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Anzeige

[603] Anzeige, Annonce (s. d.). In der Rechtssprache die Mitteilung (Denunziation), die einer Behörde über eine beabsichtigte oder bereits begangene strafbare Handlung zum Zweck ihrer Verhütung oder ihrer Bestrafung gemacht wird. Der Anzeigende wird Denunziant, der Angezeigte Denunziat genannt Berechtigt zu einer solchen A., die bei der zuständigen Behörde erstattet werden muß, ist, sofern es sich nicht um ein solches Verbrechen oder Vergehen handelt, das bloß auf Antrag des Verletzten verfolgt wird, jeder aus dem Volk (sogen. freiwillige A.). Anzeigen strafbarer Handlungen oder Anträge auf Strafverfolgungen können bei der Staatsanwaltschaft, bei den Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes und nach der deutschen Strafprozeßordnung auch bei den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mündliche A. ist zu beurkunden. Anzeigen gegen Personen, die der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehen, sind von Personen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine auf dem Dienstwege (Offiziere bei dem Gerichtsherrn oder einem mit Disziplinarstrafgewalt versehenen Vorgesetzten des Beschuldigten mündlich oder schriftlich, Unteroffiziere und Gemeine beim Kompagnie- etc. Chef unmittelbar und mündlich), von Militärbeamten bei der vorgesetzten Dienstbehörde des Beschuldigten anzubringen. Andre Personen sind auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts verwiesen; doch genügt das Anbringen der A. bei der vorgesetzten Dienstbehörde des Beschuldigten (Militärstrafgerichtsordnung, § 151). Eine Verpflichtung zur A. (Anzeige-, Denunziationspflicht) ist, sofern eine bereits begangene unerlaubte Handlung in Frage steht, nach den meisten Strafgesetzen nur infolge einer besondern Amtspflicht begründet (sogen. notwendige A.), und daher kann auch die Unterlassung einer A. in derartigen Fällen nur für diejenigen Beamten und ihre Bediensteten eine Strafe nach sich ziehen, die sich eben dadurch einer besondern Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Hierher gehören unter Umständen auch Ärzte (vgl. Österreichisches Strafgesetzbuch, § 349) und Hebammen (§ 15 der österreichischen Ministerialverordnung vom 4. Juni 1881). Auch in Ansehung einer beabsichtigten strafbaren Handlung liegt die A. zunächst nur den dazu verpflichteten Beamten ob. Das deutsche Strafgesetzbuch bedroht, abgesehen von den Strafdrohungen des Sprengstoffgesetzes (§ 13) und des Gesetzes, betreffend den Verrat militärischer Geheimnisse (§ 9), mit Gefängnisstrafe (1 Tag bis zu 5 Jahren) die Unterlassung einer A. von bevorstehenden Straftaten nur bei besonders schweren Verbrechen, nämlich bei Hochverrat, Landesverrat, Münzverbrechen, [603] Mord, Raub, Menschenraub, und bei gemeingefährlichen Verbrechen, also namentlich bei Brandstiftung, vorsätzlicher Gefährdung eines Eisenbahntransports, vorsätzlicher Herbeiführung einer Überschwemmung u. dgl., und zwar unter der doppelten Voraussetzung, daß erstens der zu Bestrafende zu der Zeit, als die Verhütung des Verbrechens noch möglich war, glaubhafte Kenntnis von dem verbrecherischen Vorhaben erhalten und gleichwohl weder der Behörde noch der durch das Verbrechen bedrohten Person rechtzeitig A. gemacht hat, und daß zweitens das Verbrechen oder doch wenigstens ein strafbarer Versuch wirklich begangen worden ist. Dem Anzeigeerstatter können übrigens, falls die A. wider besseres Wissen oder grobfahrlässig erstattet ist, die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Nach österreichischem Strafrecht besteht eine Anzeigepflicht für Private nur bei den Verbrechen des Hochverrats, der Ausspähung und der unbefugten Werbung. Verschieden davon ist die Verheimlichung eines Verbrechens (Strafgesetzbuch, § 214). Auf der andern Seite wird aber auch eine wider besseres Wissen erstattete A. (»falsche Anschuldigung«, Calumnia) mit Strafe belegt, und zwar nach dem deutschen Strafgesetzbuch mit Gefängnis nicht unter einem Monat, nach dem österreichischen Strafgesetzbuch, wenn es sich um die A. eines angedichteten Verbrechens handelt, mit schwerem Kerker von 1–10 Jahren (Verbrechen der Verleumdung); auch kann dem Verletzten die Befugnis zugesprochen werden, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Der Ausdruck A. oder Anzeigung wird im Strafprozeß auch als gleichbedeutend mit »indicium«, Indiz (s. d.), gebraucht. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 156 ff., 501; Deutsches Strafgesetzbuch, § 139, 164, 165; § 84–87 der österreichischen Strafprozeßordnung; Heß, Die Lehre von der falschen Anschuldigung (Ellwang. 1888). – A. in der Medizin, s. Indikation.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 603-604.
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