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Chemische Industrie

[917] Chemische Industrie, der Teil der Industrie, der sich zur Hervorbringung seiner Produkte chemischer Prozesse bedient. In diesem weitern Sinne gehören zur chemischen Industrie auch Brauerei, Brennerei, Glas-, Seifen-, Leimfabrikation etc., doch faßt man den Begriff in der Regel enger und rechnet zur chemischen Industrie nur die in chemischen Fabriken ausgeführte Herstellung von Chemikalien, wie Schwefelsäure, Salz-, Salpetersäure, Soda, Pottasche, Chlorkalk, Alaun, Borax, Phosphor, anorganische und organische Farbstoffe, Chloroform, Chloralhydrat, Salizylsäure etc. Einige Zweige der chemischen Industrie sind alt und haben sich empirisch entwickelt, andre fußen durchaus auf neuern chemischen Forschungen und haben vielfach in den chemischen Laboratorien gemachte Entdeckungen verwertet. Die meisten dieser Industriezweige haben sich um so glücklicher entwickelt, je intensiver sie den Zusammenhang mit der Wissenschaft aufrecht erhielten. Die Fabriken für Teerfarben, die völlig auf wissenschaftliche Forschung[917] angewiesen sind, haben denn auch chemische Laboratorien eingerichtet, in denen oft zahlreiche Chemiker nur für die Zwecke der Fabrik arbeiten. Dies ist namentlich in Deutschland der Fall, und hier hat auch die ch. I. in der jüngsten Zeit die größten Fortschritte gemacht. Vgl. Grauer, Die Preisbewegung von Chemikalien seit 1861 (Stuttg. 1902); »Katalog der Sammelausstellung der deutschen chemischen Industrie in Paris 1900« (Berl. 1900). – Der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands, gegründet 1878 zu Frankfurt a. M., bezweckt die Förderung gemeinsamer Interessen der chemischen Industrie unter anderm durch Herausgabe einer Zeitschrift (»Chemische Industrie«, seit 1878), durch Ausschüsse, die zur Untersuchung und Berichterstattung über einzelne Fragen berufen werden (Fachabteilungen), durch Preisaufgaben und durch Unterstützung neuer Erfindungen auf dem Gebiete der technischen Chemie. Chemische Vereine in Deutschland können als korporative Mitglieder mit je fünf Stimmen gegen einen Jahresbeitrag von 250 Mk. sowie 20 Mk. für jedes einzelne Mitglied aufgenommen werden. Die seit 1885 bestehende Berufsgenossenschaft und der Verein bilden zwei konzentrische Kreise, von denen die Berufsgenossenschaft den engern, der Verein den weitern darstellt. Beide sind im Vorsitz und in der Geschäftsführung durch Personalunion vereinigt, woraus die mustergültige Interessenvertretung der Chemie in Deutschland und ihre beispiellosen Erfolge im In- und Ausland z. T. abzuleiten sind. Mitglieder des Vereins sind fast nur Großbetriebe, da der Jahresbeitrag neben einem Eintrittsgeld von 20 Mk. je nach der Jahreslohnsumme in Skalen von 20–75,000 Mk. zwischen 25 und 500 Mk. schwankt. Die Jahreseinnahme des Vereins beläuft sich auf 40–50,000 Mk. Der Verein vertritt den Grundsatz, daß die öffentlichen Interessen unter allen Umständen über die Vereinsinteressen zu stellen sind. Vgl. Witt, Die ch. I. des Deutschen Reiches im Beginne des 20. Jahrhunderts (Berl. 1902); Gustav Müller, Die ch. I. in der deutschen Zoll- und Handelsgesetzgebung des 19. Jahrhunderts (das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 917-918.
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