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Haft

[607] Haft ist die durch die zuständige Behörde verfügte Freiheitsentziehung. Sie kommt teils als Disziplinarstrafmittel, teils und hauptsächlich im gerichtlichen und namentlich im strafrechtlichen Verfahren vor.

I. Strafsachen. Hier ist zu unterscheiden, ob die H. während einer Untersuchung gegen einen Angeschuldigten verhängt wird, um die Erreichung des Zweckes dieser Untersuchung zu sichern (Untersuchungshaft), oder ob sie an einem Verurteilten zur Strafe vollzogen wird (Strafhaft). Wird im letztern Fall der Inhaftierte isoliert gehalten, so wird dies als Einzelhaft bezeichnet. Im Strafensystem des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs ist die H. die leichteste, für die sogen. Übertretungen bestimmte Freiheitsstrafe, in einfacher Freiheitsentziehung bestehend. – Unter Nachhaft versteht man die an die Verbüßung der H. in bestimmten Fällen sich anschließende Anhaltung in Arbeitshäusern (s. d.). – Die Untersuchungshaft kann nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 112 ff.) nur verhängt werden, wenn gegen einen Angeschuldigten dringende Verdachtsgründe vorliegen, und wenn dieser zudem entweder der Flucht verdächtig ist, oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß er Spuren der Tat vernichten oder Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aussage oder Zeugen dazu verleilen werde, sich der Zeugnispflicht zu entziehen, sogen. Kollusionshaft (vgl. Kollusion). Auch ohne Vorliegen dieser Gründe kann Untersuchungshaft verhängt werden, wenn ein Verbrechen Gegenstand der Untersuchung, oder der Angeschuldigte ein Heimatloser oder ein Landstreicher ist, oder er nicht imstande, sich über seine Person auszuweisen, oder wenn er Ausländer ist und begründeter Zweifel darüber besteht, ob er sich auf Ladung vor Gericht stellen und dem Urteil Folge leisten werde. Nach der Militär-Strafgerichtsordnung kommt hierzu noch als weiterer Grund, die Rücksicht auf Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin. Die Verhaftung erfolgt regelmäßig nur auf richterlichen und zwar schriftlichen Haftbefehl. In diesem ist der Beschuldigte genau zu bezeichnen, auch die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie der Grund der Inhaftierung anzugeben. Jeder Verhaftete muß spätestens am Tage nach der Einlieferung in das Gefängnis durch einen Richter über den Gegenstand der Beschuldigung verhört werden. Vorläufige Festnahme (Detention, Verwahrung) kann unter bestimmten Voraussetzungen auch von der Staatsanwaltschaft und von Polizei- und Sicherheitsbeamten angeordnet werden. Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl vorläufig festzunehmen (s. Festnahme).

Das Militärstrafgesetzbuch kennt nur Festungshaft, die in Freiheitsentziehung mit Beaufsichtigung der Beschäftigung und Lebensweise der Gefangenen besteht und in Festungen und andern dafür bestimmten Räumlichkeiten vollzogen wird. Untersuchungshaft wird an Offizieren in besondern Offiziers-Arrestlokalen vollstreckt; der Offizier wird dorthin durch einen ältern Offizier begleitet, wo er seinen Säbel abzuliefern hat, der dem Vorgesetzten übergeben wird, der die Verhaftung angeordnet hat. Sobald ein Offizier oder höherer Militärbeamter verhaftet wird, ist dies dem höchsten Vorgesetzten unter Angabe des Grundes zu melden. Unteroffiziere und Gemeine werden durch Unteroffiziere in Untersuchungshaft abgeführt.

II. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten. Behufs Erfüllung rechtlicher Verbindlichkeiten kommt die H. (Schuldhaft, Personalhaft, Contrainte par corps) nur ausnahmsweise vor. Das 1871 auf das Reichsgebiet ausgedehnte norddeutsche Bundesgesetz vom 29. Mai 1868 erklärte nach dem Vorgang des Auslandes (Frankreich 1867, Österreich 1868, England 1869, Belgien 1871) den Personalarrest für unstatthaft, soweit dadurch die Leistung einer Quantität von vertretbaren Sachen oder von Wertpapieren erzwungen werden solle. Damit wurde auch die sogen. Wechselstrenge, d. h. die Wechselhaft als Mittel zur Beitreibung von Wechselschulden, beseitigt. Dasselbe ist für Österreich durch Gesetz vom 4. Mai 1868 und für Italien durch Gesetz vom 6. Dez. 1877 verfügt worden. Immerhin kommt die H. auch jetzt noch in bürgerlichen Rechtssachen als Sicherungsmittel (Sicherheitsarrest) wie als Vollstreckungsmittel vor (s. Arrest). Die deutsche Zivilprozeßordnung (§ 918) läßt den Sicherheitsarrest nur zu, soweit er erforderlich ist, um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern. Es ist z. B. gestattet, wenn der Schuldner sein Vermögen ins Ausland[607] schaffen will. Im Vollstreckungsverfahren ist die H. nach den § 888 ff. und 901 zulässig: 1) zur Erzwingung der Vornahme einer Handlung, die durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann und ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängt; 2) als Strafe der Zuwiderhandlung wider die Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden; 3) zur Erzwingung der Leistung des Offenbarungseides (s. d.). Nach der deutschen Konkursordnung (§ 101 und 106) darf gegen die Gesamtschuldner die H. angeordnet werden, wenn er die ihm vom Gesetz auferlegten Pflichten nicht erfüllt, oder wenn es zur Sicherung der Masse notwendig erscheint. Die Kosten der Verhaftung (Haftkosten) sind beim Antrag auf Verhaftung durch Auslagenvorschuß sicherzustellen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 607-608.
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