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Kleinkinderschulen

[120] Kleinkinderschulen (Kinderbewahranstalten). Die traurige Lage kleiner Kinder, deren Eltern ihrem täglichen Broterwerb den Tag über außer dem Hause nachgehen müssen, hat schon seit langer Zeit zu vereinzelten wohltätigen Veranstaltungen geführt, durch die solchen Kindern Aussicht und Pflege während des Tages gewährt werden sollte. In größerer Anzahl traten, wie es scheint, derartige Anstalten zuerst im 18. Jahrhundert in Holland als sogen. Spielschulen auf. Die Einrichtung von Spiel- und Warteschulen empfahl dann besonders Pestalozzi (s. d.). Er bezeichnete sie als »Not- und Hilfskinderschulen für die armen Leute, die wegen des Tagelohns oder wegen ihres Frondienstes den Tag über ihre Wohnungen verschließen müssen«, oder als »Kinderhäuser, darin arme Mütter ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder bringen und den Tag über versorgen lassen können«. Gleichzeitig (1779) richtete Pfarrer Oberlin (s. d.) im Steintal (Elsaß), durch die Not und Verkommenheit seiner Gemeinde gedrängt, solche Anstalten ein. Er nannte sie Strickstuben und stellte sie unter Aussicht seiner Magd Luise Scheppler, die in seltener Treue 55 Jahre lang diesem Dienst sich widmete und den fünf Anstalten der Pfarre Waldbach im Steintal den ihr durch das Institut von Frankreich zuerkannten Montyonschen Tugendpreis von 5000 Frank als Geschenk zuwandte (1829). Die Ideen Pestalozzis und Oberlins fanden manche warme Fürsprache. Den ersten namhaften Versuch zu ihrer Verwirklichung in Deutschland machte die Fürstin Pauline von Lippe zu Detmold (1802). Das Verdienst der allgemeinern Verbreitung und ersten systematischen Einrichtung der Kinderbewahranstalten gebührt den Briten. 1800 gründete der Schotte Robert Owen in der Fabrik zu New Lanark eine Pfleganstalt für die Kinder der Arbeiter. Für Nachahmung des von ihm gegebenen Musters wußte Brougham seit 1818 Parlament und Publikum derart zu begeistern, daß unter Beförderung der neugebildeten Infant-school Society viele Pfleganstalten entstanden. Seit 1825 etwa fanden diese Bestrebungen besonders durch Wilderspies vorbildliche Tätigkeit auch Anklang und Nachahmung in den übrigen europäischen Ländern. Mehrere ähnliche Unternehmungen, wie die des Professors Wadzeck in Berlin (1819), waren in Deutschland schon nach dem Muster der Detmolder Anstalten entstanden. Jetzt erwachte erfreuliche Regsamkeit für die K., denen gleicherweise die Regierungen wie die hervorragenden Pädagogen der Zeit (Niemeyer, Schwarz, Türk. Zerrenner, Diesterweg) ihr Interesse zuwandten. Die K. haben sich seitdem stets weiter ausgebreitet; in Deutschland besonders durch den Freiherrn A. v. Bissing-Beerberg (1800–80) und den von ihm (1871) begründeten Oberlinverein sowie dessen Musteranstalt zu Nowawes bei Potsdam (seit 1873). Auch in ländlichen Verhältnissen, wo das Bedürfnis oft kaum geringer ist als in Fabrikstädten, haben sie hier und da Anklang gefunden. Die weiblichen Orden in der katholischen und die Diakonissenhäuser in der evangelischen Kirche haben auf diesem Gebiete rege Tätigkeit entfaltet. Daß anderwärts die Bewahranstalten mit den Fröbelschen Kindergärten (s. d.) zusammengeflossen sind, verdient Anerkennung und Nachahmung, wenn auch von Haus aus beider Aufgaben nicht völlig zusammenfallen. Die Einrichtung der Bewahranstalten ergibt sich der Hauptsache nach aus ihrer Aufgabe; im einzelnen müssen örtliche Verhältnisse entscheiden. – Eine Abart der K. sind die sogen. Krippen (crèches) oder Warteschulen, in denen während der Arbeitstage noch der Wartung bedürftige Kinder Aufnahme finden, während die Pfleganstalten sonst etwa dreijähriges Alter und die Fähigkeit zu gehen zur Aufnahme verlangen. Die Krippen wurden von F. Marbeau (s. d.) in Paris (1844) begründet und durch K. F. v. Savigny in Berlin eingeführt, von wo aus sie sich ebenfalls weit in Deutschland verbreitet haben. Vgl. Marbeau, Crèches pour les petits enfants des ouvrières (7. Aufl., Par. 1873); J. F. Ranke, Erziehung und Beschäftigung kleiner Kinder in K. (10. Aufl., Elberf. 1903); Hübener, Die christliche Kleinkinderschule (Gotha 1888); Pappenheim u. a., Bericht über Krippen, Kinderschutzvereine etc. (Weltausstellung in Chicago, Berl. 1893); Hagenbach-Burckhardt, Die Krippen und ihre hygienische Bedeutung (Jena 1899); Kopp, Geschichte der Kleinkinderschule und des Kindergartens (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 5, 3. Abt., Stuttg. 1902); Zeitschrift: »Kindergarten, Bewahranstalt und Elementarklasse« (begründet von Köhler, Schmidt und Seidel, Wien, seit 1860).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 120.
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