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Diesterweg

[896] Diesterweg, Friedrich Adolf Wilhelm, einflußreicher Vertreter der deutschen Volksschulpädagogik, geb. 29. Okt. 1790 in Siegen, gest. 7. Juli 1866 in Berlin, besuchte die Universitäten Herborn und Tübingen, um Mathematik, Philosophie und Geschichte zu studieren, ward 1811 Hauslehrer in Mannheim, 1812 Lehrer an der Sekundärschule in Worms und bald an der Musterschule in Frankfurt, 1818 zweiter Rektor an der lateinischen Schule in Elberfeld, wo er mit dem verdienten Schuldirektor Wilberg in Verkehr trat. 1820 als Direktor an das neue Lehrerseminar zu Mörs berufen, entfaltete D. dort eine äußerst fruchtbare Tätigkeit als praktischer Schulmann wie als Schriftsteller (»Rheinische Blätter«, seit 1827). Was Pestalozzi erstrebt hatte, sah man in Seminar und Übungsschule zu Mörs sich vorbildlich gestalten. 1832 ward er nach Berlin berufen als Direktor des neuen Seminars für Stadtschulen. Auch hier wirkte er höchst anregend. Seine Tätigkeit erlitt aber bald Einbuße durch verdrießliche Streithändel, in die D. nicht immer ohne Schuld verwickelt wurde. In diesen handelte es sich vorzugsweise um selbständigere Stellung und würdigere Ausstattung der Volksschule, um Verbesserung der Methoden des Unterrichts, auch des höhern an Gymnasien und Universitäten, um den von D. empfohlenen allgemeinen, konfessionslosen Religionsunterricht etc. In der Polemik zeigte sich D. schlagfertig, aber heftig und nicht immer vorsichtig. Seit 1840 begannen bedauerliche Verwickelungen mit den Staatsbehörden, deren peinlichen Verlauf neben Diesterwegs Schroffheit die engherzige Voreingenommenheit einzelner Beamten beförderte. In dieser Zeit setzte D. sich ein bleibendes Denkmal in der von ihm angeregten Pestalozzistiftung zu Pankau und den von ihm empfohlenen Pestalozzivereinen zur Unterstützung der Lehrerwitwen und -Waisen bei der Säkularfeier von Pestalozzis Geburtstag (1846). Im April 1847 wurde er, der Form nach auf eignes Gesuch, mit vollem Gehalt beurlaubt, 1850, da er anderweite Verwendung (als Schulrat) außerhalb Berlins ablehnte, mit Pension entlassen. Unbeirrt stritt D. auch ferner als Schriftsteller für seine Ideen und schuf sich neben den »Rheinischen Blättern« dazu im »Pädagogischen Jahrbuch« (1851–66) ein neues Organ. 1858 von der Stadt Berlin in das Abgeordnetenhaus gewählt. trat er hier im Sinne der liberalen Opposition gegen die Reaktion und besonders scharf gegen die Raumer-Stiehlschen Regulative von 1854 ein. Er starb, noch eben erfreut durch die Kunde von dem Siege bei [896] Königgrätz, an der Cholera. Denkmäler wurden ihm in Mörs (1882) und in Siegen (1890) gesetzt. Seinen 100jährigen Geburtstag am 29. Okt. 1890 beging in und außer Deutschland der Volksschullehrerstand festlich. Aus Diesterwegs zahlreichen Schriften sind hervorzuheben: »Das pädagogische Deutschland« (Berl. 1836); »Pädagogische Reise nach den dänischen Staaten« (das. 1837); »Beiträge zu Lösung der Lebensfrage der Zivilisation« (Essen 1836 bis 1838,4 Hefte); »Streitfragen auf dem Gebiete der Pädagogik« (das. 1837f., 2 Hefte); »Leitfaden für den Unterricht in der Formenlehre« (4. Aufl., Leipz. 1845); »Raumlehre« (2. Aufl., Bonn 1843); »Schullesebuch« (Bielef., 2 Tle.; mehrfach aufgelegt); »Lehrbuch der mathematischen Geographie und populären Himmelskunde« (Berl. 1840; 19. Aufl. als »Populäre Himmelskunde« hrsg. von W. Meyer und Schwalbe, Hamb. 1898; in andrer Bearbeitung, 2. Aufl., Lübeck 1902); »Unterricht in der Kleinkinderschule« (5. Aufl., Bielef. 1852); »Lehrgang für den Unterricht in der deutschen Sprache« (das., 3 Tle.); »Die drei preußischen Regulative« (Frankf. 1855); »Pädagogisches Wollen und Sollen« (Leipz. 1856; 2. Aufl., Frankf. 1875); mit Heuser: »Methodisches Handbuch für den Gesamtunterricht im Rechnen« u. »Praktisches Rechenbuch« (oft aufgelegt) sowie der mit andern bearbeitete »Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer« (Essen 1834, 2 Bde.; 5. Aufl. 1873–77, 3 Bde.), der 1. (allgemeine) Teil des letztern in 6. Auflage von K. Richter (Frankf. 1890), auch bearbeitet von Wacker (Paderb. 1900). Diesterwegs »Ausgewählte Schriften« gab Langenberg heraus (Frankf. 1876–1878, 4 Bde.; 2. Aufl. 1890–92), der auch »Lichtstrahlen aus Diesterwegs Schriften« (Leipz. 1875) erscheinen ließ. Eine Auswahl aus den »Rheinischen Blättern« gab Jessen heraus (Wien 1890). Vgl. Langenberg, D., sein Leben und seine Schriften (Frankf. 1867); Derselbe, Diesterwegs Selbstbeurteilungen, aus seinen Schriften (Mörs 1873); Rudolf, Diesterwegs Leben (in der 5. Aufl. des »Wegweisers«, Bd. 1); Derselbe, D., der Reformator des deutschen Volksschulwesens (Berl. 1890); K. Richter, A. D. nach seinem Leben und Wirken (Wien 1890); Scherer, A. Diesterwegs Pädagogik in systematischer Anordnung (Gießen 1890); Kreitz, D. und die Lehrerbildung (Wittenb. 1890); Wilke, D. und die Lehrerbildung (Berl. 1890); K. Fischer, Adolf D. (2. Aufl., Langens. 1902); v. Sallwürk, Adolf D. (das. 1899–1900, 3 Bde.). – Aus den Überschüssen der Sammlung für ein Grabdenkmal Diesterwegs wurde 1866 die Diesterwegstiftung, besonders zur Pflege der pädagogischen Literatur in Diesterwegs Sinne, begründet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 896-897.
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