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Anthologie

[566] Anthologie (griech., »Blumenlese«), im allgemeinen eine Sammlung erlesener Erzeugnisse der Literatur, namentlich der poetischen; insbes. Titel zweier großer Sammlungen aus der griechischen und der römischen Dichtkunst. Zu der sogen. griechischen A.[566] legte den ersten Grund der Dichter Meleagros aus Gadara in Syrien (um 60 v. Chr.), der epigrammatische und erotische Poesien von ihm selbst und 47 andern Verfassern in einen »Kranz« zusammenfaßte. Zu dieser Sammlung fügte Philippos aus Thessalonika um 40 n. Chr. noch eine Epigrammenauswahl von etwa 13 neuen Dichtern. Weitere Sammlungen veranstalteten im 2. Jahrh. Straton aus Sardes und Diogenianos aus Herakleia, dann im 6. Jahrh. Agathias aus Myrina. Aus allen diesen jetzt verlornen Anthologien stellte im 10. Jahrh. Konstantinos Kephalas zu Konstantinopel eine umfassende, nach der Ähnlichkeit des Inhalts in 15 Bücher geordnete A. her. Diese Sammlung brachte der Mönch Maximus Planudes im 14. Jahrh. in einen Auszug von 7 Büchern, der bis ins 17. Jahrh. von allen griechischen Anthologien allein bekannt war und oft herausgegeben wurde (zuerst Flor. 1494 von Joh. Laskaris; von H. Stephanus, Par. 1566 u. ö.; meisterhafte lateinische Übersetzung von Hugo Grotius in der Ausgabe von de Bosch, Utrecht 1795–1822). 1606 entdeckte Salmasius in der pfälzischen Bibliothek zu Heidelberg eine Handschrift der ganzen A. des Konstantinos Kephalas und nahm von den noch nicht in der Planudischen A. enthaltenen Stücken Abschrift. Diese Handschrift kam 1623 mit der übrigen Heidelberger Bibliothek nach Rom in die Vatikanische Bibliothek, wurde 1797 nach Paris gebracht und kehrte erst 1816 zum größern Teil (Bd. 1–12) in die alte Heimat zurück, während der Rest (Bd. 13–15) in Paris verblieb. Nach Salmasius' Abschrift gab Brunck die Sammlung mit andern epigrammatischen Dichtungen als »Analecta veterum poetarum« (Straßb. 1776, 3 Bde.) heraus. Davon veranstaltete Fr. Jacobs eine neue Bearbeitung als »Anthologia graeca, s. Poetarum graec. lusus ex rec. Brunckii« (Leipz. 1794–1814, 13 Bde.). Auf Grund einer 1776 in Rom gefertigten, in Gotha befindlichen Abschrift der Pfälzer Handschrift gab er dann die »Anthologia graeca ad fidem codicis olim Palatini etc.« (Leipz. 1813–17, 3 Bde.) heraus. Neuere Ausgaben der palatinischen und planudischen A. lieferten Dübner (Par. 1864–72, 2 Bde.), Cougny (das. 1890, 3 Bde.) und Stadtmüller (Leipz. 1894 ff.); eine Sammlung der inschriftlich erhaltenen Gedichte Kaibel: »Epigrammata graeca ex lapidibus conlecta« (Berl. 1878). Übersetzungen größerer Partien der A. gaben Herder in den »Zerstreuten Blättern« (Teil 1 u. 2) und Jacobs in »Leben und Kunst der Alten« (Gotha 1824, 2 Bde.), eine Gesamtübersetzung Weber und Thudichum (Stuttg. 1838–70). Trotz des sehr ungleichen Gehalts der einzelnen Bestandteile der A. (es haben mehr als 300 Dichter beigesteuert) ist das Ganze in poetischer Rücksicht wie in Beziehung auf Sprache, Geschichte und Sitte der Hellenen in verschiedenen Perioden ein unschätzbares Kleinod, das für den Verlust so vieler lyrischer, namentlich elegischer Dichter einigermassen schadlos hält.

Die römische Literatur besitzt eine im Altertum schon veranstaltete A. nicht. Erst Neuere haben aus handschriftlich oder inschriftlich überlieferten Gedichten nach dem Vorbilde der griechischen eine römische A. zu gestalten unternommen. Den Grund legten J. Scaliger durch seine »Catalecta veterum poetarum« (Leid. 1573, wiederholt 1595 und 1617) und P. Pithöus mit »Epigrammata et poemata vetera e codicibus et lapidibus collecta« (Par. 1590; wiederholt Leid. 1596, Genf 1619). Eine reichhaltige, aber durchaus unkritische Sammlung in 5 Büchern veranstaltete P. Burmann der jüngere in seiner »Anthologia latina« (Amsterd. 1759–73, 2 Bde.). Einen Fortschritt bezeichnete H. Meyers »Anthologia veterum latin. epigrammatum et poematum« (Leipz. 1835, 2 Bde.). Die erste wirklich kritische Sammlung ist die »Anthologia latina« von A. Riese und Fr. Bücheler, von denen ersterer die »Carmina in codicibus scripta« (2. Aufl., Leipz. 1894), letzterer die »Carmina epigraphica« (das. 1897) herausgegeben hat. Eine Ergänzung dazu bilden die von M. Ihm herausgegebenen »Damasi epigrammata« (Leipz. 1895). Viele dieser Gedichte sind vortrefflich und wahre Zierden römischer Poesie, die meisten Mittelgut, eine bedeutende Zahl ohne Geist und Form. – Unter den übrigen Literaturen zeichnen sich die arabische, persische und türkische durch ihren Reichtum an Anthologien aus; am bekanntesten ist die arabische Hamâsa (s. d.). Von den alttestamentlichen Büchern ist die Psalmensammlung für ein solches Werk zu halten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 566-567.
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