[877] Minister (lat., eigentlich »Diener«, Staatsminister, Staatssekretäre), die Inhaber der höchsten Verwaltungsstellen; Ministerium, die oberste Verwaltungsbehörde eines Staates. Die Einrichtung der Ministerien gehört der Neuzeit an und erscheint in Frankreich seit der Revolution, in Preußen seit der Stein-Hardenbergschen Periode und seitdem hier die Bedeutung des alten Staatsrats mehr und mehr zurücktrat, in Bayern schon seit Anfang des 19. Jahrh., als vollendet. In England fehlt noch heute die Titulatur M. für die Inhaber der dortigen Staatssekretariate. Nach der innern Einrichtung der gegenwärtigen Ministerien erscheint als gemeinsamer Wirkungskreis derselben: 1) die Beratung der Krone entweder durch persönlichen Vortrag der einzelnen M. oder durch kollegiale Antragstellung seitens eines gesamten, die einzelnen Ministerien in sich schließenden Staatsministeriums (Gesamtministerium); 2) die Ausführung der Gesetze entweder auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung oder vermöge der allgemeinen Befugnis der ausführenden Gewalt; 3) die Gegenzeichnung (Kontrasignatur) der von der Krone ausgehenden Regierungsakte sowohl im Sinn einer Beglaubigung als auch zum Zweck der Feststellung der Ministerverantwortlichkeit; 4) die Anweisung der Behörden bezüglich der Ausführung bestimmter Gesetze oder Verordnungen durch ministerielle Ausführungsvorschriften; 5) die Stellenbesetzung entweder unmittelbar auf Grund von Vollmachtserteilung des Herrschers oder im Wege des Vorschlags an den Herrscher. Es lassen sich, wo ein eigentliches Gesamtministerium besteht, zwei Systeme hinsichtlich der Einrichtung der Ministerien unterscheiden: das Kollegialsystem, wonach in wichtigern Fällen das Staatsministerium durch Stimmenmehrheit entscheidet, und das parlamentarische System, wonach an der Spitze des Ministeriums eine »leitende Person«, ein Premierminister oder Ministerpräsident, steht, der die politische Richtung der Regierung zu vertreten und eine gewisse Unterordnung unter die leitenden Gesichtspunkte von den übrigen Ministern zu fordern hat. Vorausgesetzt sind bei einer derartigen Einrichtung die vollkommene Gleichartigkeit der das Ministerium bildenden Elemente und die Ernennung der einzelnen Fachminister auf Vorschlag des Premiers durch die Krone. Unter den neuern Staatsmännern hat namentlich Fürst Bismarck diesem letztern System das Wort geredet. Abgesehen von England und den seinem Beispiel folgenden Staaten, wie Belgien, die Niederlande und Italien, kann die Krone ohne Rücksicht[877] auf parlamentarische Mehr- und Minderheiten die M. wählen. Nach deutschem und österreichischem Staatsrecht sind die M. Vertreter der Krone und deswegen den Kammern gegenüber mit besondern Rechten ausgerüstet. Sie können zu jeder Zeit in denselben erscheinen und müssen gehört werden, ein Recht, das nach der deutschen Reichsverfassung (Art. 9) auch den Mitgliedern des Bundesrats in Ansehung des Reichstags eingeräumt ist. Auch können die M. zur Vertretung der Regierungsvorlagen Kommissare bestellen. Ob M., die nicht Mitglieder der Kammer sind, wegen Verletzung der parlamentarischen Ordnung vom Vorsitzenden eine Rüge empfangen dürfen, ist eine Streitfrage, die übrigens zu verneinen ist.
Die gegenwärtig in den größern Staaten vorkommenden Fachministerien sind folgende: 1) Ministerium der Finanzen; 2) Kriegs ministerium (in Österreich Ministerium der Landesverteidigung); 3) Marine ministerium, in Preußen lange Zeit hindurch mit dem Kriegsministerium verbunden, dann unter dem Titel Kaiserliche Admiralität, jetzt Reichsmarineamt, auf das Reich übernommen; in Frankreich auch mit der Verwaltung der Kolonien betraut, während in England ein besonderes Staatssekretariat für die Kolonien besteht; 4) Ministerium für Handel und Gewerbe; 5) Ministerium für öffentliche Arbeiten; 6) Verkehrs- und Eisenbahn ministerium; 7) Ministerium des Ackerbaues; 8) Ministerium des Innern, das auch die Geschäfte der unter 47 bezeichneten Ministerien, wo solche nicht besonders bestehen, mit umfaßt; 9) Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten; 10) Ministerium der Justiz; 11) Ministerium für Kultus und Unterricht, in Preußen mit dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten verbunden, während in Frankreich die Verwaltung der Kultusangelegenheiten mit dem Justizministerium vereinigt ist. Das in vielen Staaten bestehende Hausministerium (Ministerium des königlichen Hauses), das mit der Verwaltung des Kronvermögens oder der Zivilliste betraut ist, bildet keinen Bestandteil des politischen Staatsministeriums; wohl aber das bayrische Staatsministerium des königlichen Hauses und des Äußern. Neben den Fachministerien kommen auch M. ohne Portefeuille (Konferenzminister, in Österreich Landsmannminister genannt) vor, die dem Gesamtministerium angehören und im Ministerrat Sitz und Stimme haben, ohne an der Spitze eines besondern Ministeriums zu stehen. Neben der Teilung nach Arbeitsfächern können bei der Organisation der Ministerien auch örtliche und territoriale Gesichtspunkte in Betracht kommen. Schon in der Errichtung kolonialer Ministerien ist dies der Fall. In England ist überdies der schottische Lord Advocate Ratgeber für die Behandlung schottischer Angelegenheiten. In kleinern Staaten zerfällt das Ministerium in verschiedene Departements oder Abteilungen, die unter verantwortlichen Departements- oder Abteilungsvorständen stehen.
Die M. sind vorgesetzte Behörden der Verwaltungsstellen, daher auch verpflichtet und berechtigt, Beschwerden über diese entgegenzunehmen und darüber zu entscheiden. Sie werden dabei unterstützt durch vortragende Räte (Ministerialräte etc.). Das Justizministerium kann auf den Gang der Rechtspflege nicht einwirken, auf die Strafrechtspflege jedoch mittelbar durch Anweisung der ihm unterstellten Staatsanwaltschaft, gewisse Anträge an das Gericht zu stellen oder Rechtsmittel einzulegen. Im Deutschen Reich sind die Vorstände der Reichsämter keine M., sondern Untergebene des einzigen Ministers, des Reichskanzlers.
Die für das konstitutionelle Staatsrecht wichtigste Frage ist die der Verantwortlichkeit der M. gegenüber der Volksvertretung. Schon in der ständischen Monarchie des Mittelalters, namentlich in Deutschland, finden sich zahlreiche Beispiele für die Berechtigung der Stände, die höchsten Beamten der Krone zur Verantwortung zu ziehen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt jedoch ist die Ministerverantwortlichkeit dem englischen Staatsrecht entnommen. Grundsatz des englischen Staatsrechts ist: »der König kann kein Unrecht tun«, d. h. der König ist zwar für seine Person unverantwortlich, aber jede Gesetzesverletzung ist durch die im Auftrag des Königs handelnden Staatssekretäre oder M. zu vertreten. Dieser Grundsatz ist in die Verfassungen der konstitutionellen Monarchien der Gegenwart übergegangen, und auch die deutsche Reichsverfassung vom 16. April 1871 (Art. 17) bestimmt, daß die im Namen des Reiches erlassenen Verfügungen und Anordnungen des Kaisers zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers bedürfen, der dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. In Österreich erfolgt (Gesetz vom 21. Dez. 1867) die Kundmachung der Gesetze unter Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers. Bei der Ministerverantwortlichkeit ist zu unterscheiden: 1) Die politische Verantwortlichkeit wegen zweckwidriger, dem Staatswohl nachteiliger Handlungen, z. B. wegen einer das äußere Ansehen der Krone vermindernden Maßregel, wegen schädlichen Abschlusses von Bündnisverträgen mit dem Ausland oder wegen unvorteilhafter Begebung einer bewilligten Staatsanleihe. Diese kann nicht eine Grundlage gerichtlichen Verfahrens bilden; wohl aber kann sie zu einem sogen. Mißtrauensvotum der Kammer Veranlassung geben, wodurch in England der Regel nach der Rücktritt eines unpopulären Ministeriums erreicht wird. In Deutschland kann zwar von einer solchen Wirkung keine Rede sein; doch können die Kammern ein unzweckmäßiges Verhalten des Ministeriums in Form einer Vorstellung oder Adresse zur Erwägung der Krone bringen. 2) Die strafrechtliche Verantwortung wegen solcher politischer Verbrechen, die schon in den Strafgesetzbüchern vorgesehen sind. Das Bedürfnis, diese Verantwortlichkeit durch ein konkurrierendes Anklagerecht der Kammern zu verstärken, liegt um deswillen vor, weil eine abhängige Anklagebehörde oder Staatsanwaltschaft sich nur schwer dazu entschließen wird, ihren eignen Vorgesetzten in den Anklagestand zu versetzen. 3) Die staatsrechtliche Verantwortlichkeit für die strafgesetzlich nicht bedrohte Verletzung der Verfassung oder der Gesetze schlechthin. Dahin gehören: die Verletzung der Gesetzgebungsrechte der Kammern durch verfassungswidrige Verkündung sogen. Verordnungen, die unterlassene Ausführung eines Gesetzes, die Unterlassung der Einberufung der Kammern zur gesetzlich vorgeschriebenen Zeit, verfassungswidrige Erhebung von Steuern, die unterlassene Abhilfe gegenüber den Gesetzesverletzungen untergeordneter Beamten, sofern solche zur Kenntnis der M. gebracht sind. Wer das Anklagerecht gegen M. auszuüben habe, wird in den Verfassungen nicht überall gleichmäßig bestimmt. In England ist es das Unterhaus, das anklagt, das Oberhaus, das entscheidet. Diesem Vorbild ist die amerikanische Verfassung gefolgt, indem sie den Senat als Urteilsbehörde über die Anklagen des Kongresses[878] berufen hat, ähnlich die norwegische Verfassung. In Deutschland ist entweder jede Kammer für sich dazu befugt oder ein übereinstimmender Beschluß beider Kammern erforderlich. In Österreich steht das Recht zur Anklage jedem der beiden Häuser des Reichsrates zu (Gesetz vom 25. Juli 1867). Für solche Fälle besteht ein Staatsgerichtshof, der entweder ein ständiger ist, wie das ehemalige preußische Obertribunal, oder für den einzelnen Anklagefall zusammengesetzt wird. In Österreich werden die Mitglieder des Staatsgerichtshofs auf die Dauer von 6 Jahren gewählt. Als Strafe kommt hauptsächlich Amtsverlust und Amtsunfähigkeit in Betracht. Das Begnadigungsrecht der Krone greift hier nicht Platz. Hinsichtlich der zivilrechtlichen Haftbarkeit der M. gelten dieselben Grundsätze wie für Verwaltungsbeamte überhaupt. Mit Rücksicht auf ihre Stellung sind sie als Zeugen an ihrem Amtssitz zu vernehmen und bedürfen, falls sie über Tatsachen vernommen werden sollen, auf die sich ihre Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit bezieht, der Genehmigung des Landesherrn und zwar auch dann noch, wenn sie nicht mehr im Amte sind (§ 376 und 382 der Zivilprozeßordnung, § 49 und 53 der Strafprozeßordnung, § 189 und 207 der Militärstrafgerichtsordnung). Im Strafprozeß darf jedoch die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reiches oder eines Bundesstaates Nachteil bereiten würde. Vgl. R. v. Mohl, Die Verantwortlichkeit der M. (Tübing. 1837); Samuely, Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit (Berl. 1869); Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe und die Ministerverantwortlichkeit (Tübing. 1891); Hauke, Die Lehre von der Ministerverantwortlichkeit (Wien 1880); Passow, Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit (Tübing. 1904).
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