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Gebäud

[426] Gebäud. (Baukunst)

Unter dieser Benennung begreifen wir jedes Werk der Baukunst, das für sich ein Ganzes ausmacht und nicht blos ein Theil eines größern Ganzen ist: also nicht blos Häuser, Palläste und Kirchen, sondern auch Monumente, Ehrenpforten und dergleichen. Wir betrachten hier das Gebäud überhaupt, als einen Gegenstand des Geschmaks, in der Absicht einige Grundsätze und Maximen zu entdeken, auf welche das Urtheil über die Schönheit oder Vollkommenheit der Gebäude sich allemal gründen muß.

Die Werke der Kunst haben dieses mit einander gemein, daß der Stoff, den sie bearbeiten, außer der Kunst liegt, von ihr aber seine Form und Bearbeitung bekömmt1. Der Stoff des Dichters ist etwas, das auch die gemeine Rede vortragen könnte; durch die Form und die besondere Art des Vortrags aber, wird er zum Gedicht. So ist ein Gebäud allemal ein Werk, das auch außer der Kunst noch sein Wesen hat; ein Haus würde auch ohne allen Einflus der Kunst, in so fern sie vom Geschmak geleitet wird, noch immer ein nuzbares Werk seyn.

Hieraus folget, daß ein Gebäude nicht anders, als in Rüksicht auf das, was es auch ohne die Kunst seyn würde, müsse beurtheilet werden. Man kann es nicht blos wie eine schöne Form ansehen; es ist allemal ein Werk zu gewissem Behuf bestimmt. Will man es als ein Werk der Kunst und des Geschmaks [426] beurtheilen, so kömmt es nicht darauf an, ob es überhaupt eine schöne Form sey, sondern, ob es bey den wesentlichen Eigenschaften, die es, außer der Kunst betrachtet, haben soll, auch schön genug sey. Derjenige ist ein guter Baumeister, der die wesentliche Absicht, in welcher das Gebäud aufgeführt wird, vollkommen erreichen, zugleich aber dem Werk jede ihm zukommende Schönheit geben kann.

Vor allen Dingen also muß jedes Gebäude seinem Endzwek gemäß angelegt seyn. Seine Lage, so wie die Stärke und äußerliche Form, müssen durch ihn bestimmt werden. Ein Rathhaus müßte nicht in einem Winkel der Stadt angelegt, in seiner Form nicht wie ein Gefängnis, und in Ansehung seiner Stärke, nicht wie ein Gartenhaus aussehen.

Eben so müssen von außen und von innen die Verhältnisse und die Verzierungen, so wie die Anordnung, nicht nach zufälligem Gutdünken oder phantastischen Einfällen angegeben, sondern aus der Natur des Gebäudes durch ein gründliches Urtheil und einen gesunden Geschmak bestimmt werden. Die Verhältnisse der Theile, die für eine Kirche, oder für einen großen Pallast gut wären, schiken sich nicht für ein Privathaus, so wenig als große Audienzsäle mit Vorzimmern; so wie auf der andern Seite das bescheidene Ansehen, und eine durchaus gleiche und wenig Mannigfaltigkeit zeigende Anordnung, für ein gemeines Haus ganz vernünftig, aber für einen Pallast zu mager und zu elend seyn würde. In Zierrathen kömmt das Große und die Pracht nur großen, und in Ansehung ihrer Bestimmung vornehmen Gebäuden zu; da hingegen Zierlichkeit, Nettigkeit, auch ein mäßiger Reichthum, auch an Privatgebäuden reicher Bürger noch gut stehen kann.

Man kann überhaupt diese und andre hieher gehörigen Anmerkungen in die allgemeine Regel zusammen fassen, daß jedes Gebäude, so wol in seinen wesentlichen, als zufälligen Theilen, seinen Charakter behaupten und seinen Zwek anzeigen, zugleich aber in seiner Art gut in die Augen fallen, und überall gute Verhältnisse, Geschmak, Festigkeit und angewandten Fleiß, an den Tag legen müsse. Aus jeder Vergehung gegen diese Regel entstehen Hauptfehler. Es würde zu weitläuftig seyn, dieselben hier aufzuzählen, da sie so sehr mannigfaltig seyn können. Wer gründlich von einem Gebäud urtheilen will, der muß also zuerst von der Natur und Bestimmung desselben richtige Begriffe haben, und darnach so wol das Ganze, als die Theile beurtheilen. Hiezu aber gehört eine richtige Kenntnis der Sitten, der Lebensart, der Geschäfte und der Gebräuche des Landes, dessen Gebäude man beurtheilen will.

Findet man jedes der Natur und der Bestimmung des Gebäudes angemessen, so ist man von dem Verstand und der Ueberlegung des Baumeisters versichert; und man weiß, daß weder Mangel noch Ueberfluß, auch nichts Unschickliches vorhanden ist.

Jedes Gebäud aber, zu welchem Gebrauch es möge bestimmt seyn, muß Festigkeit, Regelmäßigkeit und Eurythmie haben, auch muß jedes Einzele darin mit Fleiß gemacht und in seiner Art wol vollendet seyn. Alles stehende muß senkrecht, und alles liegende waagerecht seyn: jeder schweere Theil muß seine verhältnißmäßige Unterstützung haben; hingegen muß auch nirgend weder Stärke noch Unterstützung seyn, wo nichts zu tragen ist. Säulen oder Pfeiler, auf denen nichts schweeres ruhet, oder sehr starke Unterstützungen, auf denen etwas ganz leichtes liegt, sind Ungereimtheiten in der Baukunst, die den gemeinen Begriffen widerstreiten. Was sollen riesenmäßige Sclaven, die aus Nachahmung der Caryatiden2 an den Thüren gemeiner Wohnhäuser angebracht sind, um etwa einen leichten Balkon zu tragen, wie man an einigen Häusern in Berlin sieht?

Ueberhaupt muß in jedem einzeln, zur Festigkeit oder zur Verzierung vorhandenen Theil, außer einem guten Verhältnis auch die Absicht, warum er da ist, in die Augen fallen, und aus dieser Absicht muß seine Beschaffenheit beurtheilt werden. Eine Probe, wie eines jeden Theils Beschaffenheit und Verhältnis aus seiner Absicht zu beurtheilen sey, kann man aus den zu dem Gebälke gehörigen Theilen abnehmen, wovon die verschiedenen Artikel nachzusehen sind.3 Noch finden sich verschiedene hieher gehörige Anmerkungen in dem Artikel Baukunst.4

1S. Werke der Kunst.
2S. Caryatiden.
3S. Gebälke, Fries, Dreyschliz, Sparrenköpfe.
4S. 131. 132.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 426-427.
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