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Antik

[74] Antik. (Zeichnende Künste)

So werden die Werke der zeichnenden Künste genennt, die ganz oder in Trümmern von den Völkern auf uns gekommen sind, bey welchen die Künste ehedem geblühet haben. Es sind geschnittene Steine, Münzen, Statuen, geschnitzte und geformte Werke, Gemählde, Gebäude und Trümmer derselben, die in diese Classe gehören. Werke aus allen Zeiten der Kunst, von ihrem Anfang, höchsten Flor und ihrem Verfalle. Die, welche aus dem schönsten Zeitpunkt der Kunst in Griechenland übrig geblieben, und einige andere, die später nach jenen gemacht worden, werden für vollkommene oder doch der Vollkommenheit sich nähernde Muster gehalten. Wenn Künstler, oder Lehrer der Kunst, mit Bewundrung von den Antiken sprechen, so ist es nur von diesen wenigen Stüken zu verstehen. Denn unter den Antiken finden sich nur allzu viel, die von der abnehmenden Kunst in den späten Zeiten des Alterthums zeugen.

Man bewundert an den Antiken folgende wesentliche Stüke der Kunst. Die Schönheit der Formen überhaupt; die höchste Schönheit der menschlichen Gestalt, und besonders der Köpfe; die Größe und Hoheit des Ansehens und der Charaktere; den richtigsten und zugleich edeln und großen Ausdruk der Leidenschaften, der aber allezeit der Schönheit untergeordnet ist. Kein Ausdruk ist bey den Alten so stark, daß er der Schönheit schadet. Sie sind überhaupt nicht der Natur, sondern dem Ideal gefolget. Alles, was einen besondern Menschen anzeiget, wurde von ihnen verworfen. Ihre Hauptabsicht gieng dahin, daß jedes Bild das, was es seyn sollte, ganz sey; aber ohne Vermischung mit etwas anderm. Jupiter ist ganz Hoheit; Herkules ganz Stärke. Was nicht nothwendig zum Charakter gehört, darauf ward von ihnen auch nicht gesehen. Wer in diesen vier Stüken der Kunst groß werden will, muß unermüdet die besten Antiken studiren, und durch fleißiges Betrachten und Zeichnen derselben seinen Geschmak zu der Richtigkeit und Größe der griechischen Künstler erheben. Die Mahler und Bildhauer der römischen Schule, welche die beste Gelegenheit gehabt haben, diese großen Modelle zu studiren, haben deswegen alle andre Schulen der neuern Zeiten in diesen Stüken übertroffen.

Es ist jedem Künstler zu rathen, Winkelmanns fürtreffliche Schriften zu studiren, darin er den vorzüglichen Werth der Antiken in das beste Licht gesetzt hat; und alsdenn diese Werke, so viel er deren habhaft werden kann, selbst so lange zu betrachten, bis er ihren vorzüglichen Werth fühlt. Es gilt auch hievon, was Horaz dem Dichter empfiehlt:


[74] –– Vos exemplaria graeca

Nocturna versate manu, versate diurna.


Von Statuen sind in Rom und Florenz die besten. Von geschnittenen Steinen finden sich in allen Ländern von Europa wichtige Sammlungen, so wie von Münzen. Von Gebäuden sind in Griechenland und Italien die wichtigsten Ueberbleibsel. Wer das Glük nicht hat, die Originale selbst zu sehen, der muß sie wenigstens in Abgüssen und Zeichnungen studiren, wie wol diese letztern insgemein wenig von der Schönheit und dem großen der Originale haben. Die Lippertsche Sammlung der Abgüsse geschnittener Steine ist das wichtigste, was jeder in dieser Art haben kann. Und es ist sehr zu wünschen, daß jemand zum besten der Kunst solche Abdrüke der besten Antiken Münzen machte. Die Antiken Gebäude kann man aus des-Godets und des Herrn le Roi Zeichnungen; die Statuen aus Bischops, van Dalens, Periers und Preißlers Sammlungen derselben kennen lernen. Von geschnittenen Steinen hat Herr Mariette die größte Sammlung herausgegeben, und die fürnehmsten Steine, auf denen die Namen der Künstler eingegraben sind, hat Herr Stosch durch seine Beschreibung und Kupfer bekannt gemacht. Die Antiken Gemählde kann man aus den Kupfern von den im Herkulano gefundenen Gemählden und aus der Sammlung kennen lernen, die der Herr Graf von Caylus herausgegeben hat.

Die Werke der Alten überhaupt sind in sich sehr unterschieden an Güte und Bedeutung, (Ausdruk) aber nicht an Geschmak. Es sind drey Hauptclassen der alten Denkmale: nämlich in allen Statuen, so uns übrig geblieben, sind drey unterschiedene Grade der Schönheit. Die geringsten unter diesen haben allemal den Geschmak der Schönheit, aber nur in den unentbehrlichen Theilen; die vom andern Grade, haben die Schönheit in den nützlichen Theilen; und die vom höchsten Grade haben sie von dem unentbehrlichen an, bis auf das überflüßige, und sind deßwegen vollkommen schön – die schönsten vom höchsten Grade sind der Laocoon und der Torso vom Belvedere; die schönsten vom andern Grade der Apollo und der Gladiator vom Borghese; vom dritten aber sind unzählbare.1

Das Studium der Antiken wird nicht nur von allen großen Kennern der neuern Zeit, für den nothwendigsten Theil der Bemühungen eines Künstlers gehalten; die größten Künstler selbst, Raphael und Michelangelo sind dadurch zu der Größe gekommen, die wir an ihnen bewundern. Dieses macht alles, was zur Empfehlung dieses Studiums noch könnte gesagt werden, überflüßig. Diejenigen, welche über den vorzüglichen Werth der guten Antiken noch einigen Zweifel erweken möchten, sind itzt so durchgehends überstimmt, daß die Nothwendigkeit dieselben zu studiren, um den wahren Geschmak des Schönen zu bekommen, als ein Grundsatz anzusehen ist.

Aber auch dieses Studium kann seichten Köpfen nichts helfen. Es kömmt hier nicht auf die Umrisse, sondern auf den Geist an, der im Antiken liegt. Diesen zu entdeken, muß man sich vor allen Dingen bemühen. Wessen Geist nach öfterer Betrachtung der besten Antiken, nicht in Entzükung geräth; wer nicht in dem sichtbaren derselben unsichtbare Vollkommenheit fühlt, der lege die Reißfeder weg; ihm hilft das Antike nicht.

Man kann freylich zugeben, daß so wol von alten als neuen Kennern manches, was sie von der Fürtreflichkeit des Antiken sagen, übertrieben sey. Es ist zu fühlen, daß nicht alles, was Plinius von dem Paris des Euphranors sagt, wahr seyn könne,2 und man braucht eben nicht mit Webb gar alles in den Beschreibungen der Alten buchstäblich zu nehmen.3 Es bleibt allemal an den noch itzt vorhandenen Werken genug für unsre Bewundrung übrig.

Da voraus gesetzt werden kann, daß Winkelmanns Schriften, darin alles, was hieher gehörte, enthalten ist, sich in jedes Künstlers und Kenners Händen befinden; so kann alles übrige, was hievon zu sagen wäre, übergangen werden.

1Gedanken über die Schönheit und über den Geschmak in der Mahlerey, (von Mengs) S. 79. 80.
2S. die im Art. Allegorie angeführte Stelle hier von.
3S. An Inquiry into the Beauties of Painting.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 74-75.
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