[98] Landesaufnahme (hierzu die Textbeilage: »Die Landesaufnahme in den wichtigsten Ländern«) oder Landeskartierung, Mappierung, die Arbeiten zur Herstellung einer Landeskarte des Staatsgebietes, die nicht nur eingehendere Kenntnis von der Erdfläche des Staates gewährt, sondern auch für die Staatsverwaltung, Feststellung und Sicherung des Grundbesitzes, Landwirtschaft und Steuerwesen als Dokument mit amtlicher Beweiskraft benutzt werden und namentlich auch militärischen Zwecken dienen soll. Feldmesserisch hergestellte Karten, auf denen unter Verzicht auf ein übersichtliches Bild der Landesoberfläche mit ihren charakteristischen landschaftlichen Merkmalen alles, was sie bis ins einzelnste geben, geometrisch abmeßbar, berechenbar, mit absoluter Richtigkeit ausgezeichnet ist (Vermessungskarten), existieren bisher zusammenhängend nur für England; in den andern Staaten hat man, namentlich auch im militärischen Interesse, topographische Karten vorgezogen, die den Schauplatz genau, aber auch charakteristisch in seiner Physiognomie widerspiegeln. Auch in Preußen entschied sich 1862 eine Kommission für eine vom Generalstab zu bearbeitende topographische Karte (Generalstabskarte), die sich innerhalb der Verjüngung von 1: 20,000 bis 1: 30,000 zu halten, bei charakteristischer Wiedergabe des Geländes nach seiner Gruppenverteilung von genau abmeßbarer Projektion jedes Einzelgegenstandes abzusehen und namentlich auf leicht lesbare Wiedergabe des Bodenreliefs Wert zu legen habe (vgl. Morozowicz, Die königlich preußische L., Berl. 1879). Bei Ausführung der L. wird das Land durch trigonometrische Netzlegung (s. Triangulation) in Dreiecke oder Polygone geteilt, deren Eckpunkte als trigonometrische Netzpunkte in bezug auf ihre geographische Lage nach Länge und Breite sowie nach ihrer absoluten Höhe über Normalnull (vgl. Nivellieren) durch Nivellements festgestellt und im Lande durch Stein- und Holzpyramidensignale bezeichnet sind. Das trigonometrische Netz beruht in erster Linie auf der Messung einer oder mehrerer Basen (vgl. Triangulation). Nach erfolgter Wahl der Bildfläche und der Kartenprojektion (vgl. Landkarten, S. 109 f.) erfolgt nun mittels der topographischen Aufnahme die Übertragung des Landesbildes unmittelbar auf das Papier. Die L. des preußischen Generalstabs in 1: 25,000 ist eine sogen. Gradabteilungskarte, d.h. das Land ist in Gradabteilungen, Flächenräume von je 1° Länge und 1° Breite, diese wieder in 60 Blätter von je 10 Längenminuten und 6 Breitenminuten eingeteilt. Die wahren Längen der Grad-, bez. Minutenbogen sind nach Maßgabe der Besselschen Berechnungen über Gestalt und Größe der Erde (vgl. Gradmessungen) genau geometrisch auf den Zeichenplatten der Topographen so aufgetragen, daß, also diesen wahren Maßen entsprechend, jedes Meßtischblatt ein Trapez bildet und diese zusammengefügt in ihrer Gesamtheit ein dem Erdsphäroid sehr nahe kommendes Polyeder bilden. So eingeteilt, wird die Landesfläche mit den Bestimmungen über die Darstellungsweise sowie mit den Daten aus den höhern geodätischen Arbeiten den Topographen übergeben, die an Ort und Stelle das Land mit dem Meßtisch aufnehmen. Die Originalaufnahmen (Meßtischblätter) werden zusammengestellt, verkleinert, auf Stein oder Kupfer gestochen und als Landeskarte verwertet.[98]
Die oberste leitende Behörde für die L. in Preußen (Deutschland), das Zentraldirektorium der Vermessungen, hat von allen Arbeitsplänen sowie von allen aus Staatsmitteln bewirkten Vermessungen und Kartierungen Kenntnis zu nehmen und die den Arbeiten zugrunde liegenden Methoden und Anforderungen festzustellen (vgl. »Militärwochenblatt« 1875, Nr. 88). Vorsitzender des Zentraldirektoriums ist der Chef des Generalstabs, Mitglieder sind dazu besonders ernannte Beamte sämtlicher Ministerien oder Offiziere. Die königlich preußische L., ein Teil des Generalstabs, zerfällt in die trigonometrische Abteilung (für die Arbeiten der höhern Geodäsie), die topographische Abteilung (für die Aufnahme), die kartographische Abteilung (für Herstellung der Karten selbst) nebst der Plankammer. Der trigonometrischen Abteilung ist die Triangulation des gesamten Staatsgebietes übertragen; das von ihr zu legende Netz soll die Grundlage für jede militärische und wirtschaftliche Kartierung bilden und so eng sein, daß durchschnittlich 10 Punkte auf die Quadratmeile entfallen. Ferner legt diese Abteilung das Hauptnivellementsnetz des Staates, das die Grundlage für alle Höhenmessungen bildet. Durch zwölf Vermessungssektionen werden diese Arbeiten ausgeführt. Die Ergebnisse werden veröffentlicht in den Werken »Abrisse, Koordinaten und Höhen sämtlicher von der trigonometrischen Abteilung der L. bestimmten Punkte« und »Nivellements-Ergebnisse der trigonometrischen Abteilung der L.«, Heft 113. Die topographische Abteilung hat in fünf Vermessungssektionen jährlich durchschnittlich 180200 QM. aufzunehmen sowie Erkundungen und Berichtigungen auszuführen. Jeder Topograph nimmt vom Mai bis Oktober ungefähr 2 QM. auf. Im Winter werden die etwa 100 Meßtischplatten in der Zeichnung völlig ausgeführt und am Schluß mehrere photographische Kopien, von denen zwei dem Original entsprechend koloriert werden, angefertigt. Die kartographische Abteilung, bestehend aus zwölf Sektionen, vervielfältigt die Aufnahmen 1:25,000 in gleichem Maßstabe durch Lithographie. Nach den Meßtischblättern wird die Karte des Deutschen Reiches 1:100,000 bearbeitet; je 71/2 Blätter ergeben eine Sektion 1:100,000, Vervielfältigung findet durch Kupferstich statt. Die Herausgabe der Meßtischblätter erfolgt 12 Jahre, die der Reichskartenblätter 34 Jahre nach Abschluß der Ausnahme. Die Reichskarte bildet die Grundlage sowohl für die bunte Ausgabe 1:100,000 als auch für die übrigen Kartenwerke in kleinern Maßstäben 1:200,000, 1:300,000 etc. Ergänzung und Berichtigung veröffentlichter Blätter findet statt auf Grund von Erkundungen und amtlichen Mitteilungen. Für den jährlichen Generalstabs-, bez. Heeresbedarf sind besonders Manöverkarten herzustellen. In Deutsch-Südwestafrika werden seit 1904 Triangulierungen und topographische Aufnahmen ausgeführt, deren weitere Bearbeitung begonnen hat. Auch außerdeutsche Gebiete werden, je nach Bedarf und Gelegenheit, kartographisch bearbeitet (Karten von Ostchina und russisch-japanische Kriegskarten). Zur Ausführung der Arbeiten stehen der Abteilung außer Kartographen, Kupferstechern und Lithographen zur Verfügung: photographische und galvanoplastische Anstalt, Druckerei etc. Die Plankammer leitet den Vertrieb der veröffentlichten Karten u. Schriften der L.-Über die Organisation der L. in Österreich-Ungarn s. Mappierung.
[Geschichtliches.] Die L. wurde in Deutschland zunächst im Beginn des 16. Jahrh. betrieben, so von Apianus (Bienewitz) in Bayern und Österreich, von Mercator und dessen Söhnen in Hessen (vgl. Hauber, Historie der Landkarten, Ulm 1724). Cassini und seine Söhne verbesserten den Modus der L.; die größten Verdienste um Vervollkommnung des Wesens der L. erwarben sich aber die Generalstäbe der Armeen, in deren Hände als des der Karte bedürftigsten Faktors die L. übergeben ward (Ausnahmen bilden England und Württemberg). Die für eine geographisch richtige Landeskarte unerläßliche Grundlage eines trigonometrischen Netzes fehlte in Preußen bis 1830. Als gute, für heutige Anschauungen sehr mangelhafte Karten galten in Deutschland 1813 die Haassche Situationskarte der Gegend zwischen Rhein, Neckar, Main, 18 Blätter; die vom Geographischen Institut in Weimar 1809 bearbeitete topographisch-militärische Karte von Deutschland (in 204 Blättern, 1:177,776); die Schmettausche Karte von Mecklenburg, 178088; der Atlas von Ostpreußen, Litauen und Westpreußen unter Minister v. Schmettau von J. O. v. Textor und Engelhardt, 140 Blätter, 1802; die Le Coqsche Karte von Westfalen etc., 1805 (1:86,400, d.h. dem Maßstab der Cassinischen Carte de France von 1793 angeschlossen); endlich die Reymannsche Karte von Deutschland in 1:200,000 (letztere als »Spezialkarte von Mitteleuropa« fortgeführt). Alle diese Arbeiten, die auf der Tätigkeit einzelner Männer beruhten, mußten schnell veralten und konnten ohnedies auch in ihrer Eigenschaft als Staats- und Kriegsmittel nur für dürftige Notbehelfe gelten. Die Organisation eines topographischen Bureaus sollte einstweilen Abhilfe für die Zukunft schaffen, und es wurden von diesem unter General v. Decker, dann unter Feldmarschall v. Müffling 3000 QM., doch ziemlich flüchtig, aufgenommen. Einen Umschwung erhielt das Verfahren der topographischen Aufnahme durch die Schriften des sächsischen Majors Lehmann (»Die Lehre von der Situationszeichnung«, Dresd. 181216, 2 Bde.; 5. Aufl. 1843) und durch die von Müffling eingeführten trigonometrischen Arbeiten. Auf besonders hohe Stufe gelangte das topographische Verfahren im ehemaligen Kurfürstentum Hessen, woselbst zuerst die Breithauptsche Kippregel Anwendung fand und bereits in den 1830er Jahren eine genaue instrumentale Kotierung (Höhenpunktbestimmung), verbunden mit Konstruktion der von Du Carla (Genfer Ingenieur um 1770) eingeführten Niveaulinien, sich Geltung schaffte (ähnlich auch in Hannover unter Papen). Die preußischen, nur die Höhenverhältnisse (in Lehmannscher Weise mittels Darstellung durch Bergstriche) berücksichtigenden Aufnahmen folgten sich in Posen bis 1832, Pommern bis 1838, Brandenburg bis 1845, Westfalen bis 1842, Rheinprovinz bis 1850, Sachsen-Thüringen bis 1859. Seitdem hat sich auch in Preußen das topographische Verfahren Hand in Hand mit der sich mehr entwickelnden Landestriangulation einerseits und der Vervollkommnung der Aufnahmeapparate anderseits (vgl. Meßtisch und Kippregel) und durch die prinzipielle Einführung äquidistanter (d.h. gleichschichtiger) Niveaulinien, speziell unter Generalleutnant v. Morozowicz, zu dem Standpunkt erhoben, den es heute einnimmt. Die seit 1876 neu organisierte preußische L. übernimmt infolge Militärkonventionen auch die Arbeiten für alle kleinern Bundesstaaten (ausschließlich Bayern, Sachsen und Württemberg). Sämtliche Blätter sind sofort nach ihrer Fertigstellung käuflich zu haben. Ähnliche Institute wie die preußische L. finden sich auch in den übrigen europäischen Staaten,[99] und zwar sind sie ebenfalls meist mit den Generalstäben der betreffenden Heere verbunden. Vgl. Kahle, L. und Generalstabskarten: Die Arbeiten der königlich preußischen L. (Berl. 1893); v. Zglinicki, Die Hauptkartenwerke der königlich preußischen L. (das. 1897); Stavenhagen, Skizze der Entwickelung und des Standes des Kartenwesens des außerdeutschen Europa, Ergänzungsheft Nr. 148 zu »Petermanns Mitteilungen« (Gotha 1904); Neureuther, Das erste Jahrhundert des topographischen Bureaus des königlich bayerischen Generalstabes (Münch. 1900); M. Heinrich, Standpunkt der offiziellen Kartographie etc., und H. Wagner, Übersichtskarten etc. in den letzten Bänden des »Geographischen Jahrbuchs« von Justus Perthes in Gotha. Eine Übersicht der wichtigsten Kartenwerke der topographischen Bureaus enthält die zu diesem Artikel gehörige Textbeilage.
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