinder schrieen; die Männer tobten wild durcheinander. Barbone's Kameraden waren mit den Brautführern handgemein geworden, und erst als der Pfarrer, der von fern in der Kirche das Getümmel des Kampfes vernommen, im vollen Ornat auf der Schwelle des Portales erschien und seine warnende Stimme erschallen ließ, trat eine plötzliche Stille ein. Man sah nun mit Entsetzen, daß der Barbone und zwei seiner Gefährten aus mehreren Wunden blutend am Boden lagen, während auch die hochzeitlichen Kleider Maino's mit Blut bespritzt waren und aus einem Schlitz in seinem sammetnen Aermel schwere Tropfen hervorquollen.

Eine düstere Pause, ein lautloses Umherstarren war auf den wilden Tumult gefolgt. Man sah den Geistlichen eilfertig sich nähern, und Niemand wußte, was nun aus der blutig verstörten Feier werden sollte. Maino aber hatte sich zuerst gefaßt. Nur noch einen Blick tödtlichen Hasses warf er auf den ächzend am Boden liegenden Barbone, dann raunte er seiner sprachlos versteinerten Braut ein Wort ins Ohr, das Niemand verstand, umarmte sie heftig und küßte sie auf den entfärbten Mund, gab dann seinen Genossen ein Zeichen und war im Umsehen durch das dichtgeschaarte Volk verschwunden, gerade als der Pfarrer keuchend herankam, den Namen des Bräutigams rufend, um von ihm Aufklärung über den Hergang zu verlangen.

Die Schüsse, die er schon vorher vernommen, und der Anblick der hingestreckten Hüter des Gesetzes konnten ihn freilich zur Genüge belehren, und er hatte noch kaum nach dem Bader schicken und die Verwundeten befragen können, wie sie sich fühlten, als schon die Nachricht kam, der Bräutigam habe sich mit seinem ganzen Geleit wieder auf die Pferde geworfen und sei wie das Ungewitter davongesprengt, wahrscheinlich in die Waldberge nahe bei Tortona, wenn die Flüchtigen nicht etwa diese Straße nur gewählt hatten, um die Verfolger irre zu leiten. Dann würden sie wohl in dem Busch- und Bergland um Novi herum ihre Schlupfwinkel suchen.

Ein so trübseliges Ende hatte diese Hochzeit genommen. Der Bräutigam war als ein dem Gesetz Verfallner, ein Bandito, in die Wälder geflohen; der Braut blieb Nichts übrig, als in ihr einsames Häuschen zurückzukehren und das alte ledige und langweilige Leben mit ihrem Schwesterchen wieder zu beginnen.

Nach dem ersten Schrecken aber schien dem schönen und gedankenvollen Geschöpf dieser Entschluß nicht eben schwer zu werden. Sie wich allen Beileidsbezeigungen aus, nahm Margheritina bei der Hand und schlug den Weg nach ihrem verlassenen Hause ein, wo man sie noch denselben Tag in ihrem Alltagsgewande gleichmüthig schaffen und sich rühren sah.

Dem Pfarrer, der sich noch gegen Abend bei ihr einfand, um sich nach ihrem Seelenzustande zu erkundigen, erklärte sie, es sei ihr freilich leid um diesen bösen Handel, aber sie vertraue auf ihren und ihres Maino Stern. Sie seien ganz gewiß Beide zu einem hohen und ungemeinen Glücke bestimmt, nur müßten sie sich das Warten nicht verdrießen lassen.

Es war aus ihren Reden abzunehmen, daß ihr Verlobter ihr mehr als je ins Herz gewachsen war, seit er so heroisch sich gegen kecke Vergewaltigung zur Wehre gesetzt. Ueber diesen Punkt wollte sie auch von dem geistlichen Herrn sich keines Bessern belehren lassen. Auch der Kaiser Napoleon würde, behauptete sie, nicht halb so große Dinge erreicht haben, wenn er sich von jedem ersten besten Gensdarmen an die bestehenden Verordnungen hätte mahnen lassen.

Der Pfarrer sah mit Betrübniß, daß eine Art von Kaiserwahnsinn sich dieses stillen Weiberkopfes bemächtigte. Er beschloß, nach Kräften dagegen zu arbeiten. Das ging aber freilich nicht auf einmal.

Bald vernahm man nun im Dorfe, daß Maino mit seinen Spießgesellen in der That um Novi herum sich hatte blicken lassen. Die Wunden des Barbone und seiner Kameraden waren zwar unbedenklich. Aber Regierung und Polizei durften nichtsdestoweniger die Sache nicht leicht nehmen, in Zeiten, wo der eben gedämpfte Carbonarismus überall noch unter der Asche fortglimmte und beim ersten Windstoß hell aufzuflackern drohte. Es wurde daher auf den entwichenen Friedensbrecher und seine Helfershelfer eifrig gefahndet, im Stile all' jener polizeilichen Razzias, bei denen dem gejagten Wilde immer zum Entkommen Zeit gelassen wird, gleichsam um das Jagdvergnügen selbst möglichst zu verlängern. Auf diese Weise bildete die Staatsgewalt aus den armen Teufeln, die anfangs nur aus Noth sich als Dilettanten im Räuberhandwerk gezeigt hatten, die trefflichsten Virtuosen heran, die aus der Noth endlich eine Tugend machten und die neue freie Kunst um keinen Preis wieder gegen ihr altes kümmerliches Gewerbe vertauscht haben würden.

Pia hörte all' diese Dinge erzählen und schien sie als selbstverständlich und keinenfalls ehrenrührig oder verzweifelt zu betrachten. Daß ihr Maino das Räubergeschäft auf eine hochherzige Manier betrieb, die Armen und Elenden schonte oder gar ihnen half, nur an die Großen und Mächtigen sich wagte und sich nirgend mit Mordlust oder tückischer Grausamkeit befleckte, rühmten ihm Alle nach. Das Dorf Spinetta, in welchem er bisher kein sonderliches Ansehen genossen hatte, begann jetzt von diesem seinem berühmten Sohne mit Hochachtung und Bewunderung zu reden. Wer ihm zufällig in den Bergen begegnet war, wußte nicht genug zu sagen, wie schön und stattlich er aussehe und wie er seine Landsleute als Galantuomo behandle. Dem Barbone dagegen, der nach einigen Lazarethwochen wieder dienstfähig war, wenn er auch wegen einer Wunde im Schenkel am Stock herumhinkte, wich Jedermann aus, und er mußte sich trotz seiner amtlichen Würde schiefe Gesichter und verstohlene Flüche gefallen lassen, wo er sich nur blicken ließ.

[173] So waren einige Monate ins Land gegangen. Der Sommer neigte sich zu seinem Ende; die einsame Braut dachte wohl mit stillem Seufzen daran, was im rauhen Winter aus dem gejagten Wild in den Bergen werden würde, und ihre Zuversicht auf Maino’s Stern fing an wankend zu werden. Da saß eines Abends, als der Mond eben über dem Dache des Kirchleins heraufglänzte, der Pfarrer von Spinetta in der Küche, wo er seine Mahlzeiten an einem Tischchen nahe beim Herde einzunehmen pflegte; die alte Magd hatte ihm das Schüsselchen mit Polenta aufgetragen, dazu den Teller mit Brod und Oliven und wollte nur noch in den Keller, um unten die Flasche mit rothem Landwein zu füllen, als die Thüre sacht aufgemacht wurde und mit einem „Guten Abend, Herr Pfarrer!“ ein Mann in wunderlichem Aufzuge über die Schwelle trat. Er glich in der That den phantastisch aufgeputzten Räuberfiguren, wie sie in Italien sonst nicht zu finden sind, außer auf Opernbühnen, wenn „Fra Diavolo“ in Scene geht. Ueber der Schulter hing eine treffliche englische Doppelbüchse; in dem großen rothseidenen Shawl, der die Hüften umgürtete, steckten zwei silberbeschlagene Pistolen. Gesicht und Hände zeigten sich wohlgewaschen, und das krause Lockenhaar war glänzend von wohlriechendem Oel. Der Pfarrer, der sofort den berühmten Helden von Spinetta erkannt hatte, erschrak trotz alledem und starrte die Erscheinung stumm mit großen Augen an, während die alte Magd sich schreiend hinter den Herd flüchtete. Maino aber trat mit einem zutraulichen Kopfnicken näher, nahm den breiten Hut mit der wallenden Feder ab, daß die lange goldene Kette daran klirrend die Steinfliesen streifte, und bat den hochwürdigen Herrn, ganz unbesorgt zu sein, er habe nichts Böses gegen ihn im Sinne, wolle ihn auch nicht länger incommodiren, als bis er den Zweck seines Besuchs erreicht habe, der kein anderer sei, als daß die Trauung, die neulich so unliebsam gestört worden, nunmehr in aller Form zu Ende gebracht werde.

Hiermit winkte er nach der Thür zurück, und Pia trat schüchtern herein, im Brautstaate, wie damals, nur daß man ihr ansah, wie wenige Minuten sie auf ihren Putz hatte verwenden dürfen. Hinter ihr sah man im Hausflur allerlei dunkle Gestalten mit blitzenden Gewehrläufen, und vor dem Hause schien die ganze Bevölkerung von Spinetta in athemloser Aufregung der Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Der Pfarrer, der um Vieles beherzter war als sein berühmter College Don Abbondio, sah dennoch ein, daß hier von Widerspruch keine Rede sein konnte, und da alle üblichen Präliminarien schon vor dem ersten Hochzeitstage ins Reine gebracht waren, konnte auch sein geistliches Gewissen nichts gegen die Einsegnung dieser Ehe einwenden. Nur erlaubte er sich die Frage, ob Maino auch ganz sicher sei, daß die Hochzeit nicht abermals durch einen Protest der weltlichen Macht unterbrochen werden würde, worauf der Bräutigam, der seit seiner Hauptmannswürde um ein paar Zoll gewachsen zu sein schien, mit einem überlegenen Schmunzeln erklärte: Bis an den andern Tag würden sie ganz traulich unter sich bleiben, da er Sorge getragen, die neidischen Störenfriede in einen sichern Gewahrsam zu bringen. Die beiden gottverdammten Hallunken, Barbone und sein schuftiger Kamerad, lägen mit neuen Stricken gebunden im Spritzenhäuschen, das zum Ueberfluß verschlossen sei und wohl bewacht werde. Diese Nacht gedenke er mit seiner jungen Frau in ihrem Hause zuzubringen, morgen aber seiner Heimath für lange, wo nicht für immer den Rücken zu kehren. „Ein Galantuomo, Herr Pfarrer,“ schloß er seine Rede und lachte dabei so freudig, daß all’ seine weißen Zähne im Herdfeuer blinkten, „ein Galantuomo findet sein Vaterland überall, wo es Galantuomini giebt, und in unserm benedeiten Piemont sind diese Früchte so selten, wie Feigen auf dem Kirchendach. Ich gedenke mit meiner Frau mich in Frankreich niederzulassen, oder auch in Spanien, da gilt Jeder nur was er ist. Das beste Gericht, Herr Pfarrer, ist nicht mehr schmackhaft, wenn es angebrannt ist, und meine Feinde hier im Lande haben einen Rauch und eine Stänkerei angestiftet, daß es einem in die Augen beißt. Uebrigens verlang’ ich nichts umsonst, Hochwürden, und hier sind die Traugebühren.“

Er trat an das Tischchen und zählte ein Dutzend blanker Goldstücke neben das Lämpchen hin. Dabei konnte der Pfarrer sehen, daß sein Gang schwankend war und seine Hände ein wenig unsicher. Er hatte offenbar stark gezecht, und das geringste Hinderniß, das seinen Willen kreuzte, konnte den treuherzigen Uebermuth seiner Weinlaune in wildesten Jähzorn verwandeln.

Also besann sich der Pfarrer keinen Augenblick, diese fürstliche Vorausbezahlung einzustreichen, und erklärte sich bereit, dem Paare in die Kirche voranzugehen.

Es war inzwischen aus Dämmerung Nacht geworden, aber die Straße zwischen dem Pfarrhause und der Kirche gleichwohl hell erleuchtet, von einer Menge Fackeln, die Maino’s zahlreiches Gefolge mitgebracht hatte, und überdies von den Lämpchen und [174] Kerzen, mit denen „auf höheren Befehl“ alle Einwohner des Dorfes ihre kleinen Fenster illuminirt hatten. Die Leute von Spinetta mochten gleichfalls schon auf Kosten ihres berühmten Mitbürgers mehr als ein Glas geleert haben. Wenigstens waren sie Alle in hochzeitlichster Stimmung und empfingen den Pfarrer und das Brautpaar beim Heraustreten aus dem Hause mit schallenden Hochrufen, in welche sich Freudenschüsse mischten, die jetzt ordentlich schadenfroh klangen, da die Feinde dieser harmlosen Festmusik sie von fern in ihrem finstern Kerker vernehmen mußten. An anderen Tonwerkzeugen fehlte es auch nicht. Zwei Guitarren und eine Clarinette waren im Dorfe vorhanden, die ihre Künste jedoch für das Hochzeitsbankett in der Schenke aufsparten.

Als nun der Pfarrer und die Brautleute vor den Altar traten, gab es noch eine kleine Zögerung. Der Bräutigam bestand darauf, daß außer den beiden schon angezündeten Kerzen sämmtliche Candelaber mit Wachslichtern besteckt und die Kirche wie bei den allerhöchsten Festen rundum erleuchtet werden sollte. Das Geld für diesen Aufwand legte er, ohne lange zu zählen, mit der vollen Faust auf das Taufbecken und befahl, inzwischen die Orgel zu spielen, und zwar seine Leibstücke, die damals in Schwang gehenden kriegerischen Volkshymnen und eine Tenorarie aus einer beliebten Oper. Inzwischen war die armselige Kirche in einen märchenhaften Glanz getaucht worden, und wie nun Alles bereit war und der schlanke, stattliche Bursch im vollen Waffenschmuck seine schöne Braut vor den Altar führte, ging ein „Ah!“ der Bewunderung durch die Kopf an Kopf gedrängte Menge, und Jeder von den Burschen hätte trotz Bann und Acht gern mit dem Bräutigam getauscht, so wie jedes Mädchen mit der glücklichen Braut.

Der Pfarrer aber, dem es allein von Allen bei der Sache nicht geheuer war, sputete sich, mit seinem Spruch und Segen zu Ende zu kommen, und wollte, da nun das Paar seinen Willen erreicht und sich untrennbar verbunden hatte, mit einem eilfertigen Lebewohl sich in die Sacristei zurückziehen. Maino indessen trat ihm höflich in den Weg und sagte, immer mit einem seltsamen Ton der Stimme, wie ein Mensch, aus dem der Wein redet:

„Hochwürdigster Herr Pfarrer, getraut wären wir nun, dem Herrn Barbone und dem hochlöblichen Governo in den Bart; aber nun müßt Ihr noch ein Uebriges thun.“

„Ich verstehe dich nicht, mein Sohn,“ versetzte der Pfarrer, der seine Bestürzung über die neue Zumuthung nur mühsam verhehlte.

„Ich habe nämlich einen heiligen Eid geschworen, bei den sieben Wunden unseres Erlösers, daß ich diese Kirche nicht verlassen will, bis ich und meine geliebte Gattin, Signora Pia Maino, zum Kaiser und zur Kaiserin von Spinetta gekrönt worden sind. Ihr müßt nämlich wissen, Hochwürden, dieses mein Weib ist die Krone und Perle unter allen Weibern, als solche schon in ihrer Kindheit anerkannt durch den größten Mann des Jahrhunderts und aller Zeiten, der sie auf die Stirn geküßt hat, weil er sie für ebenbürtig und ihre Stirn für würdig erklären wollte, auch dermaleinst eine Krone zu tragen. Und darum bitte und ersuche ich Euch, Herr Pfarrer, da Ihr noch zugegen seid, die Krönung und Salbung an uns zu vollziehen. Es geht in Einem hin, und was die Gebühren betrifft –“

Er griff wieder in seine Tasche, um die Börse hervorzuholen.

„Du scherzest, mein Sohn,“ sagte der Geistliche, indem er zu lächeln versuchte. „Wer bin ich, daß ich weltliche Ehren zu verleihen hätte, auch wenn du und deine junge Frau ihrer noch so würdig wäret? und überdies, womit sollte ich euch krönen und salben? In unserem armen Gotteshause –“

„Das sind Possen und Winkelzüge – mit gütiger Erlaubniß, Hochwürden. Ihr habt keine Lust zu dieser heiligen Handlung und haltet uns der Krönung nicht würdig. Ich aber weiß, was ich sage, und will nicht mehr werth sein als ein Haar im Bart des Barbone, wenn ich ungekrönt aus dieser Kirche weggehe. Macht also keine Umstände! Salböl findet sich genug dort in der ewigen Lampe vor dem Bild der Madonna. Und was die Kronen betrifft –“

Er ließ seinen Blick an den Wänden neben dem Altar herumschweifen, dann schritt er ganz gelassen auf ein Paar lebensgroße Heiligenfiguren zu, die auf kleinen Säulen standen und uralte, verstäubte Kronen von Goldblech trugen. Zwei von diesen nahm er ab, blies den Staub aus dem durchbrochenen Zierath und polirte die Vergoldung mit dem Aermel seiner sammtenen Jacke blank; dann trug er die beiden Kronen sorgsam nach dem Altar zurück und legte sie auf die Decke vor dem Tabernakel nieder.

„Da!“ sagte er. „Die mögen's für diesmal thun. Und nun ans Werk!“

„Maino!“ rief seine junge Frau mit dem Ausdrucke des höchsten Grauens und Entsetzens. „Was hast du gethan? Die Heiligen im Himmel –“

Sie vollendete nicht. Ein Blick ihres Gatten hatte sie verstummen gemacht.

Aber der Pfarrer ließ sich von diesen gebieterischen Augen nicht einschüchtern. „Ich verwahre mich feierlich gegen solchen Frevel,“ rief er mit so lauter Stimme, daß selbst Maino's wilde Gefährten zusammenfuhren. „Weißt du, Verblendeter, daß du den Zorn Gottes herausforderst, wenn du dich am Kirchenschmucke, an den Kronen der Heiligen, vergreifst, um deiner weltlichen Hoffahrt damit zu dienen? Hebe dich von hinnen und bete zur allerseligsten Jungfrau, daß sie dir diese tempelschänderische That vergebe und Fürbitte einlege bei dem Herrn des Himmels! Ich aber wasche meine Hände in Unschuld; ich habe keinen Theil an dieser Entweihung des Heiligsten.“

Mit diesen Worten wandte er sich hastig ab und war sammt dem Knaben, der ihm bei der Trauung ministrirt hatte, ehe ihn Jemand aufzuhalten dachte, in der Sacristei verschwunden.

Einen Augenblick schien es, als ob dieser muthige Protest auch auf Maino's verwilderte Seele Eindruck gemacht hätte. Dann aber loderte der alte phantastische Uebermuth wieder in ihm auf, und er rief mit lachendem Munde: „Gehe hin, kleinmüthiger Knecht des Herkommens, armseliger Bauernpfaff, der du nicht weißt, wie man mit hohen Herren umzugehen hat. Was ich geschworen, will ich trotz deiner und ohne dich halten. Hat nicht der große Kaiser die eiserne Krone in Mailand sich selbst aufs Haupt gesetzt, da er wohl wußte, daß die Hände eines messesingenden Hasenfußes zittern würden, wenn er dies Geschäft ihnen anvertraute? Nun denn, meine Freunde, so will auch ich thun und mich und mein geliebtes Weib mit eigenen Händen krönen und dazu sprechen, wie Jener in Mailand sprach: ‚Gott hat mir diese Krone gegeben; wehe Dem, der daran rührt!‘“

Indem er dies sagte, ergriff er mit beiden Händen zugleich die beiden Kronen und setzte sie sich selbst und seiner Neuvermählten auf, ohne die abwehrende Geberde der Pia zu beachten, die wieder auf ihre Kniee gesunken war und, wie von einer Schlange gebissen, zusammenschauderte, als das leichte metallene Geschmeide ihre Stirn berührte. Auch haftete das Krönchen nicht in ihrem Haare, sondern fiel auf die Stufen des Altars herab; ein Knabe vom Dorf hob es auf. Maino dagegen trug sein kaiserliches Diadem, wie wenn es auf seinem Haupte festgeschmiedet wäre, und als auf einen herrischen Wink seine Gefährten in jubelnden Zuruf ausbrachen und Kaiser und Kaiserin von Spinetta glückwünschend umdrängten, hob er die knieende junge Frau von dem Teppich auf, sprach ihr ernst, aber zärtlich zu, daß sie sich zusammennehmen und ihrer Würde eingedenk sein sollte, und führte sie dann durch die Reihen des Volkes hinaus, der Schenke zu, wohin alle Zeugen dieser seltsamen heiligen Handlung in dichtem Schwarme nachfolgten.

Wieder erschallten Freudenschüsse, und jetzt mischten sich auch die bescheidenen Klänge der Clarinette und der Guitarren mit ein, aber die Hochzeitsgäste waren sonderbar still geworden, und erst der Wein, der auf Kosten des Bräutigams in Strömen floß, vermochte die erstarrten Zungen zu lösen. Dazwischen aber blickten die Leute immer wieder mit heimlichem Grauen auf die blanke Krone, die der Festgeber auf seinen krausen Locken trug, und raunten sich scheu und halblaut zu, wie bleich und stumm die junge Frau neben dem Maino sitze, völlig abwesenden Geistes, und habe noch nicht die Lippen mit dem rothen Weine genetzt, und auch kein einziges Mal gelacht über die anzüglichen Späße, die der lahme Beppe, der officielle Buffone des Dorfes, bei dieser wie bei jeder Hochzeit zum Besten gab. „Alles wäre [175] recht und gut,“ flüsterte der Bader seinem Gevatter, dem Schmied, in’s Ohr, „Alles wäre, wie sich’s gehörte, denn die Leute im Buschwalde wollen auch Weiber nehmen, und mit der Copulation ist’s ja hier obenein in regola abgelaufen; aber das mit der Krönung, Gevatter, denkt an mich, das bekommt ihm noch schlimm. Sacrilegium bleibt Sacrilegium, und mit dem Governo mag man’s verderben, aber geistlich Regiment läßt nicht mit sich spaßen. Seht nur die Pia! Ist’s nicht, als wäre ihr was unter der Stirn zu Stein geworden, als die geweihte Krone sie berührt hat? Indessen, was kümmert das uns? Wir trinken Maino’s Wein, weil wir müssen, denn andernfalls würde er es als eine Beleidigung ansehen und schwer an uns rächen, das können wir vor Gericht beschwören, wenn sie uns fassen wollen. Im Uebrigen mag er sehen, wie er davonkommt!“

Der, dem diese Worte galten, schien um Nichts weniger besorgt, als wie er sich für Alles, was er gethan, verantworten möchte. Er saß mit strahlendem Gesicht mitten unter seinen zechenden Gästen, trank seinerseits nur selten seinen Becher aus, war aber der Fröhlichste und Redseligste von Allen. Er belachte jeden der dürftigen Späße, mit denen der Buffone seiner kaiserlichen Hoheit und ehelichen Würde huldigte, und erzählte dazwischen allerlei drollige Geschichten von dem freien und verwogenen Leben, das er im Waldgebirge geführt hatte. Zuweilen auch sang er mit seiner hellen Stimme ein zärtliches Liedchen und drückte dabei die stumme Braut, die neben ihm saß, fester an sich, ohne sich über ihr seltsam versonnenes und starres Wesen zu verwundern. Nur als das junge ledige Volk zu tanzen anfing und auch das Hochzeitspaar sich erhob, fiel ihm die Todtenblässe ihres Gesichtes auf. Er zog sie sanft und dringend mit sich fort in den stillen Garten der Schenke und befragte sie, was sie habe, ob ihr nicht wohl sei. Statt aller Antwort fiel sie ihm um den Hals, preßte ihn mit ängstlicher Heftigkeit so fest in die Arme, daß ihm fast der Athem verging, und er fühlte, daß sie über den ganzen Leib zitterte wie von Fieberfrost geschüttelt.

Auf all seine Bitten und Fragen aber blieb sie hartnäckig die Antwort schuldig, so daß er es endlich aufgab, aus seinem wunderlichen jungen Weibe klug zu werden, zumal er überlegte, daß die Aufregungen dieses Tages auch eine starke Natur wohl aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Also beschloß er, sie sofort dem Festesgetümmel zu entziehen, da sie ohnehin nicht lange in den Tag hineinschlafen durften, sondern mit dem ersten Morgengrauen aufsitzen und ihrem Versteck im Gebirge zusprengen sollten.

Ohne sich erst von den Hochzeitsgästen zu verabschieden, führte er seine Liebste, die wie traumwandelnd neben ihm hinschritt, nach ihrem eigenen Häuschen. Die kleine Margheritina war schon für diese Nacht bei einer guten Frau untergebracht, die sich auch fernerhin ihrer annehmen wollte. Denn das Kind sollte nicht wie die Schwester seine Heimath für immer verlassen. Nur das Hündchen Brusco war den heimlich Entweichenden gefolgt, klingelte mit seiner silbernen Schelle lustig voran und schlüpfte auch in die Brautkammer mit hinein, wo es sich in seinem gewohnten Winkel auf die Strohmatte niederkauerte und sofort einschlief.

Um Mitternacht war auch Maino eingeschlafen, und der Mond, der oben durch das Loch im Fensterladen hereinsah, mochte weit und breit kein friedlicheres und seligeres Menschengesicht bescheinen, als das des jungen Geächteten, der den Schlaf des Gerechten zu schlafen schien. Seine Krone hatte er auf den Schemel am Bette gestellt, auf seine Kleider und Waffen, wo sie neben der kahlen Wand und dem schlechten dörflichen Geräth wunderlich gleißte. Die Krone der Pia war in der Schenke zurückgeblieben.

Nicht viele Stunden mochte er geschlafen haben, doch hatte der Hahn noch nicht gekräht, und eben erst zuckte fern am östlichen Rande des Himmels ein falber Morgenschimmer auf, da hörte Maino mitten im glücklichsten Liebestraume das Hündchen winseln, und mit der Behendigkeit, die er in seinem Banditenleben gelernt, strich er den Druck des Schlummers von den Wimpern und richtete sich im Bette auf.

Der Platz an seiner Seite war leer, der Laden aber halb aufgemacht, so daß er in dem grauen Zwielicht Alles, was in der Kammer war, erkennen konnte. Da sah er sein junges Weib auf dem Strohsessel am Fenster sitzen, einen Handspiegel auf den Knieen haltend, mit der anderen Hand bemüht, die Krone auf ihrem Haupte zu befestigen, was ihr nur mit Mühe gelang. Sie war so leicht bekleidet, wie sie aus dem Bette gestiegen war, aber ihr aufgelöstes dichtes Haar fiel ihr wie ein Mantel über die nackten Schultern. Dabei lächelte sie beständig ihr Abbild im Spiegel an und summte mit gedämpfter Stimme eine der Strophen, die Maino am Abend vorher gesungen hatte, worüber das Hündchen aufgewacht war, das nun mit scheuem Winseln um seine Herrin herumstrich.

„Pia!“ rief der tödtlich Erschrockene, „du bist schon aufgestanden? Was thust du da am Fenster? Es ist noch nicht Morgen. Sie werden uns wecken, wenn es Zeit ist; ich hab’ es ihnen auf’s Strengste eingeschärft. Komm! Lege die Krone weg! Schlafe noch eine Stunde – der Weg ist weit und du bist das Reiten nicht gewöhnt –“

„Zitto!“ machte sie, indem sie den Finger warnend aufhob, doch ohne sich nach ihm umzuwenden. „Hörst du nicht? Sie kommen schon. Ich habe mich schmücken müssen zu der Huldigung – eine Kaiserin darf sich nicht ohne ihre Krone dem Volke zeigen – sie will aber nicht festsitzen – so – so – so – nun geht es – nun noch den Purpurmantel –“

Im Nu war Maino aus dem Bette gesprungen und in die Kleider gefahren. „Pia,“ flehte er, während er die Jacke umwarf, „ich beschwöre dich bei allen Heiligen –“

„Still!“ unterbrach sie ihn. „Rufe die Heiligen nicht an! Mit denen haben wir’s verschüttet. Sie sind uns böse, weil sie ihre Kronen an uns haben abtreten müssen. Aber,“ und hier lächelte sie mit einem wunderlich verschmitzten Ausdruck, „ein hungriger Esel frißt seine eigene Streu – Noth kennt kein Gebot – warum hat der Goldschmied unsere Kronen nicht zur rechten Zeit fertig gebracht? Die guten Heiligen können wohl einmal barhaupt gehen – hahaha!“

Er stürzte zu ihr hin und faßte ihre beiden Hände, die eiskalt waren, und berührte ihre Stirn, die ebenfalls wie Marmor sich anfühlte. „Misericordia!“ rief er. „Du träumst, Pia! Wach’ auf! Siehe, hier bin ich, dein Maino, dein Gatte, dem du das Herz im Leibe schmelzest mit solchen unsinnigen Reden. Lege dich nieder, meine süße Frau, und schlaf diese Possen aus! Ich Unseliger, daß ich es dahin habe kommen lassen!“

„Nein, nein, nein!“ sprach sie vor sich hin. „Mache mich nicht irre! Mein Gemahl der Kaiser war die Nacht bei mir, dann aber ist er weggegangen, in den Krieg, denn wir haben so viele Feinde. Es ist erschrecklich, wie Größe gehaßt und Hoheit beneidet wird. Aber mein kaiserlicher Herr wird sie Alle niederwerfen, daß ich den Fuß auf ihren Nacken setze. Dann werden wir regieren in Freude und Herrlichkeit, und Brusco wird Statthalter von Spinetta, wenn wir selbst unsere Provinzen bereisen. So – so! Sitzt die Krone nun recht kaiserlich? Es ist noch ein bischen Spinneweb daran; das thut Nichts – das ist um so heiliger – Kaiserin Pia – so sollen sie mich nennen – und meinen Gemahl – wart’, wie heißt er nur gleich? Er hat einen süßen Namen, und er hat mich tausend Mal geküßt – aber das sind Kindereien, daran dürfen wir erst wieder denken, wenn all unsere Feinde – horch! Da kommen sie!“

Sie war vom Sessel aufgefahren; das Spiegelchen glitt ihr vom Schooß und zersprang klirrend auf dem Steinboden der Kammer – sie achtete es nicht; sie lehnte am Fenster und starrte mit großen Augen in das Zwielicht hinaus. Maino stand, von Jammer überwältigt, vor ihr; er hatte keinen Gedanken, als an die Zerrüttung dieses geliebten Wesens, die er sich selbst zuschreiben mußte. Mit leisen flehenden Worten suchte er sie vom Fenster wegzuschmeicheln. Aber sie schien seine Stimme nicht zu hören, nur mit der Hand wehrte sie ihn von sich ab und drückte sich fest an den Rahmen des kleinen Fensters. „Jetzt!“ rief sie auf einmal. „Hörst du auch jetzt noch nichts? Da sind sie. Nun, sie mögen kommen. Ich bin bereit.“

In der That hörte auch er jetzt ein seltsam dumpfes Geräusch, das durch die graue Morgenluft herandrang. Es war nicht Hufschlag der Pferde, auf denen seine Gefährten vor das Brauthaus sprengen sollten, um ihren Anführer zu wecken und ihn und sein junges Weib zur Flucht zu mahnen. Ein Menschenhaufe näherte sich, behutsam auftretend, zu Fuß; die Dorfgasse kam es heran – es konnte kaum noch fünfzig Schritte entfernt [176] sein. Rasch entschlossen stürzte Maino in das größere Gemach nebenan, das Küche und Wohnraum zugleich war und ein Fenster nach der Straße hatte. Durch den Spalt des Ladens konnte er ins Dorf hinaus spähen. Da sah er einen Trupp Soldaten vorsichtig herannahen. Unfern des Hauses machten sie Halt. Er erkannte seinen alten Feind, den Barbone, der mit dem Sergeanten Rath zu halten schien. Eine furchtbare Klarheit durchzuckte sein Gehirn: die beiden Gefesselten hatten sich ihrer Bande zu entledigen gewußt, durch List oder Verrath die Riegel ihres Kerkers gesprengt und von Alessandria Hülfe herbeigeholt. Wo waren nun seine armen Gefährten? Sicherlich hatte es wenig Mühe gemacht, die vom Hochzeitswein Taumelnden zu überwältigen. Aber der Hauptstreich sollte nun erst geschehen: der Anführer und Häuptling der Geächteten sollte in der Brautkammer überfallen und wie Simson von den Philistern in Ketten und Banden davongeführt werden.

Mit einem wilden Fluch fuhr der doppelt Unglückselige zurück. Er hatte im Nu begriffen, daß Alles verloren war, wenn nicht in den nächsten Minuten noch die Flucht gelang.

„Pia!“ rief er, in die Kammer zurückstürzend, „man will uns fangen und fortschleppen. Die Verfolger sind schon ganz nah, aber wir können uns noch retten; hier zu diesem Fenster hinaus, durch das Maisfeld, hinten an den Scheuern vorbei – mich holt so leicht Niemand ein, und wenn du dich nur sputen willst –“

„Es ist gut,“ hörte er sie erwidern; „ganz gut, daß wir hier fortkommen. In der That, ich bin neugierig, unsern Palast zu sehen. Aber zu Fuß gehe ich nicht – das ist nicht kaiserlich; sie sollen mir die Karrosse schicken mit sechs milchweißen Pferden – schön – schön – die Heiligen haben es nicht besser –“

„Wenn dir dein und mein Leben lieb ist, süßes, geliebtes Kind, so komm’!“ drängte er sie in verzweifelter Hast, indem er versuchte, ihr ein Tuch um den entblößten Nacken zu werfen. „Noch drei Secunden – so ist es zu spät – und wir – hörst du mich nicht? Kennst du mich nicht mehr?“

„Rühre mich nicht an, Verwegener!“ rief sie mit flammendem Blicke. „Ich kenne dich wohl – du bist mit unseren Feinden im Bunde; du willst unserer Majestät nicht huldigen, wie sich’s gebührt – aber bei der Krone auf meinem Haupte schwör’ ich es –“

„Nun, so sei Gott deiner armen Seele gnädig!“ rief er und drängte sie vom Fenster weg; „so flieh’ ich allein und komme dich zu holen, wenn dein armer Kopf wieder in den Fugen ist. Gute Nacht, mein Weib!“

Er hatte seine Waffen vom Schemel aufgerafft, drückte das arme blasse Geschöpf noch einmal an sein Herz und schwang sich dann über das niedrige Fenstersims in den dunklen Hof hinaus. In demselben Augenblick pochten die Gewehrkolben der Soldaten an die vordere Thür; Stimmen wurden laut, die Maino riefen, das Hündchen bellte heftig dazwischen, und das Haus erdröhnte von den wuchtigen Stößen, mit denen man die Thür zu sprengen suchte. Plötzlich fiel von der anderen Seite ein Schuß; schreiende Stimmen, Stöhnen und der Ruf: „Mord! Mord! fangt den Mörder!“ wurden rings um das Haus her laut; darauf gab die Thür nach, und die bewaffnete Schaar drang in das todtenstille Gemach. Als sie hier Niemand fanden, betraten sie, eine Fackel vorantragend, die Kammer. Da sahen sie das bleiche junge Weib am Fußende des Bettes sitzend, die Krone noch immer auf dem Haupt, die nackten Arme über der Brust gekreuzt, mit einem stillen, feierlichen Lächeln ihnen zunickend, als danke sie ihnen, daß sie gekommen, ihr zu huldigen.

Grauen hemmte den Schritt der wild Hereingestürmten, und eine Weile wagte Niemand das Schweigen zu brechen. Erst als einige Soldaten den Barbone hereinschleppten, der den entfliehenden Maino hatte fassen wollen und mit einer tödtlichen Kugel von seinem alten Feinde abgewehrt worden war, kam Bewegung und Unruhe in die verschüchterte Schaar. Sie wollten den Verscheidenden auf das Bett heben, wo die Irre noch immer saß, die nicht von fern zu ahnen schien, was vorging. Aber der Mann des Todes, der mit einem halberloschenen Auge die weiße Gestalt auf dem Bett erkannte, machte eine heftige Geberde des Abscheues und sträubte sich davor, das Lager zu berühren. Man streckte ihn auf dem Steinboden zu den Füßen der Kronenträgerin aus, die huldvoll lächelnd auf ihn herabsah. Da gab er nach wenigen Minuten seinen Geist auf, ehe noch der Pfarrer herbeigeholt werden konnte. –

Von dem glücklich Entflohenen hat man nie wieder etwas gehört. Nur so viel ist durch eine alte Frau, die Nachts zur Bewachung der armen Irren in der Küche ihr Lager aufschlug, bekannt geworden, daß etwa eine Woche nach diesen Ereignissen im einer stürmischen Herbstnacht Maino mit einem Pferde, dessen Hufe mit Lappen umwickelt gewesen, sich ins Dorf gewagt habe, um seine Geliebte wiederzusehen und sie mit sich zu nehmen auf seine Irrfahrt in die weite Welt hinaus. Die Pia habe ihn auch zuerst wieder erkannt und Freude über sein Kommen bezeigt. Als er sie aber in seine Arme habe schließen wollen, sei sie vor ihm zurückgebebt, wie wenn der Tod sie an sich ziehen wollte, und habe so kläglich zu jammern und zu weinen angefangen, daß er wohl erkennen mußte, es sei Alles umsonst. Da habe er sich mit bitterem Schmerze von ihr losgerissen und in einem ledernen Beutel einen großen Haufen Gold ihr zurückgelassen, um sein Weib für alle Zeit vor Elend zu schützen. Dann sei er davongesprengt auf Nimmerwiedersehen.

Diesen Beutel fand am andern Morgen die Hüterin der Pia auf dem Fenstersimse und übergab ihn dem Pfarrer, der das Geld der Kirche zuwendete, um für die Seele der armen Wahnwitzigen und ihres sündigen Gatten Messen zu lesen. Welch ein Ende der Flüchtling gefunden, ist bis auf diesen Tag nicht bekannt geworden. Das aber steht fest, daß noch in den vierziger Jahren vor dem letzten Hause von Spinetta täglich ein armes Weib in der Sonne zu sitzen pflegte, einen leeren Spinnrocken in der Hand, den sie wie ein Scepter gegen die Vorübergehenden neigte, immer sanft und freundlich und die eisgrauen Haare, da man die Krone dem Heiligen wiedergegeben hatte, wie ein Diadem über der Stirn zusammengeflochten; die Kinder, die zur Schule an ihr vorbeimußten, nickten ihr zu und sagten jedesmal: „Gott segne dich, Kaiserin von Spinetta!“ – worauf die Frau erwiderte: „In Ewigkeit, Amen!“